Dobby und seine Komplizin
Mit jeder Minute kam der Tag der zweiten Aufgabe des Turniers näher.
Egal ob es Hogwarts, Durmstrang oder Beauxbatons war, alle Schüler hatten nach dem Weihnachtsball nur noch dieses eine Thema. Wer würde diesmal gewinnen? Wie würde die Aufgabe aussehen? Die Nervosität und Aufregung stieg von Minute zu Minute.
Die erste Stunde nach den Ferien verbrachten sie in Zauberkunst bei Professor Flittwick. Die Verscheuchezauber waren dran. Zusammen mit den Slytherins saßen die Gryffindorschüler aus dem vierten Jahr beisammen und fuchtelten mit ihren Zauberstäben herum.
Professor Flittwick hatte Vorsichtsmaßnahmen ergriffen, bevor er mit dem Unterricht begann. Da es in der Klasse immer wieder dazu kam, dass Gegenstände unkontrolliert durch den Raum schwebten, hatte jeder von ihnen nur ein Kissen vor sich liegen.
Ein weißes, samtig weiches Kissen. June fand es viel zu schade, um es fortzubewegen. Das Daunenkissen lud sie förmlich dazu ein, ihren Kopf darauf zu legen und für ein paar Minuten in Ruhe zu dösen. Doch bei dem Lärm wäre das sowieso unmöglich gewesen.
Sie hatte Neville versprochen, ab nun zu versuchen, in einigen Fächern neben ihm als Unterstützung zu sitzen. June war Nevilles mentale Stütze geworden. Nicht im privaten Alltag, eher für den Unterricht. Wenn sie dabei war, konnte sie ihn nur mit ihrer Anwesenheit etwas beruhigen.
Neville machte es sich zunehmend schwer, sich zu konzentrieren. Wahrscheinlich lag es an den Gefühlen, die seit dem Weihnachtsball wortwörtlich verrückt spielten. June konnte es noch allmählich unterdrücken. Doch auch sie fühlte immer wieder diese gemeine Eifersucht in ihrem Innern aufkeimen, sobald ihr Parvati über den Weg lief.
Neville verlor kein Wort über Ginny. Seit dem Weihnachtsball hatte June die beiden auch leider nicht mehr zusammen gesehen. Wenn sie Neville aber auf den Weihnachtsball ansprach, fing der schwarzhaarige Junge an, zu lächeln. Demnach hatte June eins und eins zusammengezählt und war zu dem Entschluss gekommen, dass dieser Abend zumindest für Neville eine wunderbare Erfüllung gewesen war.
Das hatte er auch verdient. Neville war ein guter Mensch, der viel zu oft von seinen Mitschülern übersehen wurde.
Heute war Nevilles Glückssträhne nicht allzu lang. June half ihm bei den Verscheuchezauber, so gut sie konnte. Aber es half leider nicht so gut wie sonst.
Zauberkunst war einer von Junes Stärken. Sie hatte bereits einer ihrer Kissen in die dafür vorhergesehenen Kisten fliegen lassen, bevor sie sich um Neville kümmerte und damit zehn Punkte für Gryffindor erzielt.
„Pass auf.", erklärte June ihrem Freund ruhig und deutlich. „Bevor du beginnst, musst du etwas sanfter mit deiner Armbewegung sein. Das sieht in etwa so aus."
June nahm ihren Zauberstab und konzentrierte sich. Mit einer weichen Handbewegung führte sie ihn über ihr neues Kissen und sprach die magischen Worte aus dem Buch. Das Kissen bewegte sich unter dem Widerstand und begab sich in die Luft.
„Jetzt musst du dich nur genau konzentrieren. Du darfst nicht den Fokus verlieren.", erklärte June weiter.
Sie lenkte das Kissen durch das Durcheinander. Überall flogen sie herum. Kissen über Kissen. Kurz vor der Kiste wollte June ihres fallen lassen, doch das Daunenobjekt war widerspenstig. Die junge Hexe war ein bisschen verwirrt. Das Kissen flog plötzlich in die verkehrte Richtung. Es landete gegen einem Fenster, prallte ab und flog dann direkt auf Flittwicks Pult zu.
„Huch.", machte der kleine Professor und schreckte zusammen. „Miss Moreno, nicht so stürmisch."
„Entschuldigen Sie, Professor.", entgegnete June kleinlaut.
„Schon gut, schon gut. Üben sie einfach weiter-„
Doch weiter konnte kam Flittwick nicht. Neville, der jede der Bewegungen von June genauestens inspiziert und nachgeahmt hatte, versuchte ganz selbstsicher sein eigenes Glück.
Aber es war kein Kissen, was in der Luft schwebte. Filius Flittwick hob sich von seinem Pult ab und flog quer durch die Klasse. Hilflose Rufe kamen von ihm, als er durch die schwebenden Kissen hindurch flog.
Die Klasse brüllte, vor lachen. Neville sah verzweifelt aus. Er hatte seinen Zauberstab krampfhaft umfasst und bemühte sich mit all seinem Geschick, den Professor zurück auf den Boden zu bekommen.
June wusste nicht, wie sie ihm helfen sollte. Wenn sie Neville jetzt ungewollt aus der Fassung brachte, würde Professor Flittwick nachher zu Boden plumpsten und sich ernsthaft wehtun.
Sie musste entsetzt dabei zusehen, wie der arme Filius mit seinen Armen in der Luft herum ruderte. Er schwebte mit dem Rücken nach unten über dem Boden. Immer höher, immer höher. Es sah aus, als ob er schwimmen würde. Kurz über dem Schrank blieb Flittwick dann in der Luft hängen. Dort oben löste der Zauber sich dann endlich von ihm. Er fiel herunter auf den Schrank. Für die Klasse ein gelungenes Fressen. Sie johlten und brüllten vor Gelächter. Aber ein Lehrer auf einem Schrank war für den weiteren Unterricht ziemlich nutzlos.
„Oh, Mr. Longbottom. Ich bin doch kein Kissen, Mr. Longbottom. Oh nein, ojehmineee....wie komme ich hier nur wieder runter....", quiekte Professor Flittwick entsetzt und stand am Rand des Schrankes. Ängstlich schaute er in den Abgrund hinab und wedelte mit den Armen.
"Mrs. Moreno, wären sie so freundlich und würden mich wieder runterholen?"
„Warten sie kurz, Professor Flittwick!"
June stand auf und holte einen Stuhl. Sie duckte sich unter den fliegenden Kissen hindurch und stellte den Stuhl mit der Lehne an die Schranktür. Einen Fuß nach dem anderen stellte sie auf die Sitzfläche. Erst als sie sicher stand, gab sie Flittwick die Hand.
„Stellen Sie sich einfach auf meine Schultern."
Wankend und jauchzend versuchte Flittwick, sich auf Junes Schultern zu halten. Mit den Händen gab June ihn den nötigen Halt und balancierte ganz langsam den Professor herunter auf den sicheren Boden.
„Puuuuh, das war ja mal wieder was.", sagte Flittwick und wischte sich die Daunenfedern von dem Umhang. "Vielen Dank Moreno. Noch mal zehn Punkte für Gryffindor.", strahlte er freudig, klopfte sich noch einmal über seine Hose und richtete seine Brille, die ihm bei der Aktion auf die Nasenspitze gerutscht war. June sah immer noch dabei zu, wie sich besonders die Slytherins köstlich amüsierten. Sie kämpfte sich zurück durch die Kissen zu ihrem Pult und lies sich neben Neville nieder.
„Das ist nicht das erste Mal, dass Professor Flittwick durch die Luft geflogen ist.", flüsterte sie ihm zu. „Noch dazu ist es auch nicht unbedingt einfach, eine Person in die Luft zu jagen."
June versuchte, dem immer noch unter Schock stehenden Neville Mut zu machen. Doch Neville war immer noch nicht überzeugt von seinen Leistungen. Niedergeschlagen starrte er auf seinen Tisch.
„Sieh es positiv.", erklärte June. „Der Zauber hat immerhin funktioniert. Damit hast du Schritt eins geschafft. Schritt zwei ist dann nur noch das Zielen. Das schaffen wir schon gemeinsam, oder?"
June gab Neville einen kleinen Stupser mit ihrem Ellbogen und entlockte ihm tatsächlich ein kleines Lächeln. Aus dem Augenwinkel konnte June Harry, Hermine und Ron erblicken. Sie hatten ihre Köpfe zusammengesteckt, tuschelten und sahen immer wieder mit einem ernsten Blick herüber zu June. Wenn sie es richtig deutete, dann könnte es sein, dass sie gerade über sie redeten. Und ihren Blicken zu urteilen war es nicht gerade etwas erfreuliches.
Nach der Stunde gingen alle hinüber zum Innenhof. Es war trotz Kälte heute ein angenehmes Wetter. Sie Sonne schien und die Luft war frisch.
June folgte, wenn auch nur in einigem Abstand. Mit der geschulterten Tasche schlenderte sie hinter der Traube her. Es war ihr nicht danach zumute, sich zu amüsieren. Zudem war sie immer noch unsicher, an wen sie sich wenden konnte. Ohne es zu beabsichtigen, hatte sie das Gefühl, sich immer weiter von ihren Mitschülern zu entfernen. Dieses Vertrauen war nicht mehr da, seit Blair und Maya sich von ihr getrennt hatten. Vielleicht dramatisierte sie das ganze auch einfach über. Es war nur eine Auseinandersetzung, die es immer mal bei Mädchen gab. Nach ein paar Tagen würde sich das sicherlich wieder legen. Was war aber, wenn Maya darauf wartete, dass June auf sie zukam? June wusste nicht einmal, wie sie das anstellen sollte. Sie fürchtete vor einer Abfuhr. Und sie wusste auch nicht, WIE sie das anstellen sollte. Ihr fehlten die Worte. Um ehrlich zu sein wusste sie nicht einmal, was sie falsch gemacht hatte. Wieso sollte sie sich für etwas entschuldigen, was sie nicht getan hatte? Was hatte sie überhaupt getan? War es wirklich nur das Verschwinden von Georgina, dass Maya so sehr belastet hatte, dass sie emotional gereizt gewesen war und überreagierte? Was war, wenn mehr dahintersteckte?
Warum waren Menschen nur so furchtbar kompliziert. June kam öfter der Gedanke, dass sie eigentlich gar kein Mensch war. June würde es nicht wundern, wenn sie in Wirklichkeit in einem Ufo auf die Welt geschickt wurde und in Kimberleys Garten gelandet wäre. Oder war Severus dran Schuld? Er konnte auch nicht sonderlich gut mit Menschen umgehen. Und June hatte so viele Jahre mit ihm verbracht. Was war - oh, June wollte gar nicht daran denken - wenn sie später werden würde wie Severus Snape? In ihrem Körper schüttelte es sich. Nein. Niemals würde sie wie Snape sein.
Die Traube hatte June aus dem Sichtfeld verloren. Sie war so in Gedanken versunken gewesen, dass sie immer langsamer wurde. Die Schüler, für die June des öfteren so etwas wie Luft war, waren natürlich unbekümmert weitermarschiert. June bog gerade einen Korridor ab, als sie an einer ihr unbekannten Statur vorbeiging. Ohne ihr weitere Beachtung zu schenken ging sie schnurstracks an ihr vorbei. Aber dann fing die Statur an zu sprechen. Ein Vorgehen, was typisch für Hogwarts war. Nichts ungewöhnliches also. Doch ungewöhnlich war die Tatsache, dass die Statur ihren Namen kannte.
„June Moreno, bitte warten sie doch. Dobby muss mit Ihnen reden. Dobby hat es eilig."
June blieb stehen und drehte sich irritiert um. Sie hatte falsch gelegen. Auf dem Sockel stand keine Statur. Es war ein Hauself. Er hatte riesige Augen, eine lange Nase und niedliche Öhrchen an seinem zierlichen Köpfchen. Er sprang hinunter auf die Erde und kam geduckt auf June zu:
„Dobby versteht das, wenn June Moreno ihm keine Beachtung schenkt. Dobby ist davon ausgegangen, dass ihn die Tochter des großen Meister der Zaubertränke ignorieren würde."
Theatralisch wimmerte er und ballte seine kleine Hände, um sich die Tränen wegzuwischen.
„Aber Dobby MUSS mit Ihnen sprechen."
Dobby kam auf June zu. Das Mädchen wich unsicher zurück.
„Warum mit mir? Was wollen Sie von mir?", fragte sie ihn verwirrt und zugleich misstrauisch."
Dobby ging wieder einen Schritt zurück und zog seine Ohren ein:
„Die Sache ist die, Miss. Dobby möchte einem Freund helfen. Dobby muss einen Auftrag erfüllen. Aber Dobby kann das nicht tuen, Miss. Dobby hofft auf Hilfe von der Person, der dem Meister der Zaubertränke am nächsten steht."
„Wenn es darum geht, Professor Snape zu belauschen, haben sie sich getäuscht. Bei solchen Aktionen bin ich wirklich der falsche Ansprechpartner!", knurrte June vorwurfsvoll.
Sie verschränkte die Arme ineinander und beäugte Dobby streng. Dobby machte es noch unsicherer, als ohnehin schon. Er wurde immer kleiner und duckte sich zu Boden.
„Dobby versteht das, Miss. Dobby hat selbst den Fehler begangen, zu lauschen. Dobby ist untröstlich über das, was getan hat."
June wurde hellhörig. Der Hauself verfiel in lautes Geheule. Hilflos sah sich June um. Oh Gott, was sollte sie denn jetzt tuen? Wie sollte man einen weinende Hauselfen beruhigen?
„Schon gut, Dobby. Beruhig dich.", wisperte sie so einfühlsam wie sie nur konnte und bückte sich hinunter.
Dobby stieß noch einen großen Seufzer aus und putzte sich dann die Nase an dem Lumpen, den er am Leib trug. Als June sich sicher war, wieder seine volle Aufmerksamkeit zu haben, fuhr sie fort:
„Welchem Freund wollen sie denn helfen?", fragte sie nach.
„Harry Potter, Miss."
„Harry? Sie wollen Harry helfen?"
June blinzelte verwundert. Dobby sprang auf die steinerne Bank und blickte sich wachsam nach allen Seiten um. Er wollte sichergehen, dass sie niemand belauschte.
„Kommen Sie, kommen Sie.", winkte er June zu sich heran.
Sie bückte sich zu ihm herunter, um ihn verstehen zu können. Denn Dobby sprach jetzt so leise, dass kaum einer verstehen konnte, was er sagte.
„Hören Sie, Miss. Harry Potter muss morgen die zweite Aufgabe überstehen. Wenn nicht, wird Dobby großen Ärger bekommen."
„Und was habe ich damit zu tun?", wollte June von dem Hauselfen wissen.
„Hören Sie zu. Hören sie genau zu.", quietschte Dobby.
„Ich höre doch zu, Dobby. Nun rück schon raus mit der Sprache."
June wurde langsam ungeduldig.
„June muss für Dobby das Kiemenkraut aus dem Vorratsraum der Zaubertrankzutaten stehlen."
Geschockt sah sie ihn an.
„Warum ich? Warum brauchen Sie dafür mich? Ich habe keine Lust auf den Ärger.", beschwerte sie sich. „Warum machen die das nicht selbst?"
Wieder duckte sich Dobby zu einem kleinen Päckchen.
„Die Sache ist die, Miss. Dobby hat einst den Freunden von ihrem Vater gedient. Der Meister der Zaubertränke weiß, wer Dobby ist, Miss. Und er ist nicht gut auf Dobby zu sprechen."
Und abermals begann Dobby, lauthals zu flennen:
„Wenn der Meister der Zaubertränke herausfindet, dass Dobby das Kiemenkraut aus seinem Vorratsschrank gestohlen hat, dann wird er Dobby sicherlich selbst zu einer Zaubertrankzutat verarbeiten."
Dieser Hauself strapazierte Junes Geduldsfaden. Sie hatte schon einmal bei Professor Snape gestohlen. Für Harry. Und sie hatte ihm versprochen, es nie wieder zu tun. Wenn sie es nun wiederholen würde, dann wäre Snape sicher dazu bereit, June und ihre Mutter Igor zu überlassen.
„Tut mir leid, Dobby, aber dabei werde ich nicht helfen. Sie haben sich getäuscht, ich kann nichts für Sie tuen."
Die Hexe schulterte ihre Tasche und wollte ihren Weg fortsetzen. Aber Dobby rief ihr abermals hinterher:
„Wenn June Dobby nicht hilft, ist Harry Potter in großer Gefahr. Sie müssen Dobby helfen, Miss."
Der Satz hielt June zurück. Harry war in Gefahr. Harry war in ....Gefahr. Auf dem Absatz kehrte sie um und kam auf Dobby zu:
„Wer hat es auf Harry abgesehen? Und wer hat Sie zu mir geschickt? Antworten Sie mir."
Sie zog Dobby, nun sichtlich gereizt, am Kragen zu sich. Verängstigt klopfte Dobby auf ihre Hand:
„Das darf Dobby nicht sagen, Miss. Sonst wird er mich töten. June Moreno muss noch heute Abend das Kiemenkraut für Harry Potter besorgen. Dobby erwartet sie um halb neun im Innenhof."
Der Hauself schnippte in die Luft. Ein Funken erschien und er löste sich in Luft auf. Dobby war verschwunden. June hatte nur noch Luft in ihrer Hand. Sie richtete sich wieder auf. Ihr Magen verknotete sich.
Was hatte es damit auf sich? Sollte sie es wirklich tuen?
Vielleicht würde Snape gar nicht merken, dass dieses Kiemenkraut in seinen Vorräten fehlt.
Harry war ihr Freund. Und June wusste, dass es nicht richtig war. Oder war es das doch? Wie sagte Dobby noch gleich? Harry war in Gefahr. Wenn June ihm nicht half, war sie vielleicht Schuld daran, wenn ihm etwas passierte.
Vielleicht konnte sie auch mit Snape reden. Wenn sie ihm sagte, dass er in Gefahr war und dieses Kiemenkraut dringend brauchen würde... Nein! Das konnte sie vergessen. Snape und Harry hassten sich. Potter war ein Unwort im Hause. Sobald der Name Potter fiel, verwandelte sich Severus Snape in eine unberechenbare Bestie. Er würde ihr niemals das Kiemenkraut geben. Lügen konnte sie auch nicht. Das würde Snape sofort durchschauen.
Letztendlich würde sie doch gezwungen sein, dass Kiemenkraut zu stehlen. Und Snape würde als erstes sie verdächtigen, wenn sie ihn um das Kiemenkraut schon vorher bitten würde.
Sie hatte also nur eine Wahl...
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro