Chào các bạn! Vì nhiều lý do từ nay Truyen2U chính thức đổi tên là Truyen247.Pro. Mong các bạn tiếp tục ủng hộ truy cập tên miền mới này nhé! Mãi yêu... ♥

(3/7) God's Eye

Der Wind blies ihr unangenehm in die Jacke. Am Himmel schoben sich die Wolken zu einer düsteren Masse zusammen, die Sonne versteckte sich dahinter. Das Meer wirkte jetzt aschegrau, von dem transparenten Türkis und Flaschengrün, das ihr so gut gefallen hatte, war nichts mehr zu sehen. Wie gerne hätte sie noch einen Spaziergang am Strand entlang gemacht! Es war vernünftig, diesen auf einen anderen Tag zu verschieben. Die Anis Bonbons schmeckten wunderbar, das konnte eine neue Lieblingssorte werden. Wenn sie sie in diesem ulkigen Laden bekam, war Dunfanaghy allein deswegen bereits kein Ort, den sie nur einmal besuchen würde. Sie musste sowieso wieder herkommen.

Das Wetter wirkte immer bedrohlicher. Sie hatte eine gute Strecke vor sich, dazu bergauf und über ungeschütztes Land, das konnte ungemütlich werden. Trotzdem war sie froh, dass sie den Ausflug gewagt hatte; ein wenig mit sich allein zu sein, nicht reden zu müssen und das Meer gesehen zu haben hatte ihr gut getan. Während sie am Strand entlang lief, hielt sie Ausschau nach dem kleinen Pfad, der sie in die Bucht hinunter gebracht hatte. Die Abdrücke ihrer Stiefel im regenfeuchten Sand führten sie schließlich an eine Gruppe mächtiger Felsbrocken heran, dahinter ging der schmale Weg zur Anhöhe hinauf.

Zu ihrem Glück begann der Wind tatsächlich zu drehen. Er kam jetzt von der Seite - und nicht von vorne, wie sie es für den Rückweg befürchtet hatte. Sie stopfte ihren Zopf unter den Schal, vergrub die kalten Hände in den Taschen ihrer Jacke und machte sich an den Aufstieg.
Sobald sie die Höhe erklommen hatte, schnitt ihr die Kälte scharf ins Gesicht und sie spürte erste Regentropfen auf Stirn und Wangen. Trotz der anhaltenden Steigung ging sie schneller; die verdorrte Heide ringsum zitterte unter den Böen, stoßweise fegten sie über die kahle Gegend hinweg. Den Blick entschlossen vor sich auf den Asphalt der Straße gerichtet stapfte sie mit hochgezogenen Schultern bergan. Ihr war klar, dass sie wohl kaum trocken in Shadow Hall ankommen würde. Ihre Dusche fiel ihr ein. Ihr wunderschönes, kleines, altmodisches Bad - das erste in ihrem Leben, das sie ganz für sich allein hatte. Sie würde heiß duschen, wenn sie zurück war. Der Gedanke daran wärmte sie jetzt bereits und ließ sie lächeln.

Es wurde schlimmer als sie gedacht hatte. Bald kam der Wind im Wechsel von vorne und von der Seite, eisig war er und unberechenbar wie eine Herde Wildpferde. Sie musste den Mund schließen, damit es ihr den Atem nicht unangenehm wieder in die Lungen zurück drückte, ihre Haare trieften von dem schräg herab strömenden Regen und sie spürte, wie die Nässe mehr und mehr durch die Schulterpartien ihrer Jacke drang. Der Weg kam ihr auf einmal so viel länger vor als sie ihn in Erinnerung hatte. Und wie dunkel es um sie war! Die Wolkendecke hing jetzt so tief über dem Land, dass kein Licht mehr hindurch kam.
Einmal überholte sie ein Fahrzeug und sie hörte es nicht rechtzeitig, weil das Brausen des Windes ihr so laut in den Ohren lag; der Fahrer wich zur Seite aus und erwischte eine große Pfütze, die Emma gerade umlaufen wollte. Bis in Bauchhöhe spritzte ihr das Wasser an die ohnehin schon klitschnasse Jacke. Das gab ihr endgültig den Rest. Mit einem wütenden Aufschrei sprang sie zur Seite, stolperte in die rutschige Heide hinein und fiel auf den Hintern. Der Fahrer hatte es sicher nicht böse gemeint, er hätte sie ja schlecht überfahren können. Nach vorne und auf den Weg konzentriert schien er nicht zu sehen, dass ihre Begegnung sie umgeworfen hatte.

Trotzdem: Sie war bedient. Mühsam rappelte sie sich vom Boden hoch, wischte sich das Regenwasser aus dem Gesicht und sah den Scheinwerfern des Wagens nach. Es nützte nichts, sie musste weiter.
Die auf den Beinen klebende Hose und das nasse Quietschen in den Stiefeln ignorierend schritt sie weiter aus, bewegte sich schneller. Wie lange sie bereits unterwegs war und wie weit es noch sein würde, dafür war ihr jede brauchbare Einschätzung abhanden gekommen. Sie wusste nur eines: dass die Richtung stimmte. Auf dem Weg zur Küste hatte es nur eine einzige Abzweigung gegeben, und die hatte sie bereits kurz hinter Dunfanaghy hinter sich gelassen. Sie konnte sich hier nicht verlaufen. Sie musste nur der Straße und der stetigen Steigung folgen.

So weit man über das Land sehen konnte, breiteten sich dunstige Flächen in den niedriger gelegenen Bereichen aus. Auf einmal sah sie höchstens noch zwei bis drei Meter weit, und auch nur, wenn sie auf den Boden vor sich blickte. Die Hügel und Täler, die Heide und die vereinzelten Felsbrocken und Büsche links und rechts des Weges, alles verschwand im dämmrigen Nichts; selbst den Regen konnte sie nun mehr spüren als sehen. Es war, als wollte es schon dunkel werden, dabei durfte es höchstens Mittag sein.
Warum hatte sie sich ausgerechnet an ihrem ersten Tag entschieden, auch noch den Weg nach Dunfanaghy zu wagen? Sie machte sich Vorwürfe, dass sie nach ihrem Ausflug an die Klippen nicht direkt wieder zum Haus zurück gekehrt war. Sie hatte den dichten Nebel im Wald gesehen, dazu die vielen Wolken; das wenige Blau am Himmel und die Sonne, die ab und zu durchkam, hatten sie aber verlockt, dem Wetter zu vertrauen. Dabei war dies das erste, was sie über Irland gelesen hatte: dass das Wetter auf der Insel wechselhaft und unberechenbar war. Ihre wohlverdiente Lektion goss ihr der Himmel nun direkt über dem Kopf aus.

Plötzlich tauchten vor ihr Scheinwerfer auf. Über der unebenen Straße schaukelten sie auf und nieder. Als sie näher kamen, drang das Brummen eines Motors an ihre Ohren. Das Licht begann sie zu blenden; sie blinzelte unter den strömenden Wassermassen hinweg und bemühte sich die Augen nach vorne gerichtet zu halten; diesmal wollte sie aufpassen, wohin der Fahrer auswich, um ihm nicht direkt vor den Wagen zu laufen. Aber er wich nicht aus. Er wurde langsamer und kam schließlich wenige Meter vor ihr zum Stehen.

Auch Emma hielt an, starrte abwartend auf die hektisch arbeitenden Scheibenwischer. Dahinter blieb der Fahrer unsichtbar. Sie erwartete, dass er weiter fuhr, aber das tat er nicht. Schließlich wurde ihr die Situation zu blöd. In sicherem Abstand zur Fahrerseite stapfte sie durch die nasse Heide und wollte hinter dem Auto gerade wieder auf die Straße zurück kehren, als sie in ihrem Rücken die Fahrertür hörte.

"Hey! Soll ich dich mitnehmen?"

Überrascht wandte sie sich um. Sie strich sich die nassen Strähnen aus dem Gesicht und schützte ihre Augen mit der Hand. War das nicht ... der Elfenjunge? Die Dämmerung machte es schwer, sein Gesicht zu erkennen, aber die Stimme war ihr zumindest im ersten Augenblick bekannt vorgekommen.

"Ich bin' s, Cillian", ertönte es gegen das Motorengeräusch. "Der Typ mit den vielen Fragen. Wir sind uns vorhin an den Klippen begegnet." Trotz des peitschenden Windes und des Regens, der herunter strömte, hielt er die Wagentür offen und beugte sich weit hinaus, damit sie ihn erkennen konnte.

Emma zögerte. Sollte sie einsteigen? Immerhin kannte sie ihn gar nicht.

"Hey, Mädchen ohne Antworten! Was ist nun? Soll der Typ mit den Fragen dich zurück fahren oder nicht?"

Sie fror unter der nassen Jacke. Die Stiefel waren durchgeweicht. Ihre linke Socke hatte sich verabschiedet.

Er lächelte spitzbübisch. "Du weißt, du bist so gut wie tot, wenn du einsteigst. Ich bin der Axtmörder vom Horn Head. Darum frage ich so nett, das dient meiner Tarnung. Also ... lass dir beim Überlegen nur Zeit. Viel nasser kannst du ja nicht werden. Und ich bald auch nicht mehr."

Emma zitterte. Seit sie stehen geblieben war, wurde ihr von Sekunde zu Sekunde kälter. Trotzdem musste sie bei seinen Worten lächeln. Er hatte ja recht. Sie machte einige Schritte auf ihn zu. Seine lockigen Haare klebten ihm bereits auf der Stirn.
"Aber du fährst in die falsche Richtung", rief sie gegen den Wind an und wies unbeholfen hinter sich. "Ich muss da lang. Zum Horn Head."

Als er im Innern des Fahrzeugs verschwand und die Tür hinter sich zu zog, dachte sie schon, er würde wegfahren - bis einen Moment später die Tür zur Beifahrerseite aufflog. Eilig lief sie um den Wagen herum und zur offenen Seite hinüber.

"Ich wollte nach Dunfanaghy", rief er zu ihr hinaus, "ein Päckchen von der Post abholen. Aber es ist nicht eilig. Ich fahre dich eben erst hoch."

Umständlich stieg sie ein, warf die Tür zu und wand sich auf dem Sitz zurecht. Der Regen prasselte laut auf das Dach, die Scheibenwischer kamen gegen die Sturzfluten kaum an. Sie versuchte die nassen Hände an der noch nasseren Hose trocken zu reiben.

"In der Tür sind Taschentücher."

Mit klammen Fingern fischte Emma nach dem Paket, nahm zwei heraus und wischte sich das Gesicht trocken.
"Danke. Ich habe das Wetter unterschätzt." Sie warf ihm einen scheuen Blick zu.

Neugierig betrachtete er sie. Sein Blick ging über ihr Gesicht und die nassen Haare. "Das kommt vor. Willkommen auf der grünen Insel. " Ein Lächeln wollte in seinen Augen aufsteigen, doch dann wechselte der Eindruck und sein Blick erhielt plötzlich etwas Grüblerisches.
"... Ungarn? ... Polen? Oder Deutschland?"

Jetzt musste Emma lachen. "Ja!" Sie nickte. "Deutschland."

Sein Grinsen war ansteckend. "Deutschland. Dachte ich 's mir doch."

Er brachte das Fahrzeug in Gang und wollte gerade wenden, als Emma sich sagen hörte: "Wenn du nur zur Post musst ... du kannst auch erst das Paket abholen. Es ist ja nicht weit bis nach Dunfanaghy." Ein Tropfen rann ihr aus dem Haaransatz und über Stirn und Nasenrücken. Sie wischte ihn weg und sah ihn direkt an. "Ich kann eben warten. Es sei denn, du wolltest danach noch weiter ...?"

Er schüttelte den Kopf. "Nein, es ist nur das Paket. Dann muss ich wieder zum Horn Head hoch." Sein Blick ging noch einmal über ihr Gesicht, prüfend diesmal. "Willst du nur höflich sein? Oder hast du wirklich noch Zeit? Eben schienst du es eilig zu haben."

"Ja, ich hatte es eilig", erklärte sie mit einem Anflug von Ironie. "Da draußen schüttet es nämlich aus Eimern, sicher hast du das bemerkt. Kein Wetter zum Spazierengehen." Sie wunderte sich, wie locker sie mit ihm sprach. Aber warum bot sie an, mit ihm nach Dunfanaghy zu fahren? Sie musste zurück, es war spät genug. "Nein, das ist wirklich kein Problem. Lass uns eben erst zur Post fahren. Dann musst du hinterher nicht extra noch einmal los."

Er nickte zustimmend. "Wie du meinst."

Langsam fuhr er durch ein Schlagloch hindurch, dann gab er Gas und lotste den Wagen zügig durch die Wasserwand. Er streckte die Hand aus, klickte an irgendeinem Schalter herum und einige Sekunden später spürte Emma, wie ihr herrliche Wärme den Rücken hinauf zu kriechen begann. Dankbar schmiegte sie sich in die beheizte Rücklehne ihres Sitzes hinein. Als er die Lüftung ausrichtete, wurden die beschlagenen Scheiben klar.
Der Wagen schaukelte, das Gummi der Scheibenwischer verursachte fluppende Geräusche, der Motor brummte angestengt und das Gebläse pustete ihr warme Luft entgegen.
Emma begann sich zu entspannen. Als sie aus der Senke heraus kamen und sie den Blick hob, blieb ihr der Mund offen stehen. Über der Bucht tat sich ein beeindruckendes Szenario auf. Die im Bogen verlaufende Küste hob sich als dunkle Silhouette von Meer ab; das aufgewühlte Wasser war so viel heller als der Himmel, es glänzte silbern unter den tief grauen Wolken. Zur linken Seite, in Richtung des Horn Heads, waren sie beinahe schwarz und verschmolzen mit dem hügeligen Land. Genau in der Mitte des Panoramas war die Wolkendecke aufgerissen und goldene Strahlen kamen daraus hervor. Emma musste an ein Ufo denken, so überirdisch wirkte das gebündelte Licht über den Wellen.

Cillian duckte sich in seinem Sitz und sah zum Himmel hinauf. Das grelle Licht fing sich in seinen Augen und brachte das Silber darin hervor. Er zeigte voraus. "God' s eye", sagte er. "Das Auge Gottes. So nennen wir das."

Sie wusste nichts zu sagen, sie staunte nur. Aus dem Augenwinkel sah sie, wie sein Blick kurz zu ihr hinüber ging; sie hoffte, dass er auch ohne ihr Feedback wusste, wie sehr sie das Schauspiel, das vor ihnen stattfand, beeindruckte. Sie hatte nicht den Mut, ihn noch einmal anzusehen. Auf keinen Fall sollte er denken, dass er ihr gefiel. Oder ehrlicher gesagt: Er sollte es ihr nicht anmerken.

Es war beinahe schade, dass Himmel und Meer aus ihrem Blickfeld verschwanden, als sie in den Ort hinein fuhren. Gerne hätte sie noch länger beobachtet, wie der stürmische Wind die Wolken verschob und sich dabei Farben und Licht stetig veränderten. Die Heizung in ihrem Rücken und die immer kuscheliger werdende Luft im Wagen hatten bewirkt, dass sie sich trotz der nassen Sachen wohl zu fühlen begann - wohl genug, um hier mit ihm noch ein bisschen länger durch die Gegend zu fahren. Er war freundlich und aufmerksam und sie verstand langsam, sie brauchte vor ihm keine Angst zu haben. Sogar seine Witze verstand sie. Das war durchaus bedeutsam, denn es gehörte zu den von ihr am meisten gehassten Situationen, dass jemand einen Witz machte und sie die einzige war, die diesen nicht verstand. Seine Witze hatten etwas Nettes, auch wenn er sich dabei zumeist auf ihr Verhalten bezog; er machte das auf eine so charmante und selbstverständliche Art, dass sie ihm nicht böse sein konnte.

Der Wagen hielt am Straßenrand. Cillian murmelte ein knappes "Bin gleich wieder da" und stieg aus. Emma beobachtete, wie er über die Straße lief. Sie mochte das erdige Graugrün seines Pullovers. Und seinen Rücken darin. Er wirkte sportlich. Was er wohl machte - hier in dieser Gegend? Oder hatte er frei, Urlaub vielleicht, und arbeitete ansonsten irgendwo in der Stadt? Sie konnte sich keinen Beruf vorstellen, der zu ihm passte. Er war so ... märchenhaft. Die wenigen Eindrücke, die sie von ihm hatte, brachten ihn in ihrer Fantasie jedenfalls eher in die Nähe irgendwelcher Pixies und Elfen, die in den Wäldern lebten.

Neugierig sah sie sich im Auto um. Ob es seines war? Es schien älter zu sein, dazu nicht besonders gepflegt. Mehr ein Nutzding als etwas, das Prestige zeigen sollte. Hier und da gab es staubige Flächen auf den Armaturen und der Bezug des Lenkrads wirkte abgenutzt. Das Fahrzeug wurde offenbar viel gebraucht, was in dieser Gegend logisch war. In der kleinen Ablage zwischen den Vordersitzen lag ein Schlüsselbund mit einem silberfarbigen Anhänger, der aus drei miteinander verbundenen Spiralen bestand - und daneben ein unsauber zusammen gefalteter Zettel. Darauf war nicht viel zu erkennen. Nur den Bruchteil irgendwelcher hingeschmierten Worte konnte Emma entziffern, so wie er da lag ... und dazu eine Zweiunddreißig. Eine Drei und eine Zwei ... Irgendetwas brachte der Anblick der beiden Zahlen in ihr zum Klingen.

Bevor sie rätseln konnte, woran die Zahl sie erinnerte, tauchte Cillian vor dem Postgebäude wieder auf. Er trug ein Paket unter dem Arm. Als er mit eiligen Schritten über die Straße spurtete, langte sie hinüber und öffnete ihm die Fahrertür.


Auf dem Rückweg sprachen sie nicht. Still fuhren sie der düsteren Wand des Himmels entgegen, die sich über dem Land zusammen gebraut hatte. Das Gummi  des Scheibenwischers quietschte, der Motor brummte, der Regen prasselte. Cillian fuhr in mäßigem Tempo; er schien sich Zeit zu lassen und das war Emma recht. Die Heizung wärmte sie, an ihre verwurschtelte und klitschnasse Socke hatte sie sich gewöhnt. Sie genoss die Fahrt durch die karge Landschaft, das Ruckeln des Wagens, wenn die Reifen auf die zahlreichen Unebenheiten der Straße trafen. Und seine Gegenwart. Sie wusste nichts von ihm - nur, dass er eine Vertrautheit und Ruhe ausstrahlte, die sich irgendwie auf sie übertrug.

Als sie das Ende des asphaltierten Weges erreichten und er plötzlich anhielt, erwachte sie aus ihrer Trance. Erwartungsvoll sah er zu ihr herüber.
"Und jetzt? Wohin darf ich dich bringen?"

Ihre Stimme war eingerostet, sie räusperte sich. Richtig, sie hatte ihm ja gar nicht gesagt, wo sie wohnte. "Ich ... ich muss nach Shadow Hall."

Er lachte leise auf. "Du musst? Ist es so schlimm?" In seinen Augen stand eine irrsinnige Mischung aus Schalk und Mitgefühl.

"Oh nein", beeilte Emma sich zu sagen, "so schlimm ist es nicht." Sie musste lachen. "Jedenfalls bis jetzt nicht!" Als er nichts sagte, schob sie erklärend nach: "Ich arbeite dort. Ich bin das Kindermädchen des Jungen von Mr. Ò Briain."

Die Nachdenklichkeit, die sie bereits öfters an ihm wahrgenommen hatte, sah ihr auch jetzt wieder aus seinen Augen entgegen. "Ich weiß", sagte er leise.

"Du weißt das? Aber woher?"

Er wandte den Blick ab, griff nach dem Schlüsselbund mit dem Anhänger und stopfte ihn sich in die Hosentasche. "Weil der Herr Ò Briain ungern Gäste empfängt. Wer hier herum läuft, ist entweder verwandt - oder er arbeitet dort. Und ich kenne ... die Geschichte."

"Bist du mit den Ò Briains verwandt?"

Er schüttelte knapp den Kopf und wies in den Wald hinein. "Ich kümmere mich um den Garten von Blackthorn Manor."

Blackthorn Manor. Das musste in dem Waldstück liegen, in dem er am Morgen verschwunden war. Dann waren sie sozusagen Nachbarn - jedenfalls beinahe, oder besser gesagt, wenn er dort arbeitete. Jetzt, im November, hatte er dort sicher nicht viel zu tun.
Emma wusste nichts mehr zu sagen, darum nickte sie nur. Gerne hätte sie gewusst, ob diese Arbeit eine Freizeitbeschäftigung oder sein Beruf war, aber sie traute sich nicht zu fragen. Sie wollte nicht zu neugierig erscheinen. Was er in seiner Freizeit tat oder womit er sein Geld verdiente, ging sie nichts an.

Langsam, beinahe im Schritttempo, fuhren sie in den Wald hinein. Vor ihnen lag die Wolke aus dichtem Dunst. Cillian gab sich Mühe die tiefen, nun vollständig mit Wasser gefüllten Furchen zu umfahren, damit sie nicht steckenblieben. Nach einigen Hundert Metern erschienen Teufel und Schlange auf ihren Pfeilern vor ihnen; die Dunkelheit unter den Bäumen und der dichte Nebel ließen sie aussehen wie unheimliche Scherenschnitte. Die Details waren nicht erkennbar. Als schattige Silhouetten zogen sie an ihnen vorbei.

"Und?" Cillian warf ihr einen fragenden Blick zu.

"Was - und?"

"Na, wie es dir gefällt. Ist es dir nicht zu düster?"

Emma wusste nicht, was sie antworten sollte. "Ich ... habe es mir nicht ausgesucht. Es war Zufall, dass ich hier gelandet bin. Die Familie ist mir vermittelt worden." Sie dachte über seine Frage nach. Gerade jetzt fuhren sie an der Stelle vorbei, an der sie die Frau gesehen hatte. "Also ... nein. Ich denke, nicht. Es ist sehr still hier, aber nicht ... düster. Mr. Ò Briain ist sehr nett und ich mag alte Häuser."

Sie hielten an. Das Lied des Regens trommelte in ihre Gedanken hinein und einen Moment herrschte Stille zwischen ihnen, während sie in ihren herrlich heiß eingestellten Sitzen saßen und der Anblick des Anwesens hinter den langsam beschlagenden Scheiben verschwamm. Emma wollte nicht aus ihrem warmen Sitz heraus, aber sie musste.

"Also dann ... ich muss los. Man erwartet mich sicher schon. Vielen Dank!" Sie lächelte. "Es war ein Glück, dass du gerade vorbei kamst und angehalten hast. Das war ... super nett."

Er nickte ernst. "Gerne." Und wieder dieser nachdenkliche Blick. Er blinzelte langsam - so wie er es hinter dem Ilex Busch getan hatte.
"Cillian."

Es dauerte einen Augenblick, bis sie begriff, was er meinte. Sie spürte, wie es ihr Gesicht heiß überflutete. Die Rücklehne wurde ihr auf einmal zu warm.
"Oh, bitte entschuldige ... Emma! Emma Sperling. Aus Bremen. Das liegt in Norddeutschland."

Er lachte dieses warme Lachen, an das sie sich zu gewöhnen begann. "Also gut, Emma Sperling. Aus Bremen. In Norddeutschland." Ihren Nachnamen sprach er mit irischem Akzent aus und mit dem "sch" in "Norddeutschland" hatte er ernsthafte Probleme. Er zwinkerte ihr zu. "Hätten wir das also doch noch geschafft."

Sie wusste gar nicht, was sie sagen sollte. Er hatte ja recht! Sie hätte sich gleich vorstellen sollen, als er ihr anbot mitzufahren! Oh, sie wollte nicht unhöflich sein - es war nur so, dass diese üble Unsicherheit sie immer wieder derart überwältigte, dass sie die wesentlichen Dinge vergaß oder nicht gebacken bekam. Sie tastete nach dem Türgriff.
Also ... vielen Dank nochmal", murmelte sie und wagte nun erst recht nicht mehr, ihn anzusehen. Sie wusste, die Röte in ihrem Gesicht war noch da. Sicher lachte er jetzt innerlich über sie. Und wenn es so war, hatte sie sogar Glück. Er konnte sie auch schlichtweg doof finden, das wäre die Alternative. Sie hatte jedenfalls beide ihrer Begegnungen vermasselt. Sie stieg aus, lächelte noch einmal in den Wagen hinein, dann schloss sie die Tür. Sein Gesicht hatte sie nur noch schemenhaft wahrgenommen. Ob er zurück gelächelt hatte, wusste sie nicht.

Als sie sich zum Haus wandte, erwartete sie, dass er hinter ihr den Motor startete, aber sie hörte keinen Ton; nur die Bäume rauschten im Wind und der Regen prasselte auf die verdorrten Blätter. Er war also noch da. In dem angespannten Bewusstsein, dass er sie beobachtete, stapfte sie durch die Pfützen, die sich überall auf dem Vorplatz gebildet hatten. Wenn sie jetzt auch noch über ihre Stiefel stolperte oder im Matsch ausrutschte und hinfiel, würde sie sich für den Rest ihrer Zeit in Shadow Hall einen Schnurrbart ankleben und ihre Identität verleugnen, damit sie ihm nicht wieder in die Augen sehen musste. Und das wäre schade, gestand sie sich ein, während sie die letzten Meter bis zur Treppe zurück legte. Denn seine Augen, die gefielen ihr bereits seit dem Morgen.

Ende Teil 19


Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro