Kapitel 23, Mission
Der eiskalte Blick, dem Astrid zugeworfen wurde, lies sie frösteln, als hätte ein plötzlicher Winter eingesetzt. Wenn es in diesem Moment angefangen hätte, in der Küche zu schneien, wäre wäre das für Astrid keine Überraschung gewesen. Spannung lag in der Luft, die zum Schneiden dick und fast unerträglich war. Der Blickkontakt dauerte gefühlte Stunden an, in denen Astrid weder wusste was sie sagen, noch, ob sie weiter Sunny anstarren oder woanders hinblicken sollte. Erst Pearl brach das Eis.
„Sunny Liebes, willst du frühstücken? Ich bin gerade dabei, deiner Schwester und ihrem... ich mein Robin etwas zu machen", flötete sie fröhlich, doch Astrid bemerkte auch ihre Anspannung in der Stimme.
Vorsichtshalber hatten Astrid und Robin das Händchenhalten unter den Tisch verlegt, aber Sunnys Blick blieb weiterhin an ihnen gehaftet. Ob sie sich jetzt vielleicht vorstellte, dass sie kurz davorgestanden hatte, so etwas mit Tobias zu haben? Vielleicht jetzt diejenige wäre, die hier säße und mit ihm Händchen hielt? Stattdessen hatte sie sich auf ihrer Trauer und ihrer Wut festgefahren und ihre nahestehenden Menschen darunter leiden lassen. Wenn Astrid jetzt daran zurückdachte, wie gekränkt Tobias war, verspürte sie plötzlich Wut gegenüber ihrer Schwester. Natürlich war es okay, zu trauern und Sunny hatte das Recht dazu, sich dabei so viel Zeit wie möglich zu lassen, aber es war nicht okay, all ihre negative Energie an den Menschen auszulassen, die ihr helfen wollten. Wenn sie die Hilfe nicht annehmen wollte, war das ihr Problem, ihre Entscheidung. Oder hatte Astrid zu wenig versucht? Hätte sie mehr auf Sunny einreden sollen? Hätte das etwas geändert? Sich aber jetzt zu fragen, was hätte gewesen sein können, brachte Astrid nicht weiter. Vielmehr musste sie überlegen, wie diese angespannte Stimmung weggehen konnte, damit wieder normale Verhältnisse herrschten.
Pearl hatte gerade das erste Essen auf den Teller geschaufelt, da nahm sich Sunny ihr Frühstück und lief damit wieder schnurstracks nach oben ohne ein weiteres Wort zu sagen. Man konnte förmlich spüren, wie sich die Atmosphäre schlagartig entspannte, auch wenn Sunny Unsicherheit und Bedrückung hinterlassen hatte, die wie ein schweres Gewicht auf Pearl und Astrid zu liegen schien, denn beide ließen nun ihre Schultern kraftlos hängen, nachdem sie die ganze Zeit angespannt gewesen waren. Auch den Atem hatte Astrid angehalten, denn sie musste tief ausatmen.
Pearl gab den anderen Beiden ihre Teller und ohne, dass jemand noch ein Wort über die Situation verlor, aßen Astrid und Robin auf und machten sich dann auf den Weg in die Innenstadt, um ein wenig spazieren zu gehen. Astrid genoss das Gefühl von ihrer Hand in Robins, während er ihr ein paar seiner Lieblingsecken von London zeigte. Mit Rogue Six trafen sie sich wie gewohnt etwas eher und obwohl Astrid und Robin beschlossen hatten, ihren Beziehungsstatus nicht sofort in die Außenwelt hinaus zu posaunen, bemerkten die anderen die veränderte Haltung beider sofort. Nach wenigen Wochen kannte sich die Gruppe einfach schon zu gut. Dieser Gedanke brachte Astrid zum Schmunzeln. Ca konnte sie bei der Gelegenheit von der Begegnung mit Sunny erzählen, aber auch sie meinte nur, dass Astrid versuchen sollte, einfach nochmal mit ihr zu reden. Vielleicht würde sie ja heute ein wenig mehr Mut schaffen können. Wahrscheinlicher war es aber eher, dass sie abends im Bett lag, stundenlang die Decke anstarrte und Szenarien in ihren Kopf abspielen ließ, als es wirklich darauf ankommen zu lassen. Die zweite Möglichkeit war hingegen, dass sie durch Robin die perfekte Ablenkung hatte. Wie armselig, dass sie nicht einmal ein Gespräch mit ihrer Schwester führen konnte, sondern sich davor drückte. Je länger die Zeit des Schweigens jedoch wurde, desto schwerer fiel es ihr, Worte zu finden oder als hätte sie noch ein wenig Hoffnung, dass sich das Problem von allein löste. Tief in ihrem Inneren wusste Astrid jedoch, dass das nicht so war.
Das Training war härter als sonst, Leaga hatte schlechte Laune, aber die Gruppe war solche Tage inzwischen gewohnt und konnte sich daran anpassen. Astrid merkte, wie schwer es Ash fiel, bei Leagas Pingeligkeiten ruhig zu bleiben, wohingegen sein Zwillingsbruder schon immer der ruhigere und in sich gekehrte Typ schien. Aus ihren Erzählungen wusste Astrid, dass Anton auch ein richtiger Draufgänger gewesen war, aber sehr intelligent. Diese Fähigkeiten wurden aber auch oftmals für Streiche oder kleinere Diebstähle verwendet. Er hatte immer jeden überlisten können, jeden Trick erkannt, jede menschliche Geste lesen und schlussfolgern können. Außer bei dem Mädchen, in das er sich verliebt hatte. Ash und Aiden sprachen nie aus, was genau passiert war, aber diese Freundin schien der Dreh- und Angelpunkt in der ganzen Geschichte zu sein, weshalb Anton starb.
Astrid und Robin mussten ihren Aquariumsbesuch verschieben, da Leaga der Gruppe nach dem Training mit einer neuen Mission vertraut machte, bei der sie einen bestimmten Mann, George Thaller, beschatten sollten, der eventuell ein Engel sein konnte und sich laut Informationen mit einem weiteren Engel treffen wollte.
„Wie sollen wir den denn finden?", stöhnte Ash auf, nur um einen weiteren bösen Blick von Leaga zugeworfen zu bekommen.
„Hör auf zu jammern, du Baby. Wir konnten schon seine Wohnung ausmachen. Ein weiterer Dämon ist dort positioniert, um Alarm zu schlagen, sobald er die Wohnung verlässt. Ihr müsst als Clique versuchen, ihn unauffällig zu verfolgen. Wir wissen nicht wohin er will, oder mit wem er sich trifft. Wir wissen nur, dass er Kontakt zu einem Engel namens Freddins hatte, den wir gestern unschädlich machen konnten, und dass er sich heute mit jemanden treffen wird."
Danach kramte Leaga ein Foto und eine Karte aus ihrer Tasche und gab es Aiden. Sofort versammelte sich die Gruppe um ihn herum und starrte auf das Bild, auf dem ein kleiner, dicker und bärtiger Mann zu sehen war. Scheinbar ein Foto gemacht von einem Spion, denn es zeigte diesen Mann in einem Café sitzend, während das Foto von außen geschossen wurde.
„Auf der Karte ist seine Wohnung eingezeichnet, am Besten ihr macht euch schon mal auf den Weg dorthin, aber versucht nicht allzu sehr in der Nähe zu sein. Wir wollen ja nicht, dass er seine Verfolger sofort bemerkt noch bevor er über die Türschwelle getreten ist. Sobald wir wissen, dass er auf dem Weg ist, bekomme ich ein Zeichen und werde euch alarmieren. Aiden, du leitest heute die Mission. Viel Glück und denkt an meine Regeln, dann dürfte nichts passieren."
Dann war Leaga auch schon verschwunden. Rogue Six setzte sich ebenfalls in Bewegung, jedoch wieder in kleinen, unauffälligen Paaren, bis sie an verschiedenen Standpunkten rund um die Wohnung des Engels positioniert waren und gelangweilt auf Leagas Zeichen warteten. Dieses Mal bildeten Astrid und Robin ein Zweierteam. So konnten sie immerhin nicht dabei gestört werden, wenn sie beide ein wenig rumknutschen wollten. Allerdings war Astrid viel zu unruhig, als Robins Küsse zu genießen. Sie wollte ihre Mission so schnell wie möglich hinter sich bringen, damit sie wenigstens noch einen romantischen Abend mit Robin verbringen konnte.
„Es tut mir leid, dass unser Date ins Wasser gefallen ist", sagte Robin, als sie ein paar Schritte durch die Gassen gingen.
„Wieso? Es ist doch nicht deine Schuld", entgegnete Astrid, während sie einen kleinen Stein vor ihren Füßen nach vorn kickte.
„Ich weiß, aber du wirkst ziemlich niedergeschlagen deswegen."
Astrid stoppte und sah in Robins Gesicht, bevor sie eine seiner Locken aus seinem Gesicht strich und dieses zu sich herunterzog.
„Solange wir zusammen sind", erklärte sie, nachdem sie sich wieder voneinander gelöst hatten, „ist es mir fast egal, was wir unternehmen. Diese ganze Dämonengeschichte kann zwar ziemlich nervig sein, aber sie gehört nun mal zu uns. Damit müssen wir leben und das Beste draus machen."
Als Antwort lächelte sie Robin nur weiter an und beugte sich wieder zu ihr herunter, als er inmitten seiner Bewegung durch ein lautes Piepsen unterbrochen wurde. Die Lippen schon gespitzt hielt er inne und holte sein Handy hervor. Das Lächeln von vorhin war gänzlich verschwunden.
„Es hat begonnen."
Astrids Körper versteifte sich. Natürlich, es war nur eine blöde Beschattung, aber trotzdem konnte jede Mission tödlich sein. Astrid und Robin machten sich händchenhaltend auf. Von außen wirkten sie wie ein frisch verliebtes Pärchen von dem niemand ahnen würde, dass sie gerade einen potentiellen Engel beschatteten. Ein paar Male glaubte Astrid, jemanden von Rogue Six zu sehen, aber immer nur so kurz, dass sie es für Einbildung hielt. Alles lief normal, als Thaller plötzlich in ein Casino spazierte. Sekunden später hatte sich die Gruppe in der Nähe des Gebäudes versammelt und stöhnten auf.
„Na toll, da kommen wir doch niemals rein", meckerte Thomas und blickte suchend in die Gesichter der anderen.
„Ja, und selbst wenn wir es irgendwie rein schaffen, fallen wir auf wie bunte Hunde", überlegte Aiden.
„Nur wenn alle rein gehen", erklärte Robin.
„Ich mein, überleg mal, ich bin relativ groß und Thomas ja auch. Wir bräuchten nur die richtigen Klamotten..."
„Ich könnte ein Auto knacken und schnell irgendwas holen", schlug Ash sofort energiegeladen vor.
„Nein! Spinnst du? Das würde viel zu viel Zeit kosten", protestierte Astrid und Ca stimmte ihr zu.
„Ich denke, wir sollten es einfach versuchen. Mitten in der Menge werden sie ihr Gespräch sowieso nicht führen, sondern in irgendwelchen Hinterstübchen, wir müssen nur herausfinden in welches."
„Ja, und dann?", forderte Thomas Ca heraus.
„Ich meine, wenn sie sich sowieso ein privates Zimmer suchen, werden wir kaum lauschen können."
„Es ist sowieso viel zu gefährlich Leute", meinte plötzlich Aiden und löste die gedeckte Stellung auf, welche sie alle eingenommen hatten.
„Es werden sicher einige Wächter anwesend sein, wenn er hier sein privates Gespräch tatsächlich führen sollte und Leaga hat eindringlich erklärt, uns nicht unnötig in Gefahr zu bringen. Wir sind noch nicht soweit, krasse Spionageaktionen durchzuführen."
„Du Spaßverderber", schmollte Ash.
„Wir können doch nicht einfach so schnell aufgeben!"
„Überleg doch Ash, wir sind sechzehn und absolut unerfahren. Wir wissen, wie man kämpft, aber das war's dann auch. Leaga hat mich zum Leiter der Mission erklärt und ich sage, dass das zu gefährlich für die Gruppe wird."
„Wir könnten ihn doch wenigstens auflauern und dann ausquetschen...", versuchte Thomas einzuräumen, aber Aiden schüttelte den Kopf.
„Welcher erwachsener Mann, noch dazu ein Engel, lässt sich von sechzehnjährigen Engeln auseinandernehmen? Außerdem sind wir nur dazu da, uns und andere zu verteidigen."
„Und wenn wir ihn einfach weiter beschatten?", schlug Astrid vor.
„Vielleicht erfahren wir nicht unbedingt das Gespräch, aber wir wissen ja auch nicht genau, ob es überhaupt im Casino stattfindet oder ob er sich nur amüsiert. Und ob es sich hier wirklich um einen Engel handelt ist ja auch noch nicht klar."
Aiden überlegte eine Weile.
„Lasst uns erst einmal in irgendeine Kneipe gehen, damit wir über unsere nächsten Schritte nachdenken können, so sehen wir verdammt verdächtig aus. Zwei bleiben draußen, damit er uns nicht davonkommt. Ash, Thomas? Seid ihr so lieb? Untersucht das Casino auch auf andere Ausgänge. Bleibt in Kontakt und bleibt vorsichtig. Und vor allem unauffällig. Bekommt ihr das hin?"
„Warum muss denn jetzt ich in der Kälte stehen bleiben?", meckerte Ash erneut auf.
„Ich dachte, du bist so voller Tatendrang?", provozierte Aiden und sah Ash herausfordernd an.
Ash öffnete schon den Mund, als sich Ca dazwischen drängte.
„Leute, hört auf zu streiten. Aiden ist der Leiter, also sagt er, was Sache ist. Wir müssen uns jetzt auf unsere Mission konzentrieren."
Ash verschränkte nur die Arme und gab ein beleidigtes Zischen von sich. Aiden blickte triumphierend.
„Gut. Falls irgendwas passiert..."
„...sofort kontaktieren", beendete Ash den Satz seines Bruders, während er dabei seine Stimme nachäffte und seufzte.
„Du redest schon wie einer der Erwachsenen", meckerte er und Aiden boxte ihn spielerisch in die Seite. Alle Angriffslust von vor ein paar Sekunden schien verschwunden.
„Was soll ich sagen? Die ganze Sache macht uns irgendwie zu Erwachsenen. Naja, außer dich vielleicht."
„Was soll das jetzt heißen?", entgegnete Ash sarkastisch, aber Aiden wurde sofort wieder ernst.
„Wir sollten uns jetzt losmachen. Haltet euch einfach an den Plan, wir besprechen den Rest."
Robin, Astrid, Ca und Aiden ließen die beiden anderen zurück und liefen eine Weile in der Kälte der anbrechenden Nacht. Wärme suchend griff Astrid nach Robins Hand und ließ sich von ihr wärmen, bis sie eine kleine Kneipe erreichten.
„Werden wir nicht hier auch auffallen?", fragte Ca verunsichert, als sie durch die Ladentür gingen und ihnen ein Schwall aus heißer Luft vermischt mit Zigarettenqualm entgegenwehte.
„Keine Sorge. Ich kenne den Ladenbesitzer. Er lässt mich und Ash mit unseren Kumpels hier manchmal Billiard spielen", erwiderte Aiden gelassen und begrüßte den Mann hinter der Theke, während sich Astrid umsah.
Es war eine kleine, alte, rustikale Kneipe aus Holz. In manchen Ecken und Winkeln hingen Sinnenweben, alte Bilder von ehemaligen Ladenbesitzern und Mitarbeitern und Poster von Frauen, Alkohol oder Autos schmückten die Wände. Viele Leute waren nicht da, Schüler ganz zu schweigen. Der Qualm war so dicht, dass sie alles nur durch einen dicken Nebel von Smog sehen konnte und der Astrids Sinne durcheinandergebrachte. Plötzlich wurde ihr ziemlich schwindelig und sie griff hilfesuchend nach Robins Arm.
„Ich glaube, ich brauche frische Luft", murmelte sie ihm zu und Robin sah sie besorgt an.
„Hey Aiden, ist denn in dem Raum mit dem Billiardtisch wenigstens Luft zum Atmen da?"
„Dahinten steht er, aber wir können sicher ein Fenster aufmachen", erklärte Aiden und zeigte auf den Billiardtisch, der an der rechten Wand in der hintersten Ecke stand.
„Ich glaube, ich warte draußen", brachte Astrid hervor und wollte schon den Türknauf in die Hand nehmen, aber Aiden hielt sie zurück.
„Nichts da. Keine Alleingänge."
„Du wirst dich an die dicke Luft hier gewöhnen, glaub mir. Nach einer Weile geht's", versuchte Ca sie ein wenig aufzumuntern, aber das änderte nichts an Astrids Schwindelgefühl.
„Wenn ich hier wegklappe, bitte versprich mir, mich aufzufangen", zischte sie Robin entgegen, während sich die Gruppe in Bewegung setzte. Dieser lachte nur kurz auf.
„Versprochen."
„Ah, Aiden mä' Jung'!"
Ein stämmiger kleiner Mann trat aus der Tür hinter der Theke, in die zuvor der Barkeeper verschwunden war und begrüßte sie. Das musste der Kneipenbesitzer sein, dachte Astrid und stellte fest, dass er auch als Grizzlybär durchgehen konnte mit seiner Gesichtsbehaarung. Außer vielleicht, dass sich das Fell von Grizzlybären nicht so stark lockte.
„Däs is' ja 'ne Überraschung. Süße Mädels hast'e och gläch mitjebracht, zwä sogar", lachte er in einer brummenden, warmen Stimme und zwinkerte Aiden zu. Astrid fiel gleich der lustige und komische Akzent auf, was ihn aber auf irgendeine Weise sympathisch machte.
Astrid spürte, wie sich Robin neben ihr ein wenig versteifte und musste grinsen. Hegte da jemand Besitzansprüche?
„Hey Ivan, schön dich so munter zu sehen. Können wir eine Runde Billiard spielen? Ich bezahle natürlich, was du willst", entgegnete Aiden.
„Lass ma', scho' gut. Ich will dir d'n Späß nich' verderb'", winkte Ivan ab und flüsterte Aiden – nachdem dieser sich natürlich bücken musste- mit vorgehaltener Hand etwas ins Ohr. Das Problem war nur, das Ivan scheinbar nicht wusste, wie man flüsterte.
„Ich würd' übrigens de Kläne mit'n Locken da nehm', wenn ich du wär'. De and're hat nach mänen Geschmack zu verrückte Haare."
Ca und Astrid wechselten belustigte Blickte und verdrehten die Augen. Komischer Kerl mit einem noch komischeren Akzent. Schließlich setzte sich die Gruppe wieder in Bewegung, Grizzlybär voraus.
„Falls 'a wäs wollt, sacht beschäd", rief er und klopfte Aiden auf die Schulter, vorauf hin dieser beinahe nach vorn stolperte.
„Klar, Ivan", murmelte Aiden ihm hinterher und blickte dann entschuldigend in die Gesichter der anderen.
„Ist er auch...?", fragte Ca fast beiläufig, während sie sich ein Queue schnappte und mit Spielen anfing. Robin tat es ihr gleich. Astrid hielt sich zurück, sie konnte kein Billiard und Aiden lehnte sich mit verschränkten Armen an die Wand.
„Ja klar, ist mein Patenonkel. Ich helfe hier auch manchmal mit aus", antwortete Aiden und beobachtete das Spiel zwischen Ca und Robin.
„Aber ich glaube, wichtiger ist es, nachzudenken, was wir als Nächstes machen."
„Du bist hier unser Superhirn. Schlag was vor", entgegnete Ca beim Anvisieren der roten Sechs.
„Ich würde Leaga darüber informieren, wie der Stand ist."
„Dass wir nichts erreicht haben, meinst du?", konterte Robin.
„Besser, als etwas auf eigene Faust zu unternehmen."
„Ich würde trotzdem warten, bis er aus dem Casino geht und ihn dann weiter verfolgen. Wenn dann nichts passiert können wir Leaga ja unsere Problematik erklären", schlug Astrid vor.
„Ja klar, und nehmen damit alle Möglichkeiten, jetzt zu handeln."
„Dann ruf sie doch an und erklär ihr die Situation. Sie wird schon wissen, was als Nächstes zu tun ist", meinte Ca ungeduldig und sah Aiden erwartungsvoll an.
„Hoffen wir's", brummte Robin nur.
Während Aiden sein Telefon zückte und Leaga anrief, sah Robin Astrid herausfordernd an und hielt ihr seinen Queue hin.
„Willst du es auch mal probieren?"
Verlegen lächelte sie.
„Aber erwarte keine Glanzleistung von mir. Wenn du verlierst bist du selbst schuld."
„Damit kann ich leben. Hier, ich zeig dir die Richtige Haltung."
Im nächsten Moment war Robin hinter ihr getreten, legte seine Hände an ihre und legte sie in die Richtige Position.
„Dann musst du so anvisieren...", erklärte er nebenbei, aber seine Anwesenheit brachte sie mal wieder ganz aus dem Verstand, jetzt, wo sie ganz genau Cas Grinsen spürte. Aber mit seiner Hilfe schaffte sie es sogar, die richtige Kugel zu treffen, immerhin.
Im nächsten Moment lehnte sich Aiden seufzend an den Billiardtisch.
„Keine guten Neuigkeiten?", schlussfolgerte Ca aus seiner Haltung.
„Eher überhaupt keine Neuigkeit. Leaga scheint beschäftigt zu sein. Wie sonst auch immer."
„Leaga, wie sie leibt und lebt", murmelte Robin.
„Aber hey, das bedeutet ja, dass sie so viel Vertrauen in dich setzt, dass sie vorraussetzt, nicht unbedingt sofort aufspringen und zur Hilfe eilen zu müssen", versuchte Ca Aiden ein wenig aufzumuntern.
„Vielen Dank auch. Mir wäre es lieber, sie hätte nicht so viel Vertrauen in mich, ich weiß nämlich nicht, was wir tun sollen, ohne, dass es waghalsig ist."
„Unser ganzes Leben ist ein Risiko", entgegnete Robin.
„Ein Risiko mehr oder weniger, darauf kommt es im Endeffekt doch auch nicht mehr an."
„Außerdem ist es doch nicht lebensgefährlich, zu beobachten, wann unsere Zielperson das Casino verlässt um es dann zu verfolgen. Entweder wir bekommen noch so irgendeine nützliche Information oder wir haben so oder so nichts", schloss Astrid sich Robins Meinung an.
Aiden seufzte nochmal. Seine Lust auf die Mission schien von Sekunde zu Sekunde zu schwinden. Nach kurzer Überlegung zückte er erneut sein Telefon.
„Wie sieht die Lage aus? ... Alles klar... Ich hab's bei Leaga versucht... Ne, nichts, wie üblich... Weiter beobachten, Zielobjekt verfolgen und hoffen, dass niemand drauf geht... sind in ein paar Minuten wieder da."
Dann legte er auf und sah in die erwartungsvollen Gesichter seines Teams.
„Ich hoffe, ihr seid fertig mit der Partie Billiard."
Schon seit Stunden saß sie mit Robin in dem Restaurant gegenüber dem Casino und beobachtete die ein- und ausgehenden Personen, von Thaller immer noch keine Spur. Die Tische um sie herum wurden leerer und lange würde es nicht dauern, da würden sie auch rausgeschmissen werden. Immer abwechselnd hatten Astrid und Robin unauffällig nach draußen gesehen, wobei sie bei zunehmender Dunkelheit sich mehr und mehr anstrengen mussten. Astrid fand es ganz interessant, die Menschen zu beobachten, vor allem wenn mal wieder eine kleine Gruppe Männer mit schwarzen Anzügen und Aktenkoffer oder elegant gekleidete Damen in das Casino gingen. Sie fragte sich dann immer, welche schmutzigen und geheimen Treffen wohl sonst noch hier stattfanden. Sie konnte sich vorstellen, dass ein Casino fürs Drogengeschäft auch ganz gut geeignet war. Dass sie jedoch nie ihre Zielperson unter denen fand, die das Casino wieder verließen, ließ sie mit zunehmender Wartezeit immer pessimistischer werden. Nachdem sie erneut „gedankenverloren" aus dem Fenster gestarrt hatte, aber die Zielperson immer noch nicht unter den Leuten war, die ein und aus gingen, seufzte sie und blickte zurück zu Robin. Dieser nahm ihre Hand und lächelte sie aufmunternd an.
„Sieh es positiv, immerhin sitzen wir zusammen in einem Restaurant, gemütlich im Warmen, nur wir zwei. Sieh es als Date an."
Astrid lachte leicht auf.
„So habe ich mir mein erstes Date mit dir aber nicht vorgestellt."
„Du hast recht, die ganze Sache nimmt irgendwie das Romantische."
Jetzt grinste Astrid Robin schelmisch an und lehnte sich vor.
„Vielleicht sollten wir vielleicht für ein bisschen mehr Romantik sorgen", flüsterte sie, aber bevor ihre Lippen die seinen traf, wurden sie von einem lauten Klingeln unterbrochen.
Genervt und enttäuscht sahen sie sich in die Augen. Schon wieder? Gab es irgendwo einen Sensor oder eine versteckte Kamera, die bemerkte, wann sie küssen wollten, um sie genau in dem Moment zu unterbrechen? Während Astrid schmollte, ging Robin an sein Handy.
„Was gibt's? ... Aha ... Okay, viel Glück."
„Was müssen wir machen?", fragte Astrid nach, noch während sie ihre Jacken anzogen und wieder nach draußen in die Kälte verschwanden. Nach so langer Zeit im Warmen schienen die Temperaturen erheblich gesunken zu sein und Astrid wünschte sich nichts mehr, als wieder in das Restaurant zu gehen und da weiter zu machen, wo sie und Robin aufgehört hatten. Diesen Wunsch schob sie allerdings beiseite, denn sie musste sich jetzt wieder auf die Mission konzentrieren.
„Aiden hat angerufen. Unser Mann ist aus dem Haupteingang wieder heraus gekommen und läuft nun Richtung Stadtzentrum. Wir sollen andere Straßen nehmen, damit er nicht merkt, dass er verfolgt wird. Aiden gibt mir die Standpunkte durch. Wenn er sich noch mit jemanden treffen sollte, werden wir es herausfinden, auch wenn die Chance gering ist."
Mit zügigen Schritten bahnten sie sich einen Weg durch Gassen, die Astrid noch nie betreten hatte und sie ahnte, dass dies Abkürzungen waren. Robin, der schon immer in London gelebt hatte, musste sich wohl sehr gut auskennen. Hin und wieder sah er auf sein Handy und murmelte etwas Verständnisloses vor sich hin.
„Alles okay?", wollte Astrid wissen und Robin verringerte ein wenig sein Schritttempo, mit dem sie sowieso nur schwer mitkam. Eigentlich rannte sie schon fast.
„Ich habe mich nur gefragt, warum er durch den St. James Park will, dass weder in die Richtung seiner Wohnung noch eines anderen Casinos führt. Entweder er trifft sich noch mit jemanden oder er will uns verwirren. Letzteres wäre nicht so besonders gut, denn dann wüsste er, dass er Verfolger hat."
Astrid griff nach Robins Hand. Das letzte, was sie gebrauchen konnte, waren schlechte Nachrichten. Am liebsten wäre es ihr einfach, er würde in den Park seine Kontaktperson treffen, Rogue Six könne ganz einfach die Informationen bekommen, die sie brauchten und damit die Mission erfolgreich abschließen. Sie hatte Angst, dass irgendetwas schief ging, aber sie konnte nur hoffen, dass Aiden klug genug war, sie aus einer gefährlichen Situation heraus zu halten. Astrid wollte keine Engel verletzen. Selbst wenn sie nach ihren letzten Kämpfen wusste, dass sie mittlerweile die Kontrolle darüber hatte, ihre Nerven abzuschalten, um nicht mit den Schmerzen der Gegner mitzufühlen als auch die Kontrolle, dem Feind nur präzise, nicht tödliche Verletzungen zu verursachen, sah sie in ihren Albträumen trotzdem manchmal die schmerzerfüllten Gesichter ihrer Gegner oder die der toten Dämonen.
„Aiden hat mir nochmal den Standpunkt geschickt, wir sind bei unserem Tempo zwei Minuten eher am Park. Wir sollen schon mal die Lage nach verdächtigen Personen checken."
„Wenn wir in der Dunkelheit überhaupt was sehen."
„Ein Vorteil für uns, oder nicht?"
„Hoffen wir es. Oh, und mach vielleicht dein Handy jetzt aus, wäre ja peinlich, wenn dein komischer Piepton unsere Position verraten würde", ermahnte Astrid Robin schnell.
„Wie gut, dass du an alles denkst."
„Ja, wenn man alle Szenarien im Kopf abspielt, was passieren kann..."
„Bewahrt einen aber vielleicht auch vor dummen Fehlern."
Kaum waren sie beim Park angekommen, verhielten sie sich wieder wie ein ganz normales Pärchen und schlenderten scheinbar von einem romantischen Abendessen in einem Restaurant durch den Park, dessen Hauptweg nur von ein paar Laternen erleuchtet wurde. In der Ferne sah man den erleuchteten St. James Palace und beinahe bekam Astrid das Gefühl, dass dies wirklich nur ein normaler, romantischer Abend war. Aber nur fast.
Während sie gemütlich den Weg entlang schlenderten, versuchte Astrid nach einer verdächtigen Person Ausschau zu halten, falls wirklich eine in der Nähe war. Was war ein guter Treffpunkt für einen geheimen Informationsaustausch? Da der Park bis auf ein paar Drogenjunkies und Obdachlosen schon völlig leer war, angesichts der Jahres- und Tageszeit, konnte dieser Treffpunkt beinah überall sein.
„Wenn er schneller läuft als wir gerade, sollte er uns bald von hinten eingeholt haben. Aiden hat mir noch nicht das Stichwort dafür gegeben, dass er sich mit seiner Kontaktperson getroffen hat", raunte Robin ihr ins Ohr. Sie nickte nur stumm.
Ihr beschlichen sich wieder ungute Gefühle. Einmal, dass sie gerade völlig sinnlos jemanden verfolgten, da er zu einer hohen Wahrscheinlichkeit seine Informationen schon längst im Casino erhalten hatte und einmal, dass sich noch irgendetwas Unschönes ereignen würde.
„Versprich mir, dass du heute nicht verletzt wirst", flüsterte sie so leise, dass sie selbst überrascht war, dass es Robin hören konnte.
„Wenn ich es riskieren muss, um dich zu beschützen, würde ich jede Verletzung in Kauf nehmen. Außerdem weißt du doch, dass das unser Berufsrisiko ist."
Robins Stimme war irgendwie leicht, als wöllte er ihr die Sorgen nehmen, aber es gelang ihm nicht.
„Dann versprich mir wenigstens, nicht zu sterben."
„Versprochen."
Im nächsten Moment hörte Astrid schnelle Schritte hinter sich, die durch den Kies laut knirschten. Augenblicklich spannte sie alle Muskeln und Sinne an. Ein kurzer flüchtiger Seitenblick reichte aus, damit sie ihre Zielperson erkennen konnte. Außerdem spürte sie die Anwesenheit der anderen an ihrer Seite, die ihn in der Dunkelheit mit sicherem Abstand verfolgten. Doch statt sich sicher zu fühlen, wuchs ihr ungutes Gefühl. Sie krallte sich angespannt an Robins Jackenärmel fest. Als der vermeintliche Engel weiter weg war, tauchten Robin und Astrid aus dem Licht der Laternen in die Dunkelheit des Parks ein und verfolgten ihn weiterhin lautlos. Sie kamen am Buckingham Palace vorbei und hatten fast schon das Ende des Parks erreicht, als plötzlich eine Person Thaller aufhielt.
Robin und Astrid hielten inne und sahen sich vielsagend an. Lautlos gaben sie sich Zeichen und pirschten weiter heran, als aus den Rücken beider Personen Flügel hervorwuchsen. Ihre Zielperson wurde augenblicklich von zwei weiteren Engeln umzingelt. Eine Sekunde später hatte jeder von ihnen eine Waffe in der Hand und war in eine Angriffsstellung übergegangen. Erschrocken blickte Astrid von den vier Personen zu Robin. Dies hier war keine Informationsübergabe, sondern offensichtlich ein Angriff. Die Cherub waren ihnen zuvor gekommen.
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