Ohne Sherlock lebt sich's länger
Ohne Sherlock lebt sich's länger
Wie von der Tarantel gestochen jagte ich dem Regisseur nach und der rannte, als wäre eine wilde Bestie hinter ihm her. Zu meiner Überraschung, setzte auch Sherlock dem Kerl nach und gemeinsam hetzten wir nun aus dem Theater raus hinter ihm her.
Immer wieder mussten wir Passanten ausweichen, Hindernisse nehmen und ich hatte das Gefühl, als würde mein Herz jeden Augenblick explodieren, weil es durch die Verfolgungsjagd so strapaziert wurde.
,,Er rennt, als wäre der Teufel hinter ihm her.", brachte ich gehetzt hervor, während wir unseren Marathon fortsetzten.
,,Vor Ihnen würd ich auch wegrennen!"
Ich wusste nicht, wie Sherlock es fertigbrachte, während unserer Rennerei noch zu grinsen, aber ich musste zugeben, dass er echt schlagfertig sein konnte. Die Verfolgungsjagd führte uns direkt in die Innenstadt und langsam wurde es echt anstrengend, dem Kerl nachzujagen.
,,Hat der eine Ausbildung zum Hochleistungssportler?", sagte ich nur, während ich weiterrannte und Sherlock schmunzelte nur.
Dann jagten wir unserem Flüchtling weiter nach, als Sherlock mit einem Mal andeutete, eine Abkürzung zu kennen. Zwar fragte ich mich, wie er wissen konnte, wo unser Möchtegern-Regisseur hinwollte, aber ich fragte nicht nach, sondern folgte Sherlock einfach. Immerhin musste es ja schon einen Grund geben, weshalb er als der brillanteste Detektiv von ganz England galt.
Wir sprinteten durch eine schmale Gasse und ich wunderte mich, wie Sherlock so eine endlose Ausdauer haben konnte. Selbst mir fiel die Verfolgungsjagd mit jedem Meter schwerer und ich war durch meine Ausbildung als Polizistin eigentlich schon auf lange Strecken trainiert.
Doch als wir um die Kurve bogen, hielt ich inne, denn ich sah erschrocken, wie ein schneller Sportwagen direkt auf uns zuraste. Blitzschnell packte ich Sherlock, der gerade über die Straße rennen wollte, am rechten Arm und zog ihn zurück. Und gerade noch rechtzeitig, denn in dem Moment raste der Wagen an uns vorbei und ich starrte Sherlock entgeistert an.
,,Wollen Sie sich umbringen?", brachte ich hervor, doch Sherlock blieb gelassen.
,,Faszinierender Gedanke! Aber nein, ich denke nicht. Ohne mich wäre die Polizei gänzlich verloren und England würde durch die Verbrechen untergehen."
Für einen Moment starrte ich Sherlock perplex an und schüttelte anschließend den Kopf angesichts seines Selbstbewusstseins.
,,Sie...sind unglaublich!", sagte ich und nun grinste Sherlock.
,,Schön, dass Sie das auch endlich einsehen."
Obwohl dieser Spruch eigentlich mal wieder seine Arroganz unterstrich, musste ich grinsen und richtete lachend den Blick gen Himmel. Dann sah ich mich suchend um, aber natürlich fehlte von unserem flüchtigen Regisseur nun jede Spur.
,,Tja, unser Flüchtling ist jetzt jedenfalls über alle Berge. Den werden wir nicht so schnell finden können."
,,Vielleicht versuchen Sie es in der Regent Street 71.", erwiderte Sherlock und ich starrte ihn irritiert an.
,,Und warum um alles in der Welt sollte ich das tun?"
Statt zu antworten, griff Sherlock in seine rechte Manteltasche und holte einen kleinen Notizzettel hervor, auf dem die genannte Adresse und der Name Felipe Santana standen. Völlig perplex sah ich auf den Zettel, ehe ich Sherlock anstarrte und dieser mich vielsagend ansah.
,,Wie zu Geier kommen Sie an seinen Namen und die Adresse?", fragte ich nun schon fast ein wenig hysterisch und Sherlock zuckte mit den Schultern.
,,An der Wand hing eine Teilnehmerliste für das aktuelle Theaterstück. Und unser Regisseur hat sich ebenfalls eingetragen. Ich habe sie studiert, als Sie die beiden Schauspieler ins Kreuzverhör genommen haben."
Jetzt war ich sprachlos und nahm kurzer Hand den Zettel an mich, den Sherlock mir immer noch entgegenstreckte. Ich musste zugeben, Sherlock Holmes schaffte es bis jetzt als Einziger, mich hin und wieder sprachlos zu machen. Denn für gewöhnlich konnte ich gut kontern, aber bei ihm wusste ich auch nicht, was ich antworten sollte.
,,Mein Leben war eindeutig leichter, bevor Sie aufgetaucht sind, Sherlock Holmes.", meinte ich schließlich und er hob eine Augenbraue.
,,Weil Sie bis dahin noch nichts von mir und meinen exzellenten Fähigkeiten wussten?"
,,Nein! Weil es da noch nicht mein neues Lebensmotto gab.", erwiderte ich und nun war es Sherlock, der ein wenig irritiert war.
,,Und wie lautet das?"
,,Ohne Sherlock lebts sich länger!"
***
,,POLIZEI!"
Eine gute Stunde später, platzte ich samt dem SEK in die Wohnung von Felipe Santana. Allerdings ohne Sherlock Holmes, denn dieser hatte es bevorzugt, in die Baker Street zurückzukehren und zu denken, wie er es formuliert hatte.
Also war ich nun allein im Einsatz und hatte die Kavallerie in die betreffende Straße gebeten. Aber natürlich war, wie ich es erwartet hatte, die Wohnung leer.
,,Sauber!", sagte ein Polizist und ich steckte meine Dienstwaffe zurück.
,,Wäre ja auch zu schön gewesen. Na, schön! Anderson, jetzt sind Sie dran!"
Und schon tauchte mein Kollege samt seinem Spurensicherungsteam neben mir auf und machte sich an die Arbeit. Ich half mit und durchsuchte die Wohnung nach Hinweisen, doch auf den ersten Blick schien es nicht besonders großen Erfolg mit sich zu ziehen. Aber dann hatte ich das eigenartige Gefühl, dass Felipe sich in der Nähe befand und als ich ins Treppenhaus trat, fiel mein Blick zufällig in eine Etage unter uns, wo der gesuchte Verdächtige soeben aus der Wohnung einer Nachbarin trat.
,,HEY, FELIPE! POLZEI!", rief ich und als er mich entdeckte, ergriff er natürlich wieder die Flucht, woraufhin ich förmlich fluchte. ,,Immer dieses Weggerenne!"
Blitzschnell raste ich ihm hinterher aus dem Haus heraus und dieses Mal war das Glück auf meiner Seite. Denn Felipe übersah, in seiner überheblichen Flucht, einen Blumentopf und stolperte. Gerade, als er sich wieder aufrappeln wollte, erreichte ich ihn und schaffte es, ihn zu überwältigen.
Mit einem gekonnten Tritt brachte ich Felipe Santana zu Fall und er ging stöhnend zu Boden, während ich meine Handschellen hervorzog und ihn kurzer Hand die Hände fesselte.
,,Endstation, mein Freund!"
,,Ich muss schon sagen, Sie sind echt fesselnd, Sergeant Headley! Im wahrsten Sinne des Wortes.", brachte er hervor und ich verdrehte die Augen, ehe ich ihn auf die Beine zog.
,,Sparen Sie sich Ihre Sprüche, Felipe! Ab aufs Revier!"
***
,,Wenn ich es Ihnen doch sage, ich hab Richard nicht umgebracht!", wiederholte Felipe nun bestimmt schon zum hundertsten Mal und ich stützte mich mit den Händen auf den Tisch des Verhörraums ab.
,,Ach und warum sind Sie dann heute Morgen abgehauen?"
,,Ich dachte, Sie wollen mir an den Kragen, weil ich ein paar Leute illegal beschäftige. Wissen Sie, das letzte Projekt war ein ziemlicher Reinfall und da ging einiges an Gewinn flöten. Also habe ich ein paar Leute entlassen und stattdessen welche eingestellt, die für weniger Geld den gleichen Job machen. Inoffiziell versteht sich!"
Ich seufzte und musste bedauerlicherweise feststellen, dass Felipe ohne Zweifel die Wahrheit sagte. Denn ich konnte ziemlich gut erkennen, wann jemand log und dieser Typ tat es in dem Moment gerade definitiv nicht.
Schließlich richtete ich mich wieder auf und verschränkte die Arme vor der Brust, während ich ihn ernst ansah.
,,Also, gut! Mal angenommen, ich nehme Ihnen das ab...wer hat dann Richard umgebracht, wenn nicht Sie?"
,,Woher soll ich das denn wissen? Ich kannte Richard nur durch die Zeit vom Jurastudium. Wissen Sie, mein Vater wollte unbedingt, dass ich Anwalt werde und hat mich dann gewissermaßen zu dem Studium überredet, wo ich mit Richard im gleichen Semester war. Aber ich hab es dann geschmissen, um ans Theater zu gehen. Danach habe ich Richard kaum noch gesehen. Er kam nur ab und zu in das Theater und wenn er da war, dann hat er kaum mit mir gesprochen. Richard und ich haben uns während der Zeit des Studiums ganz gut verstanden und er war dann ziemlich enttäuscht, weil ich es abgebrochen habe. Er war nun einmal der geborene Anwalt, im Gegensatz zu mir. Aber mit seinem Tod habe ich definitiv nichts zu tun!", beteuerte Felipe und ich zog eine Augenbraue hoch.
,,Na, schön! Wo waren Sie denn zur Tatzeit? Montagmorgen, so um 11 Uhr!"
,,Da hatte ich ein Treffen mit dem Vorstand vom Theater wegen der bevorstehenden Aufführung. Das könne Sie auch gerne überprüfen. Und an Ihrer Stelle, würde ich mich viel eher auf Sarah Torey konzentrieren.", raunte mir Felipe entgegen und ich war nun gänzlich irritiert.
,,Sarah Torey? Die Schauspielerin aus Ihrer Theatergruppe?"
,,Ja, genau die! Wissen Sie, die ist nicht so unschuldig, wie sie vielleicht aussieht. Kann eine ziemliche Furie sein und ist ganz schön hinterhältig."
,,Was hat das mit Richard und seinem Tod zu tun?", wollte ich wissen und Felipe warf mir einen ernsten Blick zu.
,,Die beiden waren doch ständig miteinander im Gange. Würde mich nicht wundern, wenn zwischen denen was gelaufen ist. Wobei, Sarah ist ohnehin das reinste Flittchen. Die schmeißt sich doch jedem Typen an den Hals, der ihrer Meinung nach gut aussieht. Es ist ein Wunder, dass Ihr Kollege heute von ihr verschont geblieben ist."
Ich wusste einen Moment lang nicht, was ich sagen sollte und Felipe schüttelte sich ein wenig angewidert. Allerdings musste ich schmunzeln bei der Vorstellung, Sarah Torey hätte versucht, bei Sherlock zu landen. Zwar kannte ich Sherlock ja noch nicht besonders lange, aber auf mich machte er nicht gerade den Eindruck, als wäre er leicht rumzukriegen. Und allein seine Theorie, dass Gefühle ein chemischer Defekt wären, sprach ja wohl für sich. Und ich war mir nicht einmal sicher, ob es überhaupt jemals eine Frau in Sherlocks Leben gegeben hatte oder jemals geben würde.
,,Ich glaube, selbst wenn sie es versucht hätte...Sherlock Holmes scheint nicht der Typ für klassische Beziehungen oder ähnliches zu sein. Aber Sie haben mir immer noch nicht beantwortet, was das Verhalten von Sarah mit dem Tod von Richard zu tun haben soll.", wiederholte ich und er zuckte mit den Schultern.
,,Naja, ich bezweifle, dass sie ihn in die ewigen Jagdgründe geschickt hat. Allerdings scheint sie sich ziemlich in ihn verknallt zu habenhat ihn regelrecht angehimmelt. Und letztens habe ich zufällig mitbekommen, wie die beiden sich gezofft haben. Da sind ziemlich die Fetzen geflogen und seitdem hat sich Richard auch nicht mehr im Theater blicken lassen."
,,Wann war das?", wollte ich wissen und Felipe wurde nachdenklich.
,,Hmm...vor einer Woche, würde ich sagen. Es war abends und ich hatte meine Schlüssel vergessen, weshalb ich nochmal zurückgegangen bin. Da habe ich gehört, wie sich die beiden gestritten haben."
,,Worum ging es bei dem Streit?", hakte ich nach und Felipe richtete den Blick auf die Zimmerdecke.
,,Ach, was weiß ich. So genau habe ich nicht hingehört, denn ich meide für gewöhnlich die Umlaufbahn von streitenden Verliebten. Aber sicher ist Richard dahinter gekommen, dass Sarah nichts anbrennen lässt. Ich vermute, dass es zwischen ihr und ihrem Kollegen David Jenkens hinter den Kulissen ebenfalls ziemlich heiß herging. Das hat Richard vielleicht herausgefunden und daraufhin der Streit."
Felipe lehnte sich zurück und ich ließ mich auf meinen Stuhl nieder. Das waren ziemlich viele Informationen auf einmal und ich wusste gar nicht, wie ich meine Gedanken ordnen sollte.
Zumindest rückten damit sowohl Sarah Torey, als auch David Jenkens als potentielle Verdächtige in den Vordergrund und mir kam noch ein Gedanke.
,,Also, sind Sie sich sicher, dass Sarah Torey und das Opfer ein Verhältnis hatten?"
,,Ich denke schon. Die beiden haben zumindest viel Zeit miteinander verbracht und Sarah hat ihm auch immer eine Karte für ihre Vorstellung zurückgelegt.", erklärte Felipe und ich nickte verständlich.
,,Glauben Sie, Richard hätte sich für Sarah ein Tattoo stechen lassen? Als eine Art...Liebesbeweis?"
,,Richard und ein Tattoo? Das wäre mir jetzt wirklich neu. Aber gut, wer weiß, wie dieses Flittchen ihm die Sinne vernebelt hat. Bei der wird sicher jeder Mann schwach, der eine geringe Widerstandsfähigkeit hat.", entgegnete Felipe und nun schlich sich ein Grinsen über mein Gesicht.
,,Klingt, als sprechen Sie da aus Erfahrung."
,,Ganz sicher nicht, Sergeant! Ich habe nur Augen im Kopf und beobachte ganz gerne.", sagte er und ich winkte ab.
,,Wie auch immer! Eine Frage habe ich da noch, wenn Sarah Ihrer Meinung nach Richard nicht umgebracht hat...hätten Sie einen anderen Verdacht?"
,,Wie ich schon sagte...vermutlich lief auch was zwischen ihr und David. Vielleicht hat der Richard ja als Konkurrenten gesehen, es kam zum Streit und zack...wie so eine Geschichte eben ausgeht."
Felipe sah mich vielsagend an und ich nickte schließlich einem Kollegen zu, der Felipe kurzer Hand aus dem Verhörraum schaffte. Ich blieb noch einen Moment sitzen und überlegte, ob an der Theorie von Felipe etwas dran sein konnte.
Zwar klang seine Erzählung etwas verwirrend und es hörte sich nach einer komplizierten Dreiecksbeziehung an, aber für einen Verdacht auf Mord reichte es allemal. Denn, wie oft war nicht schon Eifersucht das perfekte Motiv für einen Mord gewesen?
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