(4/2) Shay
Das Eichhörnchen huschte über das Dach des alten Stalls; nur kurz leuchtete sein rostrotes Fell im Nebel auf, dann war es hinter dem Efeu verschwunden. Einige Sekunden später machte es einen Satz über die knorrigen Ranken hinweg und war wieder da. Jetzt hockte es auf den mit Moos überwachsenen Schindeln und putzte sich Stirn und Nase. Plötzlich hob es den Kopf und erstarrte in der Bewegung. Ein Baum streckte seine Zweige zum Dach hinüber; es sprang hinauf, lief einen gewundenen Ast entlang und tauchte ins Dickicht brauner Blätter und Zweige ein. In der Hoffnung, es noch einmal zu sehen, drückte Emma die Wange an die Scheibe und spähte zu dem niedrigen Gebäude hinüber. Suchend ließ sie den Blick über das Dach und die alte Eiche schweifen. Der dichte Nebel schien das Eichhörnchen verschluckt zu haben, es kam nicht zurück. Seufzend wandte sie sich vom Fenster ab.
Shay musste bald kommen. Hagan hatte gesagt, er wollte rechtzeitig zurück sein; sollte er es nicht schaffen, würde sie den Jungen allein begrüßen. Ein Taxi brachte ihn her, es musste bald soweit sein. Wenn der Zug sich nicht verspätete. Jemand hatte Shay nach Dublin begleitet und würde ihn wieder mitbringen, Hagan hatte es am Vorabend erwähnt. Aber wer es war, fiel ihr nicht mehr ein. Myrna Sullivan, die Zitronenkuchenfrau, war es jedenfalls nicht, sie hatte gestern in der oberen Etage herum gewerkelt und gesungen. Aber da sollte es ja auch noch "das Mädchen" geben, wer immer das sein mochte. Da Hagan sie "Mädchen" nannte und auch Ms Potts sie bereits so bezeichnet hatte, hoffte Emma insgeheim, sie möge ungefähr ihr Alter haben. Es war schön, wenn es in diesem Haus noch jemanden gab, der so jung war wie sie.
Das Warten machte sie zappelig. Sie trug bereits ihre Stiefel, die man ihr nach dem heftigen Regen gestern fürsorglich mit Zeitungspapier ausgestopft und an den Kamin gestellt hatte. Myrna musste es gewesen sein; Emma wollte sich bei ihr bedanken. Ein wenig nass war das Leder noch an den Fersen, die Socken fühlten sich klamm an. Aber draußen war alles durchgeweicht; mit ihren Sneakers würde sie dort bis zum Knöchel einsinken, und sie wollte ihnen doch entgegen gehen.
Mittlerweile steigerte sich ihre Aufregung in unvernünftige Höhen. Einerseits sorgte sie sich, weil Hagan ausgerechnet jetzt geschäftlich unterwegs war, wie er es genannt hatte; so musste sie ihre erste Begegnung mit Shay ganz allein managen. Sie hatte gehofft, er würde sie einander vorstellen und ihnen beiden den Anfang erleichtern. Aber andererseits war es vielleicht gar nicht verkehrt, wenn ihnen niemand zusah, während sie einander beschnupperten. Sie wollte alles gut machen, vom ersten Tag an, auf ihre Weise. So sehr sie Hagan und seine Bemühungen um seinen Sohn auch verstehen konnte: Es machte sie nervös, seine Hoffnung und Erwartung im Nacken zu spüren. Vielleicht war es sogar besser, wenn er heute noch eine Weile weg blieb.
Obwohl sie allein im Haus war, wagte sie nicht, sich an eines der Fenster zu stellen, die nach vorne hinaus sahen. Von dort würde sie das Taxi sehen können, wenn es ankam. Aber wäre es Myrna recht, wenn sie Räume betrat, in denen sie nichts zu suchen hatte - dazu mit diesen Stiefeln? Vorsichtshalber hatte sie entschieden, in ihrem Zimmer zu warten und aber die Tür offen stehen zu lassen. Über die Galerie würde sie hören, wenn jemand die Halle betrat. Die Haushälterin musste ebenfalls unterwegs sein, ihre Schritte waren zuletzt am Morgen auf den knarrenden Flurdielen zu hören gewesen. Da hatte Emma noch im Bett gelegen. Entweder bewohnte sie eines der anderen Zimmer auf dieser Etage, oder sie kam bereits sehr früh am Morgen hierher. Die Sandwiches, die es über Mittag gegeben hatte, waren von Hagan gemacht worden; Myrna schien bereits seit dem Vormittag unterwegs zu sein, seitdem hatte sie sie noch nicht wieder gehört - und gesehen erst recht nicht, sie waren einander ja noch garnicht begegnet. Heute würde es ganz sicher noch Gelegenheit geben, sie endlich zu begrüßen. Die Haushälterin musste wiederkommen, denn sie würde abends für alle kochen. Das hatte Hagan ihr gesagt, als er sich für die Sandwiches entschuldigte. Wenn diese Frau genauso gut kochte wie ihre Kuchen schmeckten, durfte sie sich auf den Abend freuen.
Ein leises Brummen schreckte sie aus ihren Gedanken auf. War das ein Motor? Angestrengt lauschte sie auf die Galerie hinaus. Eine Autotür schlug zu. Sie waren da! Schnell rieb sie die vor Aufregung feucht gewordenen Hände an ihrer Jeans ab, zog ihren Pulli zurecht und lief in eiligen Schritten aus dem Zimmer und an das Geländer. Obwohl unten die Vorhänge von den Fenstern zurück gezogen waren, lag die Halle in nachmittäglicher Dämmerung. Durch die Eingangstür drang eine weibliche Stimme. Einen Augenblick später wurde aufgeschlossen und eine üppige Gestalt schob sich durch den Rahmen. Ächzend ließ sie zwei Koffer auf den Boden fallen.
Die Frau trug eine Art Mantel mit Kapuze - und mit Ärmeln, die Emma an eine Fledermaus erinnerten. Der voluminöse Schal ging ihr bis unter das Kinn und ließ ihren Kopf klein wirken. Vielleicht lag es aber auch an den eng zusammen gefassten Haaren, die am Hinterkopf in einem zerzausten Dutt endeten. Sie nieste laut und stampfte auf der Matte den Schlamm von ihren Schuhen. Während sie das Cape aufknöpfte, streckte sie den Kopf zur offenen Tür hinaus. Ihre Stimme war kräftig, der Ton rustikal. "Shay? ... Shay! Du kommst erst einmal rein, hast du gehört? ... Was habe ich dir gesagt? Shay!"
Emma gab sich einen Ruck. Die Selbstsicherheit, die sie in Blick und Haltung legte, würde hoffentlich überzeugen. Die Dame mit dem Dutt hatte sich wieder in die Halle gewendet und sah verwundert auf, als da jemand die Treppe hinunter kam. Emma bemerkte den missbilligenden Blick, der ihre Stiefel streifte. Bereits deswegen vermutete sie, dass die überdimensionale Fledermaus Myrna Sullivan sein musste. Sie schien ein sehr ordentlicher Mensch zu sein und Dreck zu vermeiden, wo es ging. Ob dieser Eindruck der Realität entsprach, würde sich zeigen, aber dass es die backende Haushälterin war, stellte sich heraus, als Myrna sie ansprach.
"Ach, sieh an! Das neue Mädchen!" Sie schenkte Emma ein erschöpftes Lächeln, während sie sich umständlich bemühte, Schal und Mantel loszuwerden. Den linken Arm noch im Ärmel, streckte sie ihre große Hand, die einem Maurer Ehre gemacht hätte, zur Begrüßung aus. "Hallo, junge Dame. Ich bin Myrna Sullivan, aber hier werde ich Myrna genannt, also ..." Sie nickte in Richtung der Tür, die sich hinten bei der Feuerstelle befand. "Ich kümmere mich um das Haus. Und die Küche."
Ihre blass blauen Augen sahen aus, als ob ihnen nichts entging. Emma lächelte, nahm die dargebotene Hand und wollte gerade etwas sagen, als Myrna sich von ihr abwandte. Ihr donnernder Ruf erstickte Emmas Begrüßungsworte und ließ die Halle erbeben.
"Junge! Du hast Besuch! Sieh zu, dass Du 'rein kommst!" Ihr Lächeln wirkte entschuldigend. "Er braucht eine klare Ansprache. Sie ließ Emmas Hand los und spähte noch einmal zur Tür hinaus. Schließlich seufzte sie, trat in die Nische und hängte Mantel und Schal auf. "Gehen Sie ruhig, wenn Sie ihn holen wollen", warf sie über die Schulter. "Durchs Tor und dann immer nach rechts hinunter. Er ist im Wald. Da ist er immer."
Emma stand da und wusste nicht, was sie sagen oder tun sollte. Sie war nicht einmal zu Wort gekommen. "Ich ...", stotterte sie und ärgerte sich, dass ihre Stimme so schwach klang, "also, ich ... gehe dann mal nachsehen." Als sie schon halb durch die Tür war, lugte sie noch einmal um die Kante. "Ich bin Emma."
"Ja. Das weiß ich." Das Fragende in Myrnas Blick, als sie von den gerade ausgezogenen Schuhen zu ihr aufsah, war nicht zu deuten.
Puh! Das konnte ja gut werden! Jetzt war sie froh, dass sie bereits ihre Stiefel trug; so konnte sie nach dieser holprig geratenen ersten Begegnung mit Myrna der Situation schnell entfliehen.
Sie zog die Haustür hinter sich ins Schloss.
Die Luft war kalt und der feuchte Nebel kroch ihr bereits nach einigen Metern unangenehm in den Pullover. Gerade noch sah sie die Rückleuchten des Taxis, wie es durch das offene Tor verschwand; die Reifen hinterließen tiefe Spuren im Schlamm, sie begannen sich mit Wasser zu füllen. Bemüht, nicht auszurutschen, sprang Emma über die Furchen hinweg und lief im Trab durch das Tor hinaus. Auf dem Weg blieb sie stehen. Der Nebel ließ keine weite Sicht zu, aber er trug ihr die Geräusche des Waldes entgegen. Vielleicht würde Shay sich bemerkbar machen.
Erst vorsichtig, dann beherzter schritt sie auf dem matschigen Boden aus. Bald wechselte sie zur rechten Seite des Weges hinüber, wo es weniger Pfützen gab. Ringsum knarrten und knackten die Bäume, hektisches Flügelschlagen und verärgerte Krähenrufe drangen aus dem Wald heraus, aber auch das Meer war heute zu hören; ein fernes Brausen, stetig an- und abschwellend, ließ Emma gebannt lauschen.
Sie fror. Warum hatte sie nicht noch schnell ihre Jacke gegriffen! Gut - die Zitronenkuchenfrau mit den Maurerhänden hatte die Garderobennische blockiert. Das galt als Argument. Aber ansonsten war es immer dasselbe: Wenn sie sich durch jemanden überrascht fühlte, hatte sie ihren Kopf nicht mehr ganz beisammen und verhielt sich unlogisch oder gedankenlos. Irgendetwas passierte immer. Und diesmal fehlte ihr eben die Jacke.
Sie wollte gerade schneller gehen, sich warm laufen, da hörte sie ein Klopfen zu ihrer Rechten. Horchend blieb sie stehen. Da war es wieder. Es hatte einen Rhythmus. Zwei Schläge, eine Pause, dann wieder zwei und so fort.
Ob das der Junge war? Emma kletterte die niedrige Böschung hinauf und drang zwischen die Bäume. Das Klopfen kam von weiter drinnen - von wo genau, ließ sich kaum sagen, denn es hallte von allen Seiten wider und der Nebel behinderte die Sicht hier noch stärker als auf dem Weg. Aber so, wie es klang, war es kein Tier und erst recht keine Maschine; es hatte etwas "Handgemachtes", es wirkte menschlich.
Damit er sie nicht zu früh bemerkte, vermied Emma auf morsche Zweige zu treten. Sie wollte nicht, dass ihr erster Kontaktversuch in seiner Flucht endete. Nach dem, was Hagan erzählt hatte, konnte sie sich vorstellen, dass er wohl nicht sehr wild darauf war, sein nächstes Kindermädchen kennenzulernen. Vorsichtshalber rechnete sie mit allem.
Das Geräusch klang nun sehr nahe, aber noch immer sah sie ihn nicht. Erst als sie vorsichtig um ein dorniges Gestrüpp lugte, entdeckte sie ihn. Er musste es sein - er hatte dieselbe Haltung wie sein Vater. Und dieselben großen Augen, hell und mit dieser eigenartigen Abwesenheit im Blick. Nebelkind, dachte Emma im ersten Moment, als sie seine dürre und blasse Gestalt, das zarte Gesicht und die knochigen Hände in Augenschein nahm. Shay Nebelkind. Das war er also.
Er schien sie nicht bemerkt zu haben, so sehr war er auf den Stock fokussiert, mit dem er auf den Stamm einer Buche einschlug. Wieder und wieder, mit ernstem Gesicht und zusammen gekniffenen Lippen, holte er von der Seite aus. Zwei Schläge, Pause, zwei Schläge, Pause. Er wirkte konzentriert und ganz in sein Tun versunken; die dunklen Haare, die ihm in Locken bis auf die Schultern hingen, umrahmten das hübsche ovale Gesicht, die blasse Haut stand in starkem Kontrast zur dunklen Kleidung. Trotz der ungemütlichen Kälte trug er nur ein Sweatshirt mit Kapuze.
Emma trat einen, zwei Schritte aus ihrem Versteck heraus, dann blieb sie stehen. Sie wollte sicher gehen, dass er sie sah, bevor sie ihn ansprach.
Der Stock hielt in der Luft an. Sein Gesichtsausdruck, als er sich ihr zuwandte, konnte alles Mögliche bedeuten; allerdings schien er sofort zu erraten, wer ihn da störte. Sein Blick hatte etwas Wissendes. Gerade wollte Emma sprechen, da hob er seinen Stock und setzte fort, was er zuvor getan hatte.
Vorsichtig trat sie näher heran. "Hey ... hallo. Ich bin Emma."
Er reagierte nicht. Er sah nicht einmal mehr zu ihr hinüber. Was er über sie wissen wollte, schien er bereits erfasst zu haben.
"Du weißt, wer ich bin?"
Wieder gab es keine Antwort. Und weiter schlug er gegen den Baum, zwei Schläge - Pause. Zwei Schläge - Pause. Er nahm jetzt beide Hände, die Schläge wurden kräftiger.
"Gut, du weißt es also." Sie bemühte sich, ihre Stimme so freundlich wie möglich klingen zu lassen. "Und ich ... ich weiß auch, wer du bist."
Ein missmutiger Blick schoss zu ihr herüber. "Kunststück. Mein Vater hat es dir gesagt." Er schlug weiter auf den Baum ein.
Auch wenn er sie nicht ansah, nickte Emma. "Ja, das ist richtig. Und ganz bestimmt hat er dir auch von mir erzählt." Einige Sekunden lang sah sie zu, wie er unermüdlich weiter den Baum bearbeitete. Dann wagte sie sich etwas weiter vor. "Warum machst du das?" Der ruhige und neutrale Ton, in dem sie sprach, sollte ihm zeigen, dass sie in Ordnung fand, was er da tat. Sie war nur neugierig.
Er schien nicht antworten zu wollen, aber seinem Gesicht war anzusehen, dass er nachdachte. Schließlich hörte er einen Moment auf, wischte sich mit dem Ärmel die Nase und erklärte knapp und klar: "Ich probiere aus, wann der Stock kaputt geht."
Wirklich? Er soll kaputt gehen?" Sie tat, als ob sie überlegte. "Vielleicht ist er ein bisschen zu stark?"
Er lachte auf. Seine Augen blieben dabei erschreckend ernst. "Der Stock - stärker als ich?"
Emma zuckte mit den Schultern. "Ich weiß nicht ... Vielleicht brauchst du auch nur etwas anderes, worauf du ihn schlagen kannst." Sie ging einige Schritte und sah sich unter den Bäumen um. Bei einem Busch ragte ein halber Meter Mauerwerk aus dem Boden heraus. "Und wenn du es hier versuchst?"
"Nein! Da nicht ... das geht nicht!"
Seine Stimme klang auf einmal hell und schrill.
Sie war über seine heftige Reaktion erstaunt. "Hast du es an der Mauer denn schon einmal versucht?"
Er kniff die Lippen zusammen und schüttelte den Kopf. Der Stock hing ihm locker in der Hand, er schien sich fürs Erste genug abgekämpft zu haben. Eine seiner dunklen Locken klebte ihm an der Stirn.
Insgeheim glaubte Emma ihm nicht, dass das Zerbrechen dieses Stocks tatsächlich nur als eine Art Experiment gemeint war. Er schien wütend; vielleicht war er wegen des neuen Kindermädchens gar nicht erst mit Myrna in Haus gekommen, sondern aus dem Auto heraus direkt hierher geflüchtet. Er sollte wissen, dass es kein Problem war, wütend über ein Kindermädchen zu sein, das einem einfach so herbestellt wurde, ohne dass man ihn fragte. "Vielleicht klappt es ja an der Mauer", ermutigte sie ihn. "Ich würde es mal ausprobieren. Und wenn es nicht geht, suchen wir andere Stöcke - bis wir einen haben, mit dem es klappt."
Shay stand da und regte sich nicht. Er starrte auf das Mauerstück. Sie wollte ihm schon vorschlagen, dass sie ein paar Stöcke mitnehmen könnten, um sie im Kamin zu verbrennen, da sagte er leise: "Wir dürfen da nicht draufschlagen. Niemand darf das."
"Auf die Mauer? Aber warum denn nicht? Das ist nur ein Haufen alter Steine. Die braucht niemand mehr."
Langsam wandte er den Kopf. Seine Augen waren groß, als er sie ansah. "Sie hat es verboten", flüsterte er. "Sie will das nicht."
Sein Gesicht war so blass und ernst, seine Worte so eindringlich, dass Emma unwillkürlich schauderte. Ihr war kalt. "Warum", fragte sie zurück, auch sie flüsterte jetzt. "Warum will sie nicht, dass du den Stock gegen die Mauer schlägst?"
Er zögerte. Der Ernst, der in seiner Mimik lag, stand in starkem Kontrast zu seiner dünnen Gestalt und seinem jungen Alter. Er schien mit sich zu ringen, sie sah es ihm an. Er wollte sich anvertrauen, aber etwas hielt ihn zurück.
"Du kannst es mir ruhig sagen. Ich bin für dich hier, ich sage es niemandem. Versprochen."
Er atmete zitternd ein, zog die schmalen Schultern hoch, als wollte er sich schützen. "Sie ... sie will es nicht. Wegen Davy."
Emma spürte, wie ihr das Blut aus dem Gesicht wich. "Welcher Davy", brachte sie tonlos hervor. Ihr Mund wurde trocken, ihr war schwindelig. "Ist Davy ... dein Freund?"
Sein unsicheres Kopfschütteln und der fragende Blick ließen vermuten, dass er es nicht genau wusste. Oder er flunkerte sie an. Seine Antwort verblüffte sie.
"Davy ist nicht mein Freund. Der ist viel zu klein, ich bin ja schon sieben. Außerdem ist er bei den Elfen." Er zeigte zu den steinernen Überresten hinüber. "In der Mauer."
"Ach so", sagte Emma und bemerkte erleichtert, wie sich der Stein in ihrem Magen aufzulösen begann. Was dieser Junge sich einfallen ließ! Natürlich meinte er einen ausgedachten Davy. Einen, den seine Fantasie sich zusammen gesponnen hatte. Sie wies durch den Nebel, in die Richtung, in der der Weg lag. "Wir sollten jetzt besser zurück gehen. Es ist kalt. Du hast nicht einmal eine Jacke an."
"Du ja auch nicht", konterte er und betrachtete sie neugierig. "Du zitterst."
Dass er das bemerkte! Sie musste weg aus diesem Waldstück. Zurück ins Warme. Wo Menschen waren. "Du hast recht, mir ist verdammt kalt", gestand sie ein und war froh, dass sie das Thema wechselten. "Na komm, lass uns gehen." Sie schob ihn an der Schulter zwischen den Bäumen hindurch. "Nimm deinen Stock ruhig mit. Wenn er so stabil ist, können wir nachher damit vielleicht noch etwas Tolles machen. Aber lass uns erst einmal nachsehen, ob dein Vater schon zurück ist."
"Wieso? Willst du mit ihm reden?"
Beinahe war es, als fühlte er sich schuldig. Auf seinen ängstlich fragenden Blick reagierte Emma intuitiv. Sie lächelte. "Nein, das will ich nicht. Es gibt nichts mit ihm zu bereden. Ich dachte nur, es wird ihn freuen, dich wieder zu sehen, immerhin warst du eine Weile weg."
Er entgegnete nichts und sie ließ ihn in Ruhe. Dass sie überhaupt so weit miteinander gekommen waren, war bereits einen Erfolg zu nennen.
Mühsam kraxelte Emma die rutschige Böschung hinunter, während Shay mit merklichem Stolz in einem einzigen Satz hinab sprang und am Wegrand auf sie wartete. "Wer zuerst an der Tür ist", rief sie und sah mit Freude, wie seine Augen zu glänzen begannen. Er zögerte noch einen Moment, da sie einen jungen Buchenstamm umklammerte, um sich daran auf den schlammigen Weg hinunter zu lassen, aber dann erkannte er seinen Vorteil und lief los, ohne länger auf sie zu warten.
Sie kam kaum hinterher - und das war nicht einmal Absicht, um ihn gewinnen zu lassen; sie befürchtete auf dem Weg auszurutschen. Offenbar hatte er die besseren Stiefel und ganz sicher war er die Bodenverhältnisse gewöhnt. Sie freute sich, dass es scheinbar etwas gab, was er gerne mochte und worin er aufging; sie nahm sich vor, es in den nächsten Tagen wieder aufzugreifen. Aber wie er da an dem Baum gestanden hatte ... er wirkte so zerbrechlich und einsam. Sie wollte sehen, was sich machen ließ, damit er sich bald stärker und sicherer fühlen konnte. Um dann, eines Tages, stark genug für die Wahrheit zu sein.
Ende Teil 21
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