Adresse 221b Baker Street
Adresse 221b Baker Street
Nachdem ich das Hospital verlassen hatte, fehlte von Sherlock und John jede Spur. Offenbar hatten sie bereits den Heimweg angetreten und ich war auch ehrlich gesagt froh, dass ich Sherlock Holmes für den Rest des Abends nicht zu Gesicht bekam. Der Kerl war eindeutig ein Plagegeist schlechthin.
Stattdessen holte ich mein Handy heraus und suchte die Adresse des Theaters heraus, zu dem das Wappen gehörte, welches Molly mir gegeben hatte. Und obwohl ich mir ziemlich sicher war, dass ich zu so später Stunde dort niemanden mehr antreffen würde, entschied ich mich dennoch, dass ich mich dort umsehen sollte. Denn wenn ich es nicht tat, dann würde es mir ohnehin keine Ruhe lassen.
Deshalb rief ich mir ein Taxi und während der Fahrt dachte ich über den Fall nach. Wer hatte das getan? Wer tötete denn jemanden in einer so berühmten Sehenswürdigkeit wie Madame Tussauds und spießte hinterher sein Opfer noch mit einem Speer auf? Ich hatte ja schon viele verrückte Fälle erlebt, aber dieser hier war schon recht skurril. Und dennoch war er auch spannend, denn gerade wenn es so geheimnisvoll war, liebte ich meinen Job umso mehr. Natürlich konnte man meine Arbeit beim FBI in New York und die Arbeit hier beim Scotland Yard nicht miteinander vergleichen, aber ich hatte dennoch das Gefühl, dass in London außergewöhnliche Fälle auf mich warteten.
Als ich schließlich beim Theater angekommen war und davor stand, grübelte ich immer noch über das Opfer nach. Und auch, wer mit der Tätowierung gemeint sein könnte. Das Wahrscheinlichste für mich war ja, dass es sich auf eine mögliche Freundin bezog. Immerhin wäre es nicht das erste Mal, dass sich verrückte Liebende Tattoos für ihren Partner stechen ließen, obwohl ich das für eine ziemlich alberne Idee hielt. Aber jedem das Seine, man musste es schließlich immer selbst wissen.
,,Kann ich Ihnen helfen?", riss mich auf einmal eine männliche Stimme aus den Gedanken und ich drehte mich um, wo mich ein älterer Mann ansah.
Als ich ihn musterte, fiel mir auf, dass er ziemlich zerlumpte Kleidung trug und einen geradezu verwahrlosten Eindruck machte. Er musste sicher schon über 50 sein, denn sein Haar war bereits grau und er sah mich irritiert an, ehe ich mich auf das Wesentliche konzentrierte und ihm schließlich kurzer Hand ein Foto vom Opfer auf meinem Handy zeigte.
,,Haben Sie diesen Mann schon einmal gesehen?", wollte ich wissen und die Augenbrauen den Mannes schnellten beim Anblick des Opfers in die Höhe.
,,Oh, ja...den habe ich schon mal gesehen. Ist aber schon ein paar Wochen her. Er kam ab und zu in der Woche hierher und ist dann ins Theater gegangen."
,,Können Sie mir vielleicht sagen, ob er sich hier mit jemandem getroffen hat?", hakte ich nach, doch der Mann schüttelte den Kopf.
,,Ne, tut mir leid. Ich habe den auch flüchtig gesehen. Hat nicht viel geredet und schien nicht gerade ein gesprächiger Mensch zu sein."
Der Mann, der ganz offenbar ein Obdachloser zu sein schien, schüttelte den Kopf und murmelte etwas vor sich hin. Und ohne mich eines weiteren Blickes zu würdigen, ging er seiner Wege und ließ mich vollkommen perplex zurück. Der Ton einer eingehenden Nachricht auf meinem Handy holte mich schließlich in die Realität zurück und als ich auf den Bildschirm sah, traute ich meinen Augen nicht.
Kommen Sie unverzüglich vorbei.
Falls Sie gerade beschäftigt sind, kommen
Sie trotzdem.
Adresse:
221b Baker Street
SH
Mir fiel die Kinnlade runter, denn diese Nachricht stammte ohne jeglichen Zweifel von Sherlock Holmes persönlich. Aber woher um alles in der Welt hatte er bitte meine Nummer? Während ich perplex auf mein Handy starrte, kam mit einem Mal schon die nächste Nachricht rein und auch die war von dem Meisterdetektiv persönlich.
Beeilen Sie sich.
Es gibt Neuigkeiten zum Fall und Mörder warten
für gewöhnlich nicht.
SH
Seufzend steckte ich mein Handy wieder ein und begab mich schließlich zu der U-Bahn- Station, die ich entdeckte. Ich wusste zwar nicht genau, warum Sherlock mich jetzt unbedingt heute Abend noch wegen dem Fall sprechen wollte, aber bevor ich riskierte, dass er mich mit seinen Nachrichten zu Tode nervte, fügte ich mich lieber meinem Schicksal.
Nachdem ich in die U-Bahn gestiegen war, starrte ich während der Fahrt vor mich hin und überlegte ununterbrochen, wie Sherlock Holmes an meine Nummer gekommen war. John konnte sie ihm nicht gegeben haben, denn er hatte sie ja selbst nicht und auch Molly Hooper besaß meine Nummer nicht. Wie zum Teufel hatte Sherlock sie dann rausgefunden?
Als die Station nahe der Baker Street erreicht wurde, stieg ich aus und fand zum Glück auch schnell den Weg zur besagten Straße. Ich musste feststellen, dass die Baker Street gar nicht mal weit von meiner Wohnung entfernt war und wunderte mich ein wenig, dass ich Sherlock daher nicht schon früher über den Weg gelaufen war.
Ich erreichte das Haus mit der Nummer 221b und klingelte schließlich. Und nach kurzer Wartezeit, öffnete mir mit einem Mal eine ältere Dame die Tür und musterte mich neugierig.
,,Oh, ähm...guten Abend. Ich wollte eigentlich zu Sherlock Holmes.", brachte ich hervor und der Frau glitt ein höfliches Lächeln über das Gesicht, während sie mich musterte.
,,Ah, Sie müssen Evelyn Headley sein! Sherlock hat Sie heute schon mehrmals in seinen Gesprächen mit John erwähnt."
,,Ach, hat er das?", entgegnete ich verdutzt und die Frau grinste ein wenig in sich hinein.
,,Naja, geflucht trifft es wohl eher. Kommen Sie doch rein."
Die Frau trat ein wenig zur Seite und ich betrat das Haus. Als ich im Treppenhaus stand, fiel mein Blick sogleich auf eine schmale Treppe, die nach oben führte und ich drehte mich schließlich wieder zu der älteren Dame um.
,,Entschuldigen Sie, offenbar kennen Sie ja schon meinen Namen, aber ich weiß gar nicht, wie ich Sie anreden soll."
..Ich bin Mrs. Hudson! Die Vermieterin von Sherlock und John. Aber ich bin nicht ihre Haushälterin. Auch, wenn die beiden manchmal vielleicht das Gegenteil behaupten."
Ich musste ein wenig grinsen, denn diese Dame gefiel mir jetzt schon. Sie hatte eine offene und ehrliche Art und war mindestens genauso tough wie ich selbst. Aber als ich über ihre Worte nachdachte, runzelte ich die Stirn und sah Mrs. Hudson ein wenig irritiert an.
,,Ähm, sagten sie gerade Vermieterin von Sherlock UND John? Wohnen die beiden etwa zusammen?", sagte ich verblüfft und sie nickte.
,,Ja! Die beiden wohnen oben und ich hier unten."
Ich staunte nicht schlecht, denn ich hatte das nun ganz und gar nicht erwartet. John und Sherlock, die unterschiedlicher nicht sein konnten, bearbeiteten also nicht nur gemeinsam Fälle...sie lebten auch noch zusammen. So langsam kam ich echt nicht mehr mit.
,,Oh, dann sind die beiden also...", setzte ich an und Mrs. Hudson zuckte mit den Schultern.
,,Ich sage nur: Leben und leben lassen!"
,,Wohl wahr! Obwohl ich das bei Sherlock Holmes jetzt nicht erwartet hätte.", gab ich zurück.
,,MRS. HUDSON! SCHICKEN SIE SIE AUGENBLICKLICH RAUF!", ertönte mit einem Mal eine laute unverkennbare Stimme von oben und ich verdrehte die Augen.
,,Wenn man vom Teufel spricht!"
Seufzend folgte ich schließlich Mrs. Hudson, die bereits die Treppe hinauf eilte. Ich fragte mich, wie die Frau es mit Sherlock Holmes in einem Haus aushielt. Der Typ ging mir ja schon nach wenigen Minuten am Tatort auf den Zeiger, aber Mrs Hudson hatte ihn immerhin jeden Tag und das auch noch mehrere Stunden. Sie tat mir jetzt schon unglaublich leid.
Wir betraten die Wohnung und Mrs. Hudson steuerte sogleich das Wohnzimmer an. Und als ich zum ersten Mal das Wohnzimmer von Sherlock Holmes und Dr. Watson betrat, bot sich mir ein ziemlich bizarrer Anblick.
Das Erste, was ich in jenem Moment feststellte war, dass Ordnung für Sherlock Holmes ganz offensichtlich ein Fremdwort war. Als Zweites fiel mein Blick auf John, der auf dem Sofa saß und sein Gesichtsausdruck sagte mehr als deutlich, dass er genervt war. Aber die Krönung war Sherlock selbst, der wie ein Wahnsinniger auf und ab lief und ganz offensichtlich hochkonzentriert war.
,,Hallo, Evelyn!", begrüßte mich John und ich warf ihm einen kurzen höflichen Blick zu.
,,Hallo, John! Ähm, was geht hier vor, wenn ich fragen darf?"
,,Ich kann ruhigen Gewissens sagen, ich habe keine Ahnung.", erwiderte John und durch Zufall fiel mein Blick nun in die Küche.
Und als ich die sah, fielen mir fast die Augen aus dem Kopf. Denn die Küche des Ermittlerduos glich viel eher einem Chemie-Labor, denn es türmten sich Chemikalien, Reagenzgläser und noch andere Dinge, auf die ich aber keine genaueren Blicke warf. Mrs. Hudson fing meinen schockierten Blick auf und tätschelte mir flüchtig die Schulter.
,,Werfen Sie besser keinen Blick in den Kühlschrank, Liebes."
Ich fragte nicht nach dem Grund, sondern nickte nur. Was auch immer sich in dem Kühlschrank befand, ich wollte es lieber nicht herausfinden.
,,Die Lösung liegt auf der Hand...ich kann es spüren. Sie ist zum Greifen nah, aber auch wieder nicht. Was ist es und was bedeutet es?", sprach Sherlock mit einem Mal, wobei er viel mehr zu sich selbst zu sprechen schien.
Verwirrt sah ich zu John, doch der winkte nur ab und ich runzelte die Stirn. Doch ehe ich etwas sagen konnte, hielt Sherlock auf einmal inne und warf eine vielsagenden Blick auf seine Vermieterin.
,,Mrs. Hudson, lassen Sie uns allein!"
,,Das ist immer noch mein Haus, Sherlock. Und hören Sie auf so herumzuschreien. Was sollen die Nachbarn denken?", entgegnete sie, doch Sherlock deutete energisch auf die Tür und scheuchte die arme Frau nun schon fast aus dem Wohnzimmer.
,,Raus jetzt!"
Mrs. Hudson sah zu mir und gerade wollte ich etwas sagen, als sie schon den Kopf schüttelte und mir ein leichtes Lächeln entgegenbrachte.
,,Keine Sorge, man gewöhnt sich dran. Sie werden sehen, Liebes."
,,Gehen Sie Tee kochen.", raunte Sherlock Mrs. Hudson entgegen, doch diese stemmte die Hände in die Hüften und sah Sherlock zurechtweisend an.
,,Ich bin NICHT Ihre Haushälterin!"
Und dann ließ uns Mrs. Hudson allein, während ich völlig perplex auf Sherlock starrte. Ich war verblüfft darüber, dass ich bis jetzt kaum etwas gesagt hatte, aber was sollte ich hierzu auch sagen? Sherlock Holmes war einfach der eigenartigste Mensch, wenn er denn in irgendeiner Hinsicht menschlich war, der mir in meinem ganzen Leben untergekommen war. Und als er die Tür schloss und mir schließlich einen eindringlichen Blick zuwarf, wusste ich bereits, dass es entgegen aller Vorstellungen noch ein interessantes Gespräch werden würde. Deshalb verschränkte ich die Arme vor der Brust und warf Sherlock einen erwartungsvollen Blick zu.
,,Also, Mr. Holmes...ich bin hier. Was gibt es denn so Wichtiges?"
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