Kapitel 9
»Was machen wir hier?«, fragte Sezuna skeptisch.
Nemesis hatte sie hinaus in die Hölle geführt und sie waren einige Minuten Laufweg vom Knochenschloss entfernt. Hier gab es nichts außer Klippen und Sand. Sezuna glaubte, dass es im Grunde überall in der Hölle so aussah. Daher fragte sie sich, warum er sie hierherführte. Nicht einmal die Hunde hatte sie gesehen, weshalb sie erst recht nicht einordnen konnte, wo sie hier waren.
»Das hier wird ab heute dein Territorium«, erklärte er, was Sezuna einen verwirrten und fragenden Laut entlockte. Wieso wollte er ihr hier so etwas geben und was sollte sie damit anfangen?
»Wie Territorium?«, wollte sie wissen, da sie nicht genau verstand, was er eigentlich meinte. Sie hatte verstanden, dass sie eine Königin war und irgendwann herrschen würde oder zumindest das Verlangen dazu entwickelte, doch sie war noch viel zu jung. Zudem handelte es sich um eine unbewohnte Gegend. Was also sollte sie mit so viel Sand anfangen?
»Ich möchte, dass du regelmäßig deinen überflüssigen Sternenstaub genau hier an dieser Stelle in den Boden fließen lässt«, erklärte er sanft, was Sezuna nur noch mehr verwirrte. »So, wie ich es dir beigebracht habe.«
Sezuna blickte sich um und runzelte die Stirn. Die letzten Stunden hatte Nemesis ihr einiges zu ihrer Quelle erklärt und ihr sogar gezeigt, wie sie hinabsteigen konnte, doch sie verstand nicht ganz, was er mit überflüssigem Sternenstaub meinte und wie sie das anstellen konnte. »Aber ist das nicht ... gefährlich?«, fragte sie. Immerhin hatte er gesagt, dass sie das nicht allein machen sollte. Oder würde er hier sein, damit sie nicht zu weit hinabtauchte?
»Nur, wenn du nicht lernst, wie du es kontrollieren kannst«, sagte er und deutete auf eine Stelle. »Das bringe ich dir jetzt bei.«
Sezuna wusste nicht genau, was sie machen sollte, weshalb sie sich einfach hinhockte, um ihre Hand auf den Boden zu legen. Dann schloss sie ihre Augen und ließ den Sternenstaub durch ihren Körper wandern. So, wie Nemesis es ihr bereits einmal erklärt hatte. Diese Macht lenkte sie in den Boden.
Es fühlte sich seltsam an, da der Sternenstaub ihr durch die Adern rann und ihren ganzen Körper zum Kribbeln brachte.
»Zähl innerlich bis fünf«, verlangte Nemesis. »Dann brichst du die Verbindung ab«, wies er mit ruhiger Stimme an. Sezuna war klar, dass er bei ihr sein würde, solange sie versuchte, ihre eigene Macht zu erkunden.
Als sie bei fünf angekommen war, zog sie ihre Hand zurück, spürte aber, dass die Verbindung zum Land noch da war. Sogar an ihren Füßen, die im Sand standen, spürte sie es. Als würde das Land an ihrer Magie ziehen. Sogar durch ihre Socken.
Das Gefühl, dass an ihr gezogen wurde, ging durch ihren gesamten Körper und sammelte sich an ihrem Brustkorb. Dort spürte sie ganz deutlich das Ziehen der Umgebung, während immer mehr Sternenstaub aus ihren Körper rann.
Überrascht riss sie die Augen auf. »Was ist das?«, fragte sie panisch. Sie hatte nicht damit gerechnet, dass sie mehr tun musste, als nur die Hände zurückzuziehen.
»Alles gut. Das ist normal«, versicherte der Höllenfürst mit ruhiger Stimme. »Du musst die Verbindung zum Land komplett trennen, sonst wird es immer von dir zehren. Auf normalen Planeten ist das nicht schlimm, denn irgendwann sind sie voller Magie, aber es gibt auch Planeten, die leer sind und dich so töten können«, erklärte er, während Sezuna noch immer den Zug an ihrem Sternenstaub spürte. Was sollte sie nur tun?
Nemesis griff nach ihrer Hand und hielt sie fest, bevor er Magie in sie leitete und die Verbindung von Sezuna zum Land trennte. Einfach so, als hätte er das schon mehrere Male gemacht. Konnte das sein?
Sezuna seufzte erleichtert. Der Sog war weg. Ihr Körper fühlte sich müde an, doch es war irgendwie auch befriedigend.
Sezuna versuchte, sich das Gefühl zu merken, dass sie das nächste Mal selbst die Verbindung trennen konnte. Wenn sie diese nicht unterband, konnte das wohl sehr gefährlich werden.
Schon jetzt spürte sie, dass es ihren Körper anstrengte. Wie würde es dann sein, wenn sie die Verbindung nicht trennen konnte?
»Das ist normal«, beruhigte Nemesis sie mit sanfter Stimme erneut. »Du wirst noch eine Weile üben müssen, bist du es allein kannst. Ich werde dir Eve mitgeben. Sie weiß, worauf sie achten muss«, erklärte er. Sezuna legte den Kopf fragend schief. Wieso Eve?
»Ist sie auch eine Hüterin?«, wollte sie wissen und blickte dabei Nemesis ins Gesicht, um seine Regungen zu betrachten. Er nickte lediglich, was Sezuna aber reichte, um erfreut zu strahlen. Das hatte sie nicht gewusst. Sie war noch nicht in der Lage, die Klasse richtig zuzuordnen. Vielleicht lag es aber auch an der Umgebung.
Was war der Höllenfürst eigentlich? Ein Krieger, Magier oder sogar König oder Speicher? Sezuna konnte es nicht sagen. Vielleicht hatte er als Höllenfürst auch eine andere Klasse. Leider war er nicht darauf eingegangen. Als würde er aus seiner Person generell ein Geheimnis machen.
»Sie kann dir viele Dinge beibringen«, sagte Nemesis sanft und tätschelte ihren Kopf. Es hatte etwas sehr Väterliches, was Sezuna erfreut lächeln ließ. Für sie war es nicht so, als würde er sie abschieben. Sie bekam lediglich einen weiteren Mentor dazu und darüber freute sie sich, denn sie wollte möglichst viel lernen. Eve würde ihr wahrscheinlich einen ganz anderen Blick auf die Dinge geben, da sie selbst eine Hüterin war.
Nemesis deutete nach unten, was Sezuna verwunderte. Sie senkte ihren Blick und musste dann erst einmal überlegen, was sie dort sah. Langsam hockte sie sich zu Boden und streckte ihre Hand nach etwas aus, das wie orangefarbenes Fell wirkte. Zumindest auf den ersten Blick. Als sie mit den Fingern darüberfuhr, bemerkte sie ein bekanntes Gefühl. »Gras?«, fragte sie nach Luft schnappend. Warum wuchs Gras in der Hölle und warum sah es aus, als wäre es gerade erst gesprossen?
»Das ist es, was eine Hüterin tut«, sagte der Höllenfürst stolz, während er sich zu ihr hockte und sie dabei beobachtete, wie sie immer wieder mit den Fingern über das Gras strich. Es fühlte sich unglaublich gut an.
»Heißt das, das geht sogar in der Hölle?«, fragte sie leise und ungläubig. Damit hatte sie nicht gerechnet. Hier gab es so viel Sternenstaub, dass dieses Gras eigentlich auch ohne sie hätte sprießen müssen.
Nemesis lächelte. »Ja, nur ist die Hölle ein Ort, der sehr groß und von Sternenstaub durchdrungen ist. Hier wirken etwas andere Kräfte. Normalerweise solltest du in der Lage sein, einen ganzen Planeten mit neuem Leben zu füllen.«
»Es ist also unmöglich sie komplett mit Leben zu füllen?«, wollte Sezuna wissen, um zu testen, ob sie es richtig verstanden hatte. Zudem versuchte sie zu verstehen, was Nemesis mit seinen letzten Worten gemeint hatte. Sie sollte in der Lage sein, ganze Planeten mit Leben zu füllen? Hieß das etwa, dass sie diese erschaffen konnte?
Nemesis schüttelte leicht den Kopf. »Ob du es glaubst oder nicht: Die Hölle ist ein Ort voller Leben. Nur wird diese Lebensenergie für die Reinigung der Seelen gebraucht. Deine Macht, die du in den Boden geleitet hast, verbindet sich nicht direkt mit der, die hier in der Hölle herrscht. Daher schafft deine etwas anderes. Später werden sie sich verbinden«, erklärte er, erhob sich wieder und reichte Sezuna seine Hand. Wahrscheinlich, um ihr aufzuhelfen.
Diese griff danach und ließ sich hochziehen, bevor der Höllenfürst mit ihr einen Pfad durch die Klippen einschlug. »Ich zeige dir Eves Garten«, bemerkte er und wirkte irgendwie zufrieden. Zudem war Sezuna der Meinung, dass er entspannt wirkte. Nicht mehr so angespannt, wie es zu Beginn der Fall gewesen war. Hatte er sich vielleicht an ihre Gegenwart gewöhnt?
Gemeinsam liefen sie durch die Hölle, bis Sezuna eine Veränderung in der Luft spürte. Es war, als wäre hier ein Schleier aus Magie, der einen bestimmten Bereich unter einer kühlenden Kuppel verbarg. Die Hölle an sich war ein sehr drückender, aber trockener Ort. Hier war es anders. Die Luft war angenehmer, etwas kühler und eindeutig mit mehr spürbarem Wassersternenstaub gefüllt.
Sezuna atmete tief ein. Es fühlte sich gut an. Zudem bemerkte sie, wie der Sand unter ihren Füßen zu etwas Weicherem wurde. Als sie hinabblickte, bemerkte sie rotes Gras. Es überraschte sie nicht so sehr, wie es gewesen wäre, wenn Nemesis es ihr nicht erklärt hätte, doch warum war das Gras hier rot und bei ihr orange?
Fasziniert blickte sie nach unten und lief ein Stück weiter, bis Nemesis sie plötzlich aufhielt. Sie sah auf und bemerkte vor sich etwas, das verdächtig nach einem Baum aussah. Aber mit einem dunkelvioletten Stamm und Blättern, die irgendwie die Form von Herzen hatten und rosafarben waren.
»Ist das ... ein Baum?«, wollte sie wissen, da sie ihren Augen nicht ganz trauen konnte. Sie hatte noch nie einen solchen Baum gesehen. Er passte irgendwie hierher und irgendwie auch nicht. Er wirkte sehr ästhetisch.
Nemesis lachte leise. »Das sind Eves Herzbäume«, bemerkte er und hob die Hand, um eines der herzförmigen Blätter zu pflücken. Dieses hielt er Sezuna hin und sie bemerkte, dass es nicht flach war. Es wirkte mehr wie eine Blüte. »Mach es auf«, forderte er, was Sezuna die Stirn runzeln ließ. Dennoch öffnete sie es irgendwie und bemerkte eine kleine, perlenartige Frucht in der Mitte. Sie verströmte einen süßen, angenehmen Geruch.
Überrascht pflückte sie diese und hielt sie sich vor die Nase. »Die duftet gut«, flüsterte sie und spürte, wie ihr das Wasser im Mund zusammenlief.
»Iss sie ruhig«, lachte Nemesis, der sich ebenfalls eine nahm.
Zögerlich legte Sezuna sie auf ihre Zunge und spürte, wie ein fast honigartiger Geschmack sich darauf breitmachte. Ein zufriedener Laut verließ ihre Lippen, während sie den Geschmack genoss, indem sie ihre Augen schloss. Als sie es schließlich schluckte, war es immer noch sehr gut. »Wie lecker«, schwärmte sie und hätte am liebsten noch eine Frucht gegessen, doch sie wusste nicht, ob Eve das so gut finden würde. Sie wollte auch so einen Baum haben. Wie hatte es Eve nur geschafft, diesen zu erschaffen? Hatte sie vielleicht ein Vorbild dafür gehabt? Sezuna selbst kannte keine Pflanze dieser Art, obwohl es sehr viele verschiedene Gewächse auf Yama gab.
Yui kam auch immer wieder mit neuen Pflanzen an, da es sich dabei um ihre Freizeitbeschäftigung handelte. Manchmal verkaufte sie sogar die Pflanzen oder züchtete für Lilith Kräuter. Doch so ausgefallene Pflanzen hatte selbst Yui bisher nicht hinbekommen. Ob es wohl möglich war, der Hexe einen Ableger mitzunehmen? Würden diese Bäume überhaupt auf Yama gedeihen können?
»Eve macht das hier schon seit ein paar Jahren«, erzählte Nemesis und führte sie weiter. Hier gab es Bäume, Büsche und andere Pflanzen. Dinge, die Sezuna hier in der Hölle noch nie gesehen hatte. Generell wirkten sie so interessant, dass sie kaum einen Vergleich zu ihr bekannten Pflanzen ziehen konnte.
Es gab noch so viel zu lernen und sie würde hoffentlich von Eve all ihre Fragen beantwortet bekommen.
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