Die Geheimnisse im St. Mungo Hospital
Der Patronus von Remus Lupin hatte Kimberley schneller erreicht, als sie jemals gedacht hätten.
Getarnt auf einem großen Schiff war sie kurz vor dem Hafen angelangt. Unter ihrem großen Hut versteckte sie ihr Gesicht und ihren Mantel hatte sie bis zum Kinn hochgezogen. Die blauen Augen musterten jeden Passagier gründlich. Der Wind, welcher ihr blondes Haar durch die Luft wirbelte, war ein angenehmer Trost für das, was sie in Sevilla gesehen hatte.
Die hilfsbereiten Spanier des Dorfes hatten sie auf ein Haus auf dem Land verwiesen. Marta Moreno war nach einem mysteriösen Brand umgezogen und traute sich wohl nicht mehr aus dem Haus. Bis zu ihren letzten Stunden hatten die Dorfbewohner ihr auf ihre Briefe hin Lebensmittel vor die Haustür gestellt. Sie hatten bereits verdacht geschöpft, dass etwas nicht stimmte. Denn die Lebensmittel waren seit einigen Tagen nicht angerührt worden. Allerdings fürchteten sich die anständigen Bürger von Sevilla, in die Nähe des Hauses zu kommen. Es wurde gemunkelt, dass dort ein schwarzer Geist sein Unwesen treibe. Ein Kind sei schwer verletzt worden, als es den Garten betreten hatte bei einem unschuldigen Versteckspiel mit seinen Freunden. Kimberley hatte sich keine Angst einjagen lassen. Sie hatte den ungepflegten Garten gesehen, der jetzt eher einem verwilderten Dschungel glich. Und sie hatte auch die Überreste einiger Papiertüten gesehen. Die Tiere hatten sich an dem Brot und dem Gemüse zu schaffen gemacht. Innen im Haus herrschte ein wildes durcheinander. Alle Möbel lagen verstreut am Boden. Es hingen zwei weiße Gänse von der Decke. Sie waren tot. Ausgeblutet. Im Innern roch es nach verfaultem Fleisch. Kimberley fand den verwesenden Leichnam von Marta auf ihrem Bett. Sie war nicht einfach nur getötet worden. Man hatte ihr die Augen herausgenommen. Zwei Steine thronten in ihren Augenhöhlen, um die Löcher zu verdecken. Kimberley hatte Marta in ein Tuch gewickelt und in einem ruhigen Landstück nahe des Waldes beerdigt. Das hatte sich die ältere Frau mit dem schneeweißen Haar immer gewünscht. Ihre weißen Gänse, die ihre einzige Gesellschaft gewesen waren, legte sie direkt neben ihre Ruhestätte. Kimberley würde viele Menschen kennen, die es töricht finden würden, zwei Masttieren ein Grab zu schaufeln. Hier in Sevilla hatte sie aber gelernt, wieviel Tiere den Menschen bedeuteten. Sie waren nicht einfach ein „Nutzen". Die Tiere in Sevilla waren Teil der Familie. Es war ein Geben und ein Nehmen. Marta hätte gewollt, dass ihre Gänse nach einem so qualvollen Tod den Frieden finden würden. Eigentlich war es sehr verwunderlich, dass die Tiere, welche sich an der Nahrung bedient hatten, nicht ins Haus eingedrungen waren. Der Geruch der Verwesung war stark und das Haus nicht sonderlich gesichert. Die Leichen waren relativ unversehrt gewesen. Es sei denn, man hatte sie erst später getötet...
Kimberley konnte sich keinen Reim darauf machen. Sie hatte die ganze Schiffsfahrt darüber gegrübelt. Und ihr war bewusst, dass sie als letzte der Familie Moreno bald nach Sevilla zurückkommen musste, um über die Habseligkeiten zu entscheiden. Sie fürchtete sich davor, das Haus räumen zu müssen.
Kimberley war so in Gedanken versunken, dass sie nicht bemerkte, wie ein Mann zu ihr hinüberging. Er tippte sie an:
„Entschuldigung, Miss. Aber ich glaube, Sie haben eben etwas verloren."
Kimberley vermutete, dass es wieder der Muggel sein würde, der ihr schon seit dem Auslaufen des Schiffes hinterher schlich.
„Tut mir leid, Mr. Ich habe Ihnen doch bereits gesagt, dass ich vergeben bi-„
Sie stoppte, als sie zwei bekannte Augenpaare erkannte.
Es gab einen ohrenbetäubenden Lärm. Die beiden Männer stürzten wie Steinfiguren zu Boden, wo sie reglos liegen blieben. Die Muggel, die weiter wegstanden, schrieen erschrocken auf und liefen in alle Richtungen.
„Da war eine Frau", erklärte ein Mann mit einem dicken Bierbauch und einer Sonnenbrille. Er und seine Familie kamen gerade aus ihrem Urlaub zurück. Mit seinen gewaltigen, massiven Fingern zeigte er zur Reling. „Sie ist gesprungen. Diese Widerlinge sind ihr schon die ganze Zeit hinterher gelungert"
„Ja und warum sagen Sie uns dann erst jetzt Bescheid?", schrie einer der Security-Mitarbeiter und befahl seinen Männern mit Handzeichen, zu ihm zu gelangen.
„Naja, ich wollte mich in keinen Ärger reinziehen lassen. Außerdem dachten wir erst, die würden zusammengehören", meinte der dicke Mann mit der Sonnenbrille, völlig empört darüber, dass man ihm jetzt auch noch Vorwürfe machte.
Die anderen beachteten ihn und seinen Ärger gar nicht mehr. Sie liefen zur Reling und die anderen folgten ihm. Auch die Touristen. Sie suchten das Meer nach einer weiblichen Silhouette ab.
„Könnt ihr jemanden erkennen?"
„Nein hier ist nichts."
„Hier auch nicht."
Von der anderen Seite ertönte eine weitere Stimme.
„Jones, hast du was gefunden?"
„Nein, Sir. Keine Spur von der Frau."
Ein paar Sanitäter kümmerten sich um die geschockten Männer, die am Boden lagen. Mit zwei Tragen transportierten sie die Körper aus der Sichtweite der schaulustigen Touristen. Der Mann mit dem Bierbauch kam japsend zu dem Mann, der mit Jones gerufen wurde.
„Die arme Kleine.", japste er. „Können wir wirklich nichts mehr für sie tun?"
„Wir werden den Küstendienst verständigen. Sie werden Ausschau nach ihr halten. Gott bewahre ihre Seele gut und möge sie schützen."
Sein Blick fiel voller Trauer zum weißen Höckerschwan, der sich vom Wasser treiben ließ und mit seinen schwarzen Augen das Schiff inspizierte. Kimberley hatte sich unter Wasser ihrer Animagusgestalt bedient. Ein nicht gelisteter Animagus war wirklich hilfreich in solchen Situationen. Sie durfte nur nicht entdeckt werden. So unauffällig wie möglich passte sie sich den Charaktereigenschaften eines Tieres an. Sie steckte den Kopf unter Wasser, putzte ihr Gefieder und tat alles, um so unauffällig wie möglich zu erscheinen. Alles, was ihrer Meinung nach ein Schwan wohl auf hoher See tuen würde. Als das Schiff außer Reichweite war, erhob sie sich mit einem gewaltigen Flügelschlag in die Luft und flog ans Ufer über unzählige Menschen, die sich am Hafen tummelten. Andere Kinder zeigten aufgeregt in die Luft, als sie Kimberley am Himmel erblickten. Die Gestalt eines Schwanes faszinierte die kleinen. Wäre sie noch ein wenig tiefer geflogen, hätte sie gehört, wie die Muggelmädchen sich darüber freuten, das erste Mal in ihrem Leben einen echten Schwan erblickt zu haben. Aber Kimberleys Gedanken waren ganz wo anders. Sie waren bei June Moreno. Die Reise war noch nicht zu Ende. Die Hexe hatte noch eine anstrengende Strecke vor sich, ehe sie ihre Tochter wieder in die Arme schließen konnte.
June hatte ihr altes Zimmer im Grimmauldplatz wiederbekommen. Remus hatte ihr versprochen, ihre Sachen aus Jeffersons Wohnung zu holen.
Sie hatte die Nacht auf den Weihnachtstag kaum ein Auge zuschlagen können. June machte sich furchtbare Sorgen um Jefferson Stuart. Figaro weckte sie an diesem Morgen mit seinem Schnabel. June lächelte und fuhr dem Kauz über den Kopf.
„Na du Kleiner? Seit wann bist du denn hier?"
Figaro machte ein gurrendes Geräusch, welches beinahe einer Taube glich. June setzte sich auf und ihr Blick landete auf dem, was am Fußende ihres Bettes stand. Da lagen kleine, bunte Weihnachtspäckchen. Die Farben waren schillernd und luden förmlich dazu ein, ausgepackt zu werden. Sie konnte nicht widerstehen. June öffnete als erstes ein grünblaues Päckchen, welches sie eindeutig Severus zuschreiben konnte. Severus hatte an sie gedacht und ihr ein Päckchen zukommen lassen. Das bedeutete June so viel. Auch wenn der Inhalt seltsam war. Normalerweise schenkte Severus ihr immer ein Buch. Dieses Jahr aber hatte er ihr einen kleinen Beutel eingepackt und zugesendet. June sah hinein und holte einige kleine Flaschen und Phiolen heraus. Sie waren allesamt beschriftet. Dabei lag auch noch ein Brief. Severus Handschrift war ziemlich ordentlich und glich der Schrift einer Frau. So feminin und schnörkelig wandte sie sich in blauer Tinte über das Papier.
Träufle das bitte auf deine Wunden! Auch auf die Male. - Severus
Snape verfolgte sie bis hier her mit seiner übertriebenen Besorgnis. Irgendwie war das schon süß. Wie war das noch gleich mit dem Lehrer-Schüler Verhältnis? Ganz so einzuhalten schien er es wohl nicht. June grinste. Aber etwas machte sie dennoch stutzig. Es war doch davon die Rede, dass diese Male keinen Einfluss auf ihr Wohlergehen haben werden. Um das zu überprüfen, lugte June unter ihr T-Shirt. Das, was sie erblickte, ließ sie starr werden. Das schwarze Mal hatte sich nun bis zum Bauchnabel ausgebreitet. Ihre braune, gesunde Haut sah aus, als würde sie beginnen, abzufaulen. Hatte Severus sich vielleicht geirrt? Oder wusste er etwas, was sie nicht wusste? June kamen die Tränen, wenn sie daran dachte, dass sie vielleicht eines Tages entstellt sein könnte. Der Gedanke, ihr zukünftiges Leben vielleicht im St. Mungo zu verbringen, versetzte sie in tiefe Betrübnis. Was würde ihr da noch ein guter Zaubergrad nutzen? Sollte sie vielleicht die Schule abbrechen? Es war doch völlig sinnlos, sich weiterhin mit Umbridge herumzuquälen, wenn ihr Schicksal bereits besiegelt war. June nahm eine der Phiolen, öffnete sie und verteilte den Inhalt gleichmäßig auf die schwarzen Stellen. Obwohl das Glas eine angenehme Temperatur hatte, war der Inhalt kalt und glitschig. Jetzt war nur die Frage, ob es wirklich helfen würde. Die Ausbreitung des Males war schneller vorangegangen, als June je vermutet hätte. Schon seltsam. Es war ihr sonst nie aufgefallen.
Um sich bessere Gedanken zu machen, öffnete sie die anderen Päckchen vor ihrem Bett. Da war unter anderem ein kleiner geschnitzter Vogel von Hagrid, ein paar selbst gebackene Weihnachtsplätzchen von Neville und seiner Großmutter, ein Buch über Verteidigung gegen schwarzer Magie von Remus Lupin, ein selbst gestrickter Pullover von Mrs. Weasley und (zu Junes Überraschung) ein neuer Umhang von Jefferson.
Den musste er bereits eingepackt haben, bevor er.....
June legte sich den Umhang an. Er hatte was. An sich war er schlicht und schwarz. Aber im Gegensatz zu dem von Snape hatte dieser kunstvolle Spitzen eingenäht. June fand, dass sie damit aussah, wie eine majestätische Gräfin.
Ein Geschenk fehlte jedoch. Kimberley hatte bis jetzt nichts von sich hören lassen. Das machte June traurig.
Mrs. Weasley rief sie irgendwann alle zum Frühstück herunter. June wusste nicht, wer alles noch im Haus war. Unten am Türrahmen fand sie eine Traube aus Schülern. Hermine, Ginny, Harry, Ron und die Weasley-Zwillinge.
„Guten Morgen, frohe Weihnachten.", sagte sie mit einem Gähnen.
Die Mädchen drehten sich verdutzt um und die Jungs taumelten, als sie ihre Stimme erhob.
„Oh June, du auch hier?", fragte Ron verwirrt.
„Allerdings. Ich bin gestern angekommen"
„Schon gestern? Aber warum haben wir dich dann nicht gesehen?", erwähnte Ginny sichtlich misstrauisch.
„Was weiß ich...."
June hatte keine Lust, über den Vorfall mit Jefferson zu sprechen. Aber ihre pampige Art stieß nicht gerade auf Akzeptanz. Neugierig blickte die gelockte Hexe an den Jungs vorbei.
„Was macht ihr da?"
„Nun...", fing Hermine an. „Ich wollte Kreacher eine Wolldecke schenken, die ich für ihn zusammengeflickt habe. Wir suchen ihn gerade überall, aber er ist spurlos verschwunden."
„Wie kann denn ein Hauself so einfach verschwinden. Sicher, dass Sirius ihn nicht weggeschafft hat? Immerhin mochten die beiden sich nicht sonderlich"
„June, du weißt doch, warum Sirius ihn nicht wegschicken kann. Er weiß zu viel über den Orden, das ist zu riskant"
June trat näher an sie heran. Sie standen vor einer Art Versteck mit einer menge Gerümpel. Hermine hielt einen gesprungenen Bilderrahmen in der Hand. June sah hinter dem Glas das Bild einer schwarzhaarigen Frau.
„Oh Gott, wer ist das denn?", brach es voller Entsetzen aus ihr heraus.
Die Frau auf dem Bild sah wahnsinnig aus. Sie hatte wirres Haar und einen kühlen, erbarmungslosen Blick. Ihre Lider waren schwer und dunkel.
„Das ist Bellatrix Lestrange. Sie ist die Cousine von Sirius."
June riss Hermine das Bild aus der Hand. Ihre Mitschülerin hatte mit der Reaktion nicht gerechnet und wich sofort nach hinten. Als June den Namen gehört hatte, war in ihr ein Licht aufgegangen. Voller Entsetzen starrte sie auf das Bild der Mörderin ihres Vaters Ariano.
In June loderte etwas auf. Tiefe Abneigung, Hass, Ekel und Wut. Genauso sah diese Frau aus. Wie eine wahnsinnige, kaltblütige Mörderin. Wenn es diese Hexe nicht gegeben hätte, würde er heute noch leben. Ariano war durch ihre Hand gestorben. Und dieser griesgrämige Hauself hatte versucht, das Bild zu reparieren. Er mochte dieses Monster offensichtlich.
Junes Hände verkrampften sich und es passierte, was passieren musste. Das Bild sprang in zwei. June erschrak. Die anderen erschraken auch. Sie ließ die beiden Hälften auf den Boden fallen, wo sie zersprangen.
„Tut mir leid....", murmelte sie abwesend und wollte sich gerade bücken, um die Scherben aufzuheben, als Sirius zu den Schülern trat.
„June, das ist schon in Ordnung. Dieser Krempel sollte sowieso im Abfall landen. Ein altes, sinnloses Familienerbstück, weiter nichts."
Er hob seinen Zauberstab und beförderte die Überreste in einen Eimer. Dann ging er zurück in die Küche zum Frühstückstisch.
June erlebte diesen Morgen eine Überraschung. Am Tisch saß eine ihr bereits vertraute Person.
„Mum!!!", rief sie erfreut und stürzte sich auf Kimberley.
Die blondhaarige Hexe war ganz verwirrt, erwiderte aber die stürmische Umarmung ihrer Tochter. Kimberley trug einen grünen, langen Reisemantel. Scheinbar war sie noch nicht lange zurück.
„Wo bist du gewesen?", fragte June gleich nach.
„Das ist kompliziert."
Kimberley wimmelte June ab. Das verstand sie nicht. Normalerweise verheimlichte ihre Mutter nie, was sie vorhatte. Etwas verwundert ließ sie sich auf einem Stuhl sinken und sah sie mit großen Augen an. Währenddessen verteilte Mrs. Weasley das Geschirr mit einem Schwung ihres Zauberstabs. Kimberley griff in ihre Manteltasche und gab June ein Päckchen.
„Feliz Navidad!", zwinkerte sie und wuschelte durch ihre Haare.
Im Päckchen war eine braune Schachtel, in der sich ein Fächer befand. Er war aus Holz und hatte einen roten Farbaufstrich. Goldene Ranken zierten die einzelnen Stäbe und am Ende waren schwarze Spitzen aus Seide angebracht.
„Ich habe einen kleinen Zauber daran ausprobiert.", flüsterte Kimberley ihrer Tochter ins Ohr. „Wenn du ihn bewegst, wird ein Erdbeben ausgelöst. Je stärker du wedelst, desto hefiger wird er."
„Funktioniert das nur auf Gras oder auch auf Asphalt?"
Kimberley grinste verschmitzt.
„Überall, wo fester Boden ist, würde ich behaupten."
Mrs. Weasley kam dazwischen.
„So, meine Lieben. Jetzt wird erstmal gegessen. Damit ihr auch alle nicht vom Fleisch fallt, wenn wir nachher Daddy besuchen gehen."
Molly wünschte jedem persönlich mit liebevollem Getue frohe Weihnachten. June fasste sie an die Wangen und ihr Lächeln glich einer stolzen Frau.
„Frohe Weihnachten, June.", sagte sie aus vollem Herzen.
Kimberley und Molly nahmen sich in den Arm wie alte Freunde.
„Es ist so schön, dass du es wirklich zu Weihnachten geschafft hast."
„Die Freude ist ganz meinerseits, Molly.", gab die blonde Hexe fröhlich zurück.
„Und wie geht es Severus?"
Molly klang nicht wirklich danach, ob sie es interessierte. Es war eher eine Floskel aus reiner Höflichkeit. Sie wollte mit der blonden introvertierten Hexe ein Gespräch anfangen und wusste wohl nicht, welches Thema angemessen war. Kimberley zuckte mit den Schultern.
„Weiß ich nicht, das ist ja auch wohl seine Sache.", sagte sie mit einer deutlichen Unsicherheit in der Stimme und wurde rot.
Die Erwachsenen ahnten wohl auch, dass die beiden sich zurzeit näher gekommen waren. Nur besaßen sie entweder alle viel Anstand oder trauten sich einfach nicht, die Frage direkt zu stellen. Und Junes Mutter sah auch nicht danach aus, als wolle sie darüber reden.
Gegen Nachmittag brachen sie alle zusammen auf, um Arthur Weasley im St.Mungo zu besuchen. Das fünfstöckige Gebäude war an sich ziemlich unauffällig. Getarnt war es als altes Kaufhaus, welches wegen Renovierungsarbeiten geschlossen sein soll. Die Muggel schenken dem Haus daher wenig Beachtung. Der Eingang erinnerte June an das Gleis 9 3/4. Hinter einer Glasscheibe stand eine Schaufensterpuppe, die durch ein direktes Flüstern das geheime Tor für sie öffnete, indem sie einen Finger krümmte.
Sie landeten alle in einer riesigen Empfangshalle. In der Mitte stand ein Wegweiser. Die Erwachsenen erkundigten sich beim Empfang, in welchem Zimmer Arthur Weasley lag. Und June sah sich die handbemalten Schilder genauestens an.
EG - Informationsschalter und Utensilien-Unglücke
1. OG: Verletzungen durch Tierwesen
2. OG: Ansteckende magische Krankheiten
3. OG: Vergiftungen durch Zaubertränke und magische Pflanzen
4. OG: Fluchschäden und Zauberunfälle
5. OG: Besuchercafeteria und Krankenhauskiosk
June überlegte gerade, in welchem Stockwerk wohl Jefferson gearbeitet hat, als Kimberley hinter ihr auftauchte und sie mit sich führte.
Arthur Weasley war in ein anderes Zimmer verlegt worden. Der Weg dorthin kam June lange vor. Sie bogen ständig in irgendwelche Gänge ein. Ihre Schritte hallten von den Wänden wieder. Alles war in einem schlichten weiß gehalten. June konnte nicht genau sagen, warum. Aber in Krankenhäusern hatte sie sich nie sonderlich wohlgefühlt. Vielleicht lag es an der Weitläufigkeit. Vielleicht aber auch an den vielen fremden Gerüchen. Bald hatten sie schließlich das richtige Zimmer gefunden. Arthur Weasley freute sich riesig, als der Besuch ins Zimmer eintraf. Er teilte es sich mit einem weiteren Zauberer, der wegen einem schwerwiegenden Werwolfsbiss eingeliefert worden war. June fand auch heraus, dass Jefferson Stuart im Stockwerk für Verletzungen durch Tierwesen arbeitete. Doch nur durch den Ehestreit, der zwischen Molly und Arthur ausbrach. Jefferson Stuart hatte mit dem Assistenzarzt Augustus Pye ein Muggelheilverfahren an Arthur Weasley durchgeführt. Arthur hatte natürlich direkt zugestimmt. Leider war dieses Heilverfahren fürchterlich schief gelaufen. Und Molly war außer sich vor Wut. Die Kinder verließen schnell das Zimmer. Keiner wollte unbedingt dabei sein, wenn Arthur und Molly Weasley in einen Ehekrach verfielen. Kimberley hingegen, die schon immer der Typ Mensch war, der Kekse an alle Fronten verteilte, ging dazwischen und versuchte, die beiden zu beruhigen. Aber das brachte nur noch mehr Unbehagen in den Raum. June blieb nur da, weil sie wissen wollte, was mit Jefferson passiert war. Wenn er Arthur behandelt hatte, musste ihm doch auch bekannt sein, was mit ihm passiert war. Aber der Name fiel nicht in diesem Zusammenhang. Enttäuscht trottete June durch die Tür hindurch.
Sie wollte den anderen folgen. Doch leider war von keinem ihrer Mitschüler eine Spur. Der Gang war leer. Keine Hermine, kein Harry und keine Ginny. June seufzte und blickte aus dem Fenster in einen kleinen Garten hinein. Sie stand so da und verfing sich wieder in ihre Gedanken, als ihr plötzlich etwas einfiel. Sie könnte doch einfach einen Mitarbeiter fragen, ob Jefferson heute zur Arbeit erschienen war. Sie würden ihr vielleicht nicht erzählen, warum. Aber den Grund würde sie sich selbst ausmalen können, auch ohne eine genauere Auskunft. Junes Herz raste wild, als sich ihre Beine wie von selbst durch den Flur bewegten. Was würde sie tuen, wenn die Antwort ein Nein beinhalten würde? Sie hoffte, dass sie ja sagten. Dass sie sagten, dass er gekommen war. Vielleicht würde sie ihn sogar selbst sehen können. June merkte nicht, wie die Nervosität sie immer schneller vorantrieb. Sie lief zur hintersten Tür. Dort stand in großen Druckbuchstaben:
Vorsicht! Gefahrenzone! - Zutritt nur für befugte Mitarbeiter
Sie klopfte und ihr Herz machte einen Satz, als sich die Tür einen Spalt öffnete. Zu Junes Überraschung lugte ein Mädchen in ihrem Alter heraus. Sie war ziemlich klein, hatte dichte dunkle Augenbrauen und eine Stupsnase. Die blonden Haare hatte sie zu einem Pferdeschwanz streng nach hinten gebunden.
„Hier ist kein Zutritt für Besucher.", sagte sie in einem strengen Tonfall. „Kannst du nicht lesen? Da oben steht es doch drauf."
June mochte es nicht, wenn man so mit ihr sprach. Sie stemmte die Hände in die Hüften.
„Du siehst ja auch nicht gerade danach aus, als ob du schon alt genug bist, um in einem Krankenhaus zu arbeiten."
Das Mädchen schenkte ihr erst einen vernichtenden Blick. Dann grinste sie aber ein freches Grinsen.
„Ich kenne dich.", kicherte sie. „Du bist die Tochter von Professor Schnüffler!"
„Schnüffler?"
June hob die Augenbrauen. Das Mädchen vor ihr verdrehte die Augen, verlor ihr Grinsen aber nicht.
„Du weißt schon, unsere liebe Fledermaus. Dieser sadistische, fetthaarige, hakennasige Zaubertrankmischer!"
„Professor Snape!", korrigierte June sie scharf.
„Sag ich ja.", grinste sie noch breiter. „Professor Schnüffler."
June war genervt.
„Hör mal, ich bin nicht hier, um über meinen Ziehvater zu sprechen. Weißt du, ich suche einen Mitarbeiter, den ich unbedingt sprechen muss."
„Mit der Tochter von Professor Schnüffler spreche ich aber nicht.", fiepte sie keck dazwischen und knallte June die Tür vor der Nase zu.
June konnte ihren Augen nicht trauen. Was um alles in der Welt war das denn gewesen? Wer war dieses Mädchen? Wütend bollerte sie erneut gegen die Tür. Die konnte sich auf was gefasst machen. Was glaubte sie eigentlich, wer sie war? Die Tür öffnete sich erneut. Das Mädchen lugte wieder hindurch.
„Du stehst ja immer noch hier.", stellte sie unbeeindruckt fest.
„In der Tat.", knurrte June und setzte einen bösen Blick auf. Das Mädchen vor ihr ließ sich aber nicht einschüchtern. Ihre Augen leuchteten und ihr Kopf verschwand hinter der Tür.
„Hey Claire, die Tochter von Professor Schnüffler steht vor der Tür. Ich wusste doch gleich, dass er ihr Vater ist. Sie hat seinen Blick voll drauf. Das ist voll krass, das musst du sehen."
Durch die Tür lugte noch ein Blondschopf. June dachte erst, ihr Gehirn würde ihr einen Streich spielen. Da standen zwei Mädchen, die sich wie ein Ei dem anderen glichen. Sozusagen Zwillinge. Der einzige Unterschied zu den beiden war, dass eine von ihnen ein Stück kleiner war. Eines der Mädchen, wahrscheinlich Clair, musterte June von oben bis unten.
„Sie ist Afroamerikanerin, Lacey. Außerdem fehlt ihr die große Nase und das glatte schwarze Haar. Ich habe doch gesagt, dass an den Gerüchten nichts dran ist."
„Ich bin keine Afroamerikanerin.", fuhr es aus June heraus. „Mein Vater war gebürtiger Spanier und meine Mutter eine-„
„Afroamerikanerin, ja.", sagte Claire nur knapp und verschwand wieder hinter der Tür.
June verlor allmählich die Geduld. Bevor Lacey die Tür wieder schließen konnte, stellte sie einen Fuß zwischen Tür und Angel. Lacey, die erschrocken zurückwich, protestierte.
„Ey, du darfst hier nicht rein! Der Zutritt ist verboten!"
Aber June riss die Tür auf. Der Anblick, der sich ihr bot, raubte ihr den Atem. Das war kein normaler Raum, indem sie sich befand. Es war ein riesiger tropischer Garten. Die Luft hier drin war warm und auf dem Boden wuchsen ungewöhnliche Pflanzen, die sie noch nie in ihrem Leben gesehen hatte. Tierwesen aller Art hatten hier ihr Zuhause und liefen herum. Hinten auf einer weit entfernten Steppenlandschaft lief eine riesige Herde von Huftieren, dessen Namen June nicht kannte.
Inmitten einer Graslandschaft direkt vor der Wüste stand Claire, Laceys Zwillingsschwester, mit einigen Bowtruckles auf den Händen.
„Woooooow.", entfuhr es June nur aus ihrem Mund.
Das war einfach irre. Nie im Leben hätte sie das erwartet. Eine Art endlose Savanne mitten in einem Krankenhaus. Eine versteckte Welt.
Claire drehte sich um und ihr Blick wurde panisch. Die Bowtruckles auf ihren Schultern sprangen umher und einige versteckten sich sogar in ihrer Jacke.
„Lacey!!!", schrie sie erbost. „Dr. Stuart hat dir doch ausdrücklich gesagt, dass du Besucher von hier fern halten sollst."
Sie zog ihren Zauberstab und zielte damit auf June. June konnte nicht schnell genug reagieren. Ein roter Blitz traf ihre Magengrube und sie wurde ein paar Meter weiter geschleudert. Die Tür schloss sich mit einem lauten Klick und June lag mit dem Rücken auf dem kalten Fußboden. Stöhnend richtete sie sich auf und rieb sich den schmerzenden Nacken.
„Diese verfluchten, kleinen...", knurrte sie.
Einige Ärzte kamen direkt auf sie zugestürmt.
„Miss, geht es Ihnen gut? Können wir Ihnen helfen?"
June brachte die ganze Betüddelei vollkommen in Rage. Die Messlatte der jungen Moreno war überschritten.
„Es geht mir gut. Nehmen Sie die Finger von mir, sofort!!!", fauchte sie und befreite sich aus den Händen der Krankenschwestern und Heilerinnen. Dann wandte sie sich um und lief sofort den Gang hinunter, zurück zu den anderen aus dem Orden.
Dabei dachte sie immer wieder daran, was diese Claire gesagt hatte. Sie hatte den Namen von Jefferson erwähnt. Sie kannten Jefferson. Jefferson Stuart. Und irgendwie gefiel ihr dieser Gedanke gar nicht.
Was hatten sie mit Onkel Jeff zu schaffen? Und was verbarg sich wirklich hinter dieser verrückten Tür?
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