Kapitel 6
Das Wochenende verging schleichend. Es juckte Hermine in den Fingern, weiter zu forschen, sich wieder mit Stibbons zu treffen und ihre neuen Ideen auszuprobieren. Aber Draco war zu Hause und somit war es für sie unmöglich, das Haus zu verlassen. Zwar war sie erleichtert, dass er ihr die Geschichte mit der Forschung geglaubt hatte, aber sie nahm an, dass es wohl doch etwas zu weit gehen würde, ihm jetzt auch noch zu erklären, warum sie sich mit Leuten traf, die sie eigentlich nicht oder zumindest nicht so gut kennen sollte.
Also war sie zu Hause und las. Sie versuchte noch immer herauszufinden, woher die Kopfschmerzen und der Schwindel kamen, die zwar nachließen, aber die sie immer noch ab und zu hatte. Außerdem wollte sie möglichst viel über diese Welt rekonstruieren, damit sie im Gespräch nicht irgendwann falsche Fakten nannte und sich damit entweder verriet oder ins Irrenhaus verfrachtete. Bisher war sie in keinem der beiden Fälle wirklich weit gekommen, was vermutlich daran lag, dass sie weder ein Buch mit dem Titel "Typische Symptome nach einem Weltwechsel und wie man sie behandelt" gefunden hatte, noch eines namens "Top Zehn Unterschiede zwischen diesem Universum und dem nächsten". Oh Wunder.
Zwischendurch nahm Draco sie mit in ein Museum, welches seine Hermine liebte und Hermine hätte nie gedacht, dass moderne Muggelkunst etwas für sie wäre, aber sie musste zugeben, dass sie ihr gefiel. Story kam zum Kaffee am Sonntagnachmittag und mangels anderer Themen fragte Hermine sie nach ihrem Sohn, Scorpius, der gerade zwei geworden war und ausgesprochen niedlich aussah, wenn er durch den Vorgarten rannte und Fußball spielte.
Für eine stolze Vorstadtmama, deren einziger Job es war, sich um Haus und Kind zu kümmern, hielt sich Story überraschend kurz, was sie Hermine bedeutend sympathischer machte. Sie hatte schon halb damit gerechnet, sich jetzt zwei Stunden lang anhören zu dürfen, wie toll es war, dass ihr Scorpilein schon sein eigenes Spielzeug aufräumen konnte. Aber stattdessen berichtete Story nur knapp davon, dass er gestern einen ihrer schönsten Teller kaputt gemacht hatte und dass er letztens mit seiner Kindermagie die Katze zum Schweben gebracht hatte, die seitdem einen großen Bogen um ihn machte, bevor sie das Thema wechselte.
Abends kochten sie gemeinsam ein mittelmäßig gutes Curry, bevor der Kopf von Blaise Zabini im Kaminfeuer erschien und aus dem fernen New York um ein Gespräch mit seinem besten Freund bat.
Hermine schnappte sich ihr Buch und zog sich nach oben zurück, um die beiden in Ruhe zu lassen.
Eine halbe Stunde später hatte sie das Buch durchgelesen (was vor allem daran lag, dass sie wider Erwarten zwischendurch zweihundert Seiten übersprungen hatte, da sie eins zu eins ein Abdruck eines anderen Werkes waren, das sie vor zwei Tagen gelesen hatte) und sie hatte Durst, also beschloss sie, noch einmal nach unten zu gehen und beide Probleme zu lösen.
Sie betrat die Küche und schenkte sich ein Glas Wasser ein. Aus dem Wohnzimmer drangen dumpfe Geräusche. Sie hatte sich gefragt, ob Draco wohl noch telefonierte, aber es machte den Anschein. Sie sah sich in der Küche um, ob sie vielleicht hier etwas zum Lesen finden würde, sodass sie ihn nicht stören müssen würde.
Tatsächlich lag auf dem Tisch direkt neben der Tür zum Wohnzimmer ein Katalog. Es war nicht ihr Lieblingsgenre, aber es würde sie zumindest beschäftigen. Sie durchquerte die Küche und griff danach, als aus dem Wohnzimmer ein Geräusch zu hören war, mit dem sie nicht gerechnet hatte: unterdrücktes Schluchzen.
"...ich weiß einfach nicht, was ich machen soll, Blaise. Vor drei Wochen waren wir so glücklich, es lief einfach alles perfekt. Und dann..." Das Schniefen wurde lauter und Hermine verstand nicht mehr, was er sagte. Ohne weiter darüber nachzudenken, drückte sie ihr Ohr gegen die Tür.
"Nein, ich hab ihr nicht erzählt, was passiert ist.", sagte Draco gerade. "Sie hat genug mit sich zu tun, da muss sie nicht auch noch damit fertig werden. Es ist nur...ich habe es immer noch nicht so ganz begriffen, dass es..." Er unterbrach sich selbst mit einem Schluchzen. "Es fühlt sich einfach an, als wäre sie auch nicht mehr da und ich bin ganz allein. Und ich kann ihr das nicht sagen, weil es nicht fair ist, weil sie ja auch nichts dafür kann, aber es ist, als wäre sie nicht mehr meine Hermine. Gerade jetzt, wo ich sie so sehr brauche..."
Seine Stimme brach zusammen und Hermine konnte nur Fetzen verstehen, als Blaise aus dem Kamin heraus versuchte, ihn zu trösten.
Sie lehnte sich gegen die Wand und atmete tief durch, um die Tränen zu bekämpfen, die jetzt unaufhaltsam ihren eigenen Hals hinauf krochen. Sie war beeindruckt gewesen, wie gut er sich unter Kontrolle hatte und sie schämte sich furchtbar, dass sie nicht daran gedacht hatte, dass er vermutlich in gewisser Weise um seine Frau trauerte, wenn sie nicht in der Nähe war.
Einige Minuten stand sie einfach so da, dann schlug im Wohnzimmer die alte Standuhr neunmal. Sie hörte Blaise leise fluchen und sich dann hundertmal entschuldigen, dass er Draco ausgerechnet in dieser Situation verlassen musste. Der versicherte ihm ebenso oft, dass es überhaupt kein Problem war und dass er froh war, dass sie überhaupt miteinander gesprochen hatten.
Hermine hörte das vertraute Geräusch von verlöschendem Flohpulverfeuer. Für einige Sekunden war es still, dann hörte sie die Federn des Sessels quietschen und unterdrücktes Weinen. Es klang so verzweifelt, dass es ihr in der Seele wehtat, tatenlos zuzuhören. Also öffnete sie vorsichtig die Tür und schlüpfte hinein.
Er saß auf dem Sessel und hatte die Knie an die Brust gezogen. Er sah verletzlicher aus, als Hermine ihn je gesehen hatte und sie fragte sich, wie sie ihm jemals die Maske des eiskalten Slytherinprinzen hatte abnehmen können. Seine Haare standen in alle Richtungen, sein Hemd, am Morgen noch frisch gebügelt, war voller Falten und feuchter Flecke um den Kragen herum und seine Augen waren rot und verquollen.
Als er sie sah, versuchte er, sich in eine aufrechte Haltung zu bringen und wischte sich unwirsch mit dem Arm über die Augen.
Sie setzte sich neben dem Sessel auf den Teppich und legte ihre Hand beruhigend auf seine.
"Hey...", sagte sie leise. "Es ist ok."
Er schniefte etwas und winkte dann mit seinem Zauberstab ein Taschentuch zu sich hinüber.
"Tut mir leid.", murmelte er, nachdem er sich die Nase geputzt und grob über die Augen gewischt hatte. "Ich wollte eigentlich nicht, dass du das mitbekommst."
Hermine schenkte ihm ein kleines Lächeln.
"Du versuchst seit zwei Wochen alles, um meine Erinnerungen zurück zu holen. Es ist vollkommen in Ordnung, wenn du selbst auch mal einen Moment brauchst, um mit der ganzen Sache fertig zu werden.", versuchte sie, ihm gut zuzureden. Irgendetwas gab ihr das Gefühl, dass ihr Gegenstück wesentlich besser darin war, Leute zu trösten. Aber sie würde es zumindest versuchen. Er nickte.
"Da hast du vermutlich recht. Aber ich mach sowas trotzdem lieber mit mir selbst aus, du kennst mich doch." Ein Schatten huschte über sein Gesicht. "Oder...naja, eigentlich kennst du mich nicht." Er fuhr sich verzweifelt durch die Haare und lehnte sich müde im Sessel zurück.
In diesem Moment sah er so erschöpft aus, so verzweifelt. Und Hermine traf eine Sekundenentscheidung. Sie konnte nicht weiter lügen. Dieser Mann liebte seine Frau über alles und er verdiente es, zu wissen, was mit ihr geschehen war. Und wenn er sie dann immer noch ins St. Mungo's stecken wollte, dann würde sie wohl untertauchen müssen.
Sie griff nach seiner Hand.
"Ich muss dir was sagen.", erklärte sie fest, bevor sie es sich anders überlegen konnte. Er sah sie überrascht an.
"Was?", fragte er alarmiert und richtete sich auf. Hermine holte tief Luft.
"Die Wahrheit."
Er blinzelte. Zog seine Hand aus ihrer.
"Die Wahrheit?", wiederholte er dann. "Was soll das heißen?"
Hermine stand auf und setzte sich auf das Sofa.
"Das heißt, dass ich dir gegenüber die letzten beiden Wochen nicht ganz ehrlich gewesen bin.", sagte sie. "Ich hoffe, du lässt mich erklären und hältst mich nicht für verrückt."
Er sah sie misstrauisch an, sagte aber nichts. Stattdessen verschränkte er die Arme und sah sie erwartungsvoll an.
"Ich bin nicht Hermine Malfoy.", sagte sie. Er nickte.
"Ich weiß.", antwortete er. "Ich weiß, dass du das denkst, weil du dich nicht daran erinnern kannst."
Hermine seufzte.
"Mit meinen Erinnerungen ist alles in Ordnung.", widersprach sie. "Aber ich bin nicht die Frau, die du seit sieben Jahren kennst und die du geheiratet hast."
Eine steile Sorgenfalte erschien auf seiner Stirn und er setzte an, etwas zu sagen, aber sie hob die Hand, um ihn davon abzuhalten.
"Vielleicht ist es besser, wenn du mich erst ausreden lässt und dann all das sagst, was du zweifelsohne sagen wollen wirst.", schlug sie vor. Er sah sie skeptisch an und für einen Moment sah es so aus, als wolle er widersprechen. Dann seufzte er und machte eine auffordernde Handbewegung. Hermine sah ihn prüfend an und begann dann, zu berichten:
"Mein Name ist Hermine Granger und bis ich zwanzig war, verlief mein Leben ziemlich genauso, wie du dich erinnerst. Aber im Gegensatz zu der Hermine, die du kennst, habe ich das Ausbildungsangebot des Ministeriums abgelehnt und stattdessen die Forschung mit dem Zeitumkehrern weiterverfolgt. Das hat auch ziemlich gut funktioniert, bis vor zwei Wochen, als ein Unfall dazu geführt hat, dass ich in einem anderen Universum gelandet bin. Hier."
Draco sah sie ungläubig an und öffnete einige Male den Mund, um etwas zu sagen, wusste aber offenbar nicht, was.
"Anderes Universum?", fragte er dann schließlich. Hermine nickte. Er lachte ungläubig. "Ich meine, du musst zugeben, dass das ziemlich...verrückt klingt."
Hermine nickte und seufzte.
"Ich weiß.", stimmte sie zu. "Was auch genau der Grund ist, warum ich dir bisher nichts gesagt habe. Ich hatte gehofft, so schnell wie möglich einen Weg zu finden, zurück nach Hause zu kommen. Dafür sind auch die Notizen, die du gestern gesehen hast."
Er sah immer noch nicht so richtig überzeugt aus, was Hermine ihm aber nicht wirklich übelnehmen konnte. Nach einigen Minuten zuckte er mit den Schultern.
"Ok.", sagte er dann. "Nehmen wir an, ich glaube dir, was ich nicht wirklich tue, aber egal. Nehmen wir es an. Was hast du mit meiner Frau angestellt?"
Hermine überlegte kurz.
"Ich weiß es nicht.", gestand sie dann. "Ich kann nur spekulieren. Ich nehme an, wir haben durch meinen...Unfall die Plätze getauscht, also ist mein Bewusstsein in ihrem Körper gelandet und ihres in meinem." Sie beobachtete Draco, der ihr aufmerksam und etwas besorgt zuzuhören schien. "Sollte es so sein, dann wird mein Team ziemlich schnell festgestellt haben, dass etwas nicht stimmt und ich traue ihnen auch zu, die gleichen Schlüsse zu ziehen, wie ich hier. In dem Fall vermute ich, dass Stibbons, mein Kollege, die gleichen Protokolle angewendet hat, die wir für versehentliche Zeitreisende entworfen haben."
"Und was wären das für...Protokolle?", fragte Draco nicht ohne ein gewisses Amüsement. Hermine musste zugeben, dass das für ihn vermutlich alles sehr absurd klang.
"Man erklärt ihr die Situation bestmöglich, sorgt dafür, dass sie gut untergebracht ist und dass sie möglichst wenig Kontakt zu der Zeit...beziehungsweise in diesem Fall der Welt hat, in die sie nicht gehört." Sie schenkte Draco ein beruhigendes Lächeln. "Es geht ihr gut und ein dreizehnköpfiges Team arbeitet vermutlich gerade jede Sekunde daran, dass wir schnellstmöglich zurücktauschen können."
Das schien ihn ein bisschen zu entspannen, auch wenn er immer noch nicht zu glauben schien, dass das was sie sagte der Wahrheit entsprach. Hermine schwieg und beschloss, ihm ein paar Minuten zu geben, das alles zu verarbeiten.
"Woher weiß ich dass du nicht einfach nur...wirklich deine Erinnerungen verloren hast und jetzt verrückt wirst?", fragte er dann. Hermine lachte leise und kratzte sich am Hinterkopf.
"Eigentlich gar nicht.", gestand sie. "Ich meine...ich könnte dir meine Forschung zeigen und dir beweisen, dass die Zaubersprüche, die deiner Meinung nach nicht existieren, doch etwas bewirken. Allerdings bräuchte ich dafür meinen eigenen Zauberstab, denn leider ist der deiner Frau nicht meiner und macht dementsprechend nur bedingt was ich will."
Draco schwieg. Dann stand er auf. Hermine sah ihn an.
"Ich würde da gerne drüber nachdenken, wenn das für dich ok ist.", sagte er. Hermine nickte und erhob sich ebenfalls.
"Ich...darf ich diese Nacht noch hier bleiben?", fragte sie. "Ich verspreche, ich gehe morgen früh."
Er sah sie überrascht an.
"Warum willst du gehen?", fragte er dann irritiert. Hermine runzelte die Stirn.
"Ich bin eine Fremde, die zwei Wochen lang ungebeten in deinem Haus gelebt hat. Ich kann absolut verstehen, wenn du nicht willst, dass ich das weiterhin tue.", sagte sie. Er verschränkte die Arme.
"Und wohin willst du gehen?", fragte er. Hermine überlegte kurz, dann zuckte sie mit den Schultern. Er nickte.
"Dachte ich mir." Er kam auf sie zu und legte eine Hand an ihren Oberarm. Hermine sah auf, überrascht von der Berührung. "Falls du doch meine Frau bist und nur verwirrt, würde ich es mir nie verzeihen, wenn ich dich einfach auf die Straße setzen würde. Und wenn du die Wahrheit sagst, dann sollte ich dich ebenfalls im Auge behalten, denn wenn du es schaffst, zurück zu tauschen, dann wüsste ich gerne, wo meine Hermine gerade ist." Er lächelte etwas schief. "Außerdem bist du in jedem Fall Hermine Granger - und Hermine Granger, welche auch immer es ist, ist in diesem Haus immer willkommen."
Hermine nahm an, dass man ihr die Erleichterung ansehen konnte, als er sie in eine kurze Umarmung zog, bevor er ihr noch einen prüfenden Blick zuwarf und dann das Wohnzimmer verließ.
So, hier habt ihr einen meiner liebsten Draco-Momente in der gesamten Geschichte, bitteschön!
Es tut mir übrigens leid, dass das Kapitel so spät kommt (ich hatte mir vorgenommen, erst meine Physikaufgaben zu machen, bevor ich Wattpad öffne und ja...sagen wir einfach, ich habe das bereut. Wie auch immer.). Ich hoffe, es gefällt euch genauso gut, wie mir und ich hoffe gewisse Leute stellen damit endlich mal ihre Verschwörungstheorien gegen Draco ein ;D.
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