02 | Who's gonna save you now?
»I crave touch, yet I flinch every time someone is close enough.«
Ewan hievte mit großer Mühe die restlichen Kartons nach oben ins dritte Stockwerk. Zu seinem Glück war natürlich heute der Fahrstuhl ausgefallen, weshalb er die Treppe nehmen musste.
Oben angekommen hielt Nathan ihm die Tür auf.
"Das war jetzt alles, oder?" Ewan stellte schweratmend die Kartons auf dem Boden ab und Nathan nickte bestätigend. Ein leichter Schweißfilm hatte sich auf Ewans Haut gebildet, wobei die Hitze New Yorks dabei nicht unschuldig war.
"Die beiden Zimmer sind die für euch", meinte Nathan an Ewan und Reece gewandt und deutete dabei auf zwei Räume, die sich auf der rechten Seite befanden.
Nathan drehte sich zu Nylah um, die auf dem Sofa saß. "Und du bist sicher, dass du nicht auch hierbleiben möchtest? Es gibt noch ein übriges Zimmer, wie gesagt."
Nylah schüttelte den Kopf. "Nein, ich will eure Männer-WG doch nicht stören", antwortete sie.
Auch wenn Nathan erst seit kurzem ein Teil der Band war, hatte er schon unglaublich viel für die drei getan. Ewan und Reece würden bei ihm wohnen können, da seine beiden vorigen WG-Mitbewohner vor ein paar Wochen ausgezogen waren. Außerdem hatte er Nylah angeboten bei einer Freundin nachzufragen, ob sie in ihrer WG unterkommen könnte, da diese sowieso gerade einen freien Platz hatte.
"Na gut, dann bleibt das Zimmer wohl erstmal frei", schlussfolgerte Nathan und zuckte mit den Schultern. Mit einem dumpfen Geräusch ließ er sich auf die Coach fallen und gähnte.
Nylah konnte nur zu gut verstehen, wie sich ihr neustes Bandmitglied fühlte. Die Reise nach New York und das ganze Schleppen von den Kisten hatte auch ihr zugesetzt. Dabei war der Umzug für sie noch lange nicht vorbei, sie wusste ja noch nicht mal, wo genau sie unterkommen würde.
"Um noch mal auf dein Angebot zurückzukommen: Wann hätte deine Freundin Zeit, damit ich mir die Wohnung anschauen kann?", fragte Nylah daraufhin prompt. Sie war ein sehr organisierter Mensch und es machte sie nervös, wenn Dinge ungewiss waren.
"Sie meinte, dass es morgen passen würde. Ich habe ihr gesagt, dass es ziemlich dringend ist", antwortete Nathan. Die Beine hatte er von sich gestreckt. Er wirkte völlig entspannt.
„Ich wollte dir nochmal für alles danken, was du für uns tust", sprach sie ihre Gedanken aus. Nathan winkte ab.
"Keine große Sache. Schließlich liegt es auch in meinem Interesse, dass ihr hier bleibt." Nylah schmunzelte über Nathans Antwort und ertappte sich im nächsten Moment, wie sie wieder auf ihr Handy schielte. Aber es war alles wie immer. Keine Nachricht von Kol.
Die Trennung war mittlerweile drei Monate her und trotzdem fühlte sich Nylahs Herz nicht leichter an. Der Schmerz wurde nicht weniger und manchmal hatte sie das Gefühl, dass sie das keine Sekunde länger aushalten konnte. Sie sehnte sich so sehr nach Kol. Der Art und Weise, wie er sie geküsst hatte, wie er sie zum Lachen gebracht hatte und wie seine Worte alle schlechten Gedanken vertrieben hatten, mit denen er sie jetzt allein gelassen hatte.
Sie wusste, dass es niemals so sein würde wie früher, aber sie würde so gerne noch einmal mit ihm sprechen. Ihn fragen, wie er einfach so, von einem auf den anderen Tag entschieden hatte, dass sie nicht mehr genug war. Und wieso er plötzlich seinen Traum Musiker zu werden, an den Nagel gehangen hatte. Kol schien immer mit ganzem Herzen dabei gewesen zu sein, wie hatte er seine Meinung so schnell ändern können?
Doch diese Fragen würden wohl unbeantwortet bleiben, denn jeder Versuch von Nylah, oder auch von Ewan und Reece, Kontakt aufzunehmen, wurde abgeblockt. Er wollte nichts mehr mit ihnen zu tun haben. Und Nylah konnte sich das einfach nicht erklären.
Das Klingeln eines Handys ließ sie aufschrecken. Für einen Moment hatte sie den irrationalen Gedanken, dass es Kol sein könnte und er sie anrief, um ihr zu sagen, dass das alles nur ein schlechter Scherz war. Dieser Wunsch löste sich aber sogleich in Luft auf, als Nathan sein Handy aus seiner Hosentasche fischte und den Anruf annahm. Nylah seufzte und schüttelte den Kopf über sich selbst.
„Hey. Was ist los?", begrüßte er die andere Person am Telefon. Es folgte eine kurze Pause, bevor er weitersprach.
„Ja, ich dachte, das wäre schon abgemacht.", wieder eine Pause, „Okay, dann bis morgen."
Nathan legte auf, woraufhin Nylah das Wort ergriff: „Das war wirklich eins der kürzesten Telefonate, die ich je miterlebt habe."
Nathans grüne Augen richteten sich auf sie und er lachte. „Ja, ich mag telefonieren auch nicht wirklich gerne."
Er fuhr sich durch die Haare, bevor er weitersprach. „Das war Daphne, eine von deinen hoffentlich neuen Mitbewohnerinnen."
„Oh, achso! Und passt alles wegen morgen?", erkundigte sich Nylah etwas angespannt. Sie brauchte diese Wohnung unbedingt.
„Ja, sie meinte wir können so gegen 14 Uhr vorbeikommen", bestätigte Nathan mit einem Nicken. Er machte eine kurze Pause und sah etwas verlegen aus.
„Ich sollte dich noch vor Daphne warnen. Sie ist gerade etwas... Sie macht eine schwierige Zeit durch. Also, wundere dich nicht, wenn sie vielleicht etwas patzig rüberkommt."
Nylah versuchte aufgrund dieser Warnung nicht allzu irritiert dreinzuschauen, doch gemessen an Nathans Blick gelang ihr das nicht wirklich. Nathan lachte und machte eine wegwerfende Handbewegung. „Ganz so schlimm ist es nicht, ich bin schon seit Ewigkeiten mit ihr befreundet. Aber sie kann manchmal etwas... abweisend wirken."
„Das hat mich jetzt nicht wirklich beruhigt, aber na gut", sie schnitt eine Grimasse.
Ein Rumpeln, das aus Ewans Zimmer zu hören war, unterbrach das Gespräch. Daraufhin folgte ein gemurmelter Fluch, der Nylah und Nathan zum Lachen brachte.
„Ich schaue mal nach, ob ich ihm helfen kann", erklärte sie an Nathan gerichtet, der daraufhin nur nickte.
Sie erhob sich vom Sofa und betrat Ewans Zimmer. Dort angekommen erblickte sie ihren jüngsten Bandkollegen zwischen aufgetürmten Kartons.
"Ist alles in Ordnung?" Sie lehnte sich an den Türrahmen und sah Ewan dabei zu, wie er einen Karton öffnete und begann seine Klamotten in den Kleiderschrank einzuräumen.
"Ich denke schon, ich hab nur aus Versehen einen Karton umgeschmissen", antwortete er und stieß die Luft aus. "Aber warum hat mir keiner gesagt, dass New York so furchtbar heiß ist?"
Nylah zuckte mit den Schultern. Die Klamotten, die sie trug, waren sowieso immer sehr kurz, weshalb ihr die Hitze nichts ausmachte. Dennoch konnte auch sie nicht leugnen, dass es hier irgendwie heißer war als in Montreal. Ewan hatte sich offensichtlich bei seiner Kleiderwahl eher an ihrer alten Heimat orientiert und sich für eine lange Hose und einen Pullover entschieden – und schien es jetzt bitter zu bereuen.
"Also, die meisten Leute ziehen sich einfach luftigere Klamotten an, wenn ihnen zu heiß ist", sprach Nylah das offensichtliche aus und zog eine Augenbraue hoch.
Ewan seufzte und schüttelte den Kopf. "Nylah, das war ein sehr subtiler und gut gemachter Versuch, mich nackt sehen zu können. Aber ich hab eine Freundin, falls du dich nicht daran erinnern kannst."
Nylah verzog das Gesicht. "Lass mal stecken, ich hatte heute nicht vor mich zu übergeben."
"Witzig, wie du 'sabbern' beschreibst", überlegte Ewan, woraufhin Nylah die Augen verdrehte.
"Aber wo du jetzt schon hier bist", fuhr Ewan fort und deutete auf einen Karton, "dort sind meine ganzen Blu-rays drin, du kannst sie in das Regal räumen."
Nylah murmelte eine Beleidigung, begab sich dennoch daran den Karton auszuräumen. Ewan war ein wahrer Filmjunkie, deshalb war seine Sammlung nicht gerade klein.
"Dass das Zimmer sogar möbliert ist, ist wirklich ein Luxus", meinte Nylah nach einigen Momenten und ließ ihren Blick durch den Raum gleiten. Es war alles da, was man benötigte: ein Bett, ein Kleiderschrank, ein Schreibtisch und sogar ein zusätzliches Regal.
"Ja, wir haben wirklich Glück mit Nathan", bestätigte Ewan. Ihr Bandkollege, der sonst ein ziemlich sonniges Gemüt besaß, wirkte dennoch nicht allzu glücklich.
"Ist was?", hakte Nylah nach und suchte Ewans Blick. Obwohl Nylah nicht gerne über Gefühle sprach, war es ihr bei Ewan nicht ganz so peinlich. Vor ihm fiel es ihr irgendwie leichter, was vermutlich auch an seiner offenen Art lag.
Nylah kannte Reece und Ewan gleich lange, jedoch war Reece da eher wie Nylah gestrickt. Auch er sprach nicht gerne über Gefühle, weshalb zwischen Nylah und ihm eigentlich nie solche Gespräche aufkamen.
Ewan seufzte. "Nichts schlimmes, ich vermisse Lexi nur jetzt schon. Irgendwie lächerlich, oder?" Sein Mundwinkel hob sich leicht, doch in seinen Augen war zu lesen, dass es ihm wirklich nahe ging.
"Ach was, ich find das irgendwie süß", Nylah lächelte sanft, "ich weiß, dass das schwierig ist, da ihr beide euch davor jeden Tag gesehen habt, aber ich bin mir sicher, dass ihr das hinkriegt."
Nylahs Worte munterten Ewan ein wenig auf. Automatisch wanderte seine Hand zu seiner Kette mit dem aufgedruckten Kompass, welche Lexi ihm geschenkt hatte.
"Ja ich hoffe es", antwortete er.
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