~ Fünfundzwanzig ~
„Ali, bitte, geh zu der Übungsstunde", sagte Ava, als sie vor dem Gebäude standen, in dem der Proberaum lag.
„Du musst noch nicht mal zur Probe heute Abend mit allen kommen, ich würde das verstehen. Aber gib Louis eine Chance."
Fassungslos sah Aleyna Ava ins Gesicht und zog eine Augenbraue in die Höhe.
„Louis. Eine. Chance. Geben?", fragte sie und stoß jedes Wort wie ein Satz aus.
Das war doch nicht ihr Ernst?
Dieser Typ hasste sie neben Niall am allermeisten. Er fand sie so schlecht, dass er seine Zweifel sogar in ihrer Anwesenheit zu bedenken gegeben hatte und nun sollte sie sich von ihm Tipps geben lassen?
Entschuldigung Ava, aber sie litt leider nicht nach einem krankhaften masochistischen Drang sich von Anderen demütigen zu lassen.
„Du musst ihn nicht mögen, sondern nur seine Tipps anhören und sie umsetzten", warf Ava erneut an und versuchte Ali zu beruhigen.
„Also soll ich doch nur das tun, was ihr alle wollt ohne Reflektion. Wie eine Maschine?", Aleyna konnte sich nicht beherrschen, sie war so wütend auf Niall, dass er sie einfach abgewürgt hatte, andererseits aber auch verwirrt über seine plötzliche Unkonzentriertheit.
Sie wusste, dass er Stress mit den Jungs wegen ihr hatte und dass er sie obwohl seine Bandkollegen Aleyna nicht mochten, trotzdem weiter in der Band behielt, weshalb sie ihm dankbar war. Dankbar nicht mehr.
Aber sein Verhalten ihr gegenüber spiegelte genau das Gegenteil von seiner Einstellung, sie als Sängerin zu behalten, wieder.
Sie wurde einfach nicht schlau aus ihm als Person, seinen Handlungen und Gedanken.
Er war so sturköpfig und verschlossen, sodass Aleyna das gefühl hatte in der kurzen Zeit, die sie sich jetzt kannten, nie wirklich etwas über ihn erfahren zu haben, zumindest nichts Positives.
„Komm schon Ali", redete Ava wieder auf sie ein und hielt ihr eine Einkaufstüte vor die Nase.
Ali ergriff sie seufzend und hängte sie sich über den Oberarm.
Ava und sie hatten letztendlich ein Outfit gefunden, was Beiden gefiel und sowohl Avas Wunsch nach etwas Gewagterem und Anderem befriedigte und gleichzeitig noch irgendwie lässig und rockig wirkte.
Sie hatte zwar heute schon Angst es überhaupt anziehen zu müssen, aber noch viel mehr vor der Reaktion der Jungs bezüglich ihrer Hundertachtzig Grad - Veränderung.
Vor ihrem Geiste sah sie bereits Niall, sie spöttisch anlächeln, Louis herablassend auf sie hinab sehen, Harry still vor sich hin grinsen und Liam bedrückt schweigen.
„Du hast doch ein super Outfit für Samstagabend.
Der Song sitzt, du hast unglaubliche Fortschritte gemacht.
Du kannst stolz auf dich sein!", rief Ava begeistert aus und legte ihr eine Hand fürsorglich auf die Schulter.
„Wenn ich so viele Fortschritte gemacht habe, wie du sagst, kann ich ja eigentlich auch nach Hause gehen", setzte sie Avas eigenes Argument außer Kraft und grinste sie schlagfertig an.
Ava verdrehte nur die Augen und murmelte etwas von: „Genauso stur wie der Boss" vor sich hin, während sie Harry lächelnd in ihr Blickfeld laufen sah.
„Na Ali, hast du den mal gezeigt, wo der Hammer hängt?", fragte Harry sie grinsend und nahm sie ganz spontan in den Arm.
Aleyna fühlte sich erst einmal völlig überrumpelt, erwiderte die Umarmung dann aber genauso herzlich.
Harry war wirklich ein netter Kerl, stellte sie überraschend fest. Wenn auch etwas dauerglücklich, was sie als vollkommen krank bezeichnen würde.
Aber solche Menschen musste es ja auch geben, es konnten ja nicht nur solche Pessimisten wie Niall und Louis auf der Welt wandeln. Dann wäre die Katastrophe schon vorprogrammiert.
„Eher nicht, Niall hat mich abgewürgt", entgegnete Ali lustlos.
„Ach ehrlich?", fragte Harry, während er still in sich hinein grinste und Ava den Arm tätschelte, die immer wieder vor sich hin seufzte.
„Ich weiß, dass du Recht hast in allem, was du über ihn denkst", wandte sich Harry nun wieder Aleyna zu, während ihn Ava, die urplötzlich aus ihrer Seufz -Trance erwacht war, aus den Augenwinkeln zu mustern begann.
„Und er ist auch manchmal ein wirklicher Idiot und Besserwisser, aber gib ihm und auch Louis noch eine Chance. Ich verspreche dir, dass sie sich bessern werden", fuhr er fort und sah ihr ehrlich in die Augen.
Ali zog eine Augenbraue nach oben und musterte ihn abschätzend, was war denn jetzt in ihn gefahren?
Sie hatte das Gefühl gehabt, dass Harry sich aus solchen Dingen immer heraushielt, jetzt schien er seine Einschätzungen gar nicht früh genug loswerden zu können. Was war in den letzten Stunden mit ihm passiert?
„Ali öffne dein Herz doch für die kalten und gefühllosen Nialls und Louis' dieser Welt. Sie wissen es einfach nicht besser", witzelte Harry weiter und kniff sie spielerisch in die Hüfte.
Auch Ava wandte sich nun wieder Aleyna zu und betrachtete sie mit einem freundlichen Blick.
Dann zog sie ihr Handy aus der Jackentasche heraus und tippte schnell auf dem Display herum, während Harry sie weiterhin anstrahlte.
Ava war ohne ihr Handy nur eine halbe Person, stellte Aleyna fest.
Seit den zwei oder drei Stunden, die sie miteinander verbracht hatten, hatte sie ihr Handy immer nur für wenige Sekunden aus der Hand legen können.
Es war noch nicht einmal so, dass sie darauf herumspielte oder Ähnliches, sie bekam einfach so viele Neuigkeiten und Nachrichten, dass sie es sich nicht leisten konnte es für längere Zeit wegzulegen.
„Niall hat mir gerade geschrieben", sagte Ava, während sie weiterhin starr auf den Display sah.
„Es tut ihm leid. Er wird morgen alles mit dir klären, wenn du ihn lässt."
„Na siehst du?", sagte Harry und legte ihr einen Arm auf die Schulter.
„Und schon hast du ihn ein bisschen weichgeklopft. Also was sagst du? Schaffst du so eine Wandlung auch noch mit Louis?", fragte er sie und sah sie herausfordernd an. Aleyna war sich bewusst, dass sowohl Harry als auch Ava sie durch alberne Herausforderungen und Aussagen locken wollen, die sie nicht im Geringsten überzeugten.
Doch dann glitten ihre Gedanken wieder an ihr leeres zu Hause, die bedeutungslosen Gespräche, die sie mit ihrer Mutter führen musste, wenn sie nicht hier war, keine Musik machte oder die Stunden, die sie dann mit Ornellas Gejammer zubringen würde.
Und selbst wenn dieser Tag hier die absolute Hölle war, es ging auch schlimmer. Viel schlimmer.
„In Ordnung", gab sie schließlich auf und konnte in zwei vor Stolz grinsende Gesichter sehen.
„Ich mache es."
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Sie würde das schaffen.
Aleyna würde einfach diesen Raum betreten, sich neben Louis stellen, seine Tipps anhören, singen und dann gehen. Nicht mehr und nicht weniger. Sie hatte ihren I-Pod dummerweise zu Hause vergessen, weshalb sie sich jetzt einfach manuell all die Zeilen, Verse und Worte ins Gedächtnis rufen musste, die sie sonst immer, unterstützt von Musik, aufgebaut und gestärkt hatten:
„You don't know trouble but I'm a hell of a scandal", Avril Lavigne, The Best Damn Thing.
„I just don't want to waste another day .
I'm trying to make things right but you shove it in my face", Simple Plan, Time To Say Goodbye,
"Can't win when you loosing the fight all the time", Paramore, Decode.
All diese Zeilen sollten nun in ihr Gedächtnis gelangen und dort für immer bleiben, wie ein fester Begleiter im Leben, ein Motivationstrainer, der dich immer wieder dazu anstiftet weiter zu machen, den Kampf nicht aufzugeben. Okay, Aleyna, du schaffst das.
Du musst nicht nett zu ihm sein, du musst ihn noch nicht einmal mögen, sondern nur mit ihm arbeiten.
Das würde ihr jetzt immer wieder passieren, im Beruf würde sie später auch nicht mit Jedem klar kommen, würde ihre Mutter jetzt sagen.
"I'm a nightmare, a disaster .That's what they always said", würde Simple Plan jetzt singen, um sie aufzumuntern.
Dieses Mädchen wollte sie jetzt sein.
Nicht mehr das nette, liebe, dumme Mädchen von Nebenan. Sie war ein Disaster, ein Skandal.
Und nun der personifizierte Albtraum von Louis.
„Geh schon rein", hörte sie plötzlich Harry hinter ihr sagen. Er war plötzlich hinter ihr aufgetaucht und legte die Hände auf ihre Schulter.
„Ja irgendwann", erwiderte sie genervt.
„Na gut, ich wünsch dir viel Glück. Heute Abend sehen wir uns wohl nicht mehr, oder?", fragte er grinsend.
„Ganz sicher nicht", entgegnete sie.
„Schon verstanden. Ich werde unserem Boss mal ordentlich in den Hintern treten", sagte Harry, während er sich langsam von Aleyna wegdrehte.
Als er beinahe den Gang verlassen hatte und um die Ecke gebogen war, rief Aleyna ihm noch hinterher:
„Danke."
Doch er lachte nur und dann war er weg.
Aleyna seufzte kurz auf und legte ihre Hand auf die Türklinge. Das Metall fühlte sich kalt auf ihrer Haut an.
Sofort breitete sich eine Gänsehaut auf ihren Armen aus.
Geh schon!
Dann drückte sie die Türklinge hinunter und trat, auf alles vorbereitet ein, doch mit dem, was sie dann sah, hätte sie niemals rechnen können, geschweige denn es zu erwarten.
Louis saß auf einem der Hocker und spielte seelenruhig auf einer E - Gitarre, als er Aleynas Eintreten bemerkt hatte, sah er kurz auf und begrüßte sie kurz. Sogar ein kleines Lächeln bereitete sich auf seinem Gesicht aus. Aleyna war so von seinem paradoxen Verhalten aus der Bahn geworfen, dass sie seine Begrüßung gar nicht erwiderte, sondern nur still und mit offenem Mund vor sich hin starrte.
„Wollen wir loslegen?", fragte er sie, weiterhin immer noch vollkommen ruhig und ausgeglichen, während Aleyna es nur schaffte, kurz zu nicken und nahm dann auf dem Stuhl neben Louis Platz.
„Okay, ich kann dich nicht mit dem Klavier begleiten, aber ich spiele es dann einfach auf der Gitarre, in Ordnung?", fragte er sie und sah ihr dabei ins Gesicht.
Sie hatte seinen Blick immer gemieden, doch jetzt hatte er sie bewusst angesehen und sie konnte nicht anders, als ihn leise zu mustern.
Louis hatte sehr markante, beinahe harte Gesichtszüge, die ihm eine gewisse Reife verlieren.
Er war nicht der einzige in der Band mit dunklen Haaren, die er sich aber mithilfe von Gel aus dem Gesicht entfernt hatte.
Nun standen sie etwas verwuschelt auf seinem Kopf zu Berge.
Auch bei Louis konnte sie es sich nicht nehmen lassen seine Finger zu betrachten, die im Gegensatz zu Harrys nicht ganz so kurz und fest waren, aber auch nicht so schmal und filigran wie Liams.
Louis wandte seinen Blick erneut zu Aleyna und zog eine Augenbraue in die Höhe, um ihr zu bedeuten, dass er auf eine Antwort ihrerseits wartete.
„Ja klar, kein Problem", beeilte sie sich zu sagen.
Dann fiel ihr noch etwas ein:
„Kann ich vielleicht auch eine Gitarre haben? Ich fühle mich dann einfach wohler." Ein Versucht war es schließlich wert, vielleicht wurde Louis ja einer Gehirnwäsche unterzogen.
Doch es schien nicht danach auszusehen, denn er schüttelte nur lächelnd den Kopf. Aber er lächelte zumindest.
Ein Fortschritt.
„Wir wollen erst einmal, dass du dich nur auf dich und deine Stimme konzentrierst, später wirst du sowieso die zweite E- Gitarre spielen."
Wir?
Hatten sie sich jetzt doch wieder alle gegen sie verbunden?
So wie es im Gespräch mit Niall geklungen hatte, waren die Lager nun gespalten, aber anscheinend hatte er ihr das auch nur vorgespielt.
Jetzt hieß es wieder Team Niall und Co. Gegen Aleyna.
Me Against The World, würde Simple Plan jetzt wieder singen.
Na, wenn das so war, dann los.
„Okay, wollen wir anfangen?", fragte Louis sie jetzt, während ihre Nervosität sofort wiederkehrte und alles in ihr in Flammen setzte.
Ihre Nerven waren zum Zerreißen gespannt, während das Adrenalin durch ihren Körper schoss und sie dazu brachte, nicht still sitzen zu bleiben und sich zu vergessen.
Sie hatte ihr Ziel vor Augen. Sie wollte es schaffen.
Louis setzte mit einem kleinen Vorspiel an und nickte ihr zu, als sie anfangen sollte zu singen.
Ihre Stimme klang heute glasklar, wie immer, wenn sie nervös war und auch die höheren Töne konnte sie besser treffen, eine weitere Folge ihrer Furcht. Wenn sie wirklich ehrlich war, konnte sie unter Druck immer besser singen, ihr Ehrgeiz war geweckt und sie war in einer Situation, in der sie sich beweisen musste.
Der Song ging ihr einfacher von den Lippen, es war nicht besonders viel Text zu lernen gewesen, sie hatte das Gefühl ihn wirklich leben zu können.
Auch Louis schien nicht besonders unzufrieden mit ihrer Leistung zu sein, denn er nickte immer wieder still vor sich hin.
Als sie schließlich zu dem Teil mit dem hohen, langen Ton kam, bedeutete ihr Louis sich gerader hinzustellen und ihre Hände auf den Bauch zu legen, um den Ton so gut und akzentuiert wie möglich zu singen.
Es klappte, ihre Stimme hatte genau den richtigen Klang und Tonhöhe, und während sie ihn sang, fühlte es sich beinahe an, als ob sie schweben würde. Weit weg irgendwo in der Ferne, aber dieser Ton, dieser einmalige Ton, würde sie dorthin begleiten, egal wie weit sie ging.
Als sie endetet, konnte sie Louis lächeln sehen.
Ihr Herz machte sofort einen Satz, auch wenn er jetzt abstreiten würde, dass es ihm gefallen hatte, sie hatte etwas anderes gerade in seinem Blick gesehen und dieses Kompliment, diese kleine Gefälligkeit reichte ihr vollkommen, um neue Hoffnung zu schöpfen.
Auch wenn ihr bewusst war, dass deutlich mehr als ein guter Tag seinerseits für Louis' nachsichtige Laune verantwortlich war.
Etwas, wovon man sie nicht in Kenntnis gesetzt hatte und sie höchstwahrscheinlich nur auf die Palme bringen würde.
Aber für diesen einen Augenblick war ihr diese Tatsache vollkommen egal, Aleyna sonnte sich viel lieber in dieser Woge des Glücks.
Denn irgendwann würde sie vergehen, da war sie sich sicher. Also sollte sie sie lieber genießen, so gut es eben ging.
„Und?", fragte sie Louis schließlich, um die Anspannung zwischen ihnen zu lösen.
„Was und?", fragte Louis und ein Teil seiner spöttischen Miene kehrte zurück.
Aleyna hätte ihn zwar für diese ironische Maske gerne zur Rede gestellt, aber sie wollte die Stimmung nicht vollkommen in den Keller treiben.
Einen kleinen Seitenstich konnte sie aber dennoch nicht unterdrücken, denn hatte er wohl oder übel einfach verdient.
„ Na, bin ich jetzt immer noch die dumme Kleine, die nicht singen kann?", fragte sie ihn selbstbewusst.
„Ja", antwortete Louis ihr und sah ihr ins Gesicht.
Seine blauen Augen fixierten ihre, wollten sie in ein Kräftemessen ziehen, dem Aleyna lieber aus dem Weg gehen würde.
Obwohl sie sich seinem Blick, seinem Einfluss, immer wieder entziehen wollte, weil sie sich unangenehm beobachtet fühlte, hielt sie ihren Blick standhaft auf Louis' Augen gerichtet.
„Aber wenigstens kannst du singen."
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