Auferstanden von den Toten
Auferstanden von den Toten
Evelyn PoV
Als ich langsam blinzelte, wurde ich von einem hellen Licht geblendet. Für einen kurzen Moment dachte ich schon, es wäre jenes Licht, welches man durchschreiten musste, um ins Jenseits zu gelangen und weiterzuziehen. Doch als ich die Augen öffnete, erkannte ich eine kleine schmale Lampe. Und als nächstes erkannte ich Molly, die mir mit der Lampe in die Augen leuchtete, um höchstwahrscheinlich die Pupillenreaktion zu überprüfen. Als sie merkte, dass ich wach war, wirkte sie erleichtert und steckte die Lampe schnell zurück in ihre Kitteltasche.
,,Evelyn, Gott sei Dank! Ich dachte schon, die Dosis wäre zu hoch gewesen, aber wir scheinen alles richtig gemacht zu haben.", sagte sie und ich sah mich verwirrt um.
Zuerst hatte ich Schwierigkeiten damit, mich an die vergangenen Ereignisse zu erinnern, aber dann kehrten die Bilder langsam zurück und ich sah mich für einen kurzen Moment wieder auf dem Dach- gemeinsam mit Mycroft!
Er hatte getan, worum ich ihn gebeten hatte. Hatte mich augenscheinlich vor den Augen aller Überwachungskameras erschossen und nun befand ich mich ohne Zweifel im Barts Hospital. Molly musterte mich nun prüfend und ich richtete mich langsam auf, als ich einen leichten Schmerz in der linken Brust verspürte.
Sofort wanderte mein Blick dorthin und auch Molly warf nun einen Blick auf die Stelle, wo ich von der Kugel getroffen worden war. Oder zumindest, wo sie mich hätte durchbohren sollen, wäre sie echt gewesen.
,,Die Rötung ist normal, wenn man von einer Platzpatrone getroffen wurde. Die nächsten Tage wirst du noch einen leichten Druck verspüren, aber er wird bald verschwinden. Mycroft hat genau den richtigen Winkel getroffen.", erklärte Molly und ich sah sie nun zögerlich an.
,,Dann hat es also funktioniert?"
Ich warf ihr einen erwartungsvollen Blick zu und nun nickte Molly leicht, während sie ein wenig zuversichtlicher zu werden schien.
,,Ja! Es lief alles genau nach Plan und Mycroft kümmert sich um den Rest. Offiziell bist du für tot erklärt worden."
,,Und mein Bruder?", hakte ich nach, während ich nun von dem Tisch rutschte und endlich wieder den Boden unter meinen Füßen spürte.
,,Wie du erwartet hast, ist er geflohen, als Greg mit der Polizei das Versteck gestürmt hat. Wie hast du überhaupt erkennen können, um welches Gebäude es sich handelte?"
,,Mein Bruder mag ein Genie sein, aber ganz dumm bin ich auch nicht. Und er hatte Recht...ich habe mir tatsächlich ein wenig von Sherlock Holmes abgeguckt. Da war es nicht schwer, einfach logisch zu denken und nach einem verlassenen Gebäude zu suchen, welches genug technische Anschlüsse hat, um die Überwachungskameras der ganzen Stadt anzuzapfen. Und jetzt, wo Vincent denkt, dass ich tot bin...wird er mich nicht länger beobachten.", erwiderte ich und Molly reichte mir meine Lederjacke, die über dem Stuhl hängte.
,,Das hoffe ich. Sonst wäre alles umsonst gewesen."
Sie wirkte etwas besorgt und ich konnte es ihr nicht einmal verübeln. Unser Plan war überaus riskant gewesen und ich hatte schon befürchtet, dass er nicht funktionieren würde. Aber dieses Mal schien das Glück auf meiner Seite zu sein, denn laut Molly war ja offenbar alles glatt gelaufen und ich war offiziell tot.
Ich zog mir die Jacke über und ignorierte dabei den drückenden Schmerz in der linken Brust, als mir auffiel, dass ich andere Sachen trug als vorher. Molly schien das zu bemerken, denn sie lieferte mir sofort eine Erklärung.
,,Ähm...ja...ich brauchte deine Sachen für die...Leiche.", brachte sie hervor und ich sah sie vielsagend an.
,,Sie kam also wirklich zum Einsatz?"
,,Naja, Sherlock und die anderen waren nicht so leicht zu überzeugen...vor allem John nicht. Aber eine Leiche mit deinem Gesicht, deinen Maßen und einer tödlichen Schusswunde mitten durchs Herz...hat auch die restlichen Zweifel nun ausgelöscht."
Ich nickte verständlich und seufzte leise. Bis zum Schluss hatte ich befürchtet, dass meine Freunde es möglicherweise nicht ganz glauben würden, dass Mycroft mich wirklich erschossen hatte. Und ich konnte es ihnen nicht einmal übel nehmen, denn nachdem Sherlock einst seinen Tod vorgetäuscht hatte, wären mir vermutlich auch Zweifel gekommen.
Sherlock! Ich sah ihn förmlich vor mir und alles in mir schrie danach, in die Baker Street zu gehen und ihm zu offenbaren, dass ich am Leben war. Aber das war keine Option, denn wenn mein Plan funktionieren musste, dann musste ich tot bleiben. Sowohl für Sherlock, als auch für alle anderen.
,,Was ist mit Mycroft, Molly?", wollte ich schließlich wissen und sie ließ auch noch die letzten Anzeichen dafür verschwinden, dass in diesem Raum jemand gelegen hatte.
,,Ich habe ihm geschrieben, kurz bevor du wach geworden bist. Er sagte, er würde dich bei dem Ort erwarten, wo ihr euch zum ersten Mal begegnet seid. Und er meinte auch, dass du noch weißt, wo das ist.", erklärte sie und ich nickte.
,,Ja, das weiß ich."
Ich zog den Reißverschluss meiner Jacke zu und nun warf ich Molly einen Blick aus gemischten Gefühlen zu. Zwar war ich ihr unendlich dankbar für ihre Hilfe, aber ich wusste auch, was ich ihr damit abverlangte. So etwas war immerhin nicht selbstverständlich.
,,Danke, Molly! Ohne dich hätte das nicht funktioniert und es tut mir leid, dass du wegen mir Sherlock und die anderen anlügen musstest.", sagte ich, aber sie winkte ab.
,,Schon gut. Ist ja nicht das erste Mal, dass ich jemandem dabei helfe, seinen Tod vorzutäuschen. Ich wünschte nur, es gäbe einen anderen Weg."
,,Ja...damit bist du nicht allein.", brachte ich leise hervor und dann sah ich sie entschlossen an. ,,Denk dran: ich war niemals hier...du hast lediglich meine Leiche untersucht und meinen Tod dokumentiert. Und solange du und Mycroft nichts sagt, wird auch niemand etwas merken."
,,Keine Sorge, Evelyn. Von mir erfährt niemand etwas. Außerdem werde ich sowieso nicht mehr hier sein, um irgendwas auszuplaudern." meinte Molly und nun hob ich irritiert eine Augenbraue.
,,Was soll das denn heißen?"
,,Naja...ich habe mich in Australien für einen neuen Job beworben und wurde genommen. In zwei Wochen gehts los.", berichtete sie und ich starrte sie für einen Moment sprachlos an, ehe ich meine Stimme wiederfand.
,,Wow...das ist unglaublich, Molly. Ich gratuliere dir! Du verdienst es.", beglückwünschte ich sie und Molly lächelte ein wenig.
,,Danke! Naja, mir ist klar geworden, dass ich mal etwas Neues ausprobieren möchte und hier gibt es nichts, was mich noch hält, also..."
Ohne Zweifel sprach sie von ihren Gefühlen für Sherlock und ich konnte sie nun besser verstehen denn je. Es war nicht leicht in Sherlock Holmes verliebt zu sein und vielleicht war es für Molly wirklich gut, mal Abstand zu gewinnen. Und wer wusste es schon...vielleicht verliebte sie sich ja neu in einen Australier.
,,Dann wünsche ich dir auf jeden Fall viel Glück. Ich hoffe, du findest...wonach du suchst.", erwiderte ich und nun schenkte Molly mir einen zuversichtlichen Blick.
,,Das wünsche ich dir auch. Aber...kannst du mir etwas versprechen, Evelyn?"
,,Sicher! Was denn?", fragte ich nach und plötzlich griff sie nach meiner rechten Hand, ehe sie mich eindringlich ansah.
,,Ich weiß, dass du eine gefährliche Aufgabe hast und nicht weißt, ob du sie erfüllen kannst. Aber, versprich mir...solltest du jemals die Möglichkeit haben...dann kehre zurück. Komm zurück nach London und...sag ihm, dass du lebst."
Molly sah mich bittend an und ich schluckte schwer. Sie sprach immer noch von Sherlock und sie hatte ja keine Ahnung, wie sehr ich mir wünschte, dass ich dieses Versprechen erfüllten konnte. Ich nickte schwach und seufzte dann kaum merklich.
,,Zwar stehen die Chancen dafür sehr schlecht, aber...ich verspreche es dir. Wenn ich kann, dann komme ich zurück. Aber wenn nicht...dann bleibe ich für alle hier in England tot. Noch einmal setze ich das Leben meiner Familie nicht aufs Spiel."
Ernst sah ich sie an, aber in meinem Blick lag auch Trauer. Ich vermisste Sherlock und die anderen jetzt schon schmerzlich und wusste, dass ich diese Lücke niemals wieder füllen konnte, welche die Trennung von ihnen hinterlassen würde. Aber ich hatte keine Wahl! Es war der einzige Weg und ich musste ihn gehen...wie schwer er auch sein mochte.
***
Eine gute Stunde später erreichte ich schließlich das Gebäude, wo ich zum ersten Mal Mycroft Holmes begegnet war. Damals hatte ich ihn für einen Verrückten gehalten, doch heute war er mein Verbündeter. Und der Einzige neben Molly, der wusste, dass ich das Spiel des Todes überlebt hatte.
Ich hatte mir die Kapuze meiner Lederjacke über den Kopf geworfen und verhielt mich so unauffällig wie möglich. Solange ich mich noch in England befand, durfte ich kein Risiko eingehen und musste auf der Hut sein. Zwar war ich mir sicher, dass Vincent sich bereits abgesetzt hatte, aber ich musste es ja nicht herausfordern, dass er von meinem Plan erfuhr.
Leise ging ich durch die Gänge und ich erspähte bereits von weitem eine einzelne Person samt einem Regenschirm, die ich ohne Zweifel als Mycroft identifizierte. Ich hielt mich noch im Schatten, aber natürlich hatte der Bruder von Sherlock meine Anwesenheit längst bemerkt.
,,Ich sollte dir wohl dankbar sein. Deine Botschaft hat sämtliche Zweifel der Polizei beseitigt und mir eine Menge Ärger erspart.", sagte er und nun trat ich aus der Dunkelheit, sodass er mich sehen konnte.
,,Ich sagte ja, ich würde Vorkehrungen treffen."
,,Ja, das sagtest du. Also...danke."
,,Keine Ursache! Ich schätze, damit wären wir dann quitt. Du hast mir geholfen und ich dir...hätte damals niemals gedacht, dass ich mal mit dir zusammenarbeite.", entgegnete ich und Mycroft sah mich vielsagend an.
,,Das hätte wohl keiner von uns beiden."
Unauffällig musterte ich Mycroft. Er war ausdruckslos und dynamisch wie immer, während er seine professionelle Haltung wahrte und mich abwartend ansah. Schließlich warf ich Mycroft einen erwartungsvollen Blick zu und konnte immer noch nicht wirklich glauben, dass das hier gerade wirklich passierte.
,,Es hat also wirklich funktioniert?", vergewisserte ich mich noch einmal, was Mycroft mit einem Nicken bestätigte.
,,Ja! Zugegeben, der Plan war ziemlich heikel, aber er ist ohne Probleme aufgegangen."
,,Was ist mit den anderen?", hakte ich nach und seufzte ein wenig.
,,Nun, mein werter Bruder und der Rest der Bande war nicht leicht von deinem Tod zu überzeugen. Allerdings hat Molly Hooper gute Arbeit geleistet und wenn sie bis dahin noch Zweifel hatten, hat deine überaus herzergreifende und umfassende Botschaft diese nun ausgelöscht. Ich muss dir übrigens mein Kompliment aussprechen! Wenn ich nicht eingeweiht wäre, dann hätte selbst ich daran geglaubt, dass du das Zeitliche gesegnet hast."
,,Gut! Das bedeutet, dass Sherlock es auch glaubt.", erwiderte ich und als Mycroft nichts sagte, wurde ich sofort misstrauisch. ,,Er glaubt doch, dass ich tot bin, oder?"
,,Ja, das tut er. Allerdings hasst er mich dafür, dass ich dich erschossen habe. Hat mich doch glatt aus der Baker Street geworfen.", brummte Mycroft und ich warf ihm einen vielsagenden Blick zu.
,,Mit der Zeit wird er dir vergeben. Er ist Sherlock...der ist niemals für alle Ewigkeiten nachtragend."
,,Da wäre ich mir in diesem Fall nicht so sicher.", gab Mycroft skeptisch zurück, doch ich wechselte das Thema.
,,Wie auch immer. Also, du kennst die Abmachung: du sagst niemandem ein Wort und sorgst dafür, dass ich weiterhin gestorben bin. Solange ich tot bin, wird mich niemand suchen und versuch nicht, mich zu kontaktieren, Mycroft. Desto geringer ist das Risiko, dass Vincent mich findet."
,,Schon klar! Keine Sorge...ich schweige wie ein Grab. Apropos, deine Beerdigung findet in zwei Tagen statt. Ich habe alles veranlasst und sogar deine Cousine aus Washington informiert. Sie wird herkommen und dann wird niemand mehr Zweifel daran hegen, dass ich dich erschossen habe.", versicherte mir Mycroft und ich war ein wenig erleichtert, auch wenn mir meine Freunde unendlich leid taten und ich mich dafür hasste, dass ich ihnen das antun musste.
,,Danke, Mycroft! Ich werde dir dafür auf ewig dankbar sein."
,,Ja, schon gut!", winkte er ab und griff mit einem Mal in seine Manteltasche, wo er ein Handy und einen Pass herauszog. ,,Bevor ich es vergesse...deine neue Identität und ein Prepaid Handy für alle Fälle. Hat eben doch Vorteile, zu der Regierung zu gehören.", meinte er und ich schmunzelte.
,,Vielen Dank, Queen Mycroft! Ich wage es kaum zu sagen...aber du wirst mir fast ein bisschen fehlen."
,,Grundgütiger, wir wollen doch nicht sentimental werden.", unterbrach Mycroft mich sofort und hob abwehrend die Hände. ,,Aber ich hoffe natürlich, dass du deine Mission unbeschadet überstehst."
,,Das hoffe ich auch.", stimmte ich zu, ehe ich den Pass und das Handy einsteckte.
Mycroft reichte mir noch eine kleine Tasche, in der sich Bargeld befand und ich war froh, dass er mir geholfen hatte. Ohne ihn hätte ich das alles niemals auf die Beine stellen können und obwohl ich somit schon bestens ausgestattet war, hatte ich noch etwas auf dem Herzen.
,,Versprich mir, dass du auf die anderen aufpasst, Mycroft. Kümmere dich um sie, solange ich weg bin.", bat ich ihn und er nickte.
,,Keine Sorge! Mein Bruder mag mir den Zutritt in der Baker Street verweigern, aber ich habe meine Augen und Ohren überall."
,,Daran hab ich nie gezweifelt.", stimmte ich zu und nun warf er mir einen zweifelnden Blick zu.
,,Dann ist das jetzt wohl der Abschiedsmoment. Du erwartest jetzt hoffentlich nicht, dass ich in Tränen ausbreche."
,,Oh, nein! Garantiert nicht. Ich bin dir schon dankbar, dass du mir geholfen hast.", widersprach ich und er wirkte erleichtert.
,,Gut! Denn meinem Bruder magst du ja Emotionen entlocken können, mir aber nicht."
Ich musste über die Worte von Mycroft schmunzeln und dachte wieder an Sherlock. Die Tatsache, dass ich ihn vielleicht niemals wiedersehen würde, zerriss mir förmlich das Herz, aber ich musste mich zusammenreißen. Solange ich offiziell tot war, waren er und die anderen immerhin sicher und genau deshalb, hatte ich das alles doch überhaupt nur getan: um sie alle zu beschützen!
,,Nun, gut!", setzte Mycroft an und warf einen flüchtigen Blick auf seine Armbanduhr. ,,Draußen steht ein kleiner Wagen. Der bringt dich zum Flughafen. Von da aus kannst du dann...deiner Wege gehen."
,,Danke, Mycroft!", erwiderte ich und winkte ab.
,,Keine Ursache!"
Zuerst überlegt ich, ob ich mich noch irgendwie von ihm verabschieden sollte, aber das erschien mir irgendwie unpassend. Immerhin hatten Mycroft und ich nie irgendeine besondere Art von Beziehung zueinander aufgebaut und er war sowieso der Typ Mensch, der noch weniger Wert auf Gefühle legte als Sherlock.
Also wandte ich mich ab und ging Richtung Ausgang, wo ich das Auto finden würde, welches Mycroft mir für eine letzte Fahrt durch England zur Verfügung stellte. Ich spürte noch den Blick von Mycroft auf mir, aber ich drehte mich nicht mehr um.
Mit Tränen in den Augen und gefühlter Hoffnungslosigkeit, kehrte ich London und somit auch meiner Heimat den Rücken. Doch mir war klar: ganz egal, wohin mich mein Weg auch führen würde...mein Herz würde hier zurückbleiben. Und es war ungewiss, ob ich all das hier, jemals wiedersehen würde.
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