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Beverly

Ich hätte nie gedacht, doch noch einschlafen zu können, nachdem ich erfahren hatte, dass Aidan Dämonen hören konnte. Aber ich schaffte es, vermutlich, weil ich seit über vierundzwanzig Stunden nicht mehr geschlafen hatte, und einfach tot war. Viel Schlaf bekam ich jedoch wieder nicht, nachdem Aidan seine Kurse an der Uni (für seine Verhältnisse) lange nicht mehr besucht, und sich demnach den Wecker auf acht Uhr gestellt hatte. Da Ich-und-wieder-einschlafen-wenn-ich-einmal-wach-bin, so eine Sache für sich war, stand ich mit ihm auf, und beschloss, in drei Stunden nochmal zu versuchen, meinen fehlenden Schlaf aufzuholen.

Chase war zur Abwechslung auch mal zu Hause, und ließ uns wissen, dass wir uns um Jacobs Leiche keine Gedanken mehr machen mussten, aber dann verschwand er auch recht bald wieder. Er meinte, dass er zum Basketballtraining ging, aber ich war mir bei ihm nie ganz sicher, was er tatsächlich anstellte, wenn er nicht da war.

Dieser Mensch würde mir auf ewig suspekt bleiben.

Basketball war Modoc, Modoc war Trish, und Trish war... Ja, was war sie denn nun für ihn? Noch ein Mysterium mehr in meinem Leben.

Trev saß ebenfalls schon am Küchentisch, aber wir redeten alle nicht wirklich viel. Jeder war mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt, und ich ahnte, wo diese herumschwirrten. Ich blieb dicht neben Aidan stehen, der sich nicht von der Kaffeemaschine wegbewegen wollte. Er beachtete mich nicht wirklich, sondern starrte gedankenverloren in seine Tasse.

Du hättest ihm eben nichts sagen sollen, Beverly... Hättest du es ignoriert, wäre er in Gedanken nicht ständig mit der Frage beschäftigt, was er ist, wenn kein Mensch. Dumm, dumm, dumm.

Ich wollte gerade etwas sagen, als Addie aus dem Schlafzimmer kam. Allein an ihrem schuldbewussten Gesichtsausdruck, wusste ich sofort, dass etwas nicht stimmte -abgesehen, von den offensichtlichen Dingen.

„Was ist los?", fragte Aidan, nachdem Addie, regungslos im Türrahmen stehen geblieben war, und offensichtlich nicht wusste, was sie sagen sollte. Sie begann an den Ärmeln ihrer Weste herumzuzupfen, und an ihrer Unterlippe herumzubeißen, ohne direkten Blickkontakt mit einem von uns aufzubauen.

„Ich muss euch was sagen", begann sie langsam. Ihre Worte klangen nach Beichte, und in meinem Kopf spannen sich bereits mehrere Dummheiten zusammen, die sie gerade angestellt haben könnte.

„Oh Gott", murmelte Trev, und stellte seine Kaffeetasse weg. „Ein Gespräch, das so beginnt, endet nicht gut." Ich räusperte mich, legte den Kopf schräg, und sah ihn warnend an. Er seufzte und warf mir einen angestrengten Blick zu, bevor er sich wieder Addie zuwandte.

„Also gut, ich bin unvoreingenommen. Was ist los?"

Addie schien noch einen Moment zu überlegen, ob, was auch immer sie uns sagen wollte, eine gute Idee war. „Ich gehe weg."

„Wohin?", fragte Aidan so ruhig, als hätte Addie vom Supermarkt gesprochen. Vielleicht, weil ihm nicht einmal im Traum eingefallen wäre, dass sie etwas anderes gemeint haben könnte. Aber ich stellte bereits eine Befürchtung auf, die viel besser zu ihren Worten passte.

Sie schluckte. „Ich meine, ich gehe weg aus Fresno. Weg aus Kalifornien, um genau zu sein." Sie zögerte. „Um ganz genau zu sein... Weg aus den Staaten."

Ich hatte noch nie eine solche Wucht verschiedener Gefühle auf dem Gesicht eines Menschen gesehen. Aber während Aidan Addie nur stumm anstarrte, ließ sich die Abfolge von Gefühlen, die sich auf Trev's Gesicht wiederspiegelten, etwa wie folgt zusammenfassen: Verwirrung, Hoffnung, dass sie nur einen Witz gemacht hatte, Begreifen, Schmerz und dann Wut. Ich konnte jede einzelne Reaktion nachvollziehen.

„Du-" Er brach ab und stand langsam von seinem Stuhl auf. „Das ist ein Scherz, oder?"

Addie versuchte Trev so unschuldig wie möglich anzublinzeln, das führte jedoch lediglich dazu, dass er noch ein bisschen fassungsloser aussah. Ich wandte den Blick von Addie ab. Ich wollte mich nicht einmischen, dazu hatte ich kein Recht, denn ich hatte keine Ahnung, was in dem Kopf dieses Mädchens abging.

Trev fuhr sich ungläubig übers Gesicht, durch die Haare, über den Nacken, drehte sich von Addie weg, nach links, rechts, drehte sich zu ihr, während er offenbar überlegte, wie er Addie wieder zur Vernunft bringen sollte.

Vernunft. Ein seltsames Wort. So... definitionslos. Was Addie da vorhatte, war sehr vernünftig. Aber gleichzeitig total unvernünftig. Eigenartig.

„Das ist doch ein Scherz", wiederholte Trev kopfschüttelnd.

„Wohin?", fragte Aidan, bemüht ruhig. „Wie lange? Warum?"

„Irland. Wexford." Wexford? Ich fragte mich, ob es Zufall war, dass Addie ausgerechnet dahin wollte, wo ich geboren worden war. Schließlich hatte ich nur Aidan davon erzählt.

Trev sah sie an, als ob sie komplett den Verstand verloren hätte. Vielleicht hatte sie das ja.

„Für wie lange?" Seine Stimme hatte etwas Warnenden, so als wolle er, dass sie bloß nichts Falsches sagen würde.

Sie zuckte mit den Schultern. „Ich dachte an ein Jahr."

„Ein-" Er brach wieder ab, entfernte sich, und wiederholte die ich-versuche-zu-begreifen-dass-meine-Freundin-den-Verstand-verloren-hat Routine.

„Wann?"

„Sobald es geht."

„Und dir ist gestern eingefallen, dass du schleunigst für ein Jahr nach Irland ziehen willst?" Trev war definitiv wütend, und ich fand, dass er jedes Recht dazu hatte.

„Nein, nicht erst gestern", lenkte Addie ein. „Eigentlich denke ich schon seit einer Weile daran... und... ich hab das Gefühl jetzt ist der richtige Zeitpunkt gekommen, um..." Wegzugehen? Wegzulaufen? Mein Leben zu ordnen? Mein Leben hinzuschmeißen? Ich hätte ihr viele Möglichkeiten anbieten können, aber keine davon schien mir passend.

„Und du hast es nicht für wichtig genug erachtet, mich darüber zu informieren?" Er sah Addie abwartend an. Ich sah zu Aidan auf, um zu ergründen, was er dachte, aber er schien nicht allzu überrascht. Und um ehrlich zu sein: Ich war es auch nicht. Addie war ein impulsiver Mensch. Und ihr erster Impuls, nach allem was ihr hier widerfahren war, war, einfach wegzulaufen, und ihr Leben wo anders zu stabilisieren, bevor sie wieder herkommen würde.

Und mal ganz ehrlich: Sie ist schwanger geworden, hat ihr Kind im vierten Monat illegal mit dem Geld eines Vollidioten abtreiben lassen, ist von einem Dämon verfolgt und an ihn gebunden worden, hat einen Flugzeugabsturz und den Tod eines kleinen Jungen mitansehen müssen, hat versucht sich umzubringen und ist von einem Dämon besessen gewesen. Da wäre ich auch weggelaufen.

„Du willst wegziehen. Du willst dein Studium abbrechen. Du willst Chase und Aidan und Trish einfach verlassen. Du willst mich einfach so verlassen." Trev wartete auf eine Antwort, aber die kannte er schon. „Hammer Aktion, Addie, Hammer Aktion!" Er fuhr sich mit einer Hand über den Mund, während er einen Punkt an der Decke fixierte.

„Es ist doch nicht für immer", sagte Addie, und ich war überrascht, dass sie selbst so traurig klang. „Ich bin nicht aus der Welt."

„Nein, nur am beschissenen anderen Ende davon! Wie denkst du dir das überhaupt? Du kannst nicht einfach deine Sachen packen, und in ein fremdes Land ziehen, ohne Geld, ohne Wohnung, ohne Arbeit."

„Doch. Kann ich." Mehr wollte sie dazu offensichtlich nicht sagen. Trev kam auf sie zu.

„Warum? Addie, warum?" Er klang nicht mehr wütend, sondern nur noch verzweifelt, und flehte sie beinahe schon an. „Du hast alles was sich ein normaler Mensch nur wünschen würde. Ein tolles Studium, gute Noten, tolle Freunde, und du willst das alles wegwerfen?" Ich ging nicht davon aus, dass Addie auch nur ein Wort über ihr Kind verloren hatte. „Nach allem was passiert ist?"

Wegen allem was passiert ist. Ich kann nicht hier bleiben!", rief sie aufgebracht. „Ich kann nicht. Ich habe das Gefühl, ich ersticke wenn ich hier bleibe. Es ist ein Leben, das nicht mehr existiert, weil ich nicht mehr dieselbe bin, die ich war, als ich dieses Leben begonnen habe, verstehst du das nicht? Ich kann nicht einfach so weiter studieren, und mein Leben leben, und tun, als wäre nichts passiert. Ich kann nicht in Fresno bleiben. Ich muss einfach... Ich muss alleine sein, einfach weil..." Die einzelne Träne, die ihr über die Wange rollte, wischte sie so schnell weg, dass ich sie beinahe nicht bemerkt hätte.

„Ich weiß nicht mehr wer ich bin, Trev. Ich hab das Gefühl, ich habe vergessen wer ich bin. Es fühlt sich an, als hätte ich mich in den letzten Monaten komplett verloren. Und ich muss mich wieder finden, sonst werde ich nie, nie wieder glücklich sein. Aber ich muss das alleine tun."

Ich war mir nicht sicher, ob nicht doch mehr dahinter steckte, als sie zugeben wollte, und Trev schien dasselbe ergründen zu wollen. Er betrachtete sie nur noch aus traurigen Augen.

„Hältst du das für eine gute Idee?", fragte er, und drehte sich zu mir.

„Wieso fragst du mich?", entgegnete ich verwirrt.

„Ja, wieso fragst du sie?", fragte Addie empört. „Das ist nicht ihre Entscheidung, und deine auch nicht!"

Trev reagierte nicht darauf, sondern sah mich abwartend an. Ich konnte die Blicke der anderen förmlich auf mir spüren. Mal wieder. So als wäre meine Einschätzung, der ausschlaggebende Faktor, für Addie's Entscheidung, die längst gefallen war. Aber dann erinnerte ich mich daran, dass Trish mich damals nicht völlig ohne Grund vor dem sicheren Tod bewahrt hatte.

In Berücksichtigung ihres Wunsches, Addie und Vaya aneinander zu gewöhnen, und Chase' Anordnung, Addie nicht vorzuspielen, dass Dämonen gutherzige Wesen waren, dachte ich für ein paar Sekunden darüber nach. Und so leid es mir auch tat, aber ich sah nur Vorteile.

„Ja", meinte ich schließlich, und machte ein paar Schritte auf die beiden zu, sodass ich beinahe zwischen ihnen stand. „Ich denke, das tut ihr gut. Sie muss schließlich lernen ihren Dämon zu kontrollieren, und wie das geht, kann ihr ohnehin keiner zeigen. Nicht ich, nicht Trish, und erst recht niemand, der gar nicht weiß, wie sich so eine Verbindung anfühlt. Ein bisschen Abstand tut ihr sicher gut. Du weißt schon, Zeit mit Vaya allein, um sich an das Zusammenleben mit ihm zu gewöhnen. Um sich mit ihm einzuspielen. Dann kann sie ihn auch leichter kontrollieren. Sie kann sich auf ihre Visionen konzentrieren, und herausfinden, wie sie aufgebaut sind und funktionieren. Ich sehe wirklich keinen Grund, warum sie es nicht tun sollte. Außerdem seid ihr dann vor Vaya sicher, wenn Addie nicht in eurer Nähe ist, solange sie ihn noch nicht kontrollieren kann."

„Du siehst also keine Risiken, wenn sie für ein Jahr nach Irland zieht?", hakte Trev besorgt nach.

Ich sehe einige Risiken! Raubüberfall, Depressionen, ein Erdbeben vielleicht? Ein Flugzeugabsturz, und sie ist die einzig Überlebende, und treibt wochenlang auf hoher See herum. Sie findet keinen Job, wird obdachlos, hat kein Geld für einen Rückflug und kann uns nicht anrufen, damit wir sie zurückholen. Dann sehen wir sie nie wieder.

Ich erinnerte mich daran, dass dies alles höchst unwahrscheinliche Szenarien waren und so sehr ich mich auch bemühte, eine negative Seite an dieser ganzen Situation zu finden -ich fand keine. Addie würde sich in diesem Jahr an Vaya gewöhnen. Sie würde lernen auf ihn einzugehen und seine Zeichen und seine Sprache richtig zu verstehen.

Ich hatte selbst das Gefühl, dass sie sich in den letzten Monaten verloren hatte, auch ohne sie in- und auswendig zu kennen. Vielleicht würde sie sich wieder finden können, wenn sie Zeit für sich hatte. Zeit, um das alles zu verarbeiten, und zu lernen, damit zu leben. Viel Zeit. 365 Tage dürften reichen.

„Ich habe eine Tante in Wexford", begann ich. „Shae. Wir hatten schon verdammt lange keinen Kontakt mehr, aber sie ist immer noch wie eine Mutter für mich. Ich kann sie fragen, ob Addie bei ihr wohnen kann, bis sie etwas Passendes gefunden hat." Ich sah Addie an. „Dann könntest du wann immer du willst nach Irland fliegen. Sie hat sicher nichts dagegen." Und Vaya hatte keinen Grund, meine Tante zu verletzen. Er hatte selbst gesagt, dass er keine Eile hatte, und früher oder später, mit Addie vereint sein würde. Er würde jeden weiteren Schritt, ihr Vertrauen zu verlieren, vermeiden. Zumindest hoffte ich das inständig.

~~ ~~

Ich borgte mir sofort Aidan's Laptop und schrieb meiner Tante eine Mail, in der ich ihr erst eine kleine Lüge auftischte, warum ich mich über zwei Jahre nicht gemeldet hatte (sie wusste nämlich nicht, dass ich in einer Nervenklinik gewesen war), und spann mir dann eine Geschichte für Addie zusammen. Ich schrieb, dass Addie Abstand brauchte, und das so schnell wie möglich, und nur eine Unterkunft benötigen würde, bis sie eine Wohnung hatte, was in Wexford vermutlich nicht die Schwierigkeit in Person war. Außerdem beschloss ich, Addie Geld zu borgen, oder auf das Konto meiner Tante für Addie zu überweisen, da ich davon ausging, dass ihre Mutter nichts zahlen und Addie erst mal ein paar Kröten brauchen würde, bis sie in Wexford eine kleine Einkommensstelle gefunden haben würde.

Vielleicht war ihre Idee doch bescheuert. Sie hatte keine Absicherung und kannte keine Menschenseele dort drüben. Aber andererseits, wenn es ihr nicht gefiel, würde sie jeder Zeit zurückkommen können. Ich war hin und her gerissen, wegen ihres verrückten Plans.

Shae schrieb innerhalb weniger Minuten zurück. Ihre Worte waren genauso herzlich, wie ich sie in Erinnerung gehabt hatte und zauberten mir ein Lächeln auf die Lippen, als ich sie las. Addie würde bei ihr gut aufgehoben sein.

„Deine Freundin kann so lange bleiben, wie sie möchte", hatte sie geschrieben. Ein bisschen waghalsig, wie ich fand, da sie Addie noch nie gesehen hatte, aber Shae war praktisch eine Addie 2.0 und immer hilfsbereit. Ich hätte wetten können, dass sie Addie nicht gerne gehen lassen würde.

Ich gab Addie Bescheid, gab ihr die Emailadresse und Telefonnummer meiner Tante, bevor ich mich dazu entschloss, Aidan bis zur Uni zu begleiten, weil sein Auto in der Werkstatt war und ich nicht wollte, dass er den ganzen, langen Weg mit seinen Gedanken alleine war. Zwar war ich es, die die ganze Zeit über redete, aber ich zwang Aidan dazu, mir zuzuhören.

Ich fühlte mich wie in meiner Teenager-Zeit, als ich auf einigen Partys oder Veranstaltungen mit Anthony Hand in Hand aufgekreuzt war und die Leute mich anschuldigend angesehen hatten, weil ich meiner Schwester den Freund gestohlen hatte. Dabei waren er und ich nicht einmal wirklich zusammen gewesen.

Mit Aidan händchenhaltend über den Campus zu schlendern, fühlte sich mindestens genauso befremdlich an, denn einige Schüler, höchstwahrscheinlich Leute, die ihn kannten, warfen uns verwunderte Blicke zu und begannen zu tuscheln. Ich zog mir die Kapuze tiefer ins Gesicht. Ich hatte sie, trotz der Hitze, auf meinem Kopf, weil meine Haare einem Vogelnest glichen.

„Noch ein Grund, warum ich nicht studieren will", murmelte ich und versuchte, keinen Blickkontakt mit diesen Menschen aufzubauen. Aidan lachte leise und löste seine Hand aus meiner, um sie mir um die Schulter zu legen und mich näher an sich zu ziehen.

Ich hatte mir die Universität anders vorgestellt. Ich kannte nur die riesigen, alten Gebäude aus Irland, wie das Trinity College. Alle Universitäten, an denen ich früher hatte studieren wollen, waren in Irland gewesen und die Bilder, die ich von ihnen gesehen hatte, waren atemberaubend gewesen. Ich mochte die alten Bauten, mit den parkähnlichen Vorhöfen und den überwältigenden Bibliotheken. Aber die California State University in Fresno kam mir dagegen, wie eine ganz normale High School vor. Niedrige, moderne Bauklötze, deren Eingänge beschriftet waren. Das Bibliotheksgebäude war zwar schön -fast komplett aus Glas, wie mir schien- und hatte eine interessante Architektur, allerdings erinnerte mich das Innenleben, das ich durch die Glaswände sehen konnte, zu sehr an mein Haus. Weitläufige Flächen aus großen Steinplatten, oder perfekt geschnittenem Rasen, und hier und da ein kahles Bäumchen. Eigentlich ein ästhetischer Anblick, aber ich hätte keinen Schutz hinter großen Sträuchern oder verzweigten Wegen gefunden, weil man den ganzen Campus überblicken konnte und alles, trotz Studenten, ein bisschen leer wirkte. Die, die nicht tuschelten und mich und Aidan mit ihren neugierigen Blicken verfolgten, standen mit ihren Smartphones herum, eilten an uns vorbei, oder saßen in Grüppchen auf dem Boden oder auf Bänken und tauschten Lernunterlagen aus.

„Wann kommst du wieder nach Hause?", fragte ich, während wir auf einen der niedrigen Steinklötze zugingen, über dessen Türe Science 1 stand. Aidan zog die Türe auf und ließ mich zuerst hinein.

„Wir haben heute einen Neurowissenschaftler da, der am Nachmittag einen vierstündigen Vortrag über die Plastizität des Nervensystems und die Neurowissenschaften des Schlafes hält."

Seine Augen leuchteten so sehr, dass ich davon ausging, dass er sich den kompletten Vortrag anhören und intensiv Notizen machen würde, um die ganze Scheiße, die zu Hause abging, zu vergessen. Plus zwei Stunden, um selbst noch einmal im Internet zu recherchieren, in der Bibliothek nach Büchern zu suchen und seine Notizen durchzuarbeiten. Nicht, weil die Themen zum Stoff seiner Wiederholungsprüfung gehörten, sondern einfach, weil es ihn interessierte. Das hieß also, er würde gegen acht Uhr abends wieder zu Hause sein und mir mindestens eine weitere Stunde aufgeregt von dem Vortrag erzählen, so wie ich ihn einschätzte. Dann würde er wohl noch für seine Prüfung lernen und sich erst Mitten in der Nacht zu mir unter die Decke kuscheln, wenn ich bereits schlafen würde. Toll.

„Dann bis heute Abend", lächelte ich und brachte ihn zum Stehen, weil ich ihn nicht bis zum Vortragssaal begleiten wollte, um auf noch mehr Leute zu stoßen, die ihn kannten. Er legte eine Hand auf meinen Rücken, zog mich zu sich, und ich stellte mich auf die Zehenspitzen, um ihn küssen zu können. Es war kein sonderlich langer Kuss, aber das musste in der Öffentlichkeit auch nicht sein, oder? Ich hatte die Paare, die sich vor anderen Menschen, ohne jede Hemmung abschlabbern konnten, noch nie verstanden.

Als ich mich umdrehte, um wieder nach Hause zu gehen, fühlte ich mich anders. Dieser Abschiedskuss war seltsam gewesen. Waren wir jetzt zusammen? Ab wann ist man in einer Beziehung, ohne darüber zu reden? Ab dem Moment, in dem man sich, fast schon routiniert, einen Abschiedskuss gibt?

Ich musste unbedingt mit Aidan darüber reden. Ich wollte wissen, ob ich ihn als meinen Freund bezeichnen konnte.
Ja, Shae, das ist mein Freund. Aidan." Oder anders herum: „Mom, Dad, das ist Beverly, meine Freundin."
Mein Herz begann zu flattern, als ich mir die verschiedensten Situationen ausmalte, in denen ich in den Genuss kommen würde, Aidan als meinen Freund bezeichnen zu können, oder als seine Freundin bezeichnet zu werden. Würde ich jemals dazu kommen, ihn meiner Tante vorzustellen? Es wäre mir wichtig gewesen... sie war praktisch die letzte, direkte Verwandte, die ich hatte. Ich hätte auch gerne Aidan's Eltern kennengelernt, auch wenn ich mir nicht sicher war, ob seine Mutter es wirklich Wert war, kennengelernt zu werden. Ich wollte seine ganze, große Familie kennenlernen. Wenn die alle so liebenswürdig waren, wie Aidan, Addie und Rosemary... Rose. Ich hatte sie, in all der Zeit, in der ich wusste, dass Aidan ihr Enkel war, nie als seine Großmutter gesehen. Sie war einfach immer eine gute Freundin von mir gewesen, aber mit Aidan hatte ich sie nicht wirklich in Verbindung bringen können.

Den restlichen Weg von der Uni nach Hause verbrachte ich damit, mir Aidan's Familienmitglieder auszumalen, bis mir auffiel, dass ich vielleicht ein bisschen übertrieb. Würde ich mir jetzt zu viel erhoffen, würde ich mit Sicherheit enttäuscht werden.

Als ich das Treppenhaus betrat, hörte ich ein vertrautes Grummeln hinter mir und drehte ich um, ohne stehen zu bleiben. Mein Dämon trottete beleidigt hinter mir her, während die Haustüre ins Schloss fiel.

„Ach, der Herr lässt sich auch mal wieder blicken", zischte ich und stieg die ersten Treppen nach oben. „Wo warst du?"

Er meinte, er wäre die ganze Zeit da gewesen und hatte bloß keine Lust gehabt, sich zu zeigen. „Aha, und wieso, wenn ich fragen darf?" Keine Antwort. Natürlich nicht. „Dentalion also." Er knurrte mich warnend an. „Du hältst dich nicht an unsere Abmachung! Du hast gesagt, wenn ich deinen Namen errate, dann sagst du mir, wer du bist." Daraufhin meinte er nur, ich hätte den Namen durch eine seiner Bekanntschaften erfahren. Angestrengt verdrehte ich die Augen, und betrat die Wohnung. Addie war nicht mehr da, aber Chase war zurückgekommen und saß gegenüber von Trev am Küchentisch. Zwischen ihnen stand ein Schachbrett.

Ich ließ meine Tasche von meiner Schulter gleiten, streifte die Kapuze ab und fuhr mir durch die Haare. Eine Runde Haarewaschen wäre bei den Knoten vielleicht von Vorteil gewesen.

„Du spielst Schach?", fragte ich an Chase gewandt.

„Warum überrascht dich das?" Er bewegte hochkonzentriert und sehr bedacht seinen Springer.

Ich zuckte mit den Schultern. „Du bist mir nie wie der passiv-aggressive Typ vorgekommen."

„Sondern?"

„Nur aggressiv."

Chase sah auf, und ich hätte schwören können, ihn kurz lächeln zu sehen.

Ich verschwand in Aidan's Zimmer, um mir ein frisches Shirt und eine lockere Hose zu holen, bevor ich mich im Bad einsperrte, um meine Haare zu begutachten. Mein Dämon meinte, dass wohl nur noch die Schere helfen würde, woraufhin ich ihm einen giftigen Blick zuwarf.

„Das werden wir sehen", grummelte ich, aber selbst nach mehreren von Addie's Haarkuren und Ölen fanden sich noch ein paar Knoten in meinen Haaren, die sich nicht herausbürsten lassen wollten. Beleidigt starrte ich mein Spiegelbild an. „Zwei Tage nicht bürsten und sofort bekomme ich eine volle Breitseite, oder was?"

Mein Spiegelbild schien mich auszulachen und zu fragen, wie Aidan sowas attraktiv finden konnte. Blasse Haut, Augenringe, zerzauste Haare, Schlabber-Outfit. Addie hätte in den Sachen umwerfend ausgesehen. Seufzend schlüpfte ich in die bequemen Kleider, band meine halb trockenen Haare zu einem Knoten und trabte aus dem Bad.

Mir war nicht nach Schlafen zumute. Im Wohnzimmer herrschte eine solch konzentrierte Atmosphäre, dass ich beschloss, mich auf die Couch zu verziehen, um zu zeichnen. Vielleicht blieb ich auch hier, um nicht allein mit meinem Dämon zu sein, der immer noch wirres Zeug redete, dem ich keine Beachtung schenken wollte, weil es größtenteils davon handelte, dass er die Sache zwischen Aidan und mir nicht billigte. Nach knapp einer Stunde sagten Trev und Chase fast im Zehnsekundentakt „Schach" zueinander. Das Klacken der Figuren, die auf dem Brett verschoben, verstellt und geschlagen wurden, war in immer kürzeren Abständen zu hören, und ich fragte mich, ob die beiden einen Wettlauf gegen die Zeit gestartet hatten. Irgendwann setzte Chase Trev matt.

„Alter, du bescheißt doch", lachte Trev.

„Nein, du bist schlecht", entgegnete Chase, aber so schlecht konnte Trev nicht gewesen sein, wenn Chase fast über eine Stunde gebraucht hatte, um ihn zu schlagen.

Trev warf einen Blick auf seine Armbanduhr. „Mist, ich muss nach Stanford zurück. Ich erfahre heute den Termin für die Nachholklausur."

„Du willst dich doch nur vor einer Revanche drücken."

„Du solltest vor einer Revanche zittern." Er zeigte warnend mit dem Zeigefinger auf Chase, bevor er nach seinen Autoschlüsseln griff, und die Wohnung verließ.

Chase seufzte. „Verdammt. Jetzt ist mein Schachpartner weg."

„Ich kann gegen dich spielen", schlug ich vor und fragte mich im selben Moment, warum ich das getan hatte. Das fragte er sich offenbar auch, denn er zog irritiert die Augenbrauen zusammen.

„Du?"

„Ich bin nicht sonderlich gut", warnte ich. „Und wahrscheinlich hast du mich innerhalb von zehn Minuten geschlagen."

„Vermutlich. Was Strategien anbelangt bist du ja nicht sonderlich gut aufgestellt."

Ich verdrehte die Augen, und Chase nickte zu dem Stuhl, auf dem eben noch Trev gesessen hatte, während er die Figuren aufstellte. Sorgfältig schob ich die angefangene Zeichnung in die Mappe und legte diese dann auf den Couchtisch, bevor ich mich setzte.

„Scotch?", fragte er und deutete auf die Flasche, die neben dem halbvollen Glas stand.

„Nein, ich trinke keinen Scotch."

„Schon okay. Ich auch nicht." Mir entfuhr ein amüsiertes Schnauben, als er aufstand, ein Glas aus dem Regal holte, Scotch hineinfüllte und es mir zuschob.

Nach allem was passiert war, konnte ein bisschen Scotch nicht schaden, oder? Würde mir später beim Einschlafen bestimmt gelegen kommen, bis Aidan von der Uni zurückkehren würde. Schon beim ersten Schluck verzog ich das Gesicht und unterdrückte einen Hustreiz. Chase trank billiges, starkes Zeug, anders, als der Alkohol, den ich gewohnt war. Ich stellte das Glas weg, und wir begannen das Spiel.

Ich spielte mit den schwarzen Figuren, also machte Chase den Anfang. Stille legte sich über den Raum, und eine Zeit lang schoben wir schweigend Figuren hin und her. Chase hätte sich nicht einmal halb so sehr konzentrieren müssen, denn schon nach seinen ersten Zügen, hatte ich gefühlt nur noch halb so viele Figuren am Brett wie zu Beginn, und ich hatte noch keine seiner Figuren bedenkenlos schlagen können.

„Wer hat dir Schachspielen beigebracht?", fragte ich.

„Mein Bruder."

„Du hast einen Bruder?"

„Ich habe zwei Brüder." Ich zog die Augenbrauen hoch. „Und zwei Schwestern. Eine lebende und eine tote."

„Was du nicht sagst."

„Außer Amy sind alle älter als ich." Er bewegte einen Bauern. „Ziemlich praktisch, weil ich die drei dadurch nicht ständig am Hals habe." Während ich versuchte, das Kriegsgebiet auf der rechten Seite zu analysieren, stieß Chase ein „Oh" aus und zog seine Augenbrauen zusammen, als wäre ihm eben etwas eingefallen. „Wo wir gerade bei am Hals haben sind." Er griff in seine Hosentasche und zog den Anhänger heraus, den Rose mir geschenkt hatte. Ich atmete überrascht auf.

„Ich glaub, der gehört dir. Hab ihn im Myway gefunden. In dem Gang, in dem Jacob's Leiche lag." Er hielt ihn mir hin. Das Licht reflektierte sich in den Smaragdaugen, und ich war versucht, danach zu greifen, überlegte es mir aber noch in der Bewegung anders.

„Du solltest die Halskette Addie geben", sagte ich schließlich zögernd. „Ich hab sie ihr geschenkt."

Chase betrachtete mich einen Augenblick nachdenklich. „Ich denke nicht, dass sie für Addie bestimmt ist. Sie kann Vaya damit kein bisschen in Schach halten. Du deinen Dämon aber schon." Meinen Dämon. Dentalion.

War jetzt der richtige Zeitpunkt, Chase zu fragen? Ich wollte wirklich wissen, wer Dentalion war. Andererseits... wir spielten gerade Schach und anstatt seines Dolches, hielt er meine Halskette in der Hand. Er wollte mich ein Mal nicht tot sehen. Wir hatten uns nie besser verstanden.

Langsam griff ich nach der Halskette und legte sie mir um. Ich wusste nicht warum, aber ich fühlte mich augenblicklich besser. Sowie manche Menschen Haare brauchten, hinter denen sie sich verstecken konnten, hatte ich mich meistens mit Schmuck und besonders Halsketten geschützt. Sie nahmen den Blick vom Gesicht weg und lenkten ihn auf etwas Funkelndes. Im J.W. House durfte man, wegen Selbstverletzungs- und Selbstmordgefahr, keinen Schmuck tragen, weshalb ich den Anhänger auch nur getragen hatte, wenn ich alleine in meinem Zimmer gewesen war. Ansonsten hatte ich die Kette unter mein Shirt getan und meine Haare den Rest abdecken lassen, und wenn ich meine Haare hochgebunden hatte, dann hatte ich die Halskette in meiner Hosentasche verschwinden lassen.

„Aber Beverly...", begann Chase, sobald er merkte, wie wohl ich mich mit dieser Kette fühlte.

„Hm?"

„Ich hasse dich trotzdem noch."

Ich verdrehte die Augen. „Das kann ich nur zurückgeben."

Würde er das nun jedes Mal sagen, wenn wir Gefahr liefen, aufeinander zuzusteuern, ohne uns gegenseitig umbringen zu wollen?

„Weißt du...", begann ich, und deckte meinen Läufer, der von Chase' Turm bedroht wurde, mit einem Bauern. „Wenn man den Tod akzeptiert hat, ist es schwierig wieder ins Leben zurückzufinden. Man fühlt sich bereits tot, verstehst du?" Er warf mir nur einen flüchtigen Blick zu, bevor er mir mühelos einen Springer wegnahm, den ich übersehen und nicht gedeckt hatte. Ich nahm einen weiteren Schluck Scotch und wartete, bis die Flammen in meinem Rachen nachließen. „Wenn man vergessen hat, dass man noch lebt, erinnert man sich erst wieder daran, wenn man von einem Jäger durch einen arschkalten Wald gejagt und mit Dämonenglas bedroht wird. Also hör nie damit auf, mich umbringen zu wollen, okay? Das ist das Einzige, das mich am Leben hält."

„Versprochen", grinste er und setzte seine Dame in Richtung meines Königs. Wahrscheinlich war es das einfachste Versprechen, dass ihm jemals einer abverlangt hatte. Er warf einen Blick auf sein Telefon. „Sieben."

Ich zog irritiert die Augenbrauen zusammen. „Was?"

„Ich hab nur sieben Minuten gebraucht, um dich zu schlagen." Er lehnte sich selbstgefällig zurück, und ich überflog das Brett, um festzustellen, dass mein König wirklich keine Fluchtmöglichkeit hatte und ich auch seiner Dame keine Figur hätte in den Weg stellen können. „Schachmatt."

Ich sah ihn immer noch verdattert an und wusste nicht, was ich sagen sollte, aber Chase schob entschlossen seinen Stuhl zurück, und stand auf. Er nickte zur Türe. „Komm mit."

„Wohin?"

„Ich muss dir was zeigen."

„Jetzt?" Mir wurde von dem Scotch schon schwindelig, wenn ich nur meinen Kopf drehte. Wie um alles in der Welt hätte ich denn bitteschön laufen sollen? „Ist es weit?"

„Keine Sorge, wir fahren."

Ich seufzte theatralisch und trank den letzten Rest Scotch hinunter, bevor ich aufstand und Chase auf den Flur folgte. Er sperrte ab, und wir gingen die Treppen hinunter. Das heißt, er ging. Ich wankte.

Chase saß bereits im Wagen, während ich noch Mühe damit hatte, nicht über meine eigenen Füße zu stolpern. Umständlich setzte ich mich auf den Beifahrersitz und zog die Türe zu. „Wo geht's hin?", fragte ich unternehmungslustig, während ich mich anschnallte. Der Alkohol machte es mir schwer, klare Sicht zu bekommen, also dauerte es einen Moment. Chase umklammerte jedoch nur das Lenkrad und starrte aus der Windschutzscheibe, ohne den Motor zu starten. Seine plötzliche Ernsthaftigkeit beunruhigte mich.

„Sag mal", begann ich langsam, weil mir ein entscheidender Punkt erst jetzt auffiel. „Kannst du überhaupt fahren? Du hast doch auch was getrunken. Sicher, dass du fit bist?"

Er drehte seinen Kopf langsam zu mir. In seinen Augen stand eine beunruhigende Mischen von Sorge und Reue. „Es tut mir leid."

„Was?" Aber noch bevor ich verstand, was vor sich ging, nahm ich eine Bewegung im Rückspiegel wahr und spürte im selben Augenblick einen brennenden Stich in meinem Nacken. Meine Hand fuhr zu der Stelle, an der mich etwas gestochen hatte. Schwarze Punkte begannen vor meinen Augen herumzutanzen, die zu immer größer werdenden Flecken mutierten, bis ich von der Dunkelheit verschluckt wurde.

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