Die erste Liebe vergisst man nicht - Part II
Georgina blieb weiterhin spurlos verschwunden. Dumbledore wollte sie darüber eigentlich nicht in Kenntnis setzen. Er wollte keine Panik unter den Schülern verursachen. Besonders jetzt nicht zur Weihnachtszeit.
Doch es war nicht möglich, es zu verschweigen. Insbesondere Maya kam mit der Situation gar nicht zurecht.
Jeder Schüler und jeder Lehrer bemerkte ihre zunehmende Besorgnis. Von der lebensfrohen und quirligen Maya Walsh war nur noch eine Hülle übrig.
Sie sah aus wie die blasse Seite eines Buches. Im Unterricht war sie kaum noch anwesend. Zumindest nicht geistig.
Es war für sie und auch alle anderen ein willkommener Segen, als die Ferien begannen und kein Unterricht mehr stattfand.
Albus hatte kurz vorher beim täglichen Frühstück sich dafür entschieden, ihnen von Georgina Verschwinden zu informieren. Sollte irgendjemand Hinweise dazu haben, wo Georgina sich zu dieser Zeit aufhielt oder könnte, so sollte er die Information an einen Professor geben.
Er legte ihnen auch nahe, dass er streng vertraulich mit dieser Information umgehen würde. Keiner würde erfahren, wer was gesagt hatte. Alle Lehrer standen für eine Schweigepflicht ein.
Doch Tage um Tage vergingen ohne das ein Lebenszeichen von der Walshschwester gefunden wurde.
Es war ein Albtraum jeder Mutter, im Ungewissen zu sein, wie es seinem eigenen Kind ging.
Kimberley Moreno war eine der viele Frauen, die genau wusste, wie sich so etwas anfühlte. Doch im Gegensatz zu Mrs. Walsh hatte sie immer die Gewissheit gehabt, dass es noch mindestens einen Zauberer gab, der für das Wohlergehen ihrer Tochter mit allen Kräften einstehen würde.
So kurz vor Weihnachten war es immer noch ein Hoffnungsschimmer für die Familie Walsh, dass das eigene Kind vielleicht an diesem einen besonderen Tag zurückkehren würde. Wäre es wirklich nur weggelaufen, dann würde es zurückkehren. An diesem besonderen Tag.
Maya hoffte das auch. Blair hatte June erzählt, dass sie nach Hause fuhr, um bei ihrer Familie zu sein. Sie hatte zudem Weihnachtsgeschenke in Hogsmeade für Georgina gekauft. Maya wollte sie unter den Tannenbaum legen. In der Hoffnung, sollte sie doch am Weihnachtsmorgen zu ihnen zurückkehren, dass sie sich der Liebe ihrer Familie sicher sein konnte
June und Maya hatten bis zu ihrer Abreise nicht mehr miteinander gesprochen. June wusste nicht, wie sie Maya ansprechen konnte.
Immer, wenn sie Maya über den Weg lief, sah sie June mit einem hasserfüllten Blick an und verschwand so schnell sie konnte von der Bildfläche.
June schickte dennoch Alonso mit einem kleinen Päckchen zu der Familie Walsh.
Mit Weihnachten auch der diesjährige Ball.
June war an dem besonderen Abend unten in den Kerkern, um sich hübsch zu machen. Doch fühlte sie sich fehl am Platz. Ihr Magen war verknotet und ihre Augen glasig.
Sie stand gerade vor einem Spiegel und überlegte sich, was sie mit ihren Haaren machen sollte, als ihre Mutter hereinkam.
June befand sich im Wohngemach von Professor Snape. Dort, wo man ihre Mum immer noch versteckt hielt. Warum hier und nicht im Gemeinschaftsraum? Sie brauchte Kimberleys Hilfe. June hatte keine Mädchen, denen sie sich anvertrauen konnte. Die ihr sagten, was gut aussah.
Sie wusste nichts darüber, was angemessen war. Im Gemeinschaftsraum hatte es außerdem nur so von kichernden Mädchen gewimmelt, sodass June irgendwann die Krise bekommen hätte.
June hatte sich für ein schwarzes, enges knielanges Kleid und eine silberne Kette entschieden. Es war das edelste, was sie besaß. Sonst trug June nur Pullover, Blusen und Hosen. In der Schule war ihre Schuluniform immerhin der wichtigste Dresscode.
Hier im Gemach war es still. Severus war nicht da und Kimberley tänzelte wie immer so leise wie möglich durch die Räume. Mit einer langsamen Bewegung legte sie eine schwarze Kiste auf das Bett.
Dann kam sie zu ihrer Tochter vor den Spiegel. Sie stellte sich hinter sie und strich ihr mit den Händen über ihr Haar.
„Du siehst wunderschön aus.", hauchte sie ihr ganz leise ins Ohr.
June genoss diese Berührung sehr. Die zarten Finger strichen ihr über die schwarzen Locken und hinterließen einen angenehmen Schauer auf ihrer Kopfhaut. June atmete tief ein und fasste sich an ihr Dekolleté.
„Es fühlt sich nicht richtig an, sich zu amüsieren, während eine andere Person in diesem Moment gerade vielleicht das schlimmste Leid erfährt.", entfuhr es ihr niedergeschlagen.
Wer wusste, wo Georgina gerade war? Was mit ihr geschah? June hatte keinen guten Draht zu Georgina und sie mochte das Mädchen auch nicht sonderlich. Aber sie war Mayas Schwester.
Es hätte nicht nur Georgina treffen können. Was wäre gewesen, wenn es ein anderer Schüler gewesen wäre? Maya, Blair oder Neville?
Sie drehte sich um zu ihrer Mutter.
„Mum...", wisperte sie leise und ihr floss eine kleine Träne über die Wange. „Ich habe angst."
Die warmen Hände ihrer Mutter lagen auf ihren Wangen. Behutsam strichen die Daumen ihre Tränen weg.
„June, hör mir jetzt genau zu.", sagte Kimberley ernst und suchte ihren Blick.
Das sonst so helle blau hatte sich in den Augen ihrer Mutter verdunkelt.
„Seit Jahrhunderten gibt es viel Leid auf dieser Welt. Wir können leider nicht jedem helfen. Wir können nicht jeden retten. Es ist sehr traurig, aber immer wird irgendwo irgendjemand leiden. Deswegen ist es noch lange nicht verkehrt, einen glücklichen Abend zu verbringen."
Kimberley nahm ihre Hände von dem Gesicht ihrer Tochter. Dann spürte sie, wie ihre Mutter ihre Hände in die eigenen legte. Sanft übte sie Druck darauf aus.
„Wir sind dabei, Georgina Walsh zu finden. Professor Dumbledore tut alles, was in seiner Macht steht. Es ist gewiss nicht einfach für die Familie. Doch wir können das nicht ändern. Weißt du was viel wichtiger ist? Unterstützung und Fürsorge. Die Familie Walsh ist eine große Zaubererfamilie. Sie haben viele Freunde, die sie in dieser schweren Zeit unterstützen. Die für sie da sind, wenn es ihnen schlecht geht. Und du hast uns. Mich und Severus. Wenn es dir mal nicht so gut geht und du verzweifelst, sind wir für dich da und helfen dir. Wenn dir etwas passiert, dann werden wir dich retten und beschützen. Das tut eine Familie nämlich. Verstehst du was ich dir damit sagen will?"
June nickte zaghaft. Ihre Mutter lächelte, beugte sich vor und gab ihr einen Kuss auf die Stirn.
„Ablenkung ist das Beste, mein Schatz. Das ist dein Abend. Genieße ihn."
„Danke Mum."
Kimberley hatte Recht. Sie war klug und weise.
Sie ließ sich von ihr in den Arm nehmen und genoss ihre Zuneigung.
June konnte nicht erklären, warum. Aber sie fühlte in diesem Moment so eine innere Verpflichtung. Sie spürte den Drang, zu helfen.
Sie wollte raus in die Welt und so vielen Menschen wie möglich beistehen bei dem, was sie durchmachen. Sie wollte für das Gute kämpfen. Sie wollte nicht tatenlos zusehen, wie Böse Dinge ungestraft passierten. Die Liebe und Wärme, die ihre Mutter ihr gab, wollte sie am liebsten in ein Fläschchen abfüllen und den Menschen geben, die sie am meisten benötigten. Sie wollte Kindern Geschichten erzählen und ihnen Mut machen. Sie wollte Heiltränke brauen und die Kranken pflegen. Sie wollte Waisen ein zu Hause geben. All das wollte sie in diesem Moment tuen. Ohne zu wissen, wie sie damit anfangen sollte. Sie hatte nur diesen Drang in sich, die Welt mit all ihren Kräften zu einem besseren Ort zu machen.
Kimberley löste sich von ihrer Tochter.
„Ich habe noch was für dich."
Sie öffnete die schwarze Kiste und gab sie June in die Hand. Die Schülerin entdeckte im Innern einen Stoff aus rotem Samt. Als sie den Inhalt aus der Kiste holte, hielt sie ein wunderschönes Kleid in den Händen. Es hatte ellenlange Ärmel und einen bodenlangen voluminösen Saum. Der Unterrock war rabenschwarz. Rechts und links zierten von der Taille aus wundervolle, rubinrote Rüschen. Sie kräuselten sich bis zum Knie. June blieb der Atem weg.
„Es ist wunderschön."
„Das Kleid gehörte deiner Tante Marta. Es war ihr Hochzeitsgeschenk an mich. Sie hat es selbst genäht. Es ist eine traditionelle Tracht in Spanien."
June erkannte das traurige Lächeln ihrer Mutter.
„Ich möchte es dir zu diesem besonderen Tag schenken. Ich selbst habe den Hogwartsball nie besucht. Aber es soll ein großartiges Erlebnis sein, an welches du dich nach der Schulzeit immer erinnern wirst."
Kimberley half June beim Anziehen. Das Kleid hatte keine Knöpfe, war um die Hüfte ziemlich eng und besaß keinen Stretch. Das reinschlüpfen war eine Tortur, die sie ohne Hilfe nicht geschafft hätte. Doch innen drin angekommen passte es wie angegossen.
Kimberley setzte June auf einen Stuhl, gegenüber von dem Spiegel und bürstete ihr Haar.
„Sag Bescheid, falls ich dir wehtue. Ich habe als Mädchen gehasst, wenn mir die Haare gekämmt wurden. Das war der schlimmste Schmerz überhaupt."
„Du hast aber auch ziemlich langes und dickes Haar.", meinte June daraufhin nur. „Aber wunderschön."
Sie erkannte im Spiegel ein kurzes Lächeln auf dem Gesicht der blonden Hexe.
Kimberley kämmte June einen Seitenscheitel. Ihre Haare ließ sie offen. Durch die Bürste waren ihre wilden Locken ein wenig glatter, besaßen aber immer noch zahlreiche Wellen in den Strähnen. Links steckte ihr Kimberley eine rote Rose ins Haar.
„Jetzt siehst du aus wie eine Flamenco-Tänzerin."
Glücklich stand June auf und drehte sich zu allen Seiten. Ihr gefiel ihr Aussehen. Sie hatte sich noch nie so hübsch gefühlt. Es war ein ganz neues Gefühl. So frisch und lebendig. Alles in einem zusammen. Feuerwerke explodierten in ihrem Inneren und stießen Funken in all ihre Venen hinein.
„Ich liebe es. Danke Mum."
June strahlte über das ganze Gesicht. Sie umarmte ihre Mutter stürmisch und drückte sie fest an sich. Kimberley war ein wenig überrascht, erwiderte dann aber die Umarmung.
„Ich bin so stolz auf dich, mein Schatz. Jetzt geh, deine Begleitung wird Augen machen."
Wenn Draco wirklich auftauchen sollte. June glaubte immer noch nicht daran, dass Malfoy wirklich mit ihr zum Ball gehen würde.
Auch, wenn Professor Snape sein Patenonkel war und er ihn sehr respektierte. Würde er sich vor allen anderen so bloßstellen?
Sie würde es ja sehen. Ob sie oder doch Pansy Parkinson an seinem Arm zur Tanzfläche stolzierten.
Ob Ivan auch ein anderes Mädchen gefunden hatte und mit ihr zum Ball ging? In June keimte ein leichter Anflug von Eifersucht auf, als sie daran dachte. Aber nein, sie würde sich diesen Abend nicht verderben lassen. Der Ball war ein wichtiges To-Do auf ihrer Liste. Und sie wollte einen grünen Haken dahinter setzen.
Entschlossen küsste June ihre Mutter auf die Wange und schlenderte zur Tür.
Severus drückte indem Moment die Türklinge herunter und kam herein. Er trug einen schwarzen, engen Mantel und hatte seine langen Haare gekämmt. June war so voller Elan, dass sie beim vorbeigehen kurz anhielt, sich auf die Zehenspitzen stellte und auch Severus einen Kuss auf die Wange gab.
Dann verschwand sie aus der Tür, ohne Snape noch einen Blickes zu würdigen.
Severus stand dort völlig verdattert über den stürmischen Kuss. Mit der Handfläche wischte er sich über die Wange. Kimberley hatte das genau gesehen und grinste.
„Sie kann ja richtig liebevoll sein."
„Ja, sie ist ihrem Vater außerordentlich ähnlich.", grummelte er vor sich hin.
Er blieb unverbesserlich. Kimberley erinnerte sich erfreut an den Tag, wo Severus Adriano kennenlernte. Ihr verstorbener Mann pflegte stets die Angewohnheit, jeden so liebevoll wie möglich zu begrüßen.
Sie fasste sanft an seinen Arm und strich sachte darüber.
„Gehst du heute zum Ball?", fragte sie ihn vorsichtig.
„Als Lehrer ist es meine Pflicht. Daher ja, aber ich werde gewiss nicht tanzen."
„Und wenn dich jemand ganz lieb danach fragen würde?"
Severus hob eine Augenbraue und blickte zu Kimberley hinunter, die ihn offensichtlich aufs Korn nehmen wollte.
„Nicht einmal, wenn du es wärest."
Enttäuscht sah Kimberley zu Boden. Er hatte sie durchschaut. Sie hatte nicht erwartet, von ihm so eine direkte Abfuhr zu erhalten.
„Schade.", flüsterte sie tonlos und verließ den Bürotrakt.
„Wo willst du hin?", fragte Snape schnippisch.
„Ich gehe zeichnen. Irgendwie will ich mich heute Abend schließlich auch amüsieren."
Sie verschwand und lies Severus in seinem Büro alleine zurück. Was hatte diese Frau auch anderes erwartet. Dass sie nach all der Zeit ausgingen und einen auf Happy Family täten?
Er hatte weitaus wichtigeres zutun, als sich mit einer Frau irgendwo zu vergnügen.
Kimberley sollte sich schämen. Ihr Mann war tot, sie sollte sein Andenken nicht beschmutzen.
Severus wusste durch die Legilimentik, was Kimberley für ihn empfunden hatte in der weiten Vergangenheit. Seine Liebe galt aber Lily. Bis jetzt und in alle Ewigkeit.
Er würde treu bleiben. Er würde nicht so schwach sein. Er würde sie nicht einfach vergessen.
Keine Frau würde wie Lily sein. Nicht wie der Rotschopf mit den grünen Augen, welcher ihm einst den Kopf verdreht und dann sein Herz gestohlen hatte.
Kimberley brachte ihn Lily wieder nahe, aber sie war nicht Lily. Er schätzte sie und vertraute ihr aber mehr war da nicht.
Vielleicht interpretierte er auch zu viel in ihre Worte hinein. Sie hatte nur nach einem Tanz fragen wollen, wenn er es richtig interpretierte.
Nein, das war frech. So etwas sollte sie nicht noch einmal wagen. Er ging zur Tür, öffnete sie und entschwand.
Auf den Treppen wimmelte es von Schülern, die sich amüsierten und durch die Gänge eilten.
Hasserfüllt sah er zwei Schülern aus Ravenclaw nach. Das Mädchen hatte rote Haare und trug ein silbernes Kleid. Und der junge hatte schwarzes, verwuscheltes Haar.
Wäre James nicht gewesen, hätte er Lily niemals verloren. Hätte James sie nicht geheiratet, hätte Lily von ihm kein Kind bekommen. Und Harry würde nicht existieren. Snape gab James die Schuld an Lilys Tod. Der Hass bereitete ihm schlechte Laune.
Er erinnerte sich an damals. Wie er James und Lily beim tanzen zugesehen hatte. Sie hatte das schönste Lächeln auf dem Gesicht, was er je in der Welt gesehen hatte.
Snape hätte Lily alles gegeben. Aber sie hatte ihm James vorgezogen. Und das alles, weil er etwas gesagt hatte, was sie ihm nie verziehen hatte...
„ Du hast tapfer gekämpft. Du verdienst es, glücklich zu werden."
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