Prolog
So lautlos wie möglich versuchte er sich aus seiner Wohnung zu schleichen. Alastair hatte zwar dafür gesorgt, dass die Kameras ein Standbild zeigten, aber hier waren mit Sicherheit auch noch ein paar Wanzen versteckt. Sich selbst hatte er sorgfältig danach abgesucht, nicht, dass sich in seiner Hosentasche ein ungebetener Zuhörer befand. Vorsichtig trat er aus der Hintertür ins Freie und schlich sich von einer Hauswand zur nächsten mit der Angst, jeden Moment entdeckt zu werden. Die Luft war kühl und feucht, Nebel breitete sich zwischen den Häusern aus und er war sich nicht sicher, ob ihm das vom Vorteil oder Nachteil sein sollte. Besorgt schaute er zu dem Bündel herunter, welches er in den Armen trug und die ganze Zeit mit sich führte. Vorsichtig drückte er es näher an seinen Körper, als ob es der Kälte nicht Stand halten konnte. Mit schnellen, lautlosen Schritten gelang er nach gefühlten Ewigkeiten zu einem Mehrfamilienhaus und drückte die Klingel. Es war die einzige Adresse, bei der er wusste, auf eine Verbündete zu treffen, Bernadettes ehemalige Schulfreundin. Er legte das Bündel vorsichtig auf die Türschwelle und legte einen Zettel dazu, auf dem ein durchgekreuzter Halbmond zu sehen war, drückte die Klingel und wand sich schon zum Gehen, als ein kleiner Zweifel ihn zögern ließ. War es überhaupt die richtige Adresse? Er konnte sich ja geiirt haben. Und vielleicht war auch niemand zu Hause. Außerdem, wie konnte er sich sicher sein, dass alles so lief, wie er es sich dachte? Unbehagen machte sich in seiner Magengegend breit. Durch den Spion merkte er, wie Licht in der Wohnung anging und hörte Schritte, die vor der Tür stehen blieben. Jetzt war es sowieso zu spät. Während er mit der einen Hand das Bündel aufhob, wurschtelte er mit der anderen den Zettel mit dem Halbmond heraus und zeigte es in Höhe des Spions. Sofort wurde die Tür ausgeschlossen. Die Adresse musste also stimmen. Eine junge Dame Ende zwanzig stand im Morgenmantel vor ihm, ihre schwarzen wild gelockten Haare bildeten einen starken Kontrast zu den hellgrünen Augen.
„Tut mir leid, dass ich Sie störe, Miss, aber ich muss Sie unbedingt um einen Gefallen bitten, auch wenn ich weiß, dass es zu viel verlangt ist", redete er drauf los in der Hoffnung, eines seiner Wörter würden zu ihr durchdringen und die ganze Aktion wäre nicht umsonst gewesen. Er wusste nicht, wann er das nächste Mal wieder eine solche Gelegenheit bekam, oder ob es überhaupt mal wieder eine solche gäbe.
„Jetzt kommen Sie erst einmal rein", flüsterte die Frau drängend, aber er schüttelte den Kopf.
„Ich habe keine Zeit, ich hoffe nur, Sie helfen mir."
„Ich helfe jeden von uns."
„Mir sind Hände und Füße gebunden, aber ich möchte wenigstens etwas in Sicherheit bringen."
Er gab ihr das Bündel. Vorsichtig lugte sie hinein und unterdrückte einen Aufschrei.
„Aber, aber... das ist doch..."
„Ja, und ich möchte, dass Sie dafür sorgen, dass es in Sicherheit kommt. Wie gesagt mir sind Hände und Füße gebunden, sonst würde ich es selbst übernehmen, aber sie verfolgen mich auf Schritt und Tritt."
„Wieso sind Sie dann hier? Wollen Sie mich gleich ausliefern?"
Als die Frau immer lauter und hysterischer wurde legte er den Finger auf die Lippen und sah sich angsterfüllt um.
„Niemand weiß, dass ich hier bin, zumindest noch nicht. Ich muss gehen, aber erst, wenn ich weiß, dass ich mich auf Sie verlassen kann. Sie haben gesagt, Sie helfen die Ihren und ich möchte ihr das Leben, was ich von nun an leben muss, ersparen", er blickte auf das Bündel.
„Also haben sie euch?", hakte die Frau ungeduldig nach, aber er wusste, dass er sie auf seine Seite hatte.
„Ja. Für weitere Erklärungen bleibt mir keine Zeit. Auch wenn ich später berichten muss, man habe sie entführt, was dazu führt, dass sie sich ständig verstecken muss und niemals bei einer Familie bleibt, weil sie sie suchen werden... aber jedes Leben ist besser als dieses hier."
„Aber es wäre sicherer. Auch wenn ich es niemanden wünsche."
„Ich habe mich nicht ohne Grund gegen dieses Leben entschieden."
Die Frau zögerte eine Weile, sah auf das Bündel, dann auf ihn. Er betete, ihr Herz erweicht zu haben. Stundenlang hatte er überlegt, wie er sie am besten aus der Situation rausbringen konnte, aber etwas besseres fiel ihm nicht ein.
„Ich bitte Sie inständig. Ich weiß, im Grunde geht es Ihnen nichts an, aber ich weiß, dass Sie einst gut mit Bernadette befreundet waren und schließlich gehören wir immer noch zu euch."
Das Schweigen der Frau brachte ihn fast um den Verstand. Er öffnete wieder den Mund, um etwas zu sagen, aber sie unterbrach ihn.
„Also gut, wir werden das Kind in Sicherheit bringen. Aber irgendwann werden sie es wahrscheinlich herausfinden. Ich werde nicht lange um sie sorgen können."
Er konnte förmlich hören, wie der Stein ihm vom Herzen fiel.
„Das ist mehr als genug, zumindest für den Moment. Ich hoffe, ich mache das Richtige, aber ich glaube so ist es am besten."
„Das hoffe ich auch."
„Vielen Dank. Wirklich. Danke."
Er beugte sich nach vorn und gab dem Kind einen Kuss auf die Stirn und verschwand dann so schnell wie möglich im Nebel. Heiße Tränen liefen ihm das Gesicht herab, während er rannte, bedacht darauf, niemanden zu begegnen. Er redete sich immer und immer wieder ein, dass es so das Beste war. Sie würde ein Leben in relativer Freiheit leben, ohne ständig von irgendwem überwacht zu werden und er wusste, dass es Freunde gab, die wussten, was zu tun war. Trotzdem war eine Sache wahrscheinlich unausweichlich, wenn er bis dahin überleben sollte. Er würde sie eines Tages wiedersehen. Und er wusste nicht, ob er sich darauf freuen, oder fürchten sollte.
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