Chapter 2
„Am nächsten Morgen hatte ich zuerst gar keine Ahnung, wo ich überhaupt war.“
Höllische Kopfschmerzen plagten mich bereits, bevor ich meine Augen öffnete. Ehe ich sie zum ersten Mal aufschlug, kniff ich sie fest zusammen und fuhr mir mit beiden Händen seufzend über das Gesicht. Erst dann öffnete ich meine Augen einen Spalt weit, konnte jedoch nichts sehen. Es war stockfinster.
Ich spürte getrockneten Schweiß auf meiner Brust, als ich tief einatmete.
Ein weiterer Seufzer drängte sich aus meiner Brust. Ich richtete mich auf, fuhr mir durch mein langes Haar, Griff an die Wand und tastete nach dem Lichtschalter. Aber ich konnte ihn nicht finden.
Verdammt. Der Lichtschalter an meiner Wand konnte doch nicht einfach verschwinden.
Der stechende Schmerz in meinem Kopf machte die ganze Sache nicht einfacher.
Fluchend richtete ich mich weiter auf. Erst jetzt bemerkte ich, dass ich gar keine Kleidung am Leib trug und bedeckte mich reflexartig wieder mit der Bettdecke, die – wie mir jetzt auffiel – total ungewohnt roch.
Hatte ich gestern nicht mit diesem reichen Klienten ein unheimlich teures Restaurant und schließlich eine Bar besucht?
Langsam kamen einige, verschwommene Erinnerungen an den gestrigen Abend zurück. Ja, wir hatten zusammen einen Club besucht und wohl beide etwas zu viel Alkohol erwischt. Und-
Meine Gedanken brachen augenblicklich ab. Mit einem Mal dämmerte es mir. Ich war nicht zu Hause. Ich war mit diesem Sänger – ich glaube, sein Name war Neill, oder Niall – in Apartment gegangen. Vermutlich irgendein teures Hotel.
Als ich nach weiteren unendlichen Minuten endlich eine Nachttischlampe fand, knipste ich sie an und sah mich um.
Wow, dachte ich, als ich das Chaos um uns herum erblickte. Zögernd drehte ich meinen Kopf nach links, hoffend, dass ich niemanden sonst dort vorfinden würde.
...Was natürlich nicht der Fall war. Friedlich schlafend, nur zur Hälfte zugedeckt, lag er noch immer da. Ich ertappte mich bei dem Gedanken, ihn attraktiv zu finden, obwohl seine Haare ein einziges Chaos waren.
Scheiße, dachte ich. Verdammte Scheiße.
Ich brauchte meinen Kater gar nicht auszukurieren, um zu wissen, was hier gestern Nacht vorgefallen war – und am liebsten hätte ich mich selbst dafür geohrfeigt. Das konnte doch alles nicht wahr sein.
Noch während ich darüber nachdachte, ob es eine kluge Idee wäre, einfach abzuhauen und so zu tun, als wäre das alles nie passiert, hörte ich, wie Neill, Niall oder wer auch immer sich neben mir umdrehte, einen tiefen Seufzer ausstieß und ein hustendes Geräusch ausstieß.
„Verdammte Scheiße“, fluchte er, bevor er sich umdrehte und mich überrascht anblickte. Er deutete auf seinen Kopf und blickte mich schließlich fragend an. „Ich weiß das klingt ziemlich scheiße“, sagte er, „Aber ich hab' deinen Namen vergessen.“
„Ich deinen auch“, gestand ich und erzwang ein verklemmtes Lachen, um die Stimmung aufzulockern.
„Oh“, stieß er nur hervor. „Ich bin Niall.“
Oh, sein Name war also Niall.
„Rose“, gab ich schließlich angespannt zurück, woraufhin er nickte und sich den Kopf hielt.
„Was ist hier gestern passiert?“, fragend sah ich ihn an, doch auch er schüttelte nur ahnungslos den Kopf.
„Ich weiß es nicht“, Niall zuckte beide Schultern. „Ich habe so ziemlich gar keine Ahnung mehr, was gestern passiert ist.“
„Geht mir genauso“, ich fuhr mir erneut mit beiden Händen über das Gesicht. „Ich weiß nur noch, dass wir essen waren und danach sind wir in einen Club gegangen.“
Er seufzte auf. „Warte“, er schreckte nach oben und warf mir einen erschrockenen Blick zu. „Waren da irgendwelche Fotografen oder Reporter, die das festgehalten haben?“
„Was?“, mein verwirrter Blick traf den Seinen, und für einen Moment fragte ich mich, ob der Alkohol seine Wirkung vielleicht noch nicht ganz verloren hatte.
Er sah mich wieder mit einem überraschten Blick an – als wäre es völlig unvorstellbar, dass ich nicht wusste, wovon er sprach.
„Egal“, er schüttelte seinen Kopf. „Vergiss es.“
Nun war ich diejenige, die ihn ansah, als wäre er völlig krank. Schließlich schüttelte ich meinen Kopf und blickte geradeaus. „Und jetzt?“
Er sagte eine Weile lang gar nichts, und ich konnte aus dem Augenwinkel erkennen, dass er beide Schultern zuckte. „Ich weiß es nicht.“
Ein Seufzen drängte sich aus meiner Brust und ich spürte, wie mir Tränen in die Augen stiegen. Ich war nicht der Typ Mädchen, der gerne One-Night-Stands hatte. Genau genommen hatte ich noch nie einen gehabt, und eigentlich hatte ich auch nicht vorgehabt, damit anzufangen.
Ich ekelte mich vor mir selbst, auch wenn Niall weder hässlich noch ekelhaft zu sein schien.
„Okay“, ich atmete aus und versuchte, mich zu beruhigen. Das Letzte, was ich wollte, war vor ihm zu weinen. „Lass uns das zusammenfassen: Wir beide waren gestern essen, anschließend haben wir zusammen was getrunken und danach sind wir – ich glaube es war mit einem Taxi – hier her gekommen.“
Niall nickte. „Scheint so. Und wir beide haben keine Ahnung, was gestern passiert ist. Oder zumindest können wir uns nicht mehr daran erinnern.“
Ich nickte zustimmend. „Richtig.“
„Und was machen wir jetzt?“, er schien genauso verzweifelt zu sein, wie ich es war.
„Ich weiß es wirklich nicht“, gab ich ratlos zur Antwort und blickte ihn entschuldigend an.
Eine Weile lang schwiegen wir beide, und die Stille schien uns zu zerreißen, obwohl sie gestern noch so angenehm gewesen war.
„Wo sind wir überhaupt?“, fügte ich nach einer Weile hinzu, und Niall schüttelete wieder den Kopf.
„Ich habe keine Ahnung“, antwortete er, „Bei mir zu Hause sind wir jedenfalls nicht.“
„Es sieht nach einem Hotel aus“, stellte ich fest, als ich mich erneut umsah, meinen Körper noch immer mit der Decke verdeckend.
„Hast du Durst?“, er versuchte offensichtlich, das Gespräch auf ein anderes Thema zu lenken und die Stimmung aufzulockern.
Ich nickte. „Wasser ist gut gegen Kopfschmerzen.“
„Trinkst du öfter?“, fragte er mich, und ich schüttelte den Kopf.
„Eigentlich nie“, erklärte ich. „Ganz abgesehen davon darf ich eigentlich gar keinen Alkohol trinken.“
Er zog beide Augenbrauen nach oben. „Warum nicht?“
Noch bevor ich darüber nachdachte, ob es ihn überhaupt etwas anging, begann ich schon zu reden.
„Wegen meinem Medikament“, sagte ich. „Es verstärkt die Wirkung von Alkohol.“
„Oh“, presste er nur hervor. „Das ist blöd.“
Ein ironisches Lachen entfuhr meiner Brust. „Ja“, schnaubte ich. „Das ist wirklich nicht besonders vorteilhaft.“
„Sollten wir also etwas trinken gehen?“, wieder lag sein fragender Blick auf mir, und ich nickte.
„Könntest du … Könntest du bitte kurz wegsehen?“, ich kam mir so albern vor, während ich das aussprach.
„Warum?“, ein amüsiertes Grinsen zierte seine Lippen.
„Ich will mich anziehen“, antwortete ich, obwohl mir absolut klar war, dass diese Bitte lächerlich war. Nach letzter Nacht würde es wohl nichts geben, was er nicht schon gesehen hätte.
„Wenn du meinst“, er zuckte gleichgültig beide Schultern und steckte seinen Kopf in beide Hände, bevor er sich rückwärts in sein Kissen sinken ließ.
„Danke“, murmelte ich unsicher, ehe ich mich erhob und meine Unterwäsche zusammensuchte, bevor ich mich schnellstmöglich in mein Kleid zwängte.
„Bist du fertig?“, fragte er nach einer Weile, in der ich nichts mehr von mir gegeben hatte.
„Ja“, ich drückte auf einen Knopf, der die Jalousien nach oben zog, und öffnete ein Fenster. „Möchtest du dich nicht auch langsam anziehen?“
„Doch“, wieder grinste er mich amüsiert an, auch wenn ich nicht verstand, was es jetzt noch zu Lachen gab. „Aber nur wenn du auch wegsiehst.“
Er blinzelte mir zu, aber ich rollte nur meine Augen und drehte mich zum Fenster um.
„Das war ein Scherz“, hörte ich ihn schließlich lachen, aber ich drehte mich gar nicht erst wieder um.
„Zieh dich einfach an.“
Ich wollte nach Hause, und dieses schmutzige Gefühl in mir loswerden. Eigentlich glaubte ich nicht, dass ich wirklich so ablehnend ihm gegenüber gewesen wäre, wenn ich nicht genau wüsste, was letzte Nacht zwischen uns vorgefallen war. Wäre das nie passiert, könnte ich ihn vielleicht sogar ziemlich gut leiden.
Draußen auf der Straße schien alles wie immer zu sein. Obwohl es so unendlich hektisch war, beruhigte es mich irgendwie. Weil es in diesem Moment das Einzige zu sein schien, das noch genauso war wie immer.
Ich hörte, wie Niall in seine Jeans von gestern Abend schlüpfte.
Nun konnte ich es nicht mehr vermeiden, dass einige Tränen meine Wangen nach unten kullerten. Ich wischte sie hinfort, so schnell ich konnte – ich wollte nicht, dass er sah, dass ich weinte.
„Was willst du trinken?“, ich hörte, wie er die ersten Treppenstufen nach unten stieg. „Wasser, Kaffee, Cola, Limonade oder-“
„Wasser“, schnitt ich ihm das Wort ab. „Stilles Wasser.“
„Alles klar“, ich hörte, wie er lächelte. Ich wusste zwar nicht, wohin er gehen wollte, aber ich war unheimlich froh darüber, dass er den Raum für einen Moment verließ.
Als er nach etwa einer Minute wieder zurückkam, blickte ich ihn erstaunt an. „Warum warst du so schnell?“
„Unten steht ein Kühlschrank“, gab er zügig zurück und reichte mir eine Flasche Wasser, während er selbst eine öffnete.
Ich nahm einen Schluck Wasser und hoffte, dass es etwas gegen meine Kopfschmerzen tun würde.
Eine Weile lang sagte niemand von uns beiden ein Wort. Erst nach einer zeitlosen Weile wagte ich es, wieder etwas zu sagen.
„Und wie machen wir jetzt weiter?“
Niall nahm einen weiteren Schluck Wasser und sah mich schließlich aus seinen blauen, vor Müdigkeit matten Augen an.
„Du hast keine Ahnung, wer ich bin. Und ich habe keine Ahnung, wer du bist“, begann er. „Ich würde vorschlagen, wir werden einfach weitermachen wie bisher und so tun, als wäre das hier nie passiert.“
„Das halte ich für eine sehr gute Idee“, seufzte ich und schenkte ihm ein erschöpftes Lächeln. Und in diesem Moment fiel mir wieder ein, was Alyson zu mir gesagt hatte. Ich sollte vorsichtig mit ihm sein.
Das hätte ich schlimmer wohl kaum vermasseln können. Aber das zählte für mich in diesem Moment auch gar nicht mehr. Und im Grunde genommen wollte ich nur noch eins: Ich wollte nach Hause, ein langes, entspannendes Bad nehmen und vergessen, wie schmutzig ich mich fühlte. Ich wollte vergessen, was in dieser Nacht passiert war, obwohl ich keine Erinnerungen mehr an sie hatte.
Ich wollte vergessen, was ich eigentlich gar nicht mehr wusste.
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