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(6/2) Hinter dem Vorhang

Hörprobe Shadow Hall.
ACHTUNG: Oben ist nicht das gesamte Kapitel "Hinter dem Vorhang" zu hören, sondern nur die zweite Hälfte, beginnend bei Mary Sheehan's Tagebuch ... und dann weiter bis zum Ende. Darum bitte hier erst einmal den Buchtext lesen, bis Emma in dem alten Tagebuch zu lesen beginnt - ab da weiter im Hörbuch!

Es hätte nahe gelegen, denn er mochte das Armband. Sie hatte es ihm angesehen an dem Morgen, als er es von ihrer Kommode nahm, es um seinen Finger legte und die Sonnenfunken durch den Raum wirbeln ließ. Wenn Kinder von irgendwelchen Dingen fasziniert waren, dann konnte die Versuchung groß sein. Aber eben gerade, da war auch dieses erschrockene Staunen in seinen Augen gewesen - darüber, dass es kaputt war. Und dazu seine besorgte Frage, ob sie es reparieren könne. Was sie aber am meisten glauben ließ, dass er die Wahrheit gesagt hatte, war die Sache mit dem Schlüssel: Sie hatte ihr Zimmer heute und auch in den letzten Tagen stets abgeschlossen. Zumindest, wenn sie nicht drinnen war. Seit der Stapel mit den Leinentüchern auf der Kommode aufgetaucht und wieder verschwunden war, hatte sie es nie vergessen, inzwischen war sie vollkommen sicher.

Sie schob die Quarzsteine auf der Kommode so zurecht, dass sie einen Kreis bildeten. Er wirkte sehr klein - mindestens drei der Perlen mussten noch fehlen. Hatte sie denn nicht alle aufgehoben? Sicher ließen sich die übrigen leichter bei Tageslicht finden; aber sie hatte nach dem Frühstück aufgeräumt, der Boden war frei, die Möglichkeiten gestalteten sich im Grunde auch jetzt übersichtlich. Und morgen war Montag. Ihre Arbeit mit Shay begann wieder und Grace wollte ihren Besuch machen. Also besser jetzt, es war einen Versuch wert.

Entschlossen stand sie vom Bett auf und suchte nochmals die blanken Quadratmeter zwischen dem Bettende und dem Fenster ab. Diesmal gab sie sich ganz besonders viel Mühe und ließ keinen Flecken aus. Aber egal, wie sehr sie sich auf den dunklen Boden konzentrierte: Es waren keine weiteren Perlen mehr zu finden.

Zuletzt sah sie hinter ihrem Koffer an der Wand und unter den beiden Kommoden nach. Um den engen Raum unter dem Kleiderschrank abtasten zu können, legte sie sich bäuchlings auf den Fußboden. Aber auch hier spürten ihre Finger nichts außer ein paar Staubflusen auf. Enttäuscht schaute sie sich im Zimmer um. Die fehlenden Perlen würden sich wohl tatsächlich erst am Morgen anfinden; es machte keinen Sinn, jetzt noch weiter danach zu suchen.

Das Armband bedeutete ihr mehr, als sie geglaubt hatte. Es tröstete sie und gab ihr Halt, es enthielt etwas von der Kraft, die ihre Tante besaß. Und ja - seit die Dinge nicht ganz so rund liefen, wie sie es sich für die zweite Stelle erhofft hatte, vermisste sie die selbstbewusste und realistische Art, die dieser starken Frau zu eigen war, beinahe schmerzlich. Aber sie hatte sich entschieden: Sie würde ihr nicht schreiben. Nicht diese Dinge. Nicht, bevor sie sortiert hatte, was davon real war ... und was nur Hirngespinst, Einbildung. Ein Zeichen ihrer Überlastung.

Grübelnd trat sie ans Fenster. Der milchige Schein des Lampenschirmes spiegelte sich im Glas. Die blanke Scheibe reflektierte das Innere des Raumes; und obwohl die beiden  Zwillingsleuchten das Zimmer kaum nennenswert erhellten, behinderte die Spiegelung von Kommode, Bett und Lampen die Sicht nach draußen. Während ihr Blick sich in die Dunkelheit hinaus träumte, langte sie unter die Perlenfransen, fand die Strippe und und zog. So war es besser; ihre Augen brauchten ein paar Sekunden, dann hatten sie sich an die nachtschwarze Szenerie von Hof und Wald gewöhnt. Im Dunkel begannen sich schattenhafte Umrisse abzuzeichnen. Sie schob die Lampe aus dem Weg und öffnete das Fenster weit.

Eine frische Brise strömte ihr entgegen, das Rauschen der Bäume durchdrang die Schwärze der Nacht. Oder war es das Meer? Egal, wie angestrengt sie lauschte, nie war sie sicher, ob sie das eine oder das andere hörte. Wenn der Sommer kam, dann wollte sie nachts das Fenster offen lassen. Und sich einbilden, dass es das Meer war, nicht der Wind. Tief atmete sie die kalte Luft ein, genoss einige Sekunden länger den Geruch nach Frost und Erde, dann schloss sie das Fenster wieder und zog die langen Vorhänge zu.

Was war das für ein Geräusch? Leise und beinahe zu überhören, drang es doch an ihre Ohren, etwas Hartes, das über den Boden rollte ... bis es an ihren nackten Fuß stieß und dort liegen blieb. Eine weitere Perle! Sie musste sich in der Gardine verfangen haben. Ob sich dort auch die restlichen versteckten? Umständlich raffte sie den Vorhang beiseite, ging in die Knie und tastete einhändig den Winkel zwischen Wand und Boden ab. Und richtig, zwei weitere Perlen kamen ins Rollen und wurden eingesammelt. Ein vierter der geschliffenen Steine schimmerte gläsern vor der Wand. Gerade wollte sie ihn aufnehmen, da fiel ihr an der hölzernen Wandvertäfelung eine vorstehende Kante auf, direkt über der Fußleiste. Wenn ihr Fingernagel nicht daran hängen geblieben wäre, hätte sie es bei dem schummrigen Licht gar nicht bemerkt. Die mit geschnitzten Rosetten verzierten Platten legten sich in ordentlicher Folge flach an die Wand, nur diese eine stand an der Kante ein wenig ab. Passte sie nicht ganz? Hatte das Holz sich verzogen? Als sie das handlange Rechteck in die Vertiefung drücken wollte, in die es hinein gehörte, löste es sich ganz und fiel ihr entgegen. Gerade konnte sie es noch auffangen, bevor es auf den Boden polterte. Wenn sie eines nicht gebrauchen konnte, dann neugierigen Besuch, während ihr Dinge wie das hier passierten.

Mit einem ungenehmen Schuldgefühl im Bauch und großer Eile wurstelte sie den langen Vorhang auf die Fensterbank hinauf, damit er aus dem Weg blieb. Sie wollte hier nichts kaputt machen! Außerdem war es viel zu spät und sie viel zu müde für irgendwelche Basteleien, dazu in schlecht beleuchteten Ecken wie dieser. Mit klammen Händen versuchte sie das Stück wieder an seinen Platz zurück zu setzen - als sie plötzlich bemerkte, dass es einen Hohlraum verborgen hatte. Ihre Hand passte beinahe vollständig hinein. Sie spürte Zugluft, das Loch war geräumig. Und weiter hinten, da steckte etwas. Beherzt fischte sie danach, bekam es schließlich mit zwei Fingern zu fassen und zog es vorsichtig heraus.

Auf den ersten Blick schien es eine Art Rolle zu sein, Papier war es wohl. Im Dunkel unterhalb des Fensters konnte sie nichts weiter erkennen; darum lehnte sie das Stück Vertäfelung neben dem Loch an die Wand, ließ die Gardine davor herunter und nahm den seltsamen Fund mit zum Bett hinüber.

Auch im Licht der Nachttischlampe ließ sich nichts entdecken, was auf Inhalt oder Zweck hinwies - nur, dass es viele einzelne Bögen Papier sein mussten, zeigte sich, als sie von der Seite hinein sah. Flecken und vergilbte Spuren waren außen zu sehen und Spinnweben und Dreck füllten das Innere der fest zusammen gebundenen Rolle. Sie roch muffig und alt, der Geruch strömte ihr entgegen; der Hohlraum in der Wand schien nicht ganz trocken zu sein, das Papier fühlte sich ein wenig feucht an. Ein Faden, hauchdünn und mehrfach gezwirbelt, hielt alles zusammen. Die zierliche Schleife, die über dem winzigen Knoten geknüpft war, ließ an Frauenhände denken - es war kaum vorstellbar, dass ein Mann ein Bündel aufgerolltes Papier auf solche Art zusammen band, dazu mit etwas, das wie Nähgarn aussah.

Wer versteckte so etwas in der Wandvertäfelung eines alten Hauses? Ob es etwas Wichtiges enthielt? Wenn es irgendwelche Dokumente oder Urkunden waren, mussten sie eine geringe Größe haben, die Rolle maß in der Länge höchstens fünfzehn Zentimeter. Aber sie war schwer und dick, es mussten viele Bögen sein. Das extrem feine Band, dazu die ebenmäßig geknüpfte Schleife - beides ließ eher nicht an rechtlich oder verwaltungstechnisch relevante Unterlagen denken, sondern an ... etwas, das eine Frau verstecken würde. Liebesbriefe vielleicht. Die niemandem in die Hände fallen durften. Ob sie hier einer geheimen Romanze auf die Spur gekommen war?
Irgendwelche Schrift ließ sich zumindest auf den ersten Blick an dem aufgerollten Papier nicht erkennen. Wahrscheinlich ging mal wieder ihre Fantasie mit ihr durch. Aber irgendetwas Geheimnisvolles musste es sein! Niemand bemühte sich um ein solches Versteck, wenn es nicht furchtbar wichtig war. Es sei denn, ein Kind hatte hier Schatzsuche gespielt. Und mit der Zeit vergessen, dass es etwas hinter der Vertäfelung versteckt hatte.

Einen Augenblick lang dachte sie an Shay. Auch mit der Krähe hatte er bereits einen ausgesprochenen Sinn für kuriose Objekte in noch kurioseren Verstecken bewiesen. Aber das unansehnliche Ding schien zu alt zu sein, als dass er es gefertigt haben konnte. Die vergilbten Flecken wirkten echt. Wie lange es wohl in der Wand überdauert hatte? Ob sie es Hagan geben sollte? Vielleicht war es irgendwie wichtig, ein zeitliches Dokument, das etwas über die ehemaligen Bewohner des Hauses verriet. Etwas, das noch nicht bekannt war. Aber es konnte genauso gut auch sein, dass es ... nichts offenbarte. Nichts von Bedeutung.

Sie entschied, es selbst heraus zu finden, zumindest, so weit es ihr möglich war. Wahrscheinlich gab hier gerade ihr Archäologinnenherz den Ton an, wie auch immer: Sie hatte es gefunden! Und solange sie nichts sagte, wusste niemand davon. Niemand außer ihr. Es war so spannend! Was immer dieses Ding war, vielleicht konnte es sie eine Weile von ihren Grübeleien ablenken. Sie wollte eine Art Spiel daraus machen: Wenn sie ganz vorsichtig an der Schleife zog, und sie öffnete sich - und der Knoten darunter ebenfalls - dann wollte sie es sich näher ansehen. Wenn die Schleife mit einem doppelten Knoten geschlossen war, hatte sie Pech. Dann gab es nur eine Option: es am nächsten Tag Hagan zu geben. Oder besser noch, damit man nicht dachte, sie würde hier herumschnüffeln und die Wände nach verborgenen Schätzen abklopfen: Sie schob es zurück in das Loch, in dem sie es gefunden hatte.

Ein wenig musste sie über sich selbst lächeln. Sie spielte tatsächlich "Schicksal" mit dem geheimnisvollen Ding - so wie sie es als Kind geliebt hatte. Also, die Bedingung war, das Band musste sich durch einen einzigen Zug lösen. Leicht und ohne Schwierigkeiten. Wenn es das nicht tat, ging der Fund an den Hausherrn. Sie zog die Lampe nahe an die Kante der Kommode heran und setzte sich auf dem Bett zurecht. Dann atmete sie tief durch, griff mit spitzen Fingern nach dem einen Ende des Bandes ... und zog.

Die Schleife löste sich - und als sie noch ein wenig mehr zog, wurde deutlich, dass auch der Knoten nicht gesichert war. Als sie das feine Garn ganz entfernte, fiel das zusammen gerollte Papier auf die Bettdecke. Ein plötzliches Frösteln schüttelte sie und ließ sie alarmiert aufsehen. Es war, als wäre es im Raum kälter geworden. Sehr viel kälter. Unwillkürlich blickte sie zur Tür hinüber. Der Schlüssel steckte. Sie hatte abgeschlossen.

Das Papier war so lange aufgerollt gewesen, dass es auch ohne das Band die Form behielt. Als sie den Packen Blätter behutsam auseinander bog, zeigte sich, dass alle dicht beschrieben waren; von der oberen Kante bis zum letzten Zentimeter bedeckte die Schrift jeden einzelnen Bogen. Ordentlich war sie, insbesondere auf den vorderen Blättern, und dazu so klein und zierlich, als sei Papier rar gewesen und jemand hätte versucht, möglichst viel auf jede Seite zu bekommen; später wurde die Handschrift unsauberer, größer und weniger deutlich. Auf den letzten Seiten waren die Abschnitte, die allesamt mit Daten versehen waren, weitaus kürzer und auch das Papier schien ein anderes zu sein. Es war dunkler, beinahe grau getönt, und die Flecken hatten sich hier und da über das Geschriebene gelegt.

Ob das alles zu entziffern war? Auf dem innersten, dem ersten Blatt ließ sich am oberen Rand so etwas wie ein Briefkopf erkennen. Das musste der Anfang sein. Sie lehnte sich in den Kissen zurück, schob die Beine unter die Decken und begann zu lesen.



Westport / Mayo .  .  .  .  .  .  .  .   2. August 1849

Ich bin Mary. Mary Bridget Sheehan. In diesem Augenblick, in dem ich meinen Namen preisgebe, bin ich verflucht, verloren und von jeder Gottesgnade verlassen. Wenn du, der diese Zeilen liest, mich kennst: Denke besser darüber nach, ob du sie verbrennen willst. Und solltest du mich nicht kennen, denke über dasselbe nach. Denn wenn das, was ich nun schreiben werde, in die Welt kommt, wird man mich zertreten wie eine verschimmelte Kartoffel. Ich werde nicht mehr sein als der Staub auf den Feldern, und jeder Stein, jede Assel, jeder elende Hund, dem die Rippen aus dem Fell stechen, wird mehr Aussicht auf einen Platz im Himmel haben als ich. Aber wenn alles gut wird, wenn das, was ich beginne, am Ende blüht und grünt und mich ernährt, dann wird es auch meiner Familie helfen und ich habe keinen Fehler gemacht. Gott wird mir verzeihen. Wir sterben, wenn ich es nicht versuche.

Wir werden alle verhungern. Vater Mallorney sagte am Sonntag, die Kartoffelpest sei Gottes Antwort auf unsere große Treulosigkeit und Sünde. Er schickt sie, um uns zu prüfen und uns auf den richtigen Weg zu bringen. Wir sollen Buße tun und bessere Menschen werden, und je eher uns das gelingt, desto schneller wird er die furchtbare Seuche von uns nehmen.

Unser Landlord, Mr. Whittenham, sagt etwas anderes. Er glaubt, dass Gott die Unwürdigen, die Nichtsnutzigen, das ungebildete, faule und kriechende Gewürm von der Erde vertilgt. Er hat es heute Morgen zu Mutter gesagt und er meint es ernst. Es ist ein Strafgericht, das niemanden von uns übrig lassen wird. Der Herr schickt uns die Kartoffelfäule, damit unsere dürren Körper nicht länger Schatten auf diejenigen werfen, die fleißig und recht schaffend in Gottes Angesicht sind und seine Sonne verdienen. Geboren zu Wohlstand und Ehre, so wie Mr. Whittenham. Er ist es, so wie alle Engländer. Und wir Iren eben nicht.

Heute hat er die Kuh mitgenommen, weil Mutter auf dem Markt nicht genug Geld für die mageren Ferkel bekam. Sie konnte doch nichts dafür, womit hätten wir sie denn fett füttern sollen! Und seine Landsmänner bestimmen die Preise, vor allem, weil eine Irin die Ferkel anbietet. Hätte er sie nur genommen und sie selbst verkauft, anstatt es von Mutter zu verlangen. Jetzt hat er das Geld und die Kuh und wir essen auch heute wieder nichts. Und ab sofort haben wir auch keine Milch mehr.
Wenn Vater noch leben würde, er hätte für die Ferkel mehr herausgeschlagen. Vor Frauen haben die englischen Männer keinen Respekt. Wir tun doch, was wir können, aber es reicht hinten und vorne nicht! Die Kuh war unsere, ihre Milch muss uns tagelang ernähren, wenn wir nichts anderes haben. Die Milch haben wir gebraucht, um Moos und Rinde darin zu kochen, und sie war auch unser Tauschmittel, wenn wir Brot brauchten. Vielleicht ist es aber gleich, denn die Nachbarn haben inzwischen auch kaum einmal welches. Es gibt kein Brot mehr zu tauschen, seit die Landlords ihre Pächter totschlagen, wenn sie sie beim Körnerstehlen erwischen. Einer hatte damit angefangen, im letzten Jahr, der alte Callum war der erste, der dran glauben musste. Dabei war es seine Frau gewesen, die nachts auf den Feldern geräubert hat, er hatte gar nichts davon gewusst. Dann traf es Padraig und später noch zwei andere - und dann auch Padraigs Frau. Bis vor zwei Jahren war das Gefängnis die übliche Strafe für Körnerdiebe, aber dann haben sie angefangen, sie zu töten. Weil es so viel besser wirkt, wenn man die Leute vom Stehlen abhalten will. Der Hunger ist ein starker Gegner, er lässt sich nicht leicht einschüchtern.

Mittlerweile halten es alle Landlords in Mayo so mit ihren Pächtern, sie schauen es voneinander ab. Und niemand scheint über ihnen zu stehen außer den Herren, die sie hierher geschickt haben, damit sie auf ihren Höfen nach dem Rechten sehen. Aber die Herren in England kümmern sich nicht, sie überlassen den Landlords, wie sie mit uns umgehen. Sie nehmen den Stock oder die Eselpeitsche dazu, es dauert nicht lange, bis sie tot sind. Sie sind so verhungert und so müde am Leben, dass sie es nicht lange durchhalten, und ihre Familien, sogar die Kinder, müssen dabei zusehen. Dabei wünschen manche sich inzwischen, selbst an der Reihe zu sein, nur, damit alles endlich ein Ende hat. Es gibt Tage, da beneiden wir die Toten.

Oh, das Getreide wächst prächtig auf den Feldern, ja! Aber es wird zum Sommerende nach England verschifft, bis auf den letzten Halm. Das Korn ist nicht für die Dummen und Armen gesät, sondern für die englische Krone. Wir Iren haben die Kartoffeln. Und die Kartoffeln haben die Pest. Und wer verhungert, hat nicht einmal einen Sarg oder einen Platz in geweihter Erde. Denn die Friedhöfe sind übervoll.

Der Hunger dauert nun schon vier Jahre und die englischen Pachteintreiber machen alles noch viel schlimmer. Der faulige Gestank von den Feldern dringt bis in die Hütten. Wenn man noch eine hat! Denn gerade gestern wurden wieder mehrere Familien von ihren Pachthöfen gejagt. Wer zu schwach ist, die verlangte Arbeit zu leisten und den Hof zu führen, verliert seine Arbeit, seinen eigenen schlechten Flecken Erde und das Dach über dem Kopf. Sie schlafen jetzt in den Hügeln, schutzlos der Sonne, dem Regen und Wind ausgesetzt. Es sind kranke Männer dabei, Alte. Und Schwangere und kleine Kinder. Sollen die Frauen dort draußen etwa ihre Kinder gebären, wie die Tiere?  Und wie sollen sie die Geburt überleben, woher die Kraft nehmen?  Oder heißes Wasser? Windeln, Kleidung für die Kinder? Selbst die heilige Mutter hatte für das Jesuskind einen Stall und warmes Stroh. Und freundliche, gebende Hände.

Wir dürfen niemanden aufnehmen, sagt Mutter. Wenn Mr. Whittenham es sieht, jagt er uns vom Hof. Oder zündet uns das Dach über dem Kopf an und sagt, wir hätten es getan, um ihm zu schaden. Das könnten wir niemals bezahlen. Was dann passieren würde, daran will ich lieber nicht denken. Manchmal muss eine der jungen Töchter mit dem Landlord mitgehen, wenn die Familie ihre Schuld nicht bezahlen kann. Maggie ist gerade dreizehn geworden. Ich kenne Mutter gut genug. Sie würde sie lieber eigenhändig umbringen als dass er sie mitnimmt. Und wenn ich gehen müsste, ich würde ihn umbringen. Und dann wären wir alle drei verloren. Also halten wir still wie die Mäuse, wenn die Katze im Raum ist, und lassen uns nichts zuschulden kommen. Und das wird unglaublich schwer, wenn wir nicht einmal mehr die Kuh und die Milch haben, denn wie sollen wir überleben.

Die alte Polly hat sich am Sonntag aufgehängt. Ihre Enkelchen haben sie gefunden. Wir haben sie schreien gehört bis hierher, als wir von der Kirche kamen. Ich hatte mich schon gewundert, warum sie gar nicht mehr zur Kirche ging, wir hatten gedacht, sie sei wohl krank ... oder die Kinder. Die Mutter der beiden Kleinen war schon im letzten Jahr am Hunger und der Cholera gestorben, der Vater ging ihr im Winter nach. Sie waren beide noch so jung gewesen, die Eltern. Großmutter Polly war am Ende alles, was die Kleinen noch hatten. Der Pfarrer hat sie abgeholt mit seinem Pferdekarren. Die Kinder, nicht die Leiche. Mutter hatte ihn am Wegrand noch aufgehalten und gefragt, was aus den Kleinen werden soll. Das Mädchen kommt ins katholische Heim, hatte er geantwortet. Und für den Jungen hätte er Leute aus Amerika, die wollten ihn sich ansehen. Er würde ihn zu ihnen nach England bringen, wo sie geschäftlich einige Zeit verbrachten. Kinder gibt es viele ohne Eltern. Und Eltern ohne Kinder. Hier ist es aber nicht so, dass die Iren keine bekommen können: Sie haben welche, aber sie sterben ihnen einfach weg wie die Fliegen, gerade die ganz Kleinen. Oder die Kinder bleiben übrig, weil alle anderen sterben, und das ist beinahe noch schlimmer. Gut für den Jungen also, dass er hier weg kommt. Aber können diese reichen Amerikaner denn nicht beide nehmen? Sie zerren sie voneinander weg, sie lassen sie nicht einmal zusammen aufwachsen. Sie haben doch schon die Eltern verloren, und nun auch noch einander! Und Amerika ... Ach, wenn ich selbst dort hin könnte! Es ist sehr, sehr weit weg, sagt Mutter. Am anderen Ende der Welt. Man soll mit dem Segelschiff sechzehn Wochen unterwegs sein, bis man ankommt. Kaum zu glauben, dass die Welt so groß ist! Woanders weiß man vielleicht nicht einmal, was hier mit uns allen passiert.

Alles ist so furchtbar, und wir können gar nichts tun! Und die Landlords tun so, als würden wir Gold aus dem Boden holen, wenn wir nur fleißig genug graben, dabei ernten wir schon seit Jahren nichts als Staub. Inzwischen sterben täglich einige auf den Feldern. Fallen einfach um und bleiben liegen. Ich weiß noch, wie Padraig das Korn bezahlen sollte, das seine Frau zerdrückte, dort, wo sie umgefallen war. Er hat geweint vor dem Pachtherrn und dessen Peitsche, weil er einfach nicht mehr wusste, wie er sich gegen so viel Hartherzigkeit und Unrecht wehren sollte. Ich bete für ihn und seine Frau, dass sie jetzt im Himmel sind.

In jeder Familie in Westport fehlt schon jemand, in Ballina und Castlebar soll es schon genauso schlimm sein wie hier. Die Abgaben für den Landlord bleiben aber überall dieselben. Wir haben gebeten und gebettelt, aber es hilft alles nichts. Diese Herren wissen nicht, wie es ist, auf einem winzigen Flecken Land zu leben, das einem nicht einmal gehört und von dem mehrere Familien satt werden sollen - während der Herr sich von den mageren Erträgen die volle Pacht auszahlen lässt wie in den guten Jahren vor der Kartoffelpest.

Wenn Gott gerecht ist, lässt er sie alle zurück nach England segeln, zu ihren noblen Häusern und Gärten! Sterben werden wir auch so, aber dann wenigstens nicht unter ihrem Spott und Hohn. Und nicht als Sklaven zwischen ihrem goldenen Weizen. Auch Irland hatte einmal hohe und edle Herren, und ihre Häuser sind auch jetzt noch schöner und prächtiger als die englischen. Aber man hat sie daraus vertrieben, und jetzt bewohnen die Engländer sie. Sie leben dort wie die Könige und verbreiten auf den Pachthöfen ringsum Angst und Schrecken. Mutter sagt, sie werden uns ganz und gar vernichten, denn nichts anderes ist ihr Plan. Es macht ihnen Freude, uns so elend zu sehen. Ich mag Mr. Whittenham nicht. Aber ich mag mir auch nicht vorstellen, dass sie recht hat. Wir arbeiten uns tatsächlich tot für ihren Reichtum, es stimmt ja, was sie sagt. Und wenn wir sterben, scheren sie sich nicht darum. Wenn es also wirklich ist, wie Mister Whittenham sagt, dann sind wir dumme Schafe, dass wir auf das Schlachtmesser warten. Wer noch denken kann bei dem Hunger, sollte sich etwas überlegen, irgendwas. Wir, die noch hier sind, haben nicht das Geld für die Überfahrt nach Amerika. Aber irgendetwas muss es geben, was uns retten kann. Gott frage ich nicht mehr, er ist nicht auf unserer Seite.

Ich will nicht sterben. Ich werde heiraten. Ich werde Verantwortung übernehmen und das einzig Richtige tun. Mutter weiß noch nichts davon. Sie wird mir sagen, ich bin zu jung und die Zeiten sind schlecht, aber ich werde Johnny heiraten. Jonathan Farlow, den Sohn des Schmieds. Nichts wird mich davon abbringen. Er kann etwas, er ist fleißig und stark und er ist einziger Sohn seines Vaters. Er wird ein kleines Haus erben, dort können wir wohnen. Und sein Vater geht bei Mr. Whittenham ein und aus, er wird dort öfters gebraucht und kann ganz gut mit ihm. Das ist vielversprechend! Gute Verbindungen haben schon oft das Leben zum Besseren gewendet, warum nicht auch für uns. Und wenn wir anbauen und den Garten vergrößern, können wir Mutter und Maggie zu uns nehmen und sind frei. Jonathan Farlow ist schon zwanzig. Und ich mit meinen fünfzehn Jahren und nach dem, was ich auf den Feldern leiste, allemal alt genug für ihn. Wir Iren müssen schnell heranwachsen! Das bringt schon die Kargheit des Landes mit sich, zumindest hier, an der Westküste. Und in diesen Zeiten gilt das umso mehr.

Morgen sehe ich ihn wieder. Hinter dem Heuwagen, zur Mittagspause. Niemand darf von uns wissen, wir müssen vorsichtig sein. Ich werde ein gutes Versteck brauchen für mein Tagebuch.

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Es war ein Tagebuch! Darauf wäre sie nicht gekommen - aber sie hatte recht gehabt, denn sie hatte von Anfang an auf eine Frau getippt. Nur war diese Mary eher noch ein Mädchen ... und sie hatte offenbar Schreckliches durchlitten. Von der Kartoffelpest hatte sie irgendwo gelesen - wahrscheinlich, als sie in London nach Informationen über Irland suchte. 1849 ... das war lange her. Beinahe hundertsiebzig Jahre. Und doch las es sich wie etwas, das in diesem Moment gerade geschah.

Emma sprang auf, zog ihre Sachen aus und wurstelte sich ihr Shirt über den Kopf. Schnell füllte sie im Bad ihren Teebecher mit Wasser auf und stellte ihn auf der Kommode ab, dann sprang sie zurück ins Bett, kuschelte sich unter ihre drei Decken und nahm die Papierbögen erneut in die Hand. Es war tatsächlich etwas Wertvolles, was sie hier entdeckt hatte! Mary war eine Zeitzeugin der schwersten Jahre der neueren irischen Geschichte. Auf keinen Fall durften diese Tagebuchseiten durcheinander geraten. Sie waren nur lose aufeinander gelegt und nicht nummeriert. Sie musste aufpassen, dass ihr der Stapel nicht versehentlich auseinander fiel.

Ob Mary ihren Jonathan Farlow wieder gesehen hatte? Am nächsten Tag wollten sie einander treffen ... Vorsichtig legte sie das erste Blatt zur Seite und sah auf dem zweiten nach dem nächsten Datum und Eintrag. Und ja, da stand es:

3. August 1849.

Und darunter folgte sehr viel Text.
Wie schnell sie sich an die Schrift gewöhnt hatte! Entsetzlich neugierig und mit einem gespannten Kribbeln im Bauch vertiefte sie sich in den nächsten Abschnitt. Diese Mary Sheehan war verrückt! Heiraten - mit fünfzehn! Sie musste unbedingt wissen, wie ihre Geschichte weiter ging. Das würde eine lange Nacht werden.

Ende Teil 33

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