Die Kinder der Rumtreibergeneration
„Jetzt stell dich nicht so an und iss wenigstens ein bisschen."
Snape versuchte abermals, Kimberley die Brotkrumen und den Apfel aus der Küche zuzuschieben. Genervt saß er an seinem Schreibtisch und bewegte mit seinem Zauberstab das Tablett in die Ecke des Büros, wo Kimberley sich verkrümelt hatte.
Die blondhaarige Hexe starrte nur stur und ausdruckslos gerade aus, die Arme um die angewinkelten Knie geschlungen. Sie redete nicht mehr mit ihm. Seit June verschwunden war, mied sie jeden Austausch. Und wenn Severus sie anfasste, schrie sie ohne jeden Grund und beruhigte sich erst wieder, wenn er sich entfernte.
„Du benimmst dich wie ein Kind.", entgegnete Snape und hoffte, sie mit seinen Provokationen etwas aus der Reserve zu locken.
Denn um ehrlich zu sein brachte ihn ihre Reglosigkeit und ihre permanente Stille ihn durcheinander. Snape war unsicher und ein klein wenig besorgt, aber auf der anderen Seite war er wahnsinnig wütend über ihr Verhalten.
Er konnte es nicht nachvollziehen. Um jeden Preis wollte er sie wieder dazu bringen, zu reden.
Sie musste ja auch nicht mit ihm sprechen. Sie konnte seinetwegen auch Selbstgespräche führen. Hauptsache sie sagte wenigstens ein Wort.
Snape konnte sich selbst nicht mal erklären, warum er innerlich danach verlangte. Die ganze Zeit hatte er sich gewünscht, Dumbledore würde endlich diese Bürde von ihm nehmen. Er wollte wieder alleine leben und seine Ruhe vor anderen Menschen haben. Besonders Ruhe von den Menschen, die ihn immer wieder an seine Vergangenheit erinnerten. Er war es leid gewesen, ständig diese übertriebene und völlig naive Lebendigkeit dieser jungen Frau ertragen zu müssen. Aber er hatte Dumbledore versprechen müssen, dass er keine Zauber an sie anwenden würde. Um sie beispielsweise einmal zur Stille zwingen zu können. Oder sie an Ort und Stelle fesseln zu können, damit er nicht darum bangen musste, dass sie keine Dummheit begann.
Aber jetzt, wo all das ohne einen Zauber wahr geworden war, wonach er sich vor wenigen Tagen noch gesehnt hatte, erkannte er erst, was ihm fehlte, wenn es nicht mehr da war. Da war nicht mehr dieses Funkeln in den saphirblauen Augen, wenn er morgens aufstand und sich für den Unterricht fertig machte. Da war nicht mehr diese zarte, helle Stimme, die ihm einen guten Morgen wünschte, obwohl sie so oft ermahnt wurde, es zu unterlassen. Kimberley hatte es immer wieder getan. Das, was seine Kollegen schon nach all den Jahren längst aufgegeben hatten. Da war keiner mehr, der auf ihn wartete. Keiner, der mehr nachfragte, wie der Unterricht gewesen war. Keiner mehr, der wissen wollte, was heute im Lehrplan von ihm durchgenommen wurde. Nein. Kimberley interessierte nichts mehr, was um sie herum geschah. Es war, als wäre nur noch eine Hülle da. Als wäre der lebensfrohe und quirlige Geist für immer aus ihr heraus verschwunden.
Snape hätte nie gedacht, sowas mal zu empfinden. Aber er wünschte sich tatsächlich ihre Gesellschaft. Snape stellte nach all der dunklen Zeit fest, wieviel Licht June und Kimberley in sein Leben gebracht hatten. Und dass ein Teil von ihm dieses Licht nicht gehen lassen wollte. Er wollte es am liebsten an sich reißen, in eine Flasche verkorken und für alle Ewigkeit in seinen Schrank stellen. Snape wollte es besitzen. Und als er sich selbst bei dem Gedanken ertappte, wurde er wieder wütend. Doch diesmal galt die Wut ihm selbst gegenüber.
„Deine Tochter wird nicht zurückkehren, wenn du dort so kläglich rumsitzt und die Wand mit deinen Pupillen durchbohrst", murrte er und verbarg unter seiner Schale, was er wirklich dachte und fühlte.
Kimberley schien ihn gar nicht zu hören.
Snape wurde immer ungehaltener. Ohne darüber nachzudenken warf er seinen Stuhl lauthals gegen die Wand und stand in seiner vollen Größe auf.
„Nun sag doch schon was und hör auf mich so anzuschweigen, Moreno!", bellte er und erstarrte im nächsten Moment über seine zynische Art, die durchgekommen war.
Die blonde Hexe, die in der Ecke kauerte, hob ihren Kopf in seine Richtung.
Ihr Blick traf den seinen und wandte sich gleich darauf wieder ab. In diesem Augenblick bereute Severus, sie so angefahren zu haben. Doch er würde sich nicht bei ihr entschuldigen. Daran war er nicht Schuld.
„Denkst du etwa, dass ich mir keine Sorgen um June mache?", fragte er sie vorwurfsvoll. „Denkst du etwa, dass sie mir nach all den Jahren egal sei? Nun, anfangs habe ich das auch geglaubt. Doch es ist nicht so. All die Jahre hat das was mit mir gemacht. Ich bin keiner von denen. Nicht mehr. Nicht, seit Lily tot in meinen Armen gelegen hat. Ich weiß, welche Fehler ich begangen habe. Und ich kann sie nicht mehr rückgängig machen."
Es brach einfach so aus ihm heraus. Völlig außer sich nahm Snape eine Flasche, die auf seinem Tisch stand, und warf sie gegen die Tür. Die Flasche zersprang in tausend Einzelteile. Kimberley zuckte zusammen. Aber Kimberleys Mundwerk blieb immer noch so still wie ein Grabstein.
Severus hatte das nicht vor ihr sagen wollen. Doch sie brachte ihn durcheinander. Obwohl sie gar nichts tat. Nichts. Sie saß einfach nur da. Und das alleine brachte ihn in Rage. Was war nach all den Jahren mit ihm los? Warum hatte er sich nicht mehr unter Kontrolle? Er war immer der Herr über seine Gefühle gewesen. Er hatte nie unüberlegt gehandelt.
„Ich muss an die frische Luft.", zischte er schließlich und stürmte aus dem Büro.
Erst im Kerker selbst hatte Snape wieder das Gefühl, atmen zu können. Er eilte ohne darüber nachzudenken, den Gang entlang. Sein Mantel bauschte sich hinter ihm auf und gab ihm diese fledermausartige Gestalt, unter welcher er unter allen bekannt war.
Kimberley indessen hatte mitbekommen, dass Severus so wutentbrannt aus dem Raum gestürmt war. Sie hatte auch jedes Wort gehört, was er gesagt hatte und ebenfalls genauso gut verstanden. Doch sobald die Schritte vom Tränkemeister nicht mehr zu hören war, stand sie wie von einer Acromantula gebissen auf, schnappte sich den Apfel und verließ ebenfalls das Büro.
Draußen war es still. Kimberley lief ohne Ziel und Orientierung los. Sie lief ungesehen die Kerkertreppe nach oben, durchforstete die Korridore und landete schließlich in der Schulbibliothek. Da es zurzeit schon zur späten Stunde geschlagen hatte, befand sich keiner der Schüler mehr in dem großen Raum der Bücher.
Sie war allein.
Es war alles noch, wie damals. Genauso, wie früher. Die Bücher, die Regale, die Farben, die Gerüche. Auch der Schreibtisch von Madame Prince sah immer noch genauso aus, wie Kimberley ihn in Erinnerung hatte. Nach all den Jahren schien es verrückt. Kimberley hatte ein überaus gutes Gedächtnis.
Sie erinnerte sich daran, wie sie hier mit Remus und Lily für die ZAGs gelernt hatte. Oder wie sie damals von Sirius zu einem Treffen in Hogsmeade eingeladen wurde. Sie erinnerte sich, wie einmal Kröten durch die Bibliothek gesprungen waren und Madame Prince schreiend auf die Tische geflohen war. James und Sirius hatten sich früher oft einen Spaß gemacht, der Bibliothekarin einen Streich zu spielen.
Es gab die lustigen Momente, die ruhigen Momente, die besonnen Momente und die traurigen, schrecklichen Momente. Ein Moment würde ihr nie wieder aus dem Kopf gehen.
Dieser Moment war genau hier passiert. Bei Nacht und Mondscheinlicht. Als Bellatrix, Avery und Mulciber sie mit dem Cruciatus-Fluch gefoltert haben. Das war in der sechsten Klasse. Sie haben es aus reiner Belustigung getan. Aus Spaß haben sie ihr wehgetan. Wie sie gelacht haben, als Kimberley auf dem Boden gelegen und geschrieen hat. Sie haben sie wie ein Spielzeug auf dem Boden herumgezogen.
Severus hatte sie irgendwann daraus geholt. Damals dachte sie, er hätte es getan, weil er sie mögen würde. Heute wusste Kimberley, dass er das nur getan hatte, weil sie Lilys beste Freundin war.
Diese Zeit war Vergangenheit. Jetzt war sie hier. Ihre Aufgabe war es, eine gute Mutter zu sein. Eine Mutter, welche sie sich immer gewünscht hatte und nie bekam. Mit allen Mitteln wollte sie June vor Unheil bewahren. Wenn die Todesser ihr das letzte nehmen würden, was ihr soviel bedeutete...sie wusste nicht, wie sie einen weiteren Schicksalsschlag verkraften sollte. Es machte sie innerlich verrückt, nicht zu wissen, wo ihre Tochter war. Wie es ihr ging, ob sie verletzt war. Kimberley hatte das Gefühl, dass sie vor Sorge innerlich beinahe umkam. Es musste doch irgendeinen Anhaltspunkt geben. Irgendeine Spur. Eine Kleinigkeit, irgendetwas. June war zuletzt im Wald gewesen. Was war, wenn sie noch rechtzeitig geflohen war? Vielleicht versteckte sie sich irgendwo in der Schule, damit sie nicht gefunden wurde und wartete darauf, dass ihre Mutter sie fand und sie beschützte.
Man sagt, dass Herz einer Mutter wird schneller, wenn das eigene Kind in der Nähe ist.
Kimberley entschied sich, als erstes die leeren Korridore abzugehen. Dass man sie dabei entdecken konnte, war ihr vollkommen egal. Sie hatte ein Kind zu finden und zu beschützen.
Als Harry in Dumbledores Denkarium fiel, ahnte er nicht im geringsten, was er dort drinnen sehen würde.
Er fiel mitten in ein Gerichtssaal. Neben ihm saß Albus Dumbledore. Er sah nicht viel jünger aus, als jetzt. Auch wenn ihn damals wohl einige Falten weniger plagten. Vorne am Podium saß jener Mann, der zurzeit spurlos verschwunden war.
Bartemius Crouch.
Er saß vor einigem Papierkram. In der Mitte prangte ein riesiger, eiserner Käfig hervor. Ein Mann wurde in der Mitte eingelassen.
„Igor Karkaroff. Sie wurden auf eigenen Wunsch aus Askaban hierher überführt, um vor diesem Gericht auszusagen. Sollten sich ihre Angaben als hilfreich erweisen, kann das Gericht womöglich ihre sofortige Freiheit beschließen. Doch einstweilen bleiben sie im Auge des Ministeriums ein verurteilter Todesser. Akzeptieren sie diese Bedingungen?"
„Jawohl, Sir.", antwortete Igor erschöpft.
Igor sah fürchterlich aus, hatte ein zerrissenes gestreiftes Hemd an und war unrasiert und ungepflegt. So, wie man es von einem Inhaftierten erwartete.
Barty führte die Verhörung:
„Und was möchten Sie hervorbringen?"
„Ich habe Namen, Sir.", erklärte sich Igor äußerst optimistisch gestimmt. „Da gab es Rosier. Evan Rosier."
„Mr. Rosier ist tot.", gab Barty schroff hervor.
Igor reagierte entsetzt.
Hinter Harry beugte sich Moody zum Schulleiter nach vorne und zeigte auf sein verunstaltetes Gesicht.
„Er hat aber noch ein ziemliches Stück von mir mitgerissen.", höhnte der Ex-Auror.
„Tot? Das wusste ich nicht.", erwiderte Karkaroff verzweifelt.
„Wenn das alles ist, was der Zeuge zu bieten hat..."
„Nein! Nein! Nein! Da gab es noch Rookwood. Er war ein Spion.", warf Igor sofort ohne nachzudenken in den Gerichtssaal rein.
„Augustus Rookwood? Aus der Ministeriumabteilung?"
Barty klang ziemlich ungläubig.
„Ja, ja. Genau der!" Karkaroff drückte sein weißes, verunstaltetes Gesicht an die Gitterstäbe. „Er versorgte Sie-wissen-schon-wen mit Informationen aus dem Ministerium."
„Ich verstehe.", meinte Crouch nur unberührt. „Das Gericht wird sich beraten. In der Zwischenzeit bringen wir Sie wieder zurück nach Askaban."
Karkaroff fing an wie ein verletzter Löwe in seinem Käfig herumzuwüten:
„Nein! Warten Sie! Bitte, ich hab mehr! Was ist mit Snape? Severus Snape?"
Nun war es Professor Dumbledore, der sich von seinem Platz erhob:
„Wie dem Gericht bereits bekannt ist, habe ich hierzu bereits ausgesagt. Severus Snape war ein Todesser. Doch, noch vor Voldemort's Sturz, wurde er wurde er unser Spion und nahm größtes Risiko auf sich."
„Das ist eine Lüge!", brüllte Karkaroff.
Doch Dumbledore beachtete ihn nicht.
„Zudem beschützte er die Familie Moreno und setzte sein Leben aufs Spiel, um Ariano und June Moreno zu retten."
„Der Muggel ist tot!" Igor versuchte, den Professor zu übertönen. „Snape hat Ariano vielleicht nicht umgebracht, aber er ist seinetwegen gestorben."
„Snape hatte nicht davon gewusst, dass die Lestranges in der Nähe des Hauses gewesen sind. Ich habe ein schriftliches Dokument darüber, dass Kimberley Moreno für Snape gebürgt hat. Die dreijährige June Moreno steht bis heute unter seinem Schutz. Seine Zeiten als Todesser sind um."
„Der Professor lügt! Snape ist dem dunklen Lord noch immer treu. Er hat das alles getan, um-„
„RUUUHE!!!!!", brüllte Barty Crouch dazwischen und schlug mit seinem Stempel auf das Blatt. „Da der Zeuge offenbar keine relevanten Namen mehr nennen kann, ist diese Sitzung jetzt geschlossen!"
„Oh, nein, nein, nein, nein.....", murmelte Karkaroff und seine finsteren Augen glühten vor gedanklicher Überlegenheit. „Ich habe noch einen weiteren für Sie."
„Was?"
„Einen Namen!"
„Ja?"
Barty wurde immer ungeduldiger. Doch Karkaroff ließ sich Zeit. Viel Zeit. Er genoss es buchstäblich, dass alle Ohren der Anwesenden gebannt an seinen Lippen hingen.
„Ich weiß von der Beteiligung dieser Person an der Entführung und der mit dem Cruciatus-Fluch ausgeführten Folter des Auroren Frank Longbottom und seiner Frau!"
„Den Namen! Geben Sie mir den verdammten Namen!"
Der fallende Name ließ das gesamte Publikum zu Stein erstarren. Selbst die gerissene Rita Kimmkorn riss erschrocken ihren Mund auf.
„Barty Crouch Junior!"
Ein junger strohblonder Mann stürzte in die Mitte. Er wollte fliehen, wurde aber von Alastor Moody im nächsten Moment von einem Zauberer in die Knie gezwungen. Die Hexen und Zauberer, die vorne saßen, reagierten schnell und griffen den Jungen auf. Sie zogen ihn vor den Mann, der die Entscheidung für eine Verurteilung fällen musste.
„Nehmt eure dreckigen Finger weg, ihr lächerlichen Figuren.", wehrte der Junge sich.
Er schien keine Regung zur erschrockenen Miene seines Vaters zu zeigen. Stattdessen blickte er ihn mit einem Blick an, der dem Wahnsinn verfallen war. Seine Zunge schnalzte hervor.
„Hallo Vater!"
„Du bist nicht mein Sohn.", entgegnete Crouch kühl.
Der Junge schrie. Die Erinnerung verschwand und die Szene änderte sich augenblicklich. Zwei weitere Gerichtsverhandlungen konnte Harry beobachten. Ludo Bagman, der davon sprach, dass er nicht wusste, dass er seine Informationen vor einiger Zeit an einen Todesser weitergab, wurde freigesprochen. Und im letzten Teil verurteilte Bartemius Crouch seinen Sohn und weitere Todesser, darunter eine Frau namens Bellatrix Lestrange, zur lebenslangen Haft in Askaban. Die Mutter und Ehegattin von Bartemius brach in Tränen aus. Doch ihr Mann blieb bei dem Urteil. Sie wurden abgeführt, wobei Bellatrix noch ihre ewige Treue zu Voldemort vor dem Gericht beschwor.
Harry fiel zurück in das Büro von Dumbledore. Vor ihm stand der echte Schulleiter aus jüngster Zeit und wirkte äußerst nachdenklich.
„Neugierde ist keine Sünde, Harry. Aber du solltest Vorsicht walten lassen", murmelte er ohne ihm einen Blick zuzuwenden.
Harry stand auf und näherte sich dem Behälter mit den blauen Lichtkringeln, die sich an der Oberfläche des Wassers tummelten und ihn zuvor in dieses rasante Ereignis gezogen hatten. In seinem Kopf waren viele Fragen aufgekommen.
„Das ist mein Denkarium.", entgegnete Dumbledore und beantwortete damit eine Frage von dem schwarzhaarigen jungen Nachwuchszauberer. „Überaus nützlich, wenn man wie ich, zuweilen das Gefühl hat, der Kopf platzt aus allen Nähten. Es erlaubt mir Dinge, die ich einmal gesehen habe, erneut zu sehen."
Dumbledore, der bis eben noch wie in Trance zu sein schien, kam zurück in die Gegenwart. Völlig verbissen und verärgert schritt er in die Mitte seines Büros und machte seinem Gram Luft:
„Weißt du, Harry, ich suche und suche überall. Ein verborgenes Detail, irgendwas, was mir entgangen ist. Etwas, was mir erklärt, warum diese grauenvollen Dinge passiert sind."
Der Schulleiter stand vor einer Vitrine und blickte in die Glasscheibe hinein, als würde er erwarten, das durchsichtige Material würde ihm den Schleier von den Augen nehmen.
„Immer, wenn die Antwort zum Greifen nah ist, entgleitet sie mir wieder. Zum verrücktwerden."
Der alte Mann setzte sich in eine Ecke und grummelte vor sich hin.
Harry nahm seinen ganzen Mut zusammen und ging auf Dumbledore zu:
„Sir, Mr. Crouch's Sohn, was ist aus dem geworden?"
„Das Gericht schickte ihn nach Askaban.", beantwortete Dumbledore Harrys Frage. "Stell dir Bartys Konflikt vor. Aber ihm blieb nichts anderes übrig. Die Beweislast war erdrückend."
Im nächsten Moment drehte er alamiert seinen Kopf zu dem Schüler herum.
„Wieso hast du gefragt?"
Harry schluckte:
„Naja, er ist mir...Er ist in einem Traum vorgekommen. Es war im Sommer, bevor die Schule angefangen hat."
Der Schulleiter stand auf, ohne den Blick von seinem Schüler abzuwenden. Harry setzte seine Rede weiter fort:
„In dem Traum war ich in einem Haus. Und Voldemort war da. Er war nur kein richtiger Mensch. Und Wurmschwanz war auch da. Und der Sohn von Mr. Crouch."
„Gab es noch mehr solcher Träume?", wollte Dumbledore wissen.
Harry bejahte es.
„Es war immer derselbe."
Dumbledore ging zurück zu seinem Denkarium. Harry wusste erst nicht, ob er das, was er letzte Nacht in seinem Traum gesehen und gehört hatte, dem Schulleiter erzählen sollte. Doch er machte sich Sorgen und brachte es letztendlich über sich:
„Professor, was ist, wenn das, was ich sehe, wirklich passiert? In dem Traum hat Voldemort etwas von einem schlimmen Fehler gesagt, der alles hätte ruinieren können. Und dass er die Nachricht erhalten habe, dass ER getötet worden sei und die Erbin von Serendipia bald in seinen Besitz gehen würde."
Er stockte kurz und ließ es zu, dass der Professor ihn mit seinen Augen zu durchlöchern schien. Dumbledore kniff die Lider zusammen und hielt den Blick stand.
„Hat es womöglich etwas mit dem Verschwinden von June zutun?", fragte Harry besorgt.
Um sich zu erklären, ergriff der Schüler abermals das Wort über das Gespräch und berichtete, was June ihm vor einiger Zeit erzählt hatte:
„June hat im Gemeinschaftsraum dieses Wort mal erwähnt. Sie unterscheidet sich so wahnsinnig von Professor Snape, weil sie eine überaus freundliche Art an sich hat. Ich kann nicht genau beschreiben, wieso. Es....ich....ich mache mir wirklich große Sorgen um sie. Ich glaube, June steckt in Schwierigkeiten.", gab er ehrlich zu. „Was bedeutet dieses Wort, Sir? Was hat es damit auf sich?"
Dumbledore antwortete nicht. Stattdessen zog er mit seinem Zauberstab einen silbrigen Faden aus seiner Schläfe und ließ ihn in das Wasser gleiten. Ein Bild von Severus Snape erschien auf der Oberfläche. Er hatte den Arm hochgekrempelt und Harry erkannte auf seinem Unterarm das dunkle Mal.
„Harry, ich glaube, es hilft dir nicht, bei diesen Träumen zu verweilen. Ich glaube, das Beste ist, sie einfach loszulassen."
Das waren die letzten Worte des Schulleiters zu diesem Thema. Harry war ein wenig enttäuscht. Doch er akzeptierte es. Wenn Dumbledore über etwas nicht sprechen wollte, hatte es seine Gründe.
Kimberley ging einen langen, schmalen mit Teppich ausgelegten Gang entlang.
Es war alles so still. Die Fackeln an der Wand spendeten etwas Licht. Links und rechts waren die Portraits. Die Hexen und Zauberer schliefen tief und fest in ihren Rahmen. Sie sahen so friedlich aus in ihren Gemälden.
Der Weg war jener, der auch zu Professor Dumbledores Büro führen würde. Vielleicht war der Schulleiter ja noch wach. So gerne würde sie mit Professor Dumbledore über das Geschehende sprechen.
Nichts ahnend bog sie um die Kurve herum und stieß mit jemandem zusammen. Durch den starken Aufprall fiel sie nach hinten und landete auf ihrem Hinterteil.
„Verzeihung, ich habe Sie nicht kommen sehen.", entschuldigte sich eine ruhige, sanfte Stimme.
Kimberley blickte in zwei grüne Augen.
„Lily.", entgegnete sie überrascht. „Aber nein....das kann nicht sein, du bist tot."
Um die grünen Augen erkannte sie schwarzbraune, unordentliche durchgewuschelte Haare und eine runde Brille. Erneut verlor sie sich in kompletter Irritation.
„Nein, James. Du bist es, James. Aber wie...ist das möglich?"
„Ich bin Harry.", antwortete der Junge und gab ihr die Hand, um ihr aufzuhelfen.
Er zog Kimberley ohne Probleme wieder auf die Beine.
„Haben Sie sich verletzt, Miss?"
„Nein, es ist in Ordnung.", winkte Kimberley ab, lugte nochmal in Harrys grüne Augen und sah dann schräg an ihm vorbei.
„Musst du nicht im Schlafsaal sein? Es ist schon spät."
„Ich war bis eben noch bei unserem Schulleiter. Wir mussten etwas besprechen, was nicht bis morgen warten konnte.", antwortete Harry knapp.
Der Junge sah sich immer wieder um. Er blickte hinter sich, als würde er etwas suchen. Oder irgendjemanden.
„Und Sie? Was machen Sie hier so ganz alleine, wenn ich fragen darf? Ich habe Sie noch nie hier im Schloss gesehen.", entgegnete Harry misstrauisch.
„Das gleiche wie Sie. Ich wollte zu Professor Dumbledore. Ich arbeite für ihn."
„Sie arbeiten für Dumbledore?"
In Harrys Gesicht war ein überraschter Ausdruck zu erkennen. Jedoch fügte er gleich das nächste hinzu.
„Was haben Sie mit Professor Snape zutun?"
Kimberley blinzelte und runzelte die Stirn. So, wie Harry Snape aussprach, konnte sie daraus schließen, dass sich die beiden nicht wirklich gut gesonnen waren.
„I-ich bin Junes Mutter.", meinte sie daher nur knapp. „Ich suche nach ihr. Sie ist verschwunden und ich mache mir furchtbare Sorgen um sie."
Harry setzte an, etwas zu sagen, indem er die Lippen öffnete. Doch es kam kein Ton heraus, da er von einer öligen Stimme unterbrochen wurde.
„Potter. Wohin so eilig?"
Snape preschte um die Ecke. Er kam im schnellen Schritt auf die beiden zu.
In seinem Gesicht war leichte Irritation zu sehen. Offensichtlich hatte er nicht damit gerechnet, Kimberley und Harry hier zusammen anzutreffen. Ihm fiel beinahe die Mimik aus dem Gesicht, als er die Frau, die eigentlich hätte in seinem Büro sein müssen, bei dem Schüler stand, welchen er am meisten hasste.
„Nichts."
„10 Punkte Abzug für-„
„Sie können mir keine Punkte abziehen, Sir. Ich habe Ihnen doch schon gesagt, dass sie mit ihrem Verdacht falsch liegen.", sagte Harry säuerlich.
Snape schwieg und starrte ihn finster an.
„Lügen Sie nicht so frech, Potter. Sie und Ihre abnormen kleinen Freunde brauen hier in der Schule Vielsafttrank. Und glaub mir, ich finde heraus, warum. Und jetzt gehen Sie mir aus den Augen. Auf der Stelle!"
Das ließ Harry sich nicht zweimal sagen. Er sah Snape nochmal verachtend ins Gesicht, musterte dann noch einmal Kimberley und lief dann die Korridore herunter.
Als Harry aus dem Sichtfeld war, fuhr Snape wütend herum. Rasch drückte er Kimberley an die Wand und fixierte sie mit den Händen. Oh, wie die Hexe es hasste, wenn er sie ohne Vorwarnung grob anpackte, um seine Wut an ihr auszulassen. Verständnislos über diese plötzliche Wendung sah sie dem Meister der Zaubertränke in die Augen.
Snape wollte sie am liebsten anschreien, ihr eine Standpauke halten. Doch er konnte nicht. Er war wie gelähmt. Es war das erste Mal seit langem, dass sie ihm wirklich tief in die Augen sah.
Ihm wich jegliche Regung aus dem Gesicht. Snape hatte das Gefühl, Kimberley würde ihn das erste Mal nicht nur einfach in die Augen schauen. Es war, als ob sie tief in sein Inneres blicken würde. Sein Atem wurde schwer und er musste sich zusammenreißen. Immer wieder öffnete er den Mund, um etwas zu sagen, doch er konnte aus irgendeinem unerfindlichen Grund nicht.
„Ich muss zu Albus. Lässt du mich bitte gehen?"
Kimberleys Stimme war so leise, dass er erst dachte, dass er sich eingebildet hätte, dass sie wieder mit ihm sprach. Ihre Stimme klang heiser und gebrochen und ihre Augen waren ganz glasig. Sie flehte ihn förmlich an, sie gehen zu lassen.
Ihre Handlungen irritierten ihn. Er hätte Widerstand erwartet.
Snape riss sich von ihr los, als hätte er sich an ihrem Körper verbrannt. Mit seinen schwarzen Augen sah er sie an.
Kimberley wandte die Augen wieder von ihm ab und eilte den Korridor entlang, ohne sich noch einmal umzusehen.
Und Snape dachte darüber nach, warum er eben so einen seltsamen Impuls ihr gegenüber verspürt hatte.
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