~ Vierunddreißig ~
„Du hast es echt gerockt“, hörte sie eine Stimme hinter ihr sagen.
Aleyna drehte sich erschreckt auf dem Barhocker herum und sah geradewegs in das grinsende Gesicht von Harry. Sofort machte sich ein Lächeln auf ihrem Gesicht breit und sie schloss die Arme um ihn.
„Danke“, flüsterte sie glücklich, während sie wieder spürte, dass ihre Beine zitterten, diesmal aber eher vor Erleichterung. Sie hatte es wirklich geschafft.
Sie hatte gerade wirklich gesungen.
Diese Worte waren Balsam für ihre Seele, sie konnte sie gar nicht oft genug hören.
Sie würden von nun an ihr Mantra in schlechten Zeiten sein.
„Schade, dass ich dich bei diesem grandiosen Auftritt nicht begleiten konnte, aber „Hello“ mit Schlagzeug Beat im Hintergrund wäre wohl nicht das Richtige“, erwiderte Harry gerade und setzte sich neben sie und orderte sofort Getränke. Das Konzert war seit einer Viertelstunde vorbei und Harry war das erste Bandmitglied, das sie seitdem gesehen hatte.
Denn als das Konzert vorbei war, halfen die Jungs noch beim Abbauen, während sie schon einmal rausgeschickt wurde. Danach konnte sie Ava und Niall lautstark diskutieren hören, aber es schien sich nur um neue Vorschläge zur Optimierung zu handeln, denn sie lachten zwischendurch immer wieder.
Aleyna bekam so langsam den Eindruck, dass die Beiden nicht in normaler Lautstärke kommunizieren konnten, ein Befehlston musste immer herrschen, aber Übel nehmen konnte sie es zumindest Ava nicht.
Louis und Liam waren auch sofort in der Menge verschwunden gewesen, um sich mit ihren bekannten Leuten zu unterhalten und so hatte sie alleine auf einem der Barhocker Platz genommen.
Sie hatte sich nicht einsam gefühlt, ganz im Gegenteil. Aleyna hatte sich so berauscht von den letzten Ereignissen gefühlt, dass sie erst einmal Zeit brauchte, um alles zu verarbeiten.
Sie erlebte den Moment des Auftritts vor ihrem geistigen Auge immer wieder, aber es kam ihr so vor, als ob es nicht sie wäre, die ihn erlebte, sondern, dass sie nur Zuschauer eines Märchens war.
Trotzdem hätte sie sich gewünscht Rückmeldung von den Anderen zu bekommen, auch wenn es Kritik gewesen wäre, denn sie hatte das Gefühl gehabt, als ob sie auf der Bühne eine Einheit gewesen wären, aber vielleicht war das alles auch nur Show gewesen.
Aber wenigstens hatte Harry sie nicht im Stich gelassen, dafür war sie ihm unheimlich dankbar.
„Falls ich noch einen weiteren Song für euch singen darf, wird es bestimmt etwas mit Schlagzeug Beat im Hintergrund sein“, versprach sie Harry lachend und drehte sich auf dem Barhocker.
„Falls?“, fragte dieser sie lachend und drückte ihr ein Getränk in die Hand, während er an seinem bereits nippte.
„Ganz sicher wirst du noch weiter für uns singen, ich glaube nicht, dass Ava oder Niall dich jetzt noch gehen lassen.“
Aleyna sah ihn eine Spur missbilligend an und zog eine Augenbraue in die Höhe.
Sprachen sie von dem gleichen Niall? Oder hatte Harry eine mutierte Form von ihm kennengelernt, der man in die Karten gucken konnte und die weniger unberechenbar war?
Sie schüttelte erneut ungläubig den Kopf und roch an ihrem Getränk.
„Das ist nur ein Mixgetränk, nichts Schlimmes, aber die haben hier nichts anderes“, sagte Harry entschuldigend, doch Aleyna winkte ab und nippte daran.
Es schmeckte ungefähr genauso schlimm wie es roch. Es war viel zu süß und der Nachgeschmack von Alkohol nicht besonders angenehm.
„Da bin ich mir nicht so sicher“, antwortete sie auf Harrys vorherige Aussage.
Vielleicht sagte Niall das heute, aber morgen konnte es schon ganz anders aussehen.
Aber selbst wenn es so war.
Diese Erfahrung würde ihr niemand mehr nehmen können. Trotzdem würde sie lügen, wenn sie sagen würde, dass sie die Band nicht vermissen würde.
Sie füllten zurzeit ihre ganzen Tage, Aleyna konnte sich gar nicht mehr vorstellen, wieder normal die Nachmittage in der Musikschule zu verbringen oder bei Ornella. Es kam ihr fast so vor, als ob es sich dabei um ein ganz anderes Leben handeln würde.
„Na genießt du deinen Erfolg?“, hörte sie plötzlich jemanden sagen und wenige Sekunden später sah sie Liams Gesicht vor ihr aufblitzen.
Er setzte sich auf den Hocker zu ihrer Rechten und prostete Harry zu, der sich verabschiedete.
Aleyna schüttelte erneut ungläubig den Kopf.
Warum waren sie denn alle so beschäftigt unterwegs? Hatte sie etwas verpasst?
„Das ist sozusagen Band – Ritual“, klärte Liam sie letztendlich auf und sah in die Richtung, in die Harry verschwunden war.
„Die Jungs versuchen neue Kontakte zu machen.
Manchmal sind hier auch Manager von Labels zu sehen, die noch Bands suchen.
Das passiert aber eher selten, eigentlich ist es nur eine Ausrede um...“
Liam ließ den Satz in der Luft hängen und Aleyna bekam eine Ahnung davon, was er sagen wollte, denn sie konnte in einem dichten Menschenmeer noch Harry und Louis erkennen, die sich mit ein paar Mädels unterhielten.
Aleyna nickte wissend, während ihr ein ernüchterndes Lächeln über das Gesicht fuhr.
„Ihr benutzt also die Musik, um Mädels zu imponieren“, antwortete Aleyna empörter und eine Spur missbilligender als sie eigentlich geplant hatte.
„Mehr oder weniger. Louis..., ja eigentlich immer“, antwortete er mit einem leisen Lächeln auf dem Gesicht.
„Harry, eher weniger. Und tja, Niall... eigentlich nie. Zumindest nicht vor meinen Augen.“
Nie? Er log. Ganz sicher.
„Und was ist mit dir?“, fragte sie und einigte sich darauf, die Sache mit Niall erst einmal auf Eis zu legen.
Liam war immer noch Nialls Freund, er stand auf seiner Seite, egal wie er ihn behandelte.
Aleyna war nur der kleine Eindringling, der sich vorgemacht hatte, Teil dieser Welt zu sein.
Sie konnte in Liams Gesicht sehen, dass er sich unwohl fühlte, die Frage hatte ihn nervös gemacht, aber im Endeffekt war sie nur eine logische Konsequenz seiner Worte gewesen, oder?
„Manchmal“, gab er zu und nahm einen schnellen Schluck.
„Aber die meisten Mädels stehen eher auf den Sänger der Band. Louis scheinen sie auch zu mögen, auch wenn er nur der Bassist ist. Scheint an seinem Charakter zu liegen.“
Aleyna nickte einfach nur, weil ihr nicht schlüssig war, was sie antworten sollte.
Wenn die Jungs auf diese Art und Weise Kontakt zur Frauenwelt suchten, dann mussten sie letztendlich damit rechnen, dass die Ausbeute einer solchen Suche aus oberflächlichen Werten bestand.
„Du hast unglaublich Klavier gespielt“, sagte sie stattdessen, um das Thema zu wechseln.
„Danke“, erwiderte er ihr und fühlte sich sichtlich wohler in ihrer Umgebung.
Er war nun wieder auf bekanntem Terrain und konnte über das sprechen, was er gut konnte.
„Danke, das du ein gutes Wort für mich bei Niall eingelegt hast, auch nachdem wir uns… wie Idioten dir gegenüber verhalten haben.“
Aleyna sah kurz überrascht hoch, um zu registrieren, dass Liam den Blick gesenkt hatte.
Es war witzig ihn so zu sehen, sie hatte schon vermutet, dass hinter der harten Schale, ein weicher Kern und Kerl stecken würde, aber er schien wirklich ein schlechtes Gewissen zu haben, dabei hatten er und Harry sie fast noch am Nettesten aufgenommen.
„Schon in Ordnung“, sagte sie deshalb abwinkend. „Das hast du nur dir zu verdanken, du hast Talent, soweit ich das als Laie beurteilen kann.“
Liam lachte erneut auf und sie fühlte sich, als ob sie einen Witz verpasst hatte.
„Ich denke, dass du öfters Songs spielen solltest, die vom Klavier begleitet werden, sie stehen dir gut und eröffnen uns eine neue Zielgruppe“, antwortete er ihr jetzt und Aleyna konnte spüren, dass es sich dabei auf Liams verquere Art und Weise um ein Kompliment handeln sollte.
„Ja“, stimmte sie ihm zu, während sie ihren Blick durch den Raum schweifen ließ, und auf Avas traf, die sie stolz anlächelte und die Daumen in die Höhe zeigte.
Niall, der direkt neben ihr stand, ignorierte sie vollkommen. Was für ein Idiot, schaffte sie noch zu denken, als sie spürte, dass Liam neben ihr unruhig wurde und auf eine Antwort wartete.
„Ja, bei „Jar of Hearts“ wird es sich wohl anbieten“, fuhr sie unkonzentriert fort.
Wie konnte er sich nur so idiotisch verhalten?
Würde ihm etwas abfallen, wenn er kurz zu ihr rüber gekommen wäre und sich zu ihr gesetzt hätte?
Manchmal verhielt er sich wie ein kleines Kind.
„Ich glaube, da hatte Niall schon etwas Anderes vorgesehen. Er wollte, wenn ich mich nicht täusche, dass du dich selbst mit der Gitarre begleitest, um den Song eine andere Note zu geben“, entgegnete er ihr nun.
Aleyna schaffte es nur kurz ihm zu zu nicken, dann schweiften ihre Gedanken wieder zu Niall.
Schön, dass er sie davon auch mal in Kenntnis setzte!
Er würde sich nie ändern!
Als Liam spürte, dass ihre Gedanken erneut nicht bei ihrem Gespräch waren, stand er auf und sagte entschuldigend:
„Ich mach mich dann mal wieder auf den Weg.“
Aleyna biss sich auf die Zunge, um die Worte, die sie ihm so gerne hinterhergerufen hätte, zu stoppen, auch zum Selbstschutz.
Dann schüttelte sie aber den Kopf – das hier war schließlich ein freies Land – und rief ihm laut hinterher:
„Na dann, Viel Glück!“
An der Art wie Liam daraufhin plötzlich in sich zusammenfiel, konnte sie erkennen, dass es ihn durchaus getroffen hatte, aber bereuen würde sie die Worte frühestens morgen früh.
Bis dahin… konnte sie sich so albern benehmen wie sie wollte, die Jungs taten schließlich auch nichts anderes.
Mal ehrlich, warum musste man denn aus allem, was man tat eine geheimnisvolle Verschwöhrung machen?
Ihrer Meinung nach sollte man die Dinge immer bei Namen nennen, etwas wovor die Jungs scheinbar Angst oder zumindest Respekt vor hatten.
Sie wollten ein paar Mädels aufreißen.
War das denn so schwer daran auszusprechen?
Und Liam konnte ihr von der optimierten und vollkommen abstinenten Version von Niall erzählen wie viel er wollte, selbst wenn er sich nicht nach anderen Mädchen umsah, zwischen ihm und Ava war definitiv etwas, auch wenn es vielleicht in der Endphase war.
Aber täuschen konnte man sie nicht, so schwer von Begriff war selbst sie nicht.
Sie warf noch einen kurzen Blick zu den Jungs rüber, die ihren Blick nicht bemerkten und fröhlich vor sich hin flirteten.
Wie war das Niall? Es ging nur um die Musik?
Kopfschüttelnd drehte sich Aleyna zur Bar um und betrachtete das Glas vor ihr missbilligend.
Dann zuckte sie die Schulter, nippte vorsichtig daran und trank es dann in einem Zug aus.
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