05 | Rootless
»It will come when your heart is ready to carry it.«
Als Nylah an diesem Morgen die Augen aufschlug, wurde sie nicht von "sanften Sonnenstrahlen geweckt, die durch die Jalousien fielen", wie es sonst in allen Filmen und Romanen passierte.
Ganz im Gegenteil: Der Regen, der lautstark gegen ihre Fensterscheibe prasselte, beendete unsanft ihren Schlaf. Sie stieß ein tiefes Seufzen aus und warf einen Blick nach draußen, wo dunkle, schwarze Wolken den Himmel für sich eingenommen hatten.
Nach einem kurzen Blick auf ihr Handy und dem kurzen darauffolgenden Stich, den sie verspürte, weil die Hoffnung, dass Kol ihr vielleicht doch geschrieben hatte, zunichte gemacht worden war, stand sie aus dem Bett auf.
Sie schlurfte langsam ins Badezimmer und warf Ewan, der sie mit einem fröhlichen "Guten Morgen!" begrüßte, nur einen mürrischen Blick zu.
Nachdem sie alles im Bad erledigt hatte, fühlte sie sich schon deutlich wacher. Sie ging in die Küche und machte sich als erstes einen Kaffee.
"Und wie ist es gestern gelaufen? Du hast noch gar nichts erzählt", erkundigte sich Ewan nach der Besichtigung der WG, die Nylah gestern mit Nathan unternommen hatte.
Nylah setzte sich mit ihrer Tasse aufs Sofa und gähnte herzhaft.
"Ja, es ist ganz gut gelaufen. Ende dieser Woche gehe ich nochmal hin und unterschreibe dann den Mietvertrag", erklärte Nylah und kuschelte sich tiefer in die Kissen, die auf dem Sofa verstreut herum lagen. Sie war selbst etwas überrascht gewesen, dass das ganze dann doch so schnell gegangen war. Im einen Moment hatte sie sich noch vor Daphne, aufgrund von Nathans seltsamer Warnung, gefürchtet und im nächsten hatten ihr diese und Ada verkündet, dass sie bald einziehen könnte. Die finanzielle Not der beiden schien tatsächlich nicht klein zu sein.
"Klingt doch gut!", schlussfolgerte Ewan. Seine Stimme klang etwas zu euphorisch, weshalb Nylah eine Augenbraue hochzog.
"Du willst mich auch so schnell wie möglich loshaben, oder?" Solange Nylah noch nicht in der WG mit Daphne und Ada wohnte, hatte Nathan ihr - wieder mal - ausgeholfen und ihr so lange das freie Zimmer angeboten.
Ewan zuckte nur gespielt selbstgefällig mit den Schultern. "Brauchst dich nicht wundern, du wolltest ja nicht mit uns zusammenwohnen."
Nylah verdrehte nur die Augen, bevor sie sich wieder ihrem Kaffee widmete.
Damit sich Nylah wirklich hier wie zu Hause fühlte und ihren Aufenthalt in New York nicht nur als einen Urlaub empfand, musste noch einiges passieren. Der Einzug in die WG würde mit Sicherheit der erste Schritt sein. Ganz oben auf der Prioritätenliste stand jedoch das Stichwort "einen Job finden".
Sie holte ihr Handy aus der Hosentasche ihrer Jogginghose und scrollte durch die Stellenanzeigen, die sie sich bereits gestern ein paar Mal angesehen hatte.
Wieder musste Nylah daran denken, dass Nathan ihr vorgeschlagen hatte bei seinem Chef nachzufragen, ob sie nicht mal Probe arbeiten könnte. Nathan arbeitete in einer Bar und das klang wie die perfekte Möglichkeit, da Nylah ebenfalls früher in einer gearbeitet hatte.
Gleichzeitig fühlte sie sich, als hätte der schwarzhaarige Junge schon zu viel für sie alle getan. Reece und Ewan konnten bei ihm wohnen und für Nylah hatte er ebenfalls eine Bleibe gefunden.
Zähneknirschend haderte Nylah eine Weile mit sich, bevor sie sich entschloss auf Nathans Vorschlag einzugehen.
"Schläft Nathan noch?", erkundigte sich Nylah nun bei Ewan, der abermals von seinem Handy aufsah.
"Nein, er hatte heute einen Termin oder sowas", erklärte Ewan achselzuckend, da er offensichtlich auch nicht mehr wusste, als man just in diesem Moment das Geräusch eines Schlüssels vernahm und einige Momente später Nathan eintrat.
Seine Haare, sowie seine Klamotten waren triefnass. Offensichtlich war er dem Regenschauer nicht ganz entkommen.
"Wie war die Dusche?", erkundigte sich Ewan grinsend, woraufhin Nathan die Lippen schürzte, dann jedoch lachte.
"Nass", war seine einzige Antwort darauf, wobei er sich aus seiner Jacke schälte, sie an die Garderobe hing und seine Schuhe auszog. Nathans grüne Augen wanderten von Ewan zu Nylah, die immer noch auf der Coach saß.
"Guten Morgen", begrüßte er sie, seine Mundwinkel zuckten leicht nach oben. Auch wenn sie Nathan immer noch nicht sonderlich gut kannte, konnte sie nicht leugnen, dass er eine Ausstrahlung besaß, die wahrscheinlich einige Frauen in die Knie zwangen. Vielleicht hätte dieser Zauber auch bei ihr gewirkt, wenn sie nicht so beschäftigt damit wäre, Kol zu vermissen.
"Wo warst du denn so früh? Ewan meinte, dass du bei irgendeinem Termin gewesen wärst." Nylah wusste nicht wieso, aber irgendwie war sie neugierig, was sonst eigentlich gar nicht ihre Art war. Vielleicht lag es daran, dass sie noch nicht viel über Nathan wusste.
"Ach, das war nichts wichtiges. Ich musste nur etwas erledigen", winkte Nathan ab und versuchte locker zu wirken, wobei jedoch alle Anwesenden merkten, dass es durchaus etwas wichtiges gewesen war. Nylah und Ewan waren jedoch taktvoll genug, um nicht weiter nachzufragen.
Nylah erhob sich nun von der Coach und ging zurück in die Küche, die über eine Insel mit dem Wohnzimmer verbunden war. Sie stellte ihre leere Kaffeetasse in die Spülmaschine und lehnte sich dann an den Tresen. Nathan hatte sich gerade ein Glas Wasser aufgefüllt und trank dieses nun in einem Zug aus.
"Also, ich hab über dein Angebot mit der Bar und deinem Chef nachgedacht...", begann Nylah zögernd, da es ihr wirklich unangenehm war, wegen allem zu Nathan zu gehen. Aber Geld wuchs leider nicht auf Bäumen und bevor ihr aller Traum, von der Musik zu leben, sich erfüllte, würde es noch etwas Zeit brauchen. Und wenn Nathan ihr schon so eine Chance auf dem Silbertablett servierte - erneut hinter dem Tresen zu arbeiten, was sie bereits zuhause ein Jahr gemacht hatte -, wäre sie selten dämlich, es nicht zumindest zu versuchen.
Nathan wischte sich über den Mund und stellte sein Glas ebenfalls in die Spülmaschine. "Ich frag gerne für dich nach, Nylah. Heute Abend habe ich sogar eine Schicht, wenn du willst könntest du mitkommen und dir alles anschauen. Vielleicht ergibt sich direkt die Möglichkeit, mit meinem Chef zu sprechen."
Nylah seufzte tief. "Ich schulde dir wirklich was", sie biss sich auf die Lippe.
"Noch hast du den Job nicht, also dank mir nicht zu früh", antwortete Nathan mit einem Grinsen, woraufhin Nylah ebenfalls schmunzelte.
Das Gespräch der beiden wurden jäh beendet, da sich eine Tür öffnete und Reece mit verschlafenem Gesichtsausdruck ins Wohnzimmer spazierte. Sein Shirt war vom Schlafen völlig verknittert und seine blonden Haare standen in alle Richtungen ab.
"Na Opa, auch mal wach?", erkundigte sich Ewan. Reece war mit seinen 24 der älteste von den vier, was Ewan ihn nie vergessen ließ. Auch wenn die beiden nur drei Jahre trennte.
"Ich bereue es jetzt schon, dass wir ab heute offiziell zusammenwohnen", brummte Reece genervt und ließ sich auf das Sofa fallen. Ewan grinste nur selbstzufrieden.
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