20 | surreptitious
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s u r r e p t i t i o u s
juni 2013
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Allison || Meine Finger vergraben sich in Harrys weichen Locken, während ich mein Gesicht in seinem Pullover drücke und einmal tief einatme. Es ist das erste Mal seit dem Konzert in Liverpool, dass wir uns wiedersehen und das ist mittlerweile auch bereits wieder Wochen her.
„Hey Al", flüstert er mir ins Ohr und hebt mein Kinn leicht an, damit er mir in die Augen schauen kann.
Sogleich legt sich ein Lächeln auf meine Lippen, als hätte er Macht über meinen Körper als ich selbst.
„Hey Harry."
Als er Anstalten macht, mich loszulassen, umklammere ich ihn nur noch fester, denn ich bin noch nicht bereit dazu. Viel zu lange haben wir uns nicht gesehen und wenn uns während seiner Tourpause ohnehin nur einige Tage vergönnt sind, habe ich vor, diese bis aufs Äußerste auszukosten. In einer Woche geht es für One Direction bereits nach Amerika und wer weiß, wie lange es dauert, bis ich Harry dann endlich wieder in meinen Armen halten kann.
„Wenn du mich weiterhin so umklammerst, frieren wir hier noch fest", grinst Harry irgendwann.
„Mir egal", murmele ich, was ihn zum Lachen bringt.
Es ist schön, ihn Lachen zu hören. Noch schöner ist es allerdings, es auch fühlen zu können.
„Vielleicht sollten wir wirklich reingehen", seufze ich schließlich doch, als Mister Reynolds bereits wieder von seiner Hunderunde zurückkehrt. Als er aufgebrochen ist, hat er uns beiden fröhlich zugewinkt und nun wird mir bewusst, dass Harry und ich bestimmt schon seit einer halben Stunde in meiner Haustür stehen, während wir uns einfach festhalten.
„Ja wahrscheinlich", entgegnet Harry, macht aber ebenfalls keine Anstalten, unsere Umarmung zu lösen. Stattdessen streicht er mir bloß lächelnd eine verirrte Haarsträhne zurück hinters Ohr.
„Es tut mir übrigens verdammt leid, dass ich bei deinem letzten Schultag nicht da sein konnte, Al. Ich habe es wirklich versucht, aber der Terminkalender hat es einfach nicht hergegeben."
Ich fahre ihm sanft durch die Haare, was ihn kurz die Augen schließen lässt. „Das ist überhaupt nicht schlimm, Hazza", versichere ich ihm mit einem leisen Seufzer, denn es ist nicht das erste Mal in den letzten Tagen, dass er sich dafür entschuldigt.
Ich hätte meinem Freund gegenüber gar nicht erst erwähnen sollen, dass Jillian an unserem allerletzten Schultag von ihrem neuen Lover abgeholt wurde, wie es Tradition an unserer Highschool ist, denn seitdem macht er sich furchtbare Vorwürfe.
„Ich wäre trotzdem gerne dagewesen", murmelt Harry, während er leichte Küsse auf meinen Nacken verteilt.
„Wir sind hier nicht in Amerika. Wir feiern den High School Abschluss doch nicht einmal wirklich."
Harry sieht mich gespielt pikiert an. „Nur weil ich keinen Abschluss habe, weiß ich darüber doch zumindest theoretisch Bescheid."
Sein Schauspiel hält nicht lange an, stattdessen zucken seine Mundwinkel gefährlich nach oben und verziehen sich zu einem breiten Grinsen.
„Sorry." Ich küsse ihn, was nicht einfach ist, weil wir nun beide lachen müssen. Dennoch gibt es nichts Schöneres.
„Ich wäre trotz nicht vorhandener Party gerne an dem Tag bei dir gewesen und hätte dich zum Essen ausgeführt", flüstert Harry schließlich gegen meine Lippen. „Einfach um zu feiern, dass meine Freundin verdammt schlau ist."
Lächelnd verdrehe ich die Augen. „So schlau bin ich jetzt auch nicht."
„Zumindest schlauer als ich, was aber wahrscheinlich auch nicht schwer ist, Al."
„Ja sicher", lache ich, bis mir auffällt, dass er die Worte nicht im Scherz gesagt hat. „Du meinst das doch hoffentlich nicht ernst?"
Er zuckt mit den Schultern und wendet den Blick ab. „Wie wäre es, wenn ich dich jetzt dafür zum Essen ausführe?"
Meine Finger verschränken sich mit seinen und ich warte stumm, bis Harry mich endlich wieder ansieht. Als seine grünen Augen schließlich auf mich gerichtet sind, wird mir bewusst, dass ich ihn selten so verletzlich gesehen habe. Es tut weh, ihn so zu sehen, aber gleichzeitig bringt es auch mein Herz zum Flattern, dass er mich diesen Teil von sich überhaupt sehen lässt.
Harry Styles hat sich im Laufe der Zeit eine Fassade aufgebaut, eine Maske, hinter die die wenigsten sehen dürfen. Ich kann es mittlerweile.
„Du bist nicht dumm", versichere ich ihm und meine jedes Wort auch so. „Wie kommst du überhaupt auf den Gedanken?"
„Ich habe nie einen Abschluss gemacht."
„Aber du hättest einen machen können", entgegne ich bestimmt. „Du bist nur zu sehr damit beschäftigt, mit deiner Band die Welt zu erobern. Du bist intelligent, also wage es nicht, auch nur irgendetwas anderes zu denken."
Er nickt stumm, doch das reicht mir noch nicht.
„Versprochen, Harry?"
Augenverdrehend grinst er mich an. „Versprochen. Und jetzt lass mich meine Freundin bitte endlich zum Essen einladen."
„Wenn ich zahlen darf?", verhandele ich, doch daraufhin schüttelt er vehement den Kopf. Voller Kraft und Überzeugung. Noch eine Kleinigkeit, die mir in den letzten Monaten aufgefallen ist. Harry Styles tut sich schwer damit, Entscheidungen zu treffen, aber wenn er sich einmal entschieden hat, dann verfolgt er das Ziel mit aller Entschlossenheit.
„Nein, Al. ich zahle, denn wir feiern deinen Schulabschluss."
„Noch habe ich gar keinen Abschluss. Die Noten gibt es erst im August", erinnere ich ihn, doch als er lachend den Kopf schüttelt, beschließe ich nachzugeben. „Okay, du zahlst. Aber dafür bin ich das nächste Mal wieder dran."
„Meinetwegen." Er küsst mich noch einmal, bevor er unsere Umarmung löst und dann meine Hand in seine nimmt, um mich aus dem Haus zu ziehen.
„Ich bin dann jetzt weg", brülle ich in das Gebäude, das wie immer voller Bewegung ist.
„Okay", ruft mein Vater zurück, bevor die Haustür knallend ins Schloss fällt.
Harry zuckt daraufhin zusammen, doch mich irritiert es nicht im Mindesten, bin ich es doch so sehr gewohnt, dass unser Grundstück ständig von Geräuschen erfüllt ist.
„Mein Auto steht dahinten", meint mein Freund und will mich in die Richtung ziehen, doch ich schüttele den Kopf.
„Ach was. Die Bahn ist viel schneller und hält direkt neben dem Restaurant."
Er sieht einen Augenblick lang so aus, als würde er noch etwas sagen sollen, doch letztendlich bleiben seine Worte für immer ein Geheimnis. Stattdessen nickt er bloß stumm, woraufhin wir zur Metrostation schlendern.
Irgendwann auf dem Weg verliere ich Harrys Hand, doch als ich sie wieder nehmen will, stelle ich fest, dass er mit einem Stechschritt bereits einige Meter vor mir geht. Stirnrunzelnd schließe ich zu ihm auf und sehe zu seinem Telefon, dass er nun in seiner Hand hält.
„Irgendetwas wichtiges?"
Er sieht mich bedauernd an. „Sorry, ich warte bloß auf einen Anruf von Jeff."
„Wieso? Ich dachte, ihr hättet zumindest einige Tage lang frei?"
„Ja, haben wir auch, aber –" Er räuspert sich und wedelt durch die Luft, während er nach den Worten sucht. „So einfach ist das nicht, Al. Ich habe zwar frei, aber nie wirklich frei. Es kann immer etwas dazwischen kommen und sobald ich unterwegs bin, kann ich nicht einfach unsichtbar werden."
Ich nicke langsam, während ich versuche, den Sinn hinter seinen Worten zu verstehen. Ich tue es nicht, nicht wirklich, egal wie sehr ich mich auch anstrenge, aber ich hake nicht weiter nach, weil die Worte Harry ein Stirnrunzeln gezaubert haben und ich ihn nicht noch mehr verunsichern will.
„Was war bisher dein schönstes Konzert der Tour?", frage ich also stattdessen einfach.
Harry beißt sich auf die Unterlippe, während er die Augen leicht zusammenkneift und es freut mich, dass er sich wirklich die Zeit nimmt, über meine Frage nachzudenken.
„Die beiden Konzerte in Italien wahrscheinlich", antwortet er schließlich. „Die Leute dort sind so viel entspannter und begeisterter als in England oder auch auf den meisten anderen Teilen dieser Welt."
„Das hört sich toll an", entgegne ich mit einem Lächeln, das leicht verrutscht, als mir bewusst wird, dass ich all diese fernen Orte nie in meinem Leben sehen darf. Dafür kann mein Freund es und ich hoffe einfach, dass er es für mich mit genießt.
Während wir auf die Bahn warten, fummelt Harry an seinem Handy herum und ich wage keinen zweiten Versuch, seine Hand in meine zu nehmen. Es ist merkwürdig, nun wo ich ihn so nah bei mir habe, hätte ich gedacht, dass wir uns noch näher fühlen als bei all den Telefonaten in den letzten Wochen. Doch stattdessen kommt es mir heute so vor, als würde eine ganze Mauer Geheimnisse uns auseinanderhalten.
Als die Bahn einfährt, schüttelt Harry den Kopf, als ich mich direkt an die Tür setzen will und bedeutet mir, bis ans Ende des Wagons zu folgen. Dort wählt er den Sitz, der mit dem Rücken zur Tür ist und klopft dann lächelnd neben sich, damit ich mich ebenfalls setze.
Es gibt einen Ruck, an dem ich kurz an Harrys Seite geworfen werde und dann setzt sich die Metro in Bewegung, auf dem Weg ins Stadtzentrum meiner Heimatsstadt.
„Bin ich so schrecklich anzusehen?", frage ich schließlich, allerdings nur halb im Scherz, als mir auffällt, dass Harry während der Fahrt angestrengt aus dem Fenster starrt.
„Nein, natürlich nicht, Al."
Ich beiße mir auf die Unterlippe, während ich ihn mit einem unguten Gefühl im Magen mustere. „Was ist dann los?"
„Ich will einfach mal schauen, wo du hier so wohnst."
„Weil es ja auch das erste Mal ist, dass wir mit der Bahn fahren." Der Sarkasmus in meiner Stimme ist nicht zu überhören und ich bin erleichtert, als Harry wirklich lacht.
„Ich habe deine Umgebung eben noch nicht ganz analysiert. Ich muss doch wissen, wo ich dich zurücklasse, wenn ich durch die Welt touren muss", meint er, nachdem er mir ein freches Grinsen zugeworfen hat.
Ich schüttele bloß lachend den Kopf, lasse ihn aber dann machen, weil ich weiß, dass er manchmal eigenartig sein kann. Nicht zum ersten Mal frage ich mich, ob das der Welt über Harry Styles überhaupt bewusst ist oder ob sie in ihm bloß den Popstar sehen. Denn das ist er natürlich auch, aber nicht nur. Er hat auch eine wahnsinnig nachdenkliche Art an sich an manchen Tagen und seine verzerrte Logik muss in manchen Momenten wirklich nach seinesgleichen suchen.
Die Bahn bringt uns in Manchesters Stadtzentrum, wo wir an der Stadtbibliothek kurz die Linie wechseln und dann schließlich in einem Stadtteil aussteigen, wo sich mein Lieblingsspanier befindet. Harrys Argumentation, dass ich mir auch ruhig ein Steakhouse oder eines der teureren Restaurants aussuchen könne für die Feier meines Abschlusses, habe ich direkt abgelehnt. Eine Entscheidung, die ich nicht bereue, vor allem dann nicht, als wir durch die Türen meines Lieblingsgasthauses treten und ich mich direkt wie im Urlaub fühle. Zumindest stelle ich mir Mexiko so vor, mit all den hölzernen Stühlen, den dekorierten Sombreros und den bunten Farben.
„Könnten wir bitte einen Tisch im hinteren Teil bekommen?", bittet Harry die Angestellte höflich, die ihn eine Sekunde lang anstarrt, als wäre er ein Geist.
Das Mädchen, das nur einige Jahre älter sein kann als ich, räuspert sich und nickt dann eilig. „Selbstverständlich."
Ich sehe ein wenig bedauernd zu der Fensterfront herüber, an der ich normalerweise am liebsten sitze, aber mittlerweile habe ich mich daran gewöhnt, dass Harry bei Besuchen in Restaurants oder Cafés meistens die versteckteren Ecken bevorzugt.
Eine Kellnerin kommt vorbei, nimmt unsere Getränkewünsche auf und reicht uns die Speisekarten, bevor sie wieder verschwindet. Höflichkeitshalber schlage ich das Menü ebenfalls auf, weil ich meiner Begleitung nicht das Gefühl geben will, dass ich ihn hetzte. Doch eigentlich weiß ich ohnehin, was ich wähle, weil ich in diesem Restaurant viel zu oft lande und außerdem keiner der Menschen bin, der gerne andere Speisen ausprobiert. Wenn ich einmal etwas gefunden habe, das mir schmeckt, dann bleibe ich grundsätzlich dabei.
„Hast du schon mal den Hähnchen Burrito gehabt, Al?"
„Nein, aber Seth schwört darauf, dass er besser schmeckt als alles andere. Also ist das wahrscheinlich keine schlechte Wahl."
„Dann werde ich deinem Bruder mal vertrauen. Bisher scheint er mir ganz vernünftig zu sein", grinst Harry.
Seine Worte bringen mich zum Lachen. „Es ist doch immer wieder erstaunlich, wie vernünftig ihn alle einschätzen. In Wirklichkeit kann er manchmal noch durchgedrehter sein als Drake."
Meine Brüder schenken sich gegenseitig nichts, wenn es darum geht, wer von beiden mehr Drama reißen kann. Sie sind beide in der Schule dafür bekannt, regelmäßig für Aufregung zu sorgen und dennoch werden sie sehr von allen geschätzt.
Als Seth mit fünf Jahren beschlossen hat, Profitänzer zu werden, haben meine Eltern seinen Traum immer unterstützt, aber dennoch Angst gehabt, dass ihn die anderen Kinder deswegen auslachen würden. Doch das ist nie passiert, es hat nie einen interessiert, ob mein älterer Bruder nun Fußball spielte oder über das Parkett tanzte, einfach weil er als Person unglaublich cool und liebenswürdig ist.
„Wie läuft euer Kinofilm eigentlich?", erkundige ich mich, nachdem die Bedienung uns unsere Getränke gebracht und die Essenswünsche aufgenommen hat.
Jedes Mal wenn wir auf den Film zu sprechen kommen, fangen Harrys Augen an zu strahlen und auch der heutige Abend ist da keine Ausnahme. In den letzten Wochen habe ich sein Lächeln nur über Skype sehen dürfen und ihn heute wirklich direkt vor mir zu haben, fühlt sich unglaublich gut an.
„Die letzten Feinheiten werden momentan gedreht und das meiste ist bereits geschnitten", berichtet er mir begeistert. „Ich bin schon verdammt gespannt, was du dazu sagen wirst."
Ich lächele über seine Begeisterung, denn es macht mich glücklich, ihn so aufgeregt zu sehen. Es ist überraschend, dass Harry selbst nach all den Ereignissen in seinem Leben immer noch für alles so freudig ist und ich hoffe, dass er diese Begeisterung nie verlieren wird.
„Bin ich eigentlich auch in dem Film?", frage ich, nachdem mir einfällt, dass Eleanor und ich letzte Woche darüber diskutiert haben, als wir für einen Nachmittag ins Café North geflüchtet sind. Es hat gut getan, den ganzen Lernstress zu vergessen und die Studentin ist ebenfalls froh gewesen, einmal ihre Unterlagen beiseitelegen zu können.
„Nein, bist du nicht. Keiner unserer Freundinnen." Harry beißt sich auf die Unterlippe. „Tut mir leid."
„Keine Sorge, ich bin nicht scharf auf einen Filmauftritt. Ich sehe auf Fotos schon immer verdammt furchtbar aus und Videos sind noch schlimmer."
Ich lächele über seine Besorgnis und lege meine Hand auf sein Bein, die er sofort umklammert, als wäre ich sein Rettungsanker. Sein Daumen streicht sanft über meinen Handrücken und selbst diese kleinste Bewegung bringt mein Herz schneller zum Schlagen.
„Ist das der Grund, warum Jillian so viele Filme dreht, bei dem du ein Bettlaken über dem Kopf tragen kannst?", zieht Harry mich lachend auf.
Ich starre ihn peinlich berührt an, denn meine Auftritte sind wirklich nichts, was ich meinem Freund unbedingt unter die Nase reiben wollte. Dabei ist eher Fremdschämen angesagt. „Woher weißt du das?"
„Das hat Jillian mir neulich erzählt. Ich habe sogar einen Ausschnitt des Films auf meinem Handy", grinst er amüsiert. „Willst du ihn sehen?"
Stirnrunzelnd sehe ich ihn an. „Du hast Jills Handynummer?"
„Ja, schließlich muss ich doch wissen, wie es bei dir läuft. Also habe ich mit deiner besten Freundin Nummern getauscht vor ein paar Wochen, als du duschen warst und sie an dein Handy gegangen ist."
Das Jillian mein Handy beantwortet, ist nichts Ungewöhnliches, denn das haben wir gegenseitig immer schon so gehandhabt. Eigentlich habe ich auch kein Problem damit, wenn sie mit meinen Freunden redet, ich habe bloß kein gutes Gefühl bei der Sache, wenn ich an die erste Begegnung der beiden denke. Jillian ist das liebste Mädchen, aber wenn es um ihre Träume geht, dann wird sie über Leichen gehen und ich will nicht, dass sie Harry ausnutzt, nur um ihre Filme besser vermarkten zu können.
„Hat Jill dich nach deiner Nummer gefragt?", frage ich vorsichtig, während ich versuche, die Situation einzuschätzen.
Harry zuckt mit den Achseln. „Keine Ahnung, Al. Vielleicht habe ich auch sie gefragt. Das ist doch auch nicht so wichtig."
„Nein, ich schätze nicht", entgegne ich ausweichend, wobei es für mich durchaus wichtig ist. „Wie oft textet ihr denn so? Und worüber?"
„Wird das jetzt hier ein Verhör?" Er lässt meine Hand los und sieht mich verwirrt an. „Wenn du nicht willst, dass ich mit deiner besten Freundin schreibe, dann sag mir das einfach."
„Würdest du dann damit aufhören?", frage ich ihn.
„Nein, weil das total bescheuert ist", entgegnet Harry und sieht mich beleidigt an. „Ich betrüge dich nicht, Al. Schon gar nicht mit deiner besten Freundin."
„Davor habe ich auch keine Angst. Wirklich nicht, denn ich vertraue dir", versichere ich ihm. „Ich will auch gar nicht, dass du keinen Kontakt zu Jill hast. Aber – sei einfach vorsichtig, okay?"
„Wovor? Davor, dass sie mich nachts in einem Bettlaken bekleidet zur Tode erschrickt, weil sie einen Horrorfilm drehen will?", meint Harry versöhnlich.
Ich lache. „Nein."
„Wovor dann?"
„Nicht so wichtig", murmele ich und will mich nach vorne beugen, um ihn zu küssen. Doch als ich mich in seine Richtung lehne, nimmt er ahnungslos einen Schluck aus seiner Cola und ich lasse mich seufzend wieder auf meinen Stuhl zurücksinken.
Die restliche Zeit bis das Essen kommt, stürzen wir uns in eine angeregte Unterhaltung und ich merke wieder einmal, wie einfach es mir fällt, mit Harry zu reden. Es ist so ungewohnt, doch er ist einer der ganz wenigen Menschen, die mich von Anfang an überzeugt haben. Ich habe meine Mauern heruntergefahren für ihn und bisher habe ich es nicht bereut.
„Guten Appetit", lächelt mein Freund.
„Guten Appetit", entgegne ich und stürze mich dann auf meine gefüllten Tacos.
„Und?" Fragend sehe ich Harry schließlich an, nachdem er seinen Burrito probiert hat.
Ein breites Grinsen bildet sich auf seinem Gesicht. „Wirklich gut. Also sag Seth Danke von mir."
„Lieber nicht, denn ansonsten verändert er sich in Amerika wirklich noch in einen arroganten Mann", scherze ich.
„Wie ist eigentlich sein erster Ballettauftritt in New York gelaufen, Al?"
„Wirklich toll. Ich meine, es war nur eine Nachmittagsveranstaltung und er hat auch nur einen kleinen Part getanzt, aber er ist total begeistert gewesen", erzähle ich stolz.
Harry schenkt mir ein Lächeln. „Das freut mich wirklich sehr für ihn. Grüß deinen Bruder von mir, wenn du das nächste Mal mit ihm telefonierst, okay?"
„Klar", nicke ich.
Die ersten Wochen nachdem Seth aufgebrochen ist, um sein Tanzabenteuer in Amerika zu erleben, ist es schwer für mich gewesen, mit seiner Abwesenheit klar zu kommen. Jahrelang haben wir uns so gut wie jeden Tag gesehen und nun müssen wir auf einmal nicht nur auf anderen Kontinenten leben, sondern auch noch in anderen Zeitzonen. Aber wir kommen damit zurecht, irgendwie, weil uns nichts anderes übrigbleibt und langsam wird ein wenig einfacher.
„Weißt du, ich habe mir gedacht, dass ich Seth einfach –", fängt Harry einen Satz an, bricht dann aber seufzend ab und fixiert etwas in meinem Rücken. Als ich mich umdrehe, sehe ich, dass ein Mädchen auf unseren Tisch zukommt, deren aufgerissene Augen sie aufsehen lassen wie eine aufgeschreckte Katze.
Je näher das Mädchen kommt, desto zögerlicher werden ihre Schritte und schließlich bleibt sie unsicher stehen. Sie kann nicht viel älter sein als Dreizehn.
„Hey, Harry", meint sie aufgeregt. „Tut mir leid, wenn ich störe, aber –"
„Du störst überhaupt nicht", versichert ihr mein Freund mit einem breiten Lächeln, bei dem ich nicht ganz einschätzen kann, ob es ernst gemeint ist. Eigentlich würde ich darauf wetten, aber irgendwie fehlt etwas und ich brauche einen Moment, bis ich darauf komme, dass seine Augen eigentlich ebenfalls strahlen, wenn Harry wirklich lächelt. „Wie heißt du denn?"
„Fanny", entgegnet sie hektisch und holt tief Luft, während sie mich mustert. Am liebsten würde ich aus dem Restaurant eilen, doch ich zwinge mich, ruhig sitzen zu bleiben. „Ist das deine Freundin, Harry?"
„Nein, Al ist einfach bloß eine Freundin von mir."
Seine Worte treffen mich wie einen Schlag in den Magen, doch das merkt er nicht einmal, weil er überall hinsieht, nur nicht in meine Richtung.
„Könnte ich vielleicht ein Foto mit dir machen?", bittet das Mädchen, völlig ahnungslos darüber, dass er mir gerade das Herz bricht.
„Sicher", meint Harry. „Aber könntest du mir bitte einen Gefallen tun und es erst morgen im Internet posten?"
„Ja klar." Fanny holt begeistert ihr Handy aus der Tasche und stellt sich neben ihn, woraufhin Harry wie auf Knopfdruck ein Lächeln auf seine Lippen zaubert. Es erschreckt mich, wie geübt es wirkt.
„Ich bin sicher, dass Al das Foto machen kann, oder?", schlägt er schließlich vor, als die Selfies alle verwackelt enden und das Mädchen kurz vor einem Zusammenbruch stehen zu scheint.
„Klar", murmele ich mit brechender Stimme, doch er sieht mich immer noch nicht an.
Fanny reicht mir das Handy und ich nehme es mechanisch entgegen, als wäre ich gar nicht mehr wirklich in meinem Körper. Ich drücke den Auslöser und gebe ihr dann das Telefon zurück.
„Danke, das ist wirklich, wirklich nett. Total toll und ich kann es immer noch nicht ganz glauben", entgegnet Fanny euphorisch und winkt uns hektisch zu. „Meine Eltern warten auf mich, aber wirklich vielen, vielen Dank. Das ist so toll!"
Unter normalen Umständen hätte mich ihre kindliche Begeisterung zum Lächeln gebracht, heute kann ich ihr allerdings nur hinterhersehen, als sie zu ihren Eltern herübergeht und mit ihnen gemeinsam das Restaurant verlässt, während ich meine Lippen zusammenpressen muss, um nicht in Tränen auszubrechen.
„Sorry für die Unterbrechung", meint Harry und ich beiße hastig ein weiteres Stück ab, um ihn nicht ansehen zu müssen. „Schmeckt dir dein Essen?"
Ich nicke stumm.
„Wollen wir gleich noch Nachtisch nehmen?"
Achselzuckend sehe ich auf den Teller vor mir, um ihn nicht direkt sehen zu müssen. Immer wieder wirbeln seine Worte durch meinen Kopf, immer wieder bohren sie sich wie Messerspitzen in mein Herz. Sie lassen mich brechen wie die unzähligen Versprechen, die jeden Tag so ahnungslos ausgesprochen werden von Menschen, die sie gar nicht zu schätzen wissen.
Al ist einfach bloß eine Freundin von mir. Einfach bloß eine Freundin.
Plötzlich macht alles so viel mehr Sinn. All die Unternehmungen, bei denen Harry mir gekonnt ausgewichen ist. All die Momente, die wir im Freien verbracht haben, bei denen er immer Abstand zwischen mir gehalten hat, wenn wir unter Menschen waren. Er hat mich geküsst, mir das Gefühl gegeben, auf Wolken zu schweben, doch nicht ein einziges Mal, während wir uns in der Öffentlichkeit aufgehalten haben. Als wäre ich jemand, den man nur in den eigenen vier Wänden haben will, wenn es einem gerade passt.
„Geht es dir gut, Al?" Fragend sieht Harry mich irgendwann an.
Meine Fingerspitzen bohren sich in meinen Oberschenkel, während ich verzweifelt ganze Kämpfe in meinem Inneren austrage. Vielleicht sollte ich einfach lügen, einfach so tun, als wäre alles super, denn ich werde ihn ohnehin bald wochenlang nicht mehr sehen. Aber das kann ich nicht, denn die Wahrheit explodiert wie eine Bombe in mir.
„Ich bin also einfach bloß irgendeine Freundin von dir?", flüstere ich mit zittriger Stimme.
„Allison."
Harry beugt sich in meine Richtung, doch als er meine Hand halten will, ziehe ich sie weg, als wäre er das Feuer, das mich im Innersten verbrennt. Verletzt sieht er mich an.
„Und es ist auch kein Zufall, dass du vorhin nicht meine Hand halten wolltest, oder? Und die Umgebung der Bahn so viel interessanter war als ich? Dass du überhaupt immer aussiehst, als hättest du Angst vor Verfolgern, sobald ich mit dir unterwegs bin?", entgegne ich, wobei die Worte so aus mir heraussprudeln, dass ich einen Augenblick lang keine Luft mehr bekomme.
„Das ist nicht so –"
„Warum darf ich nicht einmal deine Hand halten, wenn wir rausgehen?", murmele ich, während sich die ersten Tränen aus meinen Augen stehlen. Ich wische sie mir wütend weg, denn ich will nicht, dass er mich so sieht. Nicht, wenn er der Grund ist. „Schämst du dich für mich, Harry?"
„Natürlich nicht." Das Entsetzen in seinen Augen hätte ich selbst dann erkennen können, wenn er ein Fremder für mich wäre. Es ist so augenscheinlich, so überwältigend, dass ich ihm zumindest glaube. Es bringt mein weinendes Herz dennoch nicht zum Schweigen.
„Am liebsten würde ich jedem erzählen wie wundervoll meine Freundin ist, aber –" Er räuspert sich und ich warte auf weitere Worte, aber anscheinend hat er sie auf dem Weg in die Freiheit verloren.
„Aber?"
Er fährt sich durch die Haare, bis seine Locken wild in alle Richtungen abstehen. „Du bist mir wichtig, so wichtig, und ich habe Angst davor, was passiert, wenn die Öffentlichkeit von unserer Beziehung erfährt. Die Presse kann grausam sein und einige unser Fans auch, egal wie viel ich ihnen auch zu verdanken habe. Das will ich dir nicht antun. Es wird alles nur komplizierter machen, Al."
„Es ist ohnehin schon kompliziert", flüstere ich und zwinge mich, ihm weiterhin in die Augen zu sehen, auch wenn alles in meinem Inneren danach schreit, einfach wegzulaufen. „Ich will einfach mit meinem Freund nach draußen gehen können."
Als Harry dieses Mal zögerlich seine Hand über meine legt, ziehe ich nicht weg, sondern verschränke unserer Finger miteinander.
„Bist du dir da sicher?", murmelt er.
„Ja", versichere ich ihm und hoffe, dass ich überzeugender klinge, als ich mich fühle. „Wir kriegen das schon hin. Irgendwie."
Er schenkt mir ein zittriges Lächeln. „In Ordnung. Ich werde mit Jeff besprechen, wie wir das am besten lösen."
Seine Worte treffen mich erneut in den Magen, während ich ihn anstarre und mir nicht sicher bin, ob ich ihn überhaupt kenne. Ob ich ihn überhaupt je gekannt habe.
„Musst du unsere Beziehung wirklich mit deinem Manager besprechen?", stoße ich ungläubig aus. „Fragst du Jeff auch, wohin wir gehen dürfen und welche Restaurants wir meiden sollten? Triffst du überhaupt mal eine Entscheidung alleine?"
Ich halte meine Stimme leise, um nicht das ganze Restaurant zu unterhalten, denn ich habe durchaus vor, hier noch einmal aufzutauchen. Notfalls auch ohne meinen Freund. Doch Harrys aufgerissenen Augen nach zu urteilen, kann er die unterdrückte Wut dennoch hinter meinen Worten verstehen. Es geschieht mir recht und ich hoffe, dass sie ihn mit sich in die Tiefe reißen.
„So meinte ich das nicht", wispert er so leise, dass ich ihn kaum verstehen kann.
„So hört es sich aber an."
Er beißt sich auf die Unterlippe. „Ich – Es ist kompliziert, okay?"
Ich schnaube, denn alles in seinem Leben ist kompliziert. Doch das bedeutet nicht, dass er es immer nur noch schwerer machen muss.
„Schon verstanden", murmele ich und ziehe meine Hand aus seiner.
„Al, bitte."
Meine Lippen verziehen sich zu einem traurigen Lächeln. „Weißt du, ich dachte, dass du mich wirklich magst. Aber anscheinend bin ich dir nicht wichtig genug. Ich hoffe, dass du das Mädchen finden wirst, das es sein wird."
Harry springt so hastig auf, dass er sich seine Hüfte am Tisch stößt. Doch sein schmerzverzerrter Gesichtsausdruck ist alles, was dies verrät, während er mich festhält, als ich das Restaurant verlassen will.
„Bitte tue das nicht. Bitte nicht." Grüne Augen sehen mich an, in denen all die Emotionen durcheinanderwirbeln und mich dazu bringen, stehen zu bleiben. „Du bist es wert, du bist alles wert. Ich habe einfach bloß Angst."
„Ich aber doch auch", entgegne ich flüsternd.
Harry zieht mich in eine Umarmung, so leicht, dass ich die Möglichkeit hätte, mich mühelos zu befreien. Als ich es nicht tue, vergräbt er seine Finger in meinem Shirt und hält mich fest, als wäre ich alles, was ihn in dieser Welt hält.
„Wenn du willst, dann können wir allen sagen, dass ich in einer Beziehung bin", murmelt er mir ins Ohr. „Aber es ist deine Entscheidung, Al."
Ich sehe zu ihm hoch. „Ich bin mir sicher."
„Wirklich total sicher?"
„Ja", erwidere ich, während ich doch überhaupt keine Ahnung habe, ob ich wirklich dafür bereit bin. Doch das will ich ihn nicht sehen lassen, denn Harry ist mein Risiko und heute bin ich bereit, einen Sprung nach vorne zu machen.
„Wirklich?"
„Ja, wirklich", entgegne ich und in diesem Augenblick bin ich es auch. Denn solange ich Harry habe, werde ich das schon schaffen. „Versprochen."
Er nickt, während seine Finger Muster auf meinen Rücken malen, wie so oft, wenn er mich festhält und über etwas nachdenkt. „Ich will bloß einfach, dass du verstehst, worauf du dich einlässt, okay? Es werden dir Leute mit einer Kamera folgen."
„Das bin ich gewöhnt. Mein Vater ist Fotograf", entgegne ich.
Harrys Lippen zucken kurz nach oben, bevor er mich wieder ernst ansieht. „Wirklich, Al. Das ist nicht ohne. Und sobald die Fans von dir wissen, werden auch nicht alle begeistert sein. Nicht alle sind so nett wie Fanny vorhin. Du wirst einige furchtbare Nachrichten bekommen. Verstehst du das?"
Ich streiche ihm vorsichtig über den Oberarm, bis seine Muskeln sich ein wenig entspannen. „Ja, das ist mir klar. Ich lebe ja nicht hinter dem Mond. El hat mir erzählt, dass das passieren kann."
„Wenn du dir wirklich sicher bist, dann –"
„Bin ich mir", unterbreche ich ihn lächelnd, denn dieser unsichere Harry erinnert mich auf groteske Art an unser Date, nachdem er sich tausend Mal entschuldigt hat. Jedes Mal wenn er nervös ist, neigt er dazu, sich tausend Mal zu versichern. „Ich bin mir sicher, dass ich mit dir zusammen sein will und ich habe keine Lust, mich in der Öffentlichkeit mit dir verstecken zu müssen. Dafür sehe ich dich ohnehin viel zu selten. Also ist es für mich okay, wenn du unsere Beziehung öffentlich machst. Solange du das auch willst."
„Will ich", versichert er mir hastig und ich kann die Wahrheit in seinen Augen sehen.
Mittlerweile sind einige der anderen Restaurantbesucher auf uns aufmerksam geworden, doch als Harry keine Anstalten macht, mich loszulassen, löse ich unsere Umarmung ebenfalls nicht.
„Wir kriegen das irgendwie hin,Al."
Ich nicke stumm.
„Ich will nur, dass du weiß, dass ich immer für dich da sein werde", murmelt er. „Egal was passiert."
„So schlimm wird es schon nicht werden", entgegne ich.
„Du kannst mich jede Sekunde anrufen, okay? Egal wie spät oder früh es bei mir ist."
Grinsend streichele ich ihm über die Wange. „Hör auf, dir solche Sorgen zu machen. Das ist mein Job."
Er lacht leicht, bevor er schließlich nicht mehr lacht und mich einfach ansieht, als wäre ich eines der schönsten Dinge in seinem Leben. Mein Herz klopft wie verrückt, als er sich trotz all der Personen um uns herum in meine Richtung beugt und seine Lippen bestimmt auf meine legt.
Als Harry mich dieses Mal küsst, küsst er mich mit allem, was er zu geben hat.
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Ihr Lieben,
So langsam haben wir die Hälfte das Buches erreicht unddie rosaroten Zeiten neigen sich wahrscheinlich auch dem Ende zu.
Könnt ihr verstehen, dass Al nicht mehr Harrys Geheimnis bleiben will?
Glaubt ihr, dass Ally wirklich versteht, worauf sie sich einlässt?
Und wie werden die Fans wohl reagieren?
Bis zum nächsten Mal.
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