(5/2) Der Quilt
Sie zuckte zusammen. Erst als sie die Augen öffnete, kam sie vollständig zu sich. Da stand Einin. Sie trug ein langes Schultertuch über dem karierten Nachthemd. Ihre krausen Haare standen ihr vom Kopf ab, als hätte sie sich ebenfalls die halbe Nacht schlaflos im Bett herum gewälzt.
"Was ... Einin, du bist das ..." Schwerfällig rappelte Emma sich aus den Kissen hoch. "Die Tür ist aufgegangen, wir müssen ..." Erst jetzt merkte sie, dass die offene Haustür, das wirbelnde Laub und der Wind in der Halle zu ihrem Traum gehörten. Ebenso wie die Frau vom Weg. Realität war aber, dass sie hier unten halb angezogen herum lag. Mitten in der Nacht. "Oh, ich ... ich muss eingeschlafen sein", murmelte sie entschuldigend und rieb sich das kalte Gesicht.
"Aber nicht hier", rügte Einin sie in trockenem Ton. "Dazu geht der normale Mensch ins Bett." Sie trat von einem Pantoffel auf den anderen. Ihr schien ebenso kalt zu sein wie Emma. "Hab' das Licht auf der Galerie gesehen. Scheint unten durch meine Zimmertür durch, das nervt. Da dacht' ich, ich geh mal nachsehen, wer' s angelassen hat. Und da liegst du."
Emma hob das Kissen auf, das vom Sofa gefallen war. "Aber ... wieso bist du noch da?", fragte sie irritiert. "Fährst du abends nicht nach Hause?"
Einin machte große Augen. "Doch nicht bei dem Wetter", flüsterte sie und wies zur Galerie hinauf. "Hab 'ne Kammer oben für solche Nächte. Heut' war' s zu spät zum Heimgehen." Sie zog die Stirn in Falten. "Aber was ist mit dir los? Was zum Teufel machst du hier unten? Ist dir oben nicht schon kalt genug, dass du dich hier hinlegst? Ich würd' zu Eis gefrieren."
Eis. Das war das Stichwort. Ihr fiel wieder ein, weshalb sie hier herunter gekommen war. "Ich wollte etwas Feuerholz für den Kamin holen", erklärte sie und flüsterte nun ebenfalls. Es wäre übel, wenn sie heute Nacht außer Enin noch jemand hier unten im Schlafanzug vorfand. "Ich ... konnte nicht schlafen." Sie zog die Schultern hoch. "Der Wind und die Kälte."
Zu ihrem Erstaunen wandte Einin sich stumm ab. Sie schlurfte zum Kamin hinüber, kreuzte mit schnellen Handgriffen ihr Tuch vor der Brust und verknotete die Enden hinter ihrem Rücken. Aus der Nische nahm sie mehrere dicke Scheite, legte sie sich gekonnt über den Arm und stapelte sie so hoch, dass sie das oberste mit dem Kinn halten konnte.
"Na los. Nimm dir auch einen Arm voll." Sie bog den Rücken durch, damit ihr das Holz nicht herunter fiel. "Aber mach schnell. Und leise. Bevor wir noch jemanden aufwecken."
Die raue Rinde verhakte sich in der Wolle der Strickjacke, aber das war egal. Eilig langte Emma ebenfalls zu, legte eine der alten Zeitungen oben auf das Holz, griff nach der Streichholzschachtel, die auf dem Sims lag, und beeilte sich, dem Mädchen zur Treppe zu folgen.
"Das Licht ist noch an", zischte Emma nach oben, aber Einin schüttelte nur den Kopf. "Lass mal", warf sie flüsternd über die Schulter zurück. "Das mach' ich von der Galerie aus."
Als Emma mit dem Holz die Treppe bewältigt hatte, wurde sie bereits an ihrer offen stehenden Zimmertür erwartet. Einin verzog das Gesicht und massierte mit dem Pantoffel bewährten Fuß die Wade des anderen Beines. "Es ist arschkalt hier oben. Wenn du eine dickere Decke brauchst, die sind im Kabuff. Kannst auch zwei oder drei nehmen. Wie du willst."
"Die Decken ... sind wo?"
Na, da hinten", erklärte Einin ungehalten und nickte über die Scheite hinweg in Richtung des Ganges. "Im Kabuff." Sie sah sie erwartungsvoll an, dann schien sie zu merken, dass Emma immer noch nicht verstand. "Na, wo das Klopapier ist", versuchte sie es weiter. "Es sind genug da. Nimm so viele, wie du brauchst."
"Ach so ... danke", sagte Emma halblaut und folgte ihr ins Zimmer. Sie beobachtete, wie das Mädchen vor dem Kamin in die Knie ging und wartete geduldig, bis sie die Scheite unordentlich an der Seite aufgestapelt hatte. Schließlich kam Einin wieder auf die Füße, rieb ihre Hände und schüttelte ihr Nachthemd aus.
"Das wär' s", erklärte sie knapp und begutachtete die Fracht, die Emma aus den Armen zu rutschen begann. "Für jetzt reicht das. Erinner' mich, dass ich dir zeig', wie wir das Holz mit dem Aufzug nach oben holen. Ist weniger Arbeit."
"Es gibt einen Aufzug?"
"Ja. Für Lasten. Im Gang. Für Zeug, das nach oben muss. Unten in der kleinen Diele vor der Küche ist die Klappe. Man packt alles rein, und dann hoch damit."
Emma staunte. "Das ist ja praktisch ... aber warum haben wir den eben nicht genutzt?"
Als sei das die dümmste Frage, die man ihr stellen konnte, schüttelte Einin den Kopf. "Na, weil' s zu laut ist. Das Ding rumpelt und quietscht wie verrückt. Sowas macht man tagsüber." Sie seufzte. "Also dann, gute Nacht. Ach ... und der Lichtschalter für unten, der ist auch draußen. Gleich bei der Treppe." Ihr Lächeln entblößte einen schiefen Schneidezahn. "Aber lass mal, ich mach schon aus. Nur, dass du es jetzt weißt. Für' s nächste Mal."
Bevor Emma noch irgendetwas fragen konnte, fand sie sich allein im Raum. Die Tür blieb offen, während Einin um die Ecke verschwand - was sie ein wenig ärgerte, da sie noch immer keinen Arm frei hatte und ihr die Zugluft unangenehm entgegen kam. Aber sie musste sowieso noch einmal hinaus. Sie brauchte eine Decke aus dem "Kabuff".
Was den Umgang mit den klobigen Holzscheiten betraf, war sie längst nicht so geschickt wie Einin. Obwohl sie jeden Lärm vermeiden wollte, rumpelten ihr drei der Scheite vom Arm herunter, bevor sie sie auffangen konnte. Hoffentlich hatte es niemand gehört! Mit zusammen gekniffenen Lippen nahm sie das Holz vom Boden hoch und stapelte es vorsichtig auf den unförmigen Stücken, die bereits in der Nische lagen. Das Ergebnis war einigermaßen zufriedenstellend. Vor allem jedoch sah es heimelig aus und es fühlte sich auch so an. Sie hatte ihr eigenes Feuerholz! Ihre neue Arbeits - und Wohnstätte brachte zwar spezielle Umstände mit sich, aber einige davon waren irgendwie ganz nach ihrem Geschmack.
Im Nachhinein war sie froh, dass Einin sie auf dem Sofa gefunden hatte. Ohne ihre Hilfe hätte sie nicht so viel tragen können. Und eine zweite Tour nach unten wäre etwas gewesen, wozu sie sich in dieser Nacht niemals aufgerafft hätte. Und nicht auszudenken, wenn ihr auf der Treppe etwas aus dem Arm gerutscht wäre! Damit hätte sie wohl alle Bewohner des Hauses aufgeweckt. Und ... der Traum. Einen Moment lang hatte sie tatsächlich geglaubt, sie sei bereits wach. Was ihr Unterbewusstsein ihr da vorgegaukelt hatte, war sehr real gewesen. Was für ein Glück, dass Einin zur rechten Zeit aufgetaucht war! Sie hätte dort nicht einschlafen dürfen.
Mit dem Feuer stimmte etwas nicht. Seit die Flammen vom Zeitungspapier auf das Holz übergegangen waren, qualmte es unablässig ins Zimmer hinein; dabei waren die Scheite doch trocken genug! Oder nahm sie etwa die Feuchtigkeit, die ganz offenbar darin stecken musste, nur nicht wahr, weil ihre Finger so klamm und kalt waren? Es brannte bereits sehr gut, aber ihre Augen begannen von dem Rauch zu tränen. Und er wurde mehr und mehr.
Die Tür ... sie stand noch offen! Nicht, dass man dachte, sie zündete das Haus an! Schnell lief sie hinüber, drückte sie zu und wandte sich ratlos zurück in den Raum. Graue Schwaden hatten sich über dem Boden gesammelt, inzwischen stiegen sie bis zur halben Zimmerhöhe auf. Sie zogen sogar schon über das Bett hinweg, das auf der gegenüber liegenden Wandseite stand. Was machte sie falsch?
Das Fenster. Obwohl es draußen immer heftiger stürmte, öffnete sie es weit und hielt es auf, damit der Wind es nicht wieder zuschlug. Der Rauch verteilte sich jetzt überall. Sicher entwich einiges nach draußen, aber es half nichts, denn vom Kamin kam immer mehr Rauch. Sie musste das Feuer löschen.
Damit die Scheibe bei dem Sturm nicht noch Schaden nahm, sicherte sie das Fenster mit dem kleinen Haken, der in den Rahmen geschraubt war. Hustend hielt sie sich den Strickjackenärmel vor Mund und Nase und ergriff den Schürhaken, der neben der Feuerstelle in der Ecke lehnte. Sie verteilte das Holz, trennte die brennenden Scheite voneinander, so gut es ihr mit der freien Hand möglich war. Die eiskalte Luft, die ins Zimmer drang, ließ sie zittern, aber sie achtete nicht darauf. Sie wollte sich keine Rauchvergiftung holen - und vor allen Dingen wollte sie nicht, dass der Qualm durch die Türritzen nach draußen gelangte und man auf ihre furchtbare Ungeschicklichkeit aufmerksam wurde. Während sie ins Bad lief und den kleinen Putzeimer, der unter dem Waschbecken stand, mit Wasser füllte, fantasierte sie ihre Kündigung herbei und stellte sich vor, wie sie, reumütig und beschämt nach Deutschland zurück gekehrt, ihre Bewerbung bei einer verhassten Fastfoodkette einreichte, um sich am Leben halten zu können und sich ihren Flug nach Griechenland zusammen zu sparen.
Die Rauchentwicklung wurde noch heftiger, als sie das Wasser über den Flammen ausgoss. Trotz des Windes, der mit Gewalt in alle Ecken drang und die Vorhänge wie Segel im Sturm blähte, verzog sich der Qualm nur langsam; es roch extrem nach Zimmerbrand. Sie wusste nicht, ob sie weinen oder lachen sollte. Gedämpft hustete sie eine Weile in ihren Ärmel hinein, dann holte sie zwei ihrer Handtücher aus dem Schrank und warf sie in die Pfützen, die rings um die Feuerstelle auf den alten Bohlen standen. Ihre Füße waren nass und kalt wie Eisklumpen. Sie trocknete sie eilig ab, schlüpfte in ihre dicksten Socken und brachte den Eimer zurück ins Bad.
Unter ihrer Bettdecke hockend wartete sie bibbernd, bis sich der Rauch endlich verzogen hatte. Dann schloss sie das Fenster und hoffte, dass man es am Morgen nicht mehr riechen würde. Sie wollte keinen Ärger haben, nicht schon wieder. Nicht diesmal. Sie mochte ihre Stelle. Und sie mochte Shay, ihr verschlossenes irisches Nebelkind. Auch, wenn vieles mit ihm schwierig und anstrengend war. Das hier war genau der Ort, an dem sie wachsen und sich entwickeln konnte - sie brauchte es einfach, dass diesmal alles gut lief.
Und nun? Im Raum herrschte jetzt dieselbe Temperatur wie draußen; sie konnte Einins Rat befolgen und sich ein paar Decken holen. Und das Mädchen am Morgen unauffällig beiseite ziehen und sie fragen, was sie mit dem Kamin falsch machte. Einin würde es schon nicht herum erzählen, sicher war sie selbst froh, wenn Myrna ihr einmal keine ihrer Standpauken hielt. Und auch, wenn sie manche ihrer Aufgaben auf eine eigensinnige und vielleicht auch ein wenig schlampige Weise erfüllte, schien es doch, als wüsste sie über die Dinge im Haus gut Bescheid. Sie musste ihr zeigen, wie man den Kamin nutzte, ohne zum Räucherfisch zu werden.
Einin hatte für sie das Licht auf der Galerie an gelassen. Auch musste sie gesehen haben, dass die Tür zum Kabuff offen gestanden hatte, denn jetzt war sie geschlossen. Vorsichtig, um nicht noch mehr fatale Situationen auszulösen, drehte Emma den rostigen Knauf. Als sie die Kammer öffnete, knarrte die schmale Tür in den Angeln und sie hielt erschrocken den Atem an. Drinnen gab es denselben antiquierten Drehschalter, wie sie ihn aus ihrem Zimmer und von der Galerie kannte. Ein hell sirrender Ton drang in ihre Ohren, die Birne musste uralt sein. Große Staubflocken hingen in den Spinnweben, die an der Lampe klebten. "Klopapier ... Putzmittel ... Lappen", murmelte sie, während ihr Blick über die vollgestopften Regale schweifte. "Werkzeug, Handtücher ..."
Ein breites Bord an der linken Seite war mit altem Zeitungspapier ausgelegt. Was darauf gelagert wurde, verbarg sich unter einem großen Laken; wulstig und breit ließen sich zwei Stapel von etwas Weichem unter dem Stoff ertasten. Als sie das Tuch beiseite schob, zeigte sich, was sie vermutete: Es waren die Decken, von denen Einin gesprochen hatte.
Wie schön sie waren! Es waren so viele - und jede einzelne hatte ihre eigenen Farben, ihr eigenes Design. Und alle schienen sie handgenäht zu sein. Bewundernd ließ Emma ihre Finger über die gesteppten Flächen gleiten. Ein Exemplar mit feinen Blumenranken auf senfgelbem Grund fiel ihr gleich ins Auge. Sie mochte die kleinen Blüten und den kuschelig anmutenden Grundton genauso wie die rostfarbige Einfassung, die ringsum zu verlaufen schien. Vorsichtig zog sie die Decke aus dem Stapel hervor und faltete sie probeweise auseinander, so weit es ihr der beengte Platz erlaubte. Die Größe war mehr als genug. Vielleicht konnte sie sie sogar doppelt legen. Da waren auch kleine Schwalben, die immer paarweise zwischen den Blumenbouquets herum flogen. Design und Farben erinnerten sie an die vorletzte Jahrhundertwende, wahrscheinlich war der Stoff eine Reproduktion. Dass die Decke tatsächlich so alt war, konnte sie sich nicht vorstellen. Vorsichtig roch sie an der gesteppten Oberfläche; ein feiner Duft von Waschmittel drang an ihre Nase. Wie alt sie auch sein mochten - diese Decken wurden gewaschen und landeten, auf ihren nächsten Einsatz wartend, wieder sauber im Kabuff.
Ob sie vorsichtshalber noch eine zweite mitnehmen sollte? Es waren ja genug da. Sie legte ihre safrangelbe Beute draußen auf dem Boden ab und arbeitete sich nun beherzter durch beide Stapel. Alle Decken hatten eine schöne Größe, sie konnte also frei wählen, was ihr für ihr Zimmer gefiel. Auf dem Bett würden sie als große Fläche wirken und den Raum zumindest bis zum Frühling dominieren, da wollte sie die Farben mit Bedacht aussuchen. Bis auf eine, die aus karierten Stoffen gearbeitet war, hatten alle geblümte Muster. Die Farben gingen von vergilbtem Weiß über Altrosa und blassem Mint bis hin zu Beige, Graublau und verwaschenem Braun. Die mintgrundige, die sie gerade besah, würde sich gut zur Wand und den Türrahmen machen ... aber zu viel von diesem minzigen Seegrün konnte das Zimmer zu kühl wirken lassen, und das wollte sie in der dunklen und kalten Jahreszeit ganz bestimmt nicht haben. Darum hatte ihr die gelbe Decke auf Anhieb so sehr gefallen. Aber stand ihr der Sinn nach noch mehr Geblümtem? Ganz unten im rechten der beiden Stapel versteckte sich die einzige Decke, die zumindest auf den ersten Blick keine dieser diffusen Mischfarben aufwies. Auch schien der Stoff kein Muster zu tragen.
Ganz und gar grün war sie - wie sich zeigte, als sie sie unter den anderen Decken hervor zog und ausbreitete. Blaugrün wie das Meer, wenn die Sonne hindurch leuchtete. Irischgrün, sozusagen. Und wie weich und glatt sich der Stoff anfühlte! Alle anderen waren eindeutig aus Baumwolle gefertigt, aber für diese hier schien man ein Seidengemisch verwendet zu haben. Ein synthetischer Stoff war es nicht, das erkannte sie gleich an den Altersspuren. An einigen wenigen Stellen waren die feinen, von Hand ausgeführten Steppnähte nämlich bereits arg gerissen, hier und da sah an den ausgefransten Rändern sogar das Innenfutter hervor. Sie rieb über eine offene Stelle, die Füllung schien aus Schafwolle zu bestehen. Die Decke war dicht gesteppt und üppig gefüllt, bestimmt wärmte sie ganz wunderbar. Und wenn nicht, dann sollte es ihr egal sein, denn sie hatte sich bereits in dieses tiefe, beinahe mystische Grün und den weichen Stoff verliebt - und in die verschlungenen irischen Ornamente und Knotenmuster, die sich in feinen Quiltstichen über die gesamte Fläche zogen. Abgeschabt und verschlissen wirkte sie; viel mehr als die anderen Decken, die wesentlich besser in Schuss waren. Und sie hatte ganz unten gelegen, sicher war es lange her, dass jemand sie zuletzt genutzt hatte.
"Du kommst mit mir", hörte Emma sich murmeln und war ein wenig erstaunt über die Zuneigung, die sie so spontan für das ramponierte alte Stück empfand. Unwillkürlich musste sie an ihre waghalsige Autofahrt mit Flann Doyle denken. Wie er auf ihr Geständnis zu ihrer Kartoffelliebe gemeint hatte, mancher, der aus dem Ausland herkäme, würde in diesem Land seine persönliche irische Zugehörigkeit entdecken. Vielleicht über ein vergangenes Leben. Oder durch die eigene Ahnenreihe, den Teil, der im Dunkeln lag. Kein Mensch wusste so genau, woher er letztlich kam, was sein Urgrund war.
Ja, sie liebte Kartoffeln! Und wie sie gerade entdeckte, liebte sie auch dieses irische Grün, die für die irische Kultur und Kunst typischen verschlungenen Muster, auch die stilisierten vierblättrigen Kleeblätter, die sich hier als schattiges Relief aus akkuraten Steppstichen tief in die textilen und wollenen Schichtungen gedrückt hatten. Es war ein alter Quilt - nur ohne das klassische Patchwork, das sich auf den Oberflächen der anderen Decken zeigte. Dieser hier war schlichter und schmuckloser - und doch schien er vor langer Zeit gediegene Eleganz und irische Tradition in Stoff und Design vereint zu haben. Wer wusste, wie lange er hier bereits ungeliebt herum lag! Das sollte nun anders werden. Für ihn - genauso wie für sie selbst - brach gerade ein neues Kapitel an. Auch sie hatte in der Vergangenheit einige heftige Beulen und Abschürfungen erhalten, sie passten also ganz wunderbar zu einander! Und zu dem verwaschenen, leicht angegrauten Gelb der geblümten Decke passten das tiefe Grün und die aufgrund der fehlenden Blumenmotive ernstere und magischere Ausstrahlung dieses Quilts ebenfalls bestens.
Sie sollte Recht behalten. Auf ihrem großen Bett ausgebreitet gaben die Quilts dem Zimmer etwas Kuscheliges und Warmes, ihre Ausstrahlung ging mit den alten Möbeln, den beiden Lampen, der Wandfarbe und dem Holzboden eine Verbindung ein, die Emma als magisch empfand. Beinahe war sie glücklich, da sie nun auch trotz der Kälte ganz sicher gut schlafen konnte ... wenn der Brandgeruch, der noch im Raum hing, sie nicht an das Problem mit dem Kamin erinnert hätte.
Aber jetzt war Schluss mit der Grübelei, sie musste unbedingt eine Mütze voll Schlaf bekommen. Der Freitag war angebrochen und die letzten Stunden bis zum Morgen musste sie zur Ruhe kommen. Damit sie tagsüber nicht zu konfus wirkte, sie brauchte ihre Konzentration. Noch vor dem Wochenende wollte sie Hagan zumindest wegen des längst fälligen Gesprächs gefragt haben. Er musste sein Buch beenden, Myrna hatte es erwähnt. Er war also beschäftigt, aber sie selbst war es ebenfalls. Sie brauchte Klarheit im Umgang mit seinem Sohn. Und für Montag hatte Grace, ihre neue Betreuerin, ihren ersten Besuch angekündigt. Bis dahin sollten zumindest die wichtigen Dinge besprochen sein, sie wollte keinen unsicheren Eindruck machen, sondern optimistisch und gut sortiert wirken. Heute also, spätestens aber am Samstag, musste sie Shays Vater irgendwie erwischen.
Mittlerweile fror sie ganz entsetzlich, und auch der Geruch des verbrannten Holzes, der sich kalt über Haut und Haare gelegt hatte, ging ihr auf die Nerven. Aber duschen würde sie ausgiebig am Morgen; bei der Kälte wollte sie nicht mit nassen Haaren ins Bett, außerdem brüllte ihr alter Fön lauter als der Sturm draußen. Das Handy zeigte kurz vor Drei an. Vier Stunden noch bis zum Aufstehen. Müde streifte sie ihre Strickjacke von sich und warf sie auf den Stuhl.
Ein Zug an der Strippe der Lampe, und die warm angeleuchteten Möbel und Wände verloren sich in nächtlicher Dunkelheit. Die Matratze fühlte sich kalt an, aber kein Windhauch drang jetzt mehr in ihre Bärenhöhle, die sich bestimmt bald aufwärmen würde. Sie spürte die Schwere der Decken über sich, zog sie bis über ihre Ohren. Sie mochte das, es gab ihr ein Gefühl von Sicherheit und Schutz. Die Schwärze des Raumes, der tosende Wind und die entfesselte Brandung da draußen konnten ihr nichts anhaben ... Wie ein uraltes Schlaflied schaukelte das Kommen und Gehen der Klänge sie in einen tiefen und traumlosen Schlaf hinein.
Ende Teil 27
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