Chapter 20
Nur wenige Tage später hatte ich den angekündigten Termin bei BBC one, wo ich die Vaterschaftsfrage endgültig klären sollte. Die vermeindliche Wahrheit sollte Fans und die Magazine wieder beruhigen.
Es war mir allerdings wichtig gewesen, Grace zumindest nicht direkt in die Sache hineinzuziehen – deshalb hatte ich sie nicht mitgenommen und bei Kathy abgegeben, die allerdings noch nicht entbunden hatte. Trotzdem tat es mir immer wieder gut, mich mit ihr auszutauschen, obwohl meine Zeit im Geburtskurs längst zu Ende gegangen war.
Trotz allem war es ein abartig seltsames Gefühl, mit riesigen Kopfhörern vor einem viel zu neugierigen Moderator zu sitzen und in ein Mikro zu sprechen, das viel größer war, als ich es mir vorgestellt hatte.
„Nun“, der Moderator hatte sich mir mit dem Namen Jake vorgestellt. „Wie man weiß haben Sie vor kurzer Zeit im London Bridge Hospital entbunden.“
Ich nickte, während mir die Nervosität vermutlich ins Gesicht geschrieben stand. Bloß nichts Falsches sagen.
Noch ehe er mich nach dem Ergebnis fragen konnte, kam ich ihm zuvor: „Das Ergebnis...“, ich stockte. Es war, als würde sich eine Schlinge um meinen Hals legen. Als würde sie immer enger werden. „Das Ergebnis war negativ.“
Ich wurde leiser und senkte meinen Blick als ich bemerkte, wie überrascht Jake aussah. „Das Ergebnis war negativ?“, wiederholte er fragend und ich nickte nur, ohne ihn anzusehen.
„Niall ist nicht der Vater von Grace.“
„Aber wer ist es dann?“
Ich schluckte. „Einer meiner Klienten“, log ich, obwohl ich nie mit einem anderen Klienten geschlafen hatte.
„Weshalb haben Sie dann behauptet, Niall sei der Vater?“, dieser Moderator, Jake, schien keinen Funken Taktgefühl zu besitzen. „Ging es Ihnen dabei um Geld? Um Aufmerksamkeit? Oder um Beides?“
Ich warf ihm einen vernichtenden Blick zu und vergaß für einen Moment, dass alles – wirklich ausnahmslos alles – was ich sagte, aufgezeichnet und der Öffentlichkeit live präsentiert wurde. „Ich bin nicht dazu verpflichtet, Ihnen von meinen Beweggründen zu erzählen.“
„Das nicht“, erwiderte er schulterzuckend, „Aber finden sie nicht, dass sie der Welt eine Erklärung schulden, nachdem sie solche Lügen verbreitet haben?“
Wenn Sie wüssten., schoss es mir unkontrolliert durch den Kopf.
Die einzige Lüge, die ich hier verbreitete war, dass der Vaterschaftstest negativ ausgefallen war.
Zischend setzte ich schließlich zu einer Antwort an. „Ich wollte nur, dass Grace einen Vater hat, der ihr auch finanziell etwas bieten kann. Ich bin Studentin, meine Einnahmen halten sich … In Grenzen.“
Jake nickte, während ich mich fragte, weshalb ich mich selbst so niedermachte und mich auf ein solch niedriges Niveau nach unten stufte. Aber Niall und ich waren vor dem Interview alle Fragen miteinander durchgegangen.
„Also ging es dir um sein Geld“, schlussfolgerte Jake, ohne zu wissen dass ich eigentlich dazu gezwungen war, das alles zu erzählen und dass nichts davon der Wahrheit entsprach.
„Ja“, es kostete mich eine Menge Überwindung, diese Antwort auszusprechen, weil ich eine größere Lüge kaum hätte erzählen können. Es ging mir nie um sein Geld, sondern nur um einen Vater für meine Tochter.
„In den Tagen nach der Entbindung wurde Niall dabei beobachtet, wie er das London Bridge Hospital betreten hat“, fuhr Jake fort, „Weshalb?“
Ich atmete kurz auf, um die aufsteigenden Tränen zu unterdrücken. Ich musste durchhalten, ansonsten würde Simon mich vermutlich auseinandernehmen.
„Er musste den Vaterschaftstest vornehmen lassen“, log ich also erneut, obwohl ich wusste, dass kein Vaterschaftstest mitten in der Nacht gemacht wurde, aber so weit dachte der Moderator Gott sei Dank nicht. Ansonsten wäre ich wirklich in Erklärungsnot geraten und das hätte nichts wirklich Gutes für mich bedeutet, immerhin warteten Niall und Simon vor dieser Tür darauf, dass das Interview zu Ende war. Sie konnten jedes Wort hören.
Jake nickte und warf einen Blick auf seine Karteikarten. „Weshalb hast du nicht schon früher zugegeben, dass du dir das alles nur ausgedacht hast?“
Es war so erniedrigend. Ich erzählte die vermeindliche Wahrheit, die aber nur aus perfekten, lückenlosen Lügen bestand.
„Was hätten Sie wohl getan?“, zischte ich ungehalten zurück, ohne meinen Blick von ihm abzuwenden.
Stille. Eine ganze Weile lang. Scheinbar war er auf eine solche Antwort nicht wirklich vorbereitet gewesen.
„Wirst du deinen Job bei dem Escort-Service denn behalten?“, fragte er schließlich, mit einem Mal wieder ganz ruhig.
„Nein“, antwortete ich kurz angebunden, ohne noch etwas hinzuzufügen.
„Hast du noch Kontakt zu dem richtigen Vater von Grace?“
„Nein.“
„Er wird dich fragen, ob du noch immer Kontakt zu Grace's eigentlichem Vater hast. Sag ihnen auf jeden Fall, dass du keinen Kontakt mehr zu ihm hast.“, hallte Simon's Stimme in meinen Gedanken wieder. Weshalb ich das tun sollte, begriff ich allerdings nicht wirklich.
„Was ging dir durch den Kopf, als du damals vor sieben Monaten in der Agentur der London Times gesessen hast?“
Wieder musste ich einen tiefen Atemzug nehmen, um die verräterischen Tränen zu unterdrücken. „Ich weiß es nicht mehr“, gab ich schulterzuckend zur Antwort und versuchte, dabei so ehrlich wie nur irgendwie möglich zu wirken. „Ich weiß nicht mehr, was ich mir davon erhofft habe.“
„Jetzt, da alles aufgeklärt ist“, meinte Jake, „Bist du jetzt froh darüber?“
„Ich denke schon“, gab ich zur Antwort, obwohl es gelogen war.
Bevor er mich aus dem Interview entlassen konnte, brach ich allerdings unaufhaltsam in Tränen aus, ohne etwas dagegen tun zu können.
Verdammt, das Ende war so nahe gewesen. Vermutlich hatte es sich nur noch um zwei, höchstens drei Minuten gehandelt und ich hätte hemmungslos auf dem Gang oder auf der Toilette weinen können – aber doch nicht vor ganz Großbrittanien!
„Tut mir leid“, schluchzte ich und legte meine Kopfhörer ab. „Ich muss hier raus.“
Ich griff nach meiner Tasche und verließ das Studio auf dem schnellsten Weg – und ließ damit einen ziemlich verdutzten Jake darin zurück.
Mir war klar, dass Niall und Simon auf dem Gang warteten, aber ich schenkte ihnen gar keine Beachtung. Ich ging einfach so schnell ich konnte an ihnen vorbei zur Treppe. So konnte ich auch Niall's besorgten Blick nicht sehen.
„Rose!“, hörte ich plötzlich seine Stimme, als ich in der Mitte der Treppe angekommen war, allerdings keine Anstalten machte, stehen zu bleiben.
„Rose“, wiederholte er, dieses Mal etwas leiser, weil er direkt hinter mir zu stehen schien. Diese Vermutung bestätigte sich spätestens, als er vorsichtig nach meinem Arm griff.
Nein, ich wollte nicht vor ihm weinen. Nicht vor ihm.
„Ich muss Grace abholen“, wich ich aus und wollte mich umdrehen, doch er zog mich behutsam wieder zu sich zurück.
„Du kannst da jetzt nicht rausgehen.“
„Warum nicht?“
„Willst du wirklich, dass die Presse morgen Fotos von dir hat, wie du das Studio weinend verlässt – nach diesem Interview?“
Ich dachte einen Moment nach, schüttelte dann jedoch meinen Kopf. „Nein, ich glaube nicht.“
Aus irgendeinem Grund musste ich lächeln. Er wirkte irgendwie fürsorglich, auch wenn ich seinetwegen gerade ganz England angelogen hatte.
„Brauchst du ein Taschentuch?“, er sah mich fragend an, als er meinen Arm wieder losließ und seine Hand stattdessen vorsichtig auf meine Schulter legte.
„Ja“, ich deutete ein Nicken an und warf ihm einen dankenden Blick zu, als er eine Packung Taschentücher aus seiner Westentasche zog und sie mir überreichte. „Danke.“
„Keine Ursache“, er lächelte mich an und rieb mit seiner Hand freundschaftlich über meinen Oberarm.
„Die Magazine werden sich ohnehin das Maul über das Interview zerreißen“, fuhr er schließlich fort, „Da wollen wir ihnen den Gefallen solcher Bilder doch gar nicht tun.“
Ich wischte mir die Tränen mit einem der Taschentücher fort, die er mir gegeben hatte. „Du hast ja recht“, gab ich schließlich – wenn auch irgendwie ungern – zu.
„Willst du stattdessen noch etwas trinken? Wasser, Saft, Cola?“
Ich nickte. „Wasser.“
„In Ordnung“, er deutete mit seinem Daumen auf die Treppe hinter ihm. „Ich bin sofort wieder da. Du kannst dich so lange schon einmal setzen.“
Als ich zustimmend nickte, drehte er sich um und verschwand hinter der Wand. Mein Blick wanderte zu der Sitzgruppe aus mehreren Sofas und Tischen unterhalb der Treppe.
Ich suchte mir einen Platz in einer Ecke aus, weil sie mir irgendwie Schutz zu geben schien. Ich wusste nicht weshalb, aber ich fühlte mich wesentlich wohler dort.
Kurze Zeit später kam Niall mit einem Wasser in der einen, und einer Cola in der anderen Hand wieder zurück. „Bittesehr.“
Er ließ sich neben mir nieder und stellte die Flasche vor mir ab.
„Danke“, wiederholte ich und öffnete den Deckel mit einem lauten Zischen.
Während Niall einen kräftigen Schluck von seiner Cola nahm, trank ich einige Züge des Wassers, das meine brennende Kehle zu kühlen schien.
„Danke dass du das Interview gegeben hast“, er warf mir einen sehr ernsten Blick zu, in dem sich tatsächlich Dankbarkeit finden ließ. „Ich weiß wie schwer so etwas sein kann.“
„Ach ja? Tust du das?“, dieser Satz, irgendwie machte er mich aggressiv. Woher wollte er bitte wissen können, wie es sich anfühlte, das gesamte vereinigte Königreich anlügen zu müssen, weil man nicht zur Wahrheit stehen durfte?
„Ja“, Niall allerdings nickte, ohne noch etwas hinzuzufügen.
„Nein“, widersprach ich, „Tust du nicht.“
„Hast du eine Ahnung, wie viele Interviews ich in meinem Leben schon gegeben habe?“, argumentierte er schließlich. „Du glaubst doch wohl nicht wirklich, dass ich immer ehrlich sein durfte.“
„Das Ganze klingt so bescheuert“, zischte ich, „Nicht ehrlich sein zu dürfen. Eigentlich sollte man doch ehrlich sein – und plötzlich wird es mir verboten?“
„Das ist nicht fair, ich weiß. Aber-“
„Weshalb verlangst du es dann von mir?“, ich blickte ihn verständnislos an. „Ich weiß, wir hatten diese 'Abmachung', diesen Deal. Und solange du mir versprichst, dass du dich um sie kümmern wirst, ist das auch okay für mich. Aber ich hatte keine Ahnung, wie erniedrigend es sein kann, sich vor der halben Welt als Hure darstellen lassen zu müssen!“
„Das bist du doch gar nicht“, er schien noch immer ruhig zu sein, ich allerdings kochte innerlich.
„Nein“, gab ich zurück, „Das bin ich mit Sicherheit nicht. Aber der Rest der Welt denkt ich wäre es.“
Niall schüttelte seinen Kopf. „Sobald Gras über die Sache gewachsen ist, wird niemand mehr darüber sprechen, glaub mir.“
„Und wann soll das deiner Meinung nach sein?“, ich hörte, wie ich ungewollt lauter wurde.
Er schien kurz nachzudenken, antwortete dann jedoch relativ sicher. „In etwa vier bis fünf Wochen. Länger schreiben sie auf gar keinen Fall darüber.“
„Woher willst du das wissen?“, fauchte ich, „Und selbst wenn sie nicht länger darüber schreiben – ihre Meinung über mich wird sich dadurch mit Sicherheit nicht ändern.“
„Das vielleicht nicht“, erwiderte Niall, „Aber zumindest musst du dich von niemandem mehr bedrängen lassen.“
„Das ist mein kleinstes Problem“, antwortete ich, „Sie werden die Sache nicht vergessen. Jeder dem ich begegne und dem ich meinen Namen nennen werde, wird Vorurteile über mich entwickeln und sobald Grace mit anderen Kindern in Kontakt kommen wird, wird sie dieselben Schwierigkeiten haben. Wir sind hier in London, Niall. Nicht in irgendeiner Kleinstadt, aus der nichts nach außen dringt.“
Meine Worte schienen ihn nachdenklich zu machen. Endlich hatte ich das Gefühl, dass er auch meinen Standpunkt verstehen konnte. Auch wenn er nichts daran ändern konnte, er konnte zumindest nachvollziehen, weshalb ich so ein riesen Problem mit diesem Interview gehabt hatte.
„In wenigen Wochen wird das alles gar kein Thema mehr sein“, wiederholte er, „Sie können nicht für den Rest ihres Lebens darüber schreiben.“
„Du wiederholst dich“, gab ich zurück und stand auf. „Wie bereits erwähnt, muss ich Grace abholen.“
Mit diesen Worten drehte ich mich um und verließ das Studio endgültig. Und auch wenn meine Tränen längst versiegt hatten, hob ich meinen Blick um keinen Millimeter an.
Es war genau, wie Lana Winters es in American Horror Story einmal gesagt hatte: Lügen sind wie Narben auf der Seele. Sie zerstören dich.
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