Der Vorhang fällt
Das erste, was June spüren konnte, war kalter nasser Stein.
Ihr Kopf brummte und um sie herum war es dunkel. Sie konnte nicht einmal ihre Hand vor Augen sehen. Ihre Erinnerungen kamen schnell zurück. Winky, Georgina, die Spieluhr, das Verließ...Wo hatte Georgina sie hingebracht?
Sie hatte von IHM gesprochen. War er ...hier?
June gefror das Blut in den Adern. Ihnen allen war bewusst gewesen, dass es eines Tages passieren würde. Doch es war noch so irreal gewesen, so weit entfernt. In diesem Moment wünschte June sich nichts sehnlicher, als mit ihren Klassenkameraden über den ZAGs zu pauken.
Wie automatisch zog June ihre Knie an ihren Oberkörper, obgleich es ihr doch sehr albern vorkam. Selbst mit Zauberstab hätte sie keine Chance mehr, sich vor IHM schützen zu können. Käme ER wirklich, um sie zu holen, würde sie nicht auf der Welt mehr retten. June kannte ihn aus den Geschichten. Er hatte kein Erbarmen, er mordete, ohne mit der Wimper zu zucken. Er hatte ihren Vater töten lassen. Er hatte Harrys Eltern auf dem Gewissen. Er...dessen Name June in diesem Moment nicht mal in Gedanken auszusprechen wagte. Jetzt verstand sie, warum sich die Hexen und Zauberer davor fürchteten. Das, was ihr so lange so töricht erschien. Nein, plötzlich verstand sie, was es bedeutete, davor zu zittern.
June ermahnte sich selbst in Gedanken, an etwas anderes zu denken, um sich zu beruhigen. Sie dachte an Onkel Jeff, an ihre Mutter, an Severus, an ihre Freunde. An alle Menschen, die ihr auf Anhieb einfielen und die sie tief in ihr Herz geschlossen hatte.
„Als ob die Liebe dich beschützen würde!"
Eine Stimme durchfuhr ihren Kopf. June erschrak. Es kribbelte in ihr. Sie sah plötzlich Bilder vor sich. Schreckliche Bilder.
June sah sich selbst auf dem Arm ihres Vaters. Sie sah Kimberley, wie sie von drei Todessern gefoltert wurde. Dann sah sie ein seltsames Bild. Es war ein schwarzes gezeichnetes Männchen auf einer grauen Wand. Vorhänge in Blut getränkt, ein leeres Kinderbett, ein zerrissener Teddybär...ein Schrei. Ariano. Tod.
„NEIIIIN!"
June hielt sich die Ohren zu. Sie kam zurück in die Realität. Sie zitterte am ganzen Leib und hatte furchtbare Kopfschmerzen. Nach einem kurzen Moment, in dem sie in ihr Bewusstsein zurückfand, erkannte sie einen kleinen Lichtstrahl am Ende des Raumes. Und sie hörte Stimmen. Leise Stimmen. Bedrohliche Stimmen.
„Du hattest eine einzige Aufgabe, Georgina", zischte eine männliche, raue Stimme. „Du solltest diesen verdammten Schlüssel besorgen."
„Beruhig dich, Lucius. Wir haben das Mädchen. Das wird den dunklen Lord fürs erste besänftigen."
Dies sagte eine Frau. June konnte jedoch ihre Identität nicht genau zuordnen. Georgina war es auf jeden Fall nicht.
„Zum Teufel mit dem Mädchen!", fluchte Lucius, „Ohne diesen Schlüssel nützt sie uns gar nichts."
„Sie IST der Schlüssel. Vergiss das nicht, sie ist die Erbin."
Es waren Schritte zu hören. Dann ein Knarzen, vermutlich wurde eine Tür aufgeschoben. June machte sich noch kleiner. Das Licht blendete sie und sie konnte sie Silhouetten von drei Personen erkennen. Dann wurde die Tür wieder geschlossen und alles wurde wieder von der Dunkelheit verschluckt. Die Schritte entfernten sich nach links und rechts. Eine Weile war es still, dann hörte June einen großen Knall.
Vor lauter Schreck fuhr die Schülerin zusammen und robbte nach hinten, bis sie mit dem Finger an etwas kaltes, glitschiges kam. Sie schrie auf, als sie merkte, dass dieses kalte Etwas sich bewegte. Ein bedrohliches Zischen, die flüsternde Stimme einer Frau. Sie sprach auf einer Sprache, die June nicht verstand.
Doch June sollte bald verstehen, welches Spiel hier gespielt wurde. Ein grünes Licht ging an und die Schülerin stellte mit Entsetzen fest, dass um sie herum der gigantische Körper einer Schlange lag. Jene Schlange, welche Voldemort gehörte.
„Unser kleiner Gast ist also endlich wach."
An einer Säule lehnte eine Frau mit blasser Haut, schwarzen wirren Locken und ebenso schwarzen Augenlidern.
Bellatrix Lestrange.
„Sie sind..."
„Du erinnerst dich an mich?"
Bellatrix machte eine gespielt rührselige Miene und spitzte ihre Lippen.
„Dabei warst du damals noch ein kleines Baby."
„Der Zeitungsartikel..."
June murmelte es für sich, aber die Hexe aus Askaban verstand jedes Wort. Sie genoss es offensichtlich, dass sie June Angst einjagte und in einer höheren Position stand.
„Weißt du, June? Ich spiele gerne mit meinem Essen."
Dabei kam sie zwei Schritte auf sie zu. Dann beugte sie sich zu June hinunter. Sie kam June so gefährlich nahe, dass sie ihren Atem spüren konnte. June konnte die Spuren sehen, welche die Gefangenschaft an ihr hinterlassen hatte. Bellatrix musste einst eine schöne Frau gewesen sein.
„Dein Vater war eine meiner Leibspeisen. Ich habe jeden Bissen genossen, auch wenn er zäher war, als ich anfangs dachte."
Sie war es. Vor June stand die Mörderin ihres Vaters. Die Frau, die Schuld war an Arianos Tod. Und June hatte nichts. Keinen Zauberstab, keine Waffe. Nichts, womit sie sich rächen konnte.
„Mörderin!", zischte sie gehässig und starrte Bellatrix an.
Doch diese lachte nur und zeigte ihre schwarzen, spitzen Zähne.
Hätten ihre Kräfte es zugelassen, wäre June ihr vielleicht sogar an die Gurgel gesprungen. Doch sie war schwach.
Die gigantische Schlange, zischte und züngelte. Sie kroch auf Bellatrix zu.
„Keine Sorge, Süße. Du bekommst dein Dinner heute Abend.
„Bella, wir haben keine Zeit."
Ein Mann mit langen blonden Haaren kam durch die Tür. June erkannte ihn. Lucius Malfoy. Lucius hielt inne, als er June am Boden sah. Und auch auf seinem Gesicht breitete sich ein hämisches Lächeln aus.
„Das ist also die kleine Moreno."
Interessiert stolzierte er um sie herum. June spürte, wie seine Blicke sie musterten. Es war ihr unangenehm.
„Groß bist du geworden, June. Du kannst dich kaum an mich erinnern. Als ich dich das letzte mal gesehen habe, warst du ziemlich winzig."
Arrogant, überheblich, unhöflich. June hätte auch ohne seine Haare und sein Gesicht erkennen können, dass es sich bei ihm um einen Malfoy handelte. In der Tür, durch welche Lucius gekommen war, stand auch die dritte Gestalt. Georgina. Aber sie war anders. Sie wirkte angespannt und nervös, ihre Wange zitterte seltsam. Das passte nicht ganz ins Bild.
„Wir sollten ihr lieber ein wenig Ruhe gönnen", raunte Lucius zu Bellatrix. „Der dunkle Lord wird nachher noch viel Spaß mit ihr haben."
Sein Blick ging von June zu Georgina und er murmelte: „Im Gegensatz zu einigen anderen Schlammblütern und Blutsverrätern."
June durchzuckte es. Die beiden Todesser verließen den Raum. June atmete auf. Georgina stand immer noch am Türrahmen und bewegte sich nicht. Die junge Moreno fühlte sich nun etwas sicherer, um sich aufzurichten. Nachdenklich sah sie die große Schwester ihrer ehemaligen besten Freundin an.
„Warum, Georgie?"
Georgina antwortete nicht. Sie sah June nicht einmal an. Sie schaute nur teilnahmslos auf den Boden und schien in einer anderen Welt zu sein.
„Georgie? Ist bei dir alles in Ordnung?"
Keine Reaktion. June versuchte, aufzustehen. Erst dann, als sie schon auf den Beinen stand und Anstalten machte, zu gehen, sah Georgina auf.
„Du wirst nirgendwo hingehen, June Moreno."
June spürte, wie die Sicherheit in Georginas Körper ausgeblasen wurde. Vor ihr stand das Mädchen, was sie wirklich war. Die ganze Fassade war eingerissen. Beschädigt.
Und dann gab es ein lautes Geräusch. Es glich einem Rauschen. Durch die Schlitze der Holzbalken an der Tür konnte June ein weißes Licht sehen. Das Licht erhellte das Gesicht von Georgina und June sah es.
Angst.
Georgina hatte Angst.
„Jetzt ist es zu spät", murmelte sie wie in Trance. Keine Bewegung. Nichts.
June schluckte. Wollte sie fragen, was nun geschah? Sie ahnte es.
„Er ist hier!"
Sie wusste, wen Georgina meinte. June meinte, seine Anwesenheit schon spüren zu können. Die Angst kroch in all ihre Venen. Ihr Körper fühlte sich blutleer an. Ihr Herz pochte bis zum Hals. Aber diesmal konnte sie nicht atmen.
Er war hier. Hier in diesem Gebäude, nur ein paar Meter vielleicht entfernt.
Voldemort.
„Was hast du gesagt? Harry und die anderen sind aufgebrochen, um Sirius zu retten?"
Kimberley war außer sich, als Severus mit dieser Nachricht ins Haus der Blacks kam. Severus hielt sich wie immer ruhig. Nur als dann der echte Sirius durch die Tür kam, gesund und völlig unwissend, warum hier der allergrößte Lärm herrschte, da hob auch Snape argwöhnisch eine seiner Augenbrauen.
„Schniefelus, was zur Hölle ist hier los? Glaub mir, wenn ich mit dir fertig bin, dann...."
„Black, du - hier? Ich wusste es!", spuckte Severus gereizt.
Sirius erstarrte noch in seiner Bewegung.
„Wo-sollte-ich-sonst-sein?", spuckte er seinem Erzfeind genauso gehässig entgegen.
Ein höhnisches Lächeln umspielte Snapes Lippen. Er wollte gerade eine seiner boshaften Kommentare herauslassen, als Kimberley ihm auch schon dazwischen fuhr.
„Das führt doch alles zu nichts. Einer von uns muss Dumbledore benachrichtigen, die Kinder stecken in größter Gefahr."
Hektisch lief sie hin und her, kramte in Schubladen und blättern herum. Die ganzen Tätigkeiten schienen sinnlos. Die Männer starrten ihre ehemalige Klassenkameraden ratlos an.
„Verdammt, Remus und ich hatten sie gerade ruhig bekommen, und nun das."
Sirius fasste sich entnervt an die Stirn. Severus verdrehte innerlich die Augen.
„Wie soll eine Frau in einem Haus mit einem Köter und einem Werwolf seine Ruhe finden, Black?"
„Immer noch besser, als Monate lang in einem Keller eingesperrt zu sein und Dämpfe und Schwefel einatmen zu müssen. Und wobei wir gerade bei Keller und Schwefel sind..."
Sirius stemmte seine Fäuste in die Hüften und stellte sich vor Severus.
„Harry hat mir erzählt, dass du ihn nicht mehr in Okklumentik unterrichten wirst. Das war gegen die Abmachung. Du weißt genau, dass es sehr w-„
„Dein überaus arroganter kleiner Patensohn hat sich das selbst zuzuschreiben, Black", knurrte Snape und schnitt Sirius das Wort ab.
Sirius knurrte nur in sich hinein.
„Warte ab, bis ich das Dumbledore erzähle...."
Severus knurrte einen bissigen Kommentar in sich hinein. Nein, er wollte heute nicht mit Sirius streiten. Nicht, wenn Kimberley in der Nähe war.
Es würde der Situation nicht gut tuen. Bei anderen wäre es ihm egal gewesen, seine Empathie für seine ehemaligen Schulkollegen wäre hier eigentlich aufgebraucht gewesen. Nein, sie hatten ihm damals auch nichts gutes gewollt. Aber Kimberley?
Severus ärgerte sich selbst, dass er eigentlich keinen Grund hatte, einen Hass auf die Frau zu haben. Warum eigentlich?
Warum war sie so „anders"? Kimberley war einer der wenigen Menschen, die nicht logisch für ihn waren. Wobei sie stets nach Logik handelte. Wenn man darüber nachdachte, viel zu simpel für ein Wesen, was Emotion und Ration selten auseinanderhalten konnte.
Severus musste einfach zugeben, dass er Kimberley höchst interessant fand. Weil er gerade sie nicht täuschen konnte. Vielmehr noch, sie war zurzeit die einzige Person, die ihn immer wieder überraschte. Er musste so viel über sie nachdenken. Hatte er richtig gehandelt, als er ihr die Vorwürfe bzgl. June an den Kopf warf? War es gerechtfertigt, dass er sie so behandelte, wie er sie behandelt hatte? Warum bei Merlins Bart fragte er sich genau DIESE Fragen?
Severus hätte dies vielleicht nicht tuen sollen. Nur ein paar Sekunden hatte er Kimberley zu lange dabei angesehen. Diese Sekunden reichten aus, um Sirius die Chance zu geben, einen Blick hinter seine sonst so immer perfekt aufgesetzte Maskerade werfen zu können.
„Ach SO ist das also", sagte Sirius wissend und verschränkte seine Arme vor der Brust. „Warum bin ich da nicht schon eher drauf gekommen?"
Severus fing sich sofort wieder. Sein Blick hätte Sirius töten können.
„Was?", blaffte er.
Sirius schien sich seiner Sache immer sicherer zu werden.
„Tu doch nicht so, Schniefelus. Ich weiß genau, was hier läuft. Lass deine Spielchen."
Eine Ader pulsierte über Snape Schläfen. Nur die Ruhe bewahren, Sirius wollte ihn provozieren, aber das würde er nicht schaffen.
„Wer kann uns versichern, dass du nicht hinterrücks all unsere Informationen an deine kleinen dreckigen Todesserfreunde weitergibst? Dumbledore mag dir vertrauen. Aber mich täuschst du nicht. Du hast meinen Patensohn doch nur benutzt, habe ich Recht? Es ist deine Schuld, dass er diese Erinnerungen gesehen hat. Du WOLLTEST, dass er die Erinnerungen sieht. Damit er von uns allen ein anderes Bild bekommt. Von mir, von James.. Aber was ist mit all den anderen Dingen? Hat Harry die auch gesehen? Zum Beispiel die, wo du uns nachgeschlichen bist, oder die, wo du einen deiner schwarzmagischen Zauber auf-„
„ES REICHT!"
Das war genau der Punkt, an welchem sich Severus nicht mehr kontrollieren konnte. Und Sirius merkte das ganz genau.
„Was regst du dich so auf? Sag nicht, du bereust es mittlerweile. Ich frage mich nur eines: wusstest du es schon damals? Vielleicht, denn ich würde dir zutrauen, dass du genau dieses Wissen schamlos ausgenutzt hast, damit du ein Versuchskaninchen hattest für all deine widerlichen Experimente."
„Es war ein Unfall, Black! Und es war nicht meine Schuld!"
„Nicht deine Schuld? Nicht-DEINE-SCHULD?? Du warst es doch, der den Zauber auf Kimberley geschleudert hat!!! Wegen dir hat sie diesen Knacks. Und das nur, weil sie mit dir -„
„Tatze!"
Die weibliche Gestalt Kimberleys hatte sich zwischen die beiden Männer gedrängt. Ihre eisblauen Augen trafen die braunen von Sirius.
„Bitte nicht..."
Ihre Stimme war nicht mehr als ein Flüstern. Sirius war in Rage. Er wollte sich zusammenreißen, aber er konnte nicht.
„Wie kannst du ihm nach all dem noch Vertrauen, Winterflügel? Du weißt, er war es, der du-weißt-schon-wen damals gedient hat. Dem, der sie alle kaltblütig ermordet hat und ermorden ließ. James, Lily, Ariano..."
„Dumbledore vertraut Severus Snape. Und ich tue es auch."
Sirius atmete tief ein.
„Gut...dann entscheide dich. Entweder wir", er zeigte auf seine Brust, „oder ...er", sein Blick glitt angewidert zu Severus hinüber.
Es war ein Moment der unangenehmen Stille. Severus schwieg, Sirius wartete und Kimberley wurde immer unsicherer. Sie sah zwischen den beiden Männern hin und her. Hin und her.
Wer Kimberley kannte, wusste, dass sie in so einer Situation völlig verloren war. Es war eine Situation, vor der sie sich früher immer gefürchtet hatte.
Für eine Weile sah es so aus, als würde Kimberley etwas erwidern wollen. Doch sie brachte kein Wort heraus. Und das machte Sirius noch viel wütender. Er biss sich auf die Lippen und knurrte in sich hinein, was Severus zu einem höhnischen Grinsen brachte.
„Kimberley...."
„Lass Sie daraus, Black. Sie hat nichts mit unseren Differenzen zutun", mischte sich Severus ein, der genau beobachten konnte, wie Kimberley immer mehr und mehr in die Schusslinie geriet.
„Oh, und WIE sie etwas damit zutun hat", giftete Sirius. „Soll ich Schniefelus vielleicht mal erzählen, was genau damals gewesen ist?"
„Tatze, nein...", Kimberley wisperte flehend.
Severus wurde neugierig. Aber er ließ es sich nicht anmerken.
„Was? Was soll damals gewesen sein?", blaffte er genervt und starrte Sirius wütend an.
Sirius lachte auf.
„Er weiß es wirklich nicht, ich glaub es nicht. Nach all den Jahren. Und du hast nicht einmal etwas geahnt?"
„Sirius, bitte...", flehte Kimberley.
„Wenn James hier wäre. Es wäre köstlich. Wie schade, dass er das nicht miterleben kann".
„Bitte, wir waren doch Freunde!"
„Freunde? FREUNDE?!"
Sirius bellte es förmlich und wich zurück.
„DAS ist schon lange her. Und es war deine Entscheidung. Früher dachte ich einfach, es wären Liebestränke im Spiel. Aber nein, du scheinst verrückt genug zu sein, um wirklich etwas für diesen Kerl empfinden zu können."
Sirius spuckte auf den Boden. Er hatte es getan. Er hatte es gesagt. Kimberley zitterte. Sie wollte sich nicht umdrehen. Sie wollte nicht in Severus Gesicht sehen. Er hätte es nie erfahren sollen. Doch jetzt wusste er es.
Sie sah auf den Boden und hörte nur, wie Sirius sich räusperte.
„June kann einem nur leid tuen. Und ich denke, ich werde jetzt das tuen, wozu ihr scheinbar nicht in der Lage seid. Ich werde die Kinder retten, bevor sich die Todesser noch an ihrem Blut satt trinken wird."
„Das wirst du nicht, Sirius! Nicht, bevor wir mit Dumbledore gesprochen haben", sagte eine ernste Stimme aus dem Türrahmen.
Es war Remus.
"Er ist bereits auf dem Weg."
June und Georgina wurden in einen anderen Raum teleportiert. June kam hart auf dem Boden auf, neben ihr lag die Schwester ihrer besten Freundin. Georgina hatte eine Platzwunde an der rechten Schläfe. Das Blut, was geronnen war, war bereits getrocknet. June sah sich um.
„Wo sind wir?"
„Erkennst du es nicht, kleine Moreno?"
Die Stimme, die erklang, jagte June einen kalten Schauer über die Haut. Diese zischende, kalte, furchteinflößende Stimme. Sie besaß keinen Körper und erfüllte den ganzen Raum. Den ganzen Saal.
Ja, June erkannte, was die Umgebung darstellen sollte. Rote Vorhänge, alte Sessel, Scheinwerferlampen, deren Lichter gespenstisch flackerten. Glatter Boden, Spiegel...sie waren in einem Theater. Vielmehr die Überreste eines Theaters.
June versuchte, auf die Beine zu kommen. Doch gerade, als sie sich erhob, schoss ein schwarzer Schatten auf sie zu. Sie konnte nicht rechtzeitig zur Seite springen und wurde daher zu Boden gerissen. June rollte eine kleine Treppe hinab. Der Schmerz war nicht so schlimm, es war das Adrenalin, was durch ihren ganzen Körper floss und sie betäubte. Ängstlich krabbelte sie auf alle Viere und kroch zu den Stufen, um hinaufzugehen. Doch June hielt inne.
Da war was. Da war jemand. Diese Stimme gehörte IHM. ER war tatsächlich hier. Nur ein paar Meter entfernt. Voldemort.
June konnte ihn nicht sehen. Noch nicht. Doch June konnte ihn hören.
„Giorgina, was für ein Vergnügen du mir bereitet hast. All die Zeit, du warst ziemlich nützlich für mich."
„Mein Herr...."
June hörte Georginas rasselnden Atem. Sie hatte Angst. Genauso, wie June. Vielleicht sogar noch ein wenig mehr. Mit zitternden Händen schlich June sich zu den Stufen und krabbelte sie ganz langsam und leise nach oben.
„Ich habe alles getan, was sie von mir verlangt haben, mein Herr."
„Ja, Georgina, ich weiß, was du getan hast...", sagte Voldemort ungewöhnlich ruhig.
„Du hast die Moreno lebend."
„Ja, das habe ich. Aber das ist nicht alles. Noch ist es nicht komplett, das weißt du", sprach er gefasst und beinahe sanft.
June musste sich anstrengen, leise zu sein. Ihr Herz klopfte so laut, ihr Atem war kaum kontrollierbar. Sie hielt sich immer wieder die Hand vor dem Mund. Doch es war dumm. Was würde ihr das schon helfen. Er wusste, dass sie hier war.
„Gib mir den Schlüssel. Sei ein liebes Mädchen.", sagte Voldemort.
June nahm ihren ganzen Mut zusammen und lugte über die erste Treppenstufe. Und da sah sie ihn. Die schreckliche Gestalt. So, wie Harry sie beschrieben hatte. Nur viel schrecklicher und furchteinflößender. Der große Körper eines Menschen, in schwarze Tücher gehüllt. Rote Augen, fahle Haut, unglaublich dürr und ausgemergelt.
„Ich....ich habe ihn nicht..."
Georgina lag am Boden und zitterte. Voldemort stand direkt vor ihr und beugte sich hinab mit einer ausgestreckten dürren Hand.
„Du hast ihn nicht?", fragte er gefährlich ruhig.
„Ich habe es versucht, ehrlich", stammelte Georgina, „aber ich hatte keine Chance. Ich dachte, wenn Sie mit June sprechen, mein Herr...ich meine, Sie sind viel einflussreicher, als ich. Viel mächtiger."
Voldemort zuckte mit seinem Arm zurück. June meinte, dass er lächelte.
Erst jetzt fiel ihr auf, dass Voldemort garnicht auf dem Boden stand. Er schwebte. Wie ein dunkler Dementor. Es war, als wäre er kein Mensch.
„Damit magst du Recht haben, Georgina, ich BIN mächtig. Aber dennoch...du hattest einen weiteren Auftrag, den du nicht erfüllt hast. Und du weißt, ich muss gerecht sein."
„Aber mein Herr...ich habe es doch versucht. Ich bin Ihnen treu, ich mache das wieder gut, ich..."
„AVADA KEDAVRA!!"
Voldemort hob seinen Zauberstab. Ein grüner Lichtblitz blendete den ganzen Saal. Und als das Licht erloschen war, sah June den leblosen Körper Georginas.
Sie hielt sich die Hand vor dem Mund, um nicht laut loszuschreien. Doch indem Moment verlor June das Gleichgewicht. Sie fiel die Treppe wieder hinunter. Es gab ein lautes Geräusch. Und June wusste, Voldemort wusste nun genau, wo sie war. Wenn er es nicht schon davor gewusst hatte. June kontrollierte ihren Atem nicht mehr. Sie hechelte und zitterte. Aber sie richtete sich auf und sah sich um. Es war still. Aber sie spürte einen Luftzug. Und dann sah sie in diese widerlichen roten Augen. June schrie vor Schreck auf. Das schlangenähnliche Gesicht von Voldemort verzog sich zu einer Fratze, die seinen Hohn ausdrückte.
„Oh ich hatte dich ja ganz vergessen, meine kleine Prinzessin."
Die schwarzen Zähne verzogen sich zu einem Grinsen. June schluckte und versuchte, sich unter Kontrolle zu halten.
„Sind wir uns eigentlich schon mal begegnet? Ich glaube, nein. Komm mit, June. In dieser dunklen Ecke kann ich dich ja kaum erkennen."
Er hob abermals seinen Zauberstab. June wurde unsanft vom Boden gerissen, flog durch die Luft und landete unsanft auf dem Boden der Bühne. Direkt neben ihr lag Georgina. June gefror das Blut in den Adern, als sie ihre leeren Augen sah. Georginas Mund war offen, als würde der letzte Schmerzensschrei ihr noch in der Kehle stecken. Sie robbte zu Georgina herüber und berührte ihre Wangen.
„Georgina, nein, nein, nein.....bitte nicht....warum? Warum?"
„Sie hat ihren Tod verdient."
Voldemort erschien wieder in Junes Sichtfeld. Und June überkam neben der Furcht noch ein weiteres Gefühl. Wut.
„Niemand hat den Tod verdient."
„June, du musst noch sehr viel lernen", sagte Voldemort.
„Warum? Warum Georgina?"
Er kam ihr gefährlich nahe. June konnte die schwarzen Stofffasern auf ihrer Haut spüren. Sie zuckte zusammen.
„Weil jeder, der mir nicht treu ergeben ist, sterben muss."
„Sie war dir treu ergeben..."
Voldemort lachte gehässig auf.
„Nicht mir, sondern dem Sohn von Crouch. Ohne ihn hätte sie all das doch nicht getan", fauchte er abstoßend.
„Die Liebe. So töricht. Es macht euch schwach und verletzbar. Ihr seid unglaublich dumm, zu glauben, die Liebe würde euch retten."
In Voldemorts Gesicht veränderte sich etwas. Seine roten Augen fixierten June noch stärker.
„Wo wir doch gerade von der Liebe sprechen. Das erinnert mich doch an etwas. Dein Vater war doch auch so ein Verfechter der Liebe. Hatte er nicht geglaubt, die Liebe würde ihn retten? Einen dreckigen Muggelvater?"
In June kochte es. Wäre er jemand anders, hätte sie denjenigen angebrüllt. Aber es war nicht irgendjemand. Vor June stand der gefährlichste Zauberer aller Zeiten. Sie hütete sich davor, etwas unüberlegtes zutun.
„Sprich es aus, June. Sag schon, was du denkst. Du musst dich nicht fürchten, ich habe noch viel mit dir vor"
Woher wusste....konnte er etwa....
„Los, worauf wartest du, June. Tu es! Wir haben ihn getötet. Ich habe Georgina umgebracht. Lass deiner Wut freien Lauf. Oder willst du alles über dich erdulden lassen? Möchtest du den gleichen Fehler, wie deine dumme Mutter begehen? Du hast eine Zukunft, June. Komm mit mir, zusammen können wir großes vollbringen."
„Nein....nein...."
„June, gib mir den Schlüssel"
„Ich habe keinen Schlüssel"
„June, ich habe dir etwas gesagt"
„Verdammt, ICH WEISS NICHT, WO DIESER VERDAMMTE SCHLÜSSEL IST!"
Voldemort kümmerte es nicht, dass sie ihn gerade angeschrien hatte. Er amüsierte sich darüber. Sein gehässiges, widerliches Grinsen breitete sich über sein ganzes Gesicht aus. June stand auf und fasste neuen Mut, sich ihn gegenüber zu stellen. Weglaufen würde nichts bringen. Wenn Voldemort sie töten wollen würde, dann könnte er es jederzeit tun. June war wehrlos.
„Was weißt du über meinen Vater? Und was willst du von meiner Familie?"
Das Lächeln in Voldemorts Gesicht erstarb. Finster starrte er sie an, dann begann er, um sie herum zu schweben. Wie ein Tiger, der seine Beute umkreiste.
„Erstaunlich, dass ich doch mehr weiß darüber, als die Erbin selbst. Hast du dich nicht schon einmal gefragt, warum? Warum dir deine Eltern nie davon erzählt haben?"
„Sie wollten mich beschützen", sagte June fest.
„Beschützen? Nein!"
Voldemort begann, dreckig zu lachen.
„Lügen haben sie dir erzählt, für eine Närrin haben sie dich gehalten. June, sag mir, wo war deine Mutter, als du klein warst? Wo war sie, als du nach Hogwarts gekommen bist? Wo war sie all die Jahre?"
„Schweig!"
Es war eine automatische Reaktion. Doch um ehrlich zu sein, ja, darüber hatte June nie wirklich nachgedacht. War es nicht Barty Crouch Jr. gewesen, der was mit dem Verschwinden ihrer Mutter damals zutun hatte?
„Vielleicht solltest du die Wahrheit wissen, June. Du verdienst es, die Wahrheit zu wissen. Oder? Findest du nicht, June?"
June wurde immer mulmiger zu Mute. Sie durfte ihm nicht zuhören. Voldemort kannte ihre Familie scheinbar. Aber was war, wenn er log? Was war, wenn er probierte, sie zu manipulieren?
„June, komm mit mir, und ich werde dir alles zeigen, was du wissen willst."
Voldemort stellte sich vor June.
„Komm..."
Er streckte seine Hand aus.
„Komm mit mir..."
Junes Arm zuckte.
„Komm mit mir, und ich werde dir zeigen, wer die Familie Moreno wirklich ist."
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