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(3/4) Cillian

Zum ersten Mal sah sie den Hof bei Tageslicht. Und da vorne, ganz links, war der Brunnen. Er verschwand beinahe in den ersten Bäumen. Zügig schritt sie aus, bis sie die ungefähre Mitte des Platzes erreicht hatte, dann erst wandte sie sich um.

Es sah anders aus. Aber das lag am Licht; in ihren Träumen war ja immer Nacht gewesen. Es war das Haus, sie war beinahe sicher. Jedenfalls wirkte es so. Ihr Gefühl sagte es ihr.
Was sie nun doch noch vor einer waschechten übernatürlichen Erfahrung retten konnte, war dies: Sie musste andere Häuser finden, die ebenso aussahen. Viele davon. Wenn auch andere Häuser so aussahen, wenn das hier etwas war, was öfters und regulär vorkam, dann ließe es sich wegerklären. Und Hollly, sie konnte ein solches Haus auf einem Gemälde, im Fernsehen oder auf einer Postkarte gesehen haben. Sicher, man musste argumentativ ein wenig daran herum biegen und -zerren, aber es war möglich, dass sich das Problem auflösen ließ. Häuser wie dieses... sie wollte darauf achten.

Entschlossen schritt sie durch das offene Tor und vermied mit den Stiefeln in den tiefen, mit schlammigem Wasser gefüllten Reifenspuren zu versinken. Der Boden war matschig, aber das würde sicher besser werden, wenn sie durch das kleine Wäldchen hindurch war.
Vor ihr lag der Weg, der nach einigen hundert Metern aufs freie Gelände führen musste. Der Weg, auf dem sie die Frau angefahren hatten. Die Frau, die es nicht gab. Erst jetzt, als sie zögernd stehen blieb und in den düsteren Tunnel hinein sah, den das Dach der wild gewachsenen Bäume formte, erinnerte sie sich wieder an den Schreckmoment der letzten Nacht. Seltsam... auch da schien es dieses Phänomen bereits gegeben zu haben, es war ihr gar nicht bewusst gewesen: Auch da war es ihr bereits nicht gut gegangen. Sie hatte gefroren. Und Gespenster gesehen. Ebenso wie heute Morgen. Aber das war extrem eigenartig gewesen. Das eine wie das andere. Strange. Sie liebte die englische Bezeichnung für "seltsam". Genauso wie das Wort "stranger".

Strange news is come to town, strange news is carried ...

Das Lied aus ihren Träumen drängte sich auf. Auf einmal wollte sie nicht mehr nach Dunfanaghy laufen. Auch wenn der Strand, den Hagan erwähnt hatte, sie reizte. Sie konnte sich die Bucht auch ein andermal ansehen. Wenn das Erlebnis mit der Frau, die es nicht gab, ein wenig mehr in den Hintergrund getreten war. Jetzt wollte sie da nicht entlang gehen. Aber sie wollte auch nicht zum Haus zurück kehren.

Spontan wandte sie sich in die entgegen gesetzte Richtung, wo der Weg sich am Grundstück vorbei fortsetzte. Da war Norden - nach Norden war auch ihr Zimmerfenster ausgerichtet. Sie hatte das Meer gehört, durch die Scheibe. Die Steilküste, sie musste hier irgendwo sein. Angestrengt lauschte sie in den Wind, aber sie hörte nur sein vielstimmiges Brausen in den Wipfeln.

Strange news is come to town, strange news is carried.
Strange news flies up and down that my love is married ...

So simple Worte waren das. Im Gehen summte sie die vertraute Melodie vor sich hin. Auch heute, das wusste sie bereits, würden diese zwei Zeilen, die ihr schlafendes Unterbewusstsein ihr eines Nachts vor vielen Jahren zum Geschenk gemacht hatte, ihr Begleiter, ihr Ohrwurm sein. Wenn es einmal anfing, wurde sie es über Stunden nicht mehr los, damit hatte sie Erfahrung. Auch wenn sie keine Ahnung hatte, was sie mit dem Text anfangen sollte - und obwohl sie sich ärgerte, dass sie nie dessen Fortsetzung träumte - war es irgendwie zu ihrem Lied geworden.

Es ging nun aufwärts und sie musste ackern und sich anstrengen, um über den tief zerfurchten Boden den seicht ansteigenden Hang hinauf zu kommen. Der Weg driftete schräg nach rechts hinüber, vom Haus weg. Die Bäume ächzten zu beiden Seiten, ihre weit verzweigten Äste knarrten und krachten und das trockene Laub, das noch an den Zweigen hing, raschelte und wisperte in hellen Tönen. Die Klagerufe von Krähen, abgehackt und vorwurfsvoll, hallten von irgendwo aus den Wipfeln zu ihr herunter.

Während sie im feuchten Schatten des Waldes vorwärts stapfte, fühlte sie sich fremd und klein. Aber je näher das Ende der Steigung kam, desto lichter wurde es rings um sie: Der Himmel drang mit seinem diffusen Licht durch die dichten Verästelungen und gab bald den Blick auf wilde graublaue Wolkentürme frei. Tief atmete sie die kühle Luft ein, lauschte dem Rauschen des Windes, der ihr in die Haare fuhr. Der vielstimmige Klang der Natur und die frische Luft rückten etwas in ihr zurecht, was sie schon lange nicht mehr beachtet hatte; bald schritt sie kräftiger und freier aus, sie genoss sogar das schwere, nasse Grau der Wolken, die sich in rasantem Tempo über ihr zusammen schoben; sie hoffte nur, dass es jetzt noch nicht regnen würde. Sie wollte es bis an die Klippen schaffen.

Schließlich war die Steigung zuende. Während sie einer sanften Biegung folgte, wurde der Weg schmaler; der Boden war mit verrottenden Lärchennadeln übersät und federte weich unter den Sohlen ihrer Stiefel. Niemand fuhr hier oben mit dem Auto entlang, der Weg war zu einem Pfad geworden. Eine Weile ging es über immer stärker bemoosten Boden; die Bäume ringsum wurden schmaler und dichter, die mächtigen Buchen und Eichen, unter denen sie eben noch entlang gewandert war, fand sie jetzt durch verkümmerte und windgerupfte Nadelbäume, Ilex und dürre Büsche abgelöst. Und dann, ganz plötzlich, gab es keine Bäume und kein Unterholz mehr.


Atemlos hielt sie an. Vor ihr lag eine Landschaft, die bis zum Horizont nur aus verdorrter, brauner Heide und vereinzelten kleinen Felsbrocken zu bestehen schien - und am Ende, da war so viel Himmel, wie sie noch niemals auf einem Haufen gesehen hatte. Gewaltig und schwer türmten sich die grauen Wolken auf, alles bewegte sich mit dem starken Wind, der ihr unangenehm ins linke Ohr blies, nach rechts hinüber... und da vorne, wo das, was sie in diesem Augenblick Horizont nannte, einen tieferen Knick machte, entdeckte sie einen steingrauen, düsteren Streifen unter dem Himmel. Und da, endlich, roch und hörte sie es.

Sie begann zu laufen. Sie lief in den brausenden Wind hinein, schüttelte ihre Haare nach hinten, hob die Beine höher an, als das Heidekraut dichter und länger wurde, und steigerte ihr Tempo noch. Bis ans Ende, bis an die Klippen ging es immer bergan, erst ganz zum Schluss, knapp vor dem absoluten Nichts, wurde der Boden eben und kurzes, struppiges Gras löste die gigantische Heidefläche ab.

Da stand sie, die Augen trotz des starken Windes weit offen, und sah über das Meer. Selbst ganz hinten, die Entfernung ließ sich in diesem tosenden und wogenden Chaos nicht schätzen, wirkten die Wellen Berge hoch. Ihr Herz klopfte. Diese unglaublichen Massen an schwerem grauem Wasser! Und wie es in ihren Ohren donnerte und rauschte! Vorsichtig wagte sie sich einige Schritte weiter an die Felskante heran. Ihre Augen tränten, es war nicht der Wind allein, sie war ... beeindruckt. Aus den Schuhen gehauen. Das war das Wildeste, Mächtigste und Größte, was sie jemals gesehen hatte.

Kaum war zu schätzen, wo das Land zuende war und die Kante aufhörte, man musste sich heran tasten. Ihr Rücken war so angespannt, ihr Herz raste so sehr, dass sie die Fäuste ballte und zu zittern begann. Der Wind zerrte an ihr, er peitschte jetzt von allen Seiten auf sie ein. Er gelangte unter ihre Jacke und blähte sie bis in die Ärmel hinein auf. Ein Schritt noch, ein kleiner... sie wollte hinunter sehen. Vorsichtig beugte sie sich vor, reckte den Hals. Da unten war die Hölle los. Sie konnte gar nicht lange hinein sehen, ihr wurde schwindelig von dem Anblick. Eine Felsnadel stand dort im weißen Schaum, der zusammen mit dem Wasser, das sich daran brach, hoch aufspritzte. Es mussten runde vierhundert Meter sein, die das Land hier steil abfiel, und doch sprühte ihr ununterbrochen ein salziger Nebel ins Gesicht... ein letzter kleiner Schritt noch, mehr würde sie nicht wagen...

Da, urplötzlich, geschah es: Sie verlor das Gleichgewicht. Die wogende graue Welt drehte sich und sie drehte sich mit, Zeit wurde zur Zeitlupe. Im Fallen stieß etwas gegen ihren Kopf, es riss sie zur Seite und fiel schwer über sie, als sie hart auf dem Boden aufschlug.


Sie lag wie erstarrt. Ihr Fuß. Er hing über die Kante. Sie spürte, dass darunter nichts war, er hatte keinen Halt, und doch lähmte der Schreck sie so sehr, dass sie sich nicht rühren mochte. Das Atmen fiel ihr schwer - bis das Gewicht, das auf ihren Rippen lastete, plötzlich nachließ. Sie öffnete die Augen und sah ... Wolken. Im ersten Moment wusste sie gar nichts - nur, dass ihr der Boden warm erschien. Logisch, sie lag ja im Gras, sie war aus dem heftigen Wind heraus. Ihre Schulter schmerzte.


Irgendjemand war da, aber es drang ihr nicht vollständig ins Bewusstsein. Sie hatte ihn sprechen gehört ... Das Rauschen und Donnern der Brandung unter ihr klang so gewaltig, der Himmel war so wild und weit ... Benommen drehte sie sich auf die Seite,  zog den Fuß vom Abgrund weg.

Jemand kniete hinter ihr ... sie wurde am Arm gepackt. Nur langsam registrierte sie, warum sie die Worte nicht verstand. Es war Gälisch. DerTon wirkte streng und fordernd, die Hand drückte kräftig zu.

Im Nu hatte sie ihre Sinne wieder beisammen. Wer bedrängte sie da? Reflexartig wand sie sich aus dem Griff der fremden Hand und kam mit dem Oberkörper hoch. Sie blinzelte gegen den Wind, wandte sich um - und da hockte er im Gras. Sie starrte in das jugendliche Gesicht über dem mit Zopfmustern verzierten Pullover und er starrte zurück. Einen Moment lang hielten seine sturmgrauen Augen sie gefangen. Sie war vollkommen verwirrt; er musste etwas gefragt haben - sein Blick verriet ihr, dass er auf eine Antwort wartete. Sie verstand ihn nicht! Was wollte er von ihr?
So schnell sie konnte, rappelte sie sich hoch. Einen schwindelerregenden Moment lang schienen ihr die gigantischen Wellen dort unten entgegen zu kommen und ihr Magen drehte sich um; sie sah zu ihm hinüber und wieder in den tosenden Höllenschlund zurück. Wenn sie da hinunter gestürzt wäre! Schnell trat sie von der zerklüfteten Kante weg und schaffte zugleich Abstand zu ihm.

Der Blick, mit dem sie ihn bedachte, musste wohl eine enorme Ladung Misstrauen enthalten; jedenfalls veranlasste er ihn, ihre Mimik nachzumachen. Sie fand das gar nicht witzig, aber ihre Wut und Verlegenheit schien ihn nur noch mehr zu amüsieren. Seine Mundwinkel zuckten. Schließlich lachte er auf, seine rotblonden Locken zerzauste der Wind. Wieder sagte er irgendetwas und zeigte auf sie. Sein Grinsen wirkte unverschämt amüsiert.

Er machte sich über sie lustig. Sie musste rot wie eine Tomate sein. Auch das noch! Beschämt und verärgert wandte sich ab, aber er ließ sie nicht gehen. Mit zwei, drei langen Schritten hatte er sie eingeholt. Er lief jetzt neben ihr, sah ihr von der Seite her neugierig ins Gesicht. Das Einzige, das sie aus dem Klang seines neuen Wortschwalls heraus hörte, war ein ernster Unterton, der da mitschwang.

Warum ließ er sie nicht einfach in Ruhe? Mit hochgezogenen Schultern, die kalten Hände in die Jackentaschen gerammt, heftete sie den Blick auf den Boden vor sich. So stakste sie durch die zottelige Heide und konzentrierte sich darauf, jetzt nicht auch noch zu stolpern. Noch immer konnte sie es nicht fassen - beinahe wäre sie die Klippen hinunter gestürzt! Und er hatte gelacht! Es war richtig, dass sie ihn ignorierte. Außerdem konnte sie ihn sowieso nicht verstehen.

Während er neben ihr her lief, wiederholte er mehrfach dieselben fragenden Worte.

Als ihr klar wurde, dass sie ihn so schnell nicht loswerden würde, wagte sie einen weiteren Blick. Seine Augen waren wie das Meer, das sie gerade gesehen hatte. Aber es war steingrau und düster gewesen - diese Augen hatten ein silbernes Leuchten über dem Grau, das machte es heller. Freundlicher.

"Oh, oooh ...."

Sein Grinsen brachte sie zur Weißglut. Sie wollte gar nicht wissen, was er von ihr dachte. Warum konnte er nicht Englisch sprechen? Es war anzunehmen, dass er die Hauptlandessprache beherrschte! Gälisch war eine komische Sprache, allerdings ... bei ihm klang es gut. "Verschwinde endlich", keifte sie ihn an und ärgerte sich, dass ihre Stimme so schwach wirkte. "Und hör auf zu grinsen wie ein Idiot."

Ihr Abwehrversuch schien ihn nicht zu überzeugen, im Gegenteil. Er lachte wieder, lachte aus vollem Hals, die vom Wetter getönten Wangen färbten sich rosig und seine Augen funkelten. "Französin", riet er belustigt in Englisch.

Na großartig. Sie hatte sich das Prädikat "Ausländerin" eingefangen, sie war entlarvt als eine, die hier nicht her gehörte. Ihre Aussprache war nicht die beste und ihren Akzent würde man wohl ewig aus ihrem Englisch heraus hören, den wurde sie nicht los. Eigentlich hatte sie ihm keinen Anhaltspunkt geben wollen. Gar keinen. Wie sie sich ärgerte, dass sie überhaupt etwas gesagt hatte! Er sollte nicht über sie nachdenken, er sollte verschwinden.

Aber er verschwand nicht. Stattdessen beobachtete er ihr Gesicht, als könnte er von dort ihre Gedanken ablesen. Noch immer sah er sie mit großen blanken Augen an, während er neben ihr her trabte.

"Also nicht Frankreich, nein?" Er legte den Kopf schief, in seinem Blick lag ein so stures Interesse, dass Emma sich regelrecht ausgefragt fühlte. Merkte er denn gar nicht, dass sie nicht mit ihm reden wollte?
Die feinen Fältchen um seine Mundwinkel, die beim Lachen gerade eben zu tiefen Grübchen geworden waren, sie waren noch da. Sie rechnete damit, dass er gleich wieder loslachte, weil sie sich so anstellte. Und sie konnte ihn verstehen: Sie musste mittlerweile wirklich einen restlos gehemmten Eindruck machen. Warum zum Teufel konnte sie nicht ein einziges Mal in ihrem Leben locker sein! Sie hörte förmlich die Stimme ihrer Tante: "Mensch, Emma! Er ist doch nett, sei doch kein Stockfisch! Du kannst doch wenigstens mal versuchen, den Mund auf zu bekommen."

Er schien sich nicht darum zu scheren, wie sehr die Situation sie verunsicherte. Wahrscheinlich waren die Mädchen auf dieser Insel allesamt nicht auf den Mund gefallen. Kein Wunder, wenn sie hier nun auffiel wie eine, die die normalen Regeln des sozialen Miteinanders nie gelernt hatte. Sie konnte das alles. Sie hatte nur Angst - und die war gerade jetzt nicht zu überwinden, sie musste ihn loswerden. Also ignorierte sie ihn weiter und nahm noch mehr Tempo auf. Der Waldrand war nahe.

"...Russin?"

Innerlich verdrehte sie die Augen. Wollte er sie etwa den ganzen Weg bis zum Haus zurück begleiten? Und währenddessen alle Nationalitäten an ihr ausprobieren, die der Planet zu bieten hatte? Leichtfüßig lief er neben ihr her, seine langen Beine schienen den buckeligen Untergrund gewohnt zu sein, während sie selbst unelegant über die Heide dahin stolperte. Und noch immer ließ er seinen neugierigen Blick nicht von ihr. Trotzdem sah sie wieder hin. Nur kurz, aber sie hatte es wissen wollen. Er war ganz sicher älter als sie. Und er hatte tatsächlich ein paar Sommersprossen auf Stirn und Nase.

"Italien? ... Deutschland? Polen? Oder Schweden?"

Tatsächlich brachte sie es fertig, den gesamten Weg lang zu schweigen. Und er schaffte es, sich tausend und eine Taktik zu überlegen, sie vielleicht doch noch zum Reden zu bewegen.
Was sie tat - was sie ihm und sich selbst antat - war nichts, was sie zufrieden oder gar stolz stimmte. Sie schämte sich. Es gab Momente, da hätte sie heulen können über sich selbst und diese furchtbare Barriere, die sie einfach nicht überwinden konnte. Nicht einmal lachen konnte sie über ihn, obwohl er mit seinen Bemühungen, die immer bizarrer und kreativer wurden, sehr witzig war. Woher hatte sie das nur! Warum war sie wie abgeschlossen, wenn eine spontane Begegnung sie überraschte? Er bemühte seine ganze Fantasie und dazu einen beachtlichen Witz und Charme, um ihr das geringste Wort zu entlocken - während sie tat, als sei er von einem anderen Planeten. Dabei war es ganz sicher umgekehrt; ihr Verhalten konnte man nur extraterrestrisch nennen.

Sie war so unglaublich blöd! Erst war es der Schock, die unmittelbare Gefahr gewesen, in der sie sich gesehen hatte - als ob er sie mehr bedrohte als der Abgrund! Natürlich hatte sich ihr inzwischen erschlossen, dass er in diesem Moment gedacht haben musste, sie wollte springen. So gesehen hatte er nichts verkehrt gemacht, er hatte sie... gerettet, wenn man so wollte. Das war sogar ausgesprochen cool von ihm. Nur hatte er dann ungünstigerweise irgendwelche Dinge zu ihr gesagt, die ihr das Gefühl gaben, er machte sich über sie lustig. Es war nun einmal so, dass es sie verunsicherte, wenn man sich in einer Sprache an sie wandte, die sie nicht verstand. Und lachte. Sie mochte es nicht, wenn man sie verulkte. Und nein, sie konnte ihn nicht einfach fragen, was er da zu ihr gesagt hatte. Sie kannte ihn nicht. Sie würde nicht einmal bemerken, wenn er sie belog.

Noch immer ging er neben ihr und sie wusste damit nichts anzufangen. Der Weg wurde langsam breiter, fiel steiler ab, die Bäume wurden höher und mächtiger. Sie mussten bald da sein.
Inzwischen hatte er seine Versuche eingestellt. Er wirkte jetzt ernst und nachdenklich. Sie wusste, dass er immer noch zu ihr hinüber sah, wenn er meinte, sie sähe es nicht. Er war einen halben Kopf größer als sie. Darum musste sie das Gesicht heben, wenn sie es aus dem Augenwinkel mitbekommen wollte. Und das wollte sie.
Es war absolut albern, wie sie hier so still nebeneinander her liefen! Man unterhielt sich, das machte man auch an Bushaltestellen oder wenn man beim Bürgeramt ewig warten musste, um einen neuen Pass zu beantragen. Immerhin war man von derselben Spezies. Ob man einander kannte oder nicht, man konnte doch wohl etwas sagen, irgendwas! Smalltalk!

Sie mochte keinen Smalltalk. Sie hasste Oberflächlichkeit. Und noch mehr hasste sie, was sie immer wieder erlebt hatte: dass man sie fälschlicherweise ausgerechnet deshalb für oberflächlich und ignorant hielt, weil sie keinen Smalltalk beherrschte. Dasselbe geschah wohl auch hier wieder; sicher dachte er, sie sei eine arrogante, hysterische Kuh. Vielleicht sollte sie sich wenigstens für den Rest des Weges zusammennehmen und ihre Unsicherheit überwinden.


"Danke."

Er musterte sie von der Seite. Seine Augen wurden schmal. Schließlich nickte er ernst.
"Geht schon klar."

Er hatte in Englisch geantwortet. Und er hatte Sommersprossen auf den Lidern, ganz feine.

Während sie weiter gingen, sahen beide wieder geradeaus auf den Weg. Er hatte sofort gewusst, wofür sie sich bedankte! Gerade wollte sie sich einen Ruck geben und endlich ein paar Worte mehr sagen, da sprang er zur Seite und verschwand zwischen zwei Ilexbüschen.

Überrascht blieb sie stehen. Der Wind rauschte in den kahlen Baumkronen, trockenes Laub raschelte über den Weg. Sie reckte den Hals. Hinter dem Ilex musste es einen Pfad in den Wald hinein geben, auf dem Weg zu den Klippen hatte sie ihn gar nicht bemerkt.

Er ging doch wohl nicht davon aus, dass sie ihm da hinein folgte? Unsicher blickte sie auf die Stelle, an der er verschwunden war.

Pötzlich tauchten Kopf und Schultern hinter den Büschen auf. Die Haare sahen hübsch aus über den dunkelgrün belaubten Zweigen. Ein Streifen Licht drang durch die Bäume zu ihm herunter, wie ein leuchtender Finger, der auf ihn zeigte, er stand direkt darin. Auch seine Augen waren jetzt sehr hell.

"Cillian."

"... Was?"

Er blinzelte, bevor er antwortete. Er sah nett aus, wenn er ernst war.

"Ich heiße Cillian."

Emma war so verblüfft, dass sie nichts heraus bringen konnte außer "Oh...". Ihr eigener Name wäre ihr in diesem Moment im Leben nicht eingefallen. Das war der typische Blackout. Der Klassiker, der immer dann passierte, wenn man nur zwei Sekunden hatte, das Richtige zu tun.

Er wartete noch einen weiteren langen Moment. Mit dem sie nichts besseres anzufangen wusste als ihn verdattert anzustarren.

Dann waren die längsten zwei Sekunden, die man ihr jemals gelassen hatte, vorbei. Seine Augen lächelten, er nickte, als hätte er gerade etwas begriffen - dann verschwand er rückwärts in den Schatten des Waldes.

Teil 16





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