Chapter 22
„Ich weiß nicht, was sie sich davon erhofft hat, solche Gerüchte in die Welt zu setzen“, Niall schüttelte seinen Kopf. „Eigentlich hätte sie wissen müssen, dass sie damit nicht durchkommt.“
Obwohl ich wusste, dass das sein aufgezwungenes Ich war, das er in diesem Interview preisgab, tat es irgendwie weh zu sehen, dass er weder zu Grace, noch zu mir stand.
„Sie hat in einem Interview mit BBC Radio 1 zugegeben, dass sie nur des Geldes wegen gelogen hat“, fuhr der Moderator der Talkshow schließlich fort, „Hast du oft das Gefühl, dass Menschen dich nur ausnutzen wollen?“
Niall antwortete nicht sofort, nickte dann jedoch. „Ja“, gab er schließlich zurück. „Es ist einfach schwer zu unterscheiden, ob eine Person deinetwegen mit dir zusammen ist, oder wegen dem Status, den du in der Öffentlichkeit hast.“
„Und wie unterscheidest du es dann bei den Personen, mit denen du dich abgibst?“
„Gar nicht“, antwortete Niall. „Das einzige, was dir die Antwort auf solche Fragen geben kann, ist die Zeit.“
„Inwiefern?“
„Naja“, er schien kurz nachzudenken. „Es wird immer Zeiten geben, in denen du jemanden brauchst, der dir den Rücken stärkt oder jemanden, der zu dir steht wenn es der Rest der Welt nicht tut. In solchen Zeiten zeigt sich meistens, wer deine Freunde sind und wer nicht.“
Eigentlich hatte er recht. Genau genommen sprach er mir aus der Seele, denn meine Freunde standen längst nicht mehr zu mir – die einzige Freundin, die mir noch geblieben war, war Kathy, die ich im Geburtsvorbereitungskurs kennengelernt hatte.
Und selbst sie würde ich nicht als Freundin bezeichnen, sondern viel eher als gute Bekannte.
Ich schaltete den Fernseher aus, um mich nicht länger bewusst diesem Frust auszusetzen, der sich jedes Mal in mir anstaute, wenn ich Niall lügen hörte.
Ganz abgesehen davon gab es genug zu tun: Ich musste die Wohnung aufräumen, die Wäsche waschen, einkaufen gehen und sobald Grace aufwachte, würde sie Hunger haben. Dieser ganze Stress hatte zumindest einen Vorteil: Ich würde nicht allzu leicht ins Grübeln kommen und konnte mich auf diese Art und Weise zumindest minimal ablenken.
Und es funktionierte tatsächlich. Ein Säugling war eine Art 24-Stunden-Job. Grace weinte, sie musste gewaschen und umgezogen werden, sie hatte Hunger, sie wollte schlafen, sie musste mitten in der Nacht gefüttert werden – von den ganzen Spaziergängen um sie zu beruhigen ganz zu schweigen.
Als ich später an diesem Tag gerade dabei war, etwas zu kochen, klopfte es an meiner Tür. Eigentlich konnte es nur jemand wie der Postbote sein, oder eine Nachbarin die irgendetwas brauchte.
Aber als ich die Tür öffnete, stand er tatsächlich da – Niall.
„Tut mir leid, ich habe gar nicht mit dir gerechnet“, gab ich zu und deutete demonstrativ auf meine Haare, die ich nur schlampig zu einem Dut zusammengebunden hatte.
„Störe ich etwa?“, er hob entschuldigend beide Augenbrauen nach oben und warf mir einen fragenden Blick zu.
„Nein“, ich schüttelte meinen Kopf. „Du kannst gerne reinkommen. Hast du Hunger?“
„Ja, ziemlich“, grinste er, „Ich hatte den ganzen Tag lang erst einen Apfel.“
„Es ist fast Fünf“, stellte ich fest, während er seine Schuhe auszog.
„Richtig“, antwortete er lachend, „Deshalb habe ich auch so großen Hunger.“
„Na dann komm rein“, grinste ich zurück, als ich bereits in der Küche stand. Das Interview des heutigen Vormittages hatte ich längst vergessen: Es war zu einer Art Selbstverständlichkeit geworden, dass er nicht zu seiner Tochter stehen konnte. Nicht, weil er es nicht wollte, sondern weil er es tatsächlich nicht konnte. Diese Erkenntnis war sehr langsam und schleichend gekommen – ich hatte es erst realisiert, als ich Niall besser kennengelernt hatte.
„Wo ist sie denn?“, er blickte sich suchend um, während ich ein Fenster öffnete.
„Sie schläft“, ich nickte mit dem Kopf in Richtung meines Schlafzimmers. „Ich bezweifle allerdings, dass sie das noch sonderlich lange tun wird.“
„Ich hoffe du magst Pfannkuchen“, ich deutete auf den Herd, den ich noch nicht ausgeschaltet hatte.
„Sicher“, Niall zuckte beide Schultern und stellte zwei Teller auf dem Tisch ab.
Gerade als ich den nächsten Pfannkuchen wenden wollte, ertönte das Schreien unserer Tochter aus meinem Schlafzimmer.
„Ich geh schon“, winkte ich seufzend ab, als Niall sich auf den Weg zu ihr machen wollte. „Kannst du solange auf den Herd aufpassen?“
„Selbstverständlich.“
„Grace“, flüsterte ich, als ich die Tür öffnete und an ihre Wiege trat. „Dein Vater ist da.“
Ich lächelte, als ich sie aus der Wiege hob und versuchte, sie zu beruhigen.
Ich kam gerade rechtzeitig im Wohnzimmer an, um zu sehen, wie Niall einen Pfannkuchen kunstvoll wand, indem er ihn in die Luft warf und mit der Pfanne wieder auffing.
„Wo hast du das denn gelernt?“, ich musste lachen, weil er es scheinbar perfekt beherrschte – was mir persönlich ziemlich bizarr vorkam wenn ich mir vorstellte, dass er ein weltberühmter Sänger war.
„Bei meinem Vater“, gab er grinsend zur Antwort. „Er konnte das wirklich gut.“
„Ich wollte das auch immer können, hab es aber nie hinbekommen“, erzählte ich, während ich Grace hin- und wieder her schaukelte. Mittlerweile hatte sie sich beruhigt, und Niall war auf uns zugekommen, um sie mir abzunehmen.
Somit fand ich mich vor dem Herd wieder.
„Es ist eigentlich gar nicht schwer“, er ging mit ihr zu der verglasten Wand meines Apartments und blickte auf die Straßen Londons nieder. „Bei Gelegenheit kann ich dir ja zeigen wie das geht.“
„Gern“, lächelte ich, während ich den letzten Pfannkuchen aus der Pfanne auf den Teller legte.
„Sie ist sofort ruhig sobald du sie auf dem Arm hast“, bemerkte ich, als wir beide uns am Tisch niederließen, während Niall Grace noch immer im Arm hielt.
„Findest du?“, er schien sich sichtlich über meine Anmerkung zu freuen. Das war ihm irgendwie anzusehen, auch wenn ihm das vermutlich nicht bewusst war.
„Ja“, nickte ich, „Wenn ich allein bin fällt es mir oft wesentlich schwerer, sie zu beruhigen. Vor einer Woche bin ich deshalb mit dem Kinderwagen bei strömendem Regen durch ganz Southwark gefahren.“
Niall lachte kurz auf. „Wenn du der Meinung bist, dass sie sofort still ist wenn ich sie im Arm habe, kannst du mich auch einfach anrufen“, scherzte er, während er vergeblich versuchte, seinen Pfannkuchen zu zerschneiden und gleichzeitig seine Tochter nicht fallen zu lassen.
„Sekunde“, ich zog seinen Teller näher zu mir, „Ich helfe dir.“
Während ich seinen Pfannkuchen zerteilte, strich er vorsichtig über Grace's Wange, während er – wahrscheinlich unbewusst – lächelte.
„Ist es eigentlich sehr anstrengend, wenn du alleine bist?“, fragte er, als ich ihm seinen Teller wieder zuschob.
Ich zuckte beide Schultern. „Es hält sich in Grenzen“, antwortete ich. „Zumindest habe ich es mir schlimmer vorgestellt.“
„Wirklich?“, er zog überrascht beide Augenbrauen nach oben.
„Ja“, erwiderte ich, „Sie ist vergleichsweise ein wirklich ruhiges Baby. Wobei meine Ärztin mir erklärt hat, dass er vermutlich erst schlimmer wird, wenn sie ihre Zähne bekommt.“
„Wie gesagt“, antwortete er, „Mein Angebot steht noch immer.“
„Welches Angebot?“, ahnungslos zog ich beide Augenbrauen nach oben, da ich in diesem Moment wirklich keine Ahnung hatte, wovon er sprach.
„Wenn du meine Hilfe brauchst kann ich gerne die ein oder andere Nacht hier verbringen, sofern es sich mit meinem Kalender vereinbaren lässt“, er lächelte und schob sich das nächste Stück Pfannkuchen in den Mund, während Grace wieder eingeschlafen zu sein schien.
„Danke, ehrlich“, ich nahm einen kleinen Schluck Wasser. „Darauf werde ich mit Sicherheit zurückkommen, wenn sie anfängt, ihre Zähne zu bekommen“, zwinkerte ich grinsend und beobachtete ihn dabei, wie er einen kurzen Blick aus dem Fenster warf.
„Ich glaube es fängt an zu regnen“, stellte er fest und nickte mit dem Kopf nach draußen.
„Eigentlich solltest du überrascht sein, wenn es nicht regnet“, seufzte ich, „London kann zumindest wettermäßig eine wirklich hässliche Stadt sein.“
Niall zuckte beide Schultern. „In Irland ist das auch nicht wirklich anders. Du verlässt das Haus morgens ohne Jacke und kommst komplett durchnässt wieder nach Hause.“
„Das ist mir auch oft passiert, als ich noch klein war“, erzählte ich und warf ebenfalls einen Blick aus dem Fenster. Ich konnte sehen, wie der dichte Nebel die Sicht auf die Stadt erheblich einschränkte.
„Weißt du, was ich nie verstanden habe?“, Niall zog beide Augenbrauen nach oben, und ich schüttelte den Kopf. „Nein, was denn?“
„Warum sitzen in London eigentlich überall diese schwarzen Vögel?“, er musste kurz lachen, „Ich hab ihren Namen vergessen, tut mir leid.“
„Das sind Raben“, ich musste ebenfalls grinsen, „Eigentlich sind es wunderschöne Tiere, aber sie sind entsetzlich laut. Keine Ahnung, weshalb sie sich hier so wohlfühlen.“
„Dieses Gekrächze ist wirklich unheimlich nervig“, pflichtete er mir bei, während er nach seinem Glas griff.
„Irgendwann habe ich angefangen, das gar nicht mehr zu hören“, ich zuckte beide Schultern.
„Ich nicht“, Niall lachte kurz auf. „Ich finde das nach wie vor wirklich unheimlich nervtötend.“
„Dann solltest du wohl besser nicht auf die Dauer nach London ziehen“, scherzte ich grinsend, „Ansonsten landest du irgendwann in einer Psychiatrie.“
„Gut möglich“, lachte er, „Ich bin nicht gut darin, solche Dinge auszublenden.“
Unsere Unterhaltungen blieben den ganzen Abend lang ähnlich belanglos – wir hatten beide viel gelacht und ich musste zugeben, dass ich mich mittlerweile gern mit ihm unterhielt. Langsam aber sicher schienen wir uns zusammen zu rauffen.
Und ich war tatsächlich unendlich froh darüber.
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An dieser Stelle ist es denke ich einfach mal Zeit, Danke zu sagen. <3 Also: Danke. <3 An alle. <3
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