Kapitel 10
Es war 5:30 Uhr am nächsten Morgen, als ein dumpfes Hämmern an der Haustür Hermine und Draco aus dem Schlaf riss. Sie trafen sich auf dem Flur, beide in Schlafklamotten und noch nicht ganz wach, tauschten einen verwirrten Blick und eilten dann die Treppe hinunter.
Draco löste die Schutzzauber von ihrer Haustür und öffnete sie einen Spaltbreit. Hermine spähte über seine Schulter, um herauszufinden, wer in dieser Herrgottsfrühe bei anderen Leuten auf der Türmatte stand.
Es war Stibbons in voller Verrückter-Wissenschaftler-Montur: Er trug seinen Umhang über seiner Schlafanzughose und einem zerknitterten Hemd, die Haare standen in alle Richtungen ab und hinter seinem Ohr steckte eine Schreibfeder, was vermutlich die Tintenflecken erklärte, die an seine Wange geschmiert waren. In der Hand hielt er Hermines Notizbuch.
"Ich hab deinen Fehler gefunden!", rief er ohne Zeit für mit einer Begrüßung zu verschwenden. "Zugegeben, ich kenne die meisten Formeln nicht und viele Ansätze ergeben keinen Sinn, aber der Rest ist einfache Mathematik und Zauberkunst und ich habe deine ganzen Rechnungen nachvollzogen und durchgerechnet und ich habe denke ich die Stelle gefunden, an der es falsch ist." Er drückte sich an einem sehr verwirrten Draco vorbei, für den es offenbar viel zu früh am Morgen war, um die Worte "Mathematik" und "Zauberkunst" in einen logischen Zusammenhang zu bringen. Stibbons schob sich ins Haus und hielt Hermine ihr Notizbuch unter die Nase. "Bei den meisten Sachen, die du eingesetzt hast, musste ich nachschauen, ob sie richtig sind, Naturkonstanten und alles. Respekt, dass du das alles auswendig weißt, übrigens. Aber hier...das stimmt nicht." Er zeigte auf eine Zahl, die er eingekringelt hatte. Hermine runzelte die Stirn.
Es waren ihre Berechnungen zur Gravitation und ihrem Einfluss auf die transtemporale Kommunikation. Sein Finger zeigte auf eine Zahl, die sie in den letzten sechs Jahren öfter geschrieben hatte, als sie zählen konnte.
"Was stimmt nicht mit einer Fallbeschleunigung von 9,81 Metern pro Quadratsekunde?", fragte sie überrascht. Stibbons grinste.
"Genau das hab ich mir gedacht!", rief er begeistert. "Das Ding ist...die mittlere Fallbeschleunigung auf der Erde ist 9,86 Meter pro Quadratsekunde. Zumindest in diesem Universum."
Hermine klappte der Mund auf. Sie hatte mit vielem gerechnet, hatte alles mögliche nachgeschlagen, was in einem Paralleluniversum anders sein konnte. Aber sie war nicht auf die Idee gekommen, dass eine Naturkonstante hier einen anderen Wert haben könnte! Das würde möglicherweise auch erklären, warum sie in den ersten Tagen so große Schwierigkeiten mit ihren Bewegungen gehabt hatte - um es wirklich, wirklich einfach auszudrücken: die Schwerkraft war höher!
Sie begann, in den Rechnungen herum zu korrigieren, Stibbons lugte die ganze Zeit über ihre Schulter, Draco hatte die Haustür geschlossen und war in die Küche gegangen, vermutlich, um sich einen Kaffee zu kochen. Hermine folgte ihm langsam, Stibbons im Schlepptau und ohne die Nase aus dem Notizbuch zu nehmen.
Stück für Stück arbeitete sie sich durch die Rechnungen, gab Stibbons knappe Anweisungen, bestimmte Dinge mit arithmantischen Zaubern für sie auszurechnen. Sie korrigierte ihr Endergebnis in dem Moment, in dem sie am Küchentisch ankam und Draco drei dampfende Tassen vor ihnen hinstellte.
Demonstrativ ließ er sich ihr und Stibbons gegenüber auf einen Stuhl fallen und nippte an seinem Kaffee.
"Würde mir einer von euch erklären, was hier gerade passiert?", fragte er dann und unterdrückte ein Gähnen. Hermine lugte in die beiden anderen Tassen und erkannte, dass die eine ebenfalls Kaffee enthielt und die andere Tee. Eine Welle der Zuneigung für ihren Mann durchfuhr sie. Nun...nicht für ihren Mann, natürlich. Für diesen Mann, für Draco. Sie versuchte den Gedanken zu vertreiben und zog die Teetasse zu sich heran.
"Wir haben mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit einen Weg gefunden, mit meinem Universum zu kommunizieren.", verkündete sie dann. Augenblicklich hellte sich Dracos Gesicht auf.
"Heißt das, ihr tauscht zurück?", fragte er überrascht. Hermine zuckte mit den Schultern, sie konnte sich ein kleines Lächeln nicht verkneifen, aber auf der anderen Seite versetzte es ihr auch einen Stich ins Herz, dass er es offenbar gar nicht erwarten konnte, sie endlich los zu sein.
"Unter der Voraussetzung, dass mein Team auf der anderen Seite das geschafft hat, was ich hoffe, schon, ja.", sagte sie. Draco sah sie ungläubig an.
Hermine musterte ihn. Sie war mehrere Wochen hier gewesen, sie konnte sich gut vorstellen, dass er einen Moment brauchte, um wirklich zu realisieren, dass er mit hoher Wahrscheinlichkeit seine Frau bald wiedersehen würde. Hermine hatte es ja selbst kaum begriffen, dass sie möglicherweise bald wieder zuhause war!
"Ohne jetzt zu negativ klingen zu wollen,", unterbrach Stibbons die beiden in ihren Gedanken. "Gestern dachten wir auch schonmal, wir haben es gelöst und dann ging doch alles den Bach runter. Ich wäre also ein bisschen vorsichtiger mit dem Optimismus."
Hermine atmete tief durch und nickte.
"Du hast recht.", stimmte sie ihm zu. Er grinste und griff nach der letzten Tasse.
"Selbstverständlich habe ich recht." Er nippte daran und verzog das Gesicht. War auch kein Wunder, denn obwohl Draco den Kaffee um die Hälfte mit Milch ergänzt hatte, konnte man noch schmecken, dass das Getränk aus bitteren Bohnen gemacht wurde und das war für Hermines besten Freund ein absolutes No-Go. Und für diesen Stibbons offenbar auch.
Hermines bester Freund und der Stibbons, der ihr gerade gegenüber saß, waren sich so ähnlich, dass sie manchmal vergaß, dass es sich nicht um dieselbe Person handelte. Aber dann, immer wieder, machte sie einen Insider-Witz, den er nicht verstand oder es fehlte eine seiner Angewohnheiten, die Hermine so vertraut waren, wie ihre eigenen. Und dann wurde ihr immer wieder schmerzlich bewusst, dass er eben nicht ihr besten Freund war. Sie mochte ihn, keine Frage. Aber es war nicht ihr Stibbons und er würde es nie schaffen, ihn zu ersetzen. Merlin, Hermine freute sich schon darauf, ihrem tatsächlichen besten Freund alles zu erzählen, was hier verrücktes passiert war!
Außerdem würde sie mit Ginny einen Mädelsabend machen, bei dem sie sich verhalten würden wie sechzehn. Und sie würde Ron und George in der Winkelgasse besuchen. Und sie würde Harry auf einen Kaffee einladen und mit ihm darüber reden, ob er sich vorstellen könnte, zurück nach Hogwarts zu gehen. Außerdem würde sie in ihrer Wohnung in ihrer Lieblingsjogginghose sitzen und sich darüber aufregen, dass Rosa spanische Liebesballaden hörte und sie würde von ihrem Lieblingsinder Essen bestellen und sich mit Frankie anlegen, die der Meinung war, dass man im Labor nicht essen sollte (womit sie absolut recht hatte).
"Hast du den Kommunikator mitgebracht?", fragte sie an Stibbons gerichtet, denn auf einmal juckte es ihr in den Fingern, endlich anzufangen. Der trank in einem Zug seinen Kaffee leer, schüttelte sich kurz und nickte dann.
"Wofür hältst du mich? Für einen Anfänger?" Er griff in die Tasche seines Umhangs und holte eine kleine Holzbox hervor. Darin, von einem Schutzzauber umgeben, lag das kleine Gebilde aus goldenen Wellen, Zahnrädern und Getrieben.
Stibbons zückte seinen Zauberstab.
"Sag mir die Werte an."
Hermine griff wieder nach ihrem Heft und erklärte, wie sie es schon gestern getan hatte, Schritt für Schritt und diesmal mit den (hoffentlich) richtigen Werten, was er zu tun hatte. Draco schaute ihnen aufmerksam und fasziniert dabei zu.
Schließlich setzte Stibbons das Gerät auf den Küchentisch und wie schon gestern, nur vielleicht noch ein wenig angespannter, beobachteten sie, wie es begann zu schweben. Hermine kniff die Augen zusammen.
"Bilde ich mir das ein oder zittert es weniger?", fragte sie. Stibbons grinste breit.
"Ich meine, es ist jetzt immerhin auf die richtige Gravitationskonstante kalibriert.", sagte er schulterzuckend. Hermine nickte und hoffte, dass das das einzige Problem war, was gestern dazu geführt hatte, dass es nicht funktioniert hatte.
Das vertraute Rattern begann von vorn und alle hielten gebannt die Luft an, als es knackte. Hermine schloss die Augen. An dieser Stelle war es gestern abgestürzt. Und heute? Heute blieb es in der Luft. Sie atmete auf. Es knackte erneut, dann rauschte es ein bisschen. Hermine räusperte sich.
"Hier ist Hermine Granger, Sicherheitscode 1203-NJ37-Kappa. Kann mich jemand hören?"
Es war so still im Raum, dass man eine Stecknadel hätte fallen hören können. Es rauschte noch immer, dann knackte es wieder leise.
"Kann mich jemand hören?", wiederholte Hermine. "Hier ist Hermine Granger, Sicherheitscode 1203-..."
Sie wurde von einem besonders lauten Knacken unterbrochen.
"Hermine?", fragte dann jemand. "Hermine, bis du das?"
Hermine und Stibbons tauschten einen ungläubigen Blick.
"Ja, ich bins. Nadine?"
Es knackte wieder.
"Nein, hier ist Frankie.", sagte die vom Rauschen verzerrte Stimme, die Hermine mit der richtigen Assoziation jetzt doch erkannte.
"Frankie!", rief sie begeistert. "Merlin ist es gut, deine Stimme zu hören!" Sie schluckte die Tränen der Erleichterung herunter, die ihren Hals herauskrabbelten.
"Und deine erst!", kam die Antwort etwas verzögert. Aber sie kam und Hermine fiel Stibbons spontan um den Hals. "Ich meine...wir haben ja eine Hermine hier, aber...es ist nicht das gleiche."
Jetzt sprang Draco einen Schritt vor.
"Wie geht es ihr?", drängte er. "Hermine, geht es ihr gut?"
Wieder mussten sie einige Sekunden warten, bis die Antwort kam.
"Es geht ihr gut. Sie war ein bisschen verwirrt und hatte ziemliche Schwierigkeiten, mit der ganzen Situation fertig zu werden, aber wir haben uns gut um sie gekümmert.", berichtete Frankie. "Sie wird sich freuen, zu hören, dass ihr bald zurücktauscht."
"Habt ihr also einen Weg gefunden, uns zu tauschen?", schaltete Hermine sich wieder ein und diesmal war die Verzögerung länger als je zuvor. Oder zumindest fühlte es sich so an.
"Wir denken schon.", sagte Frankie dann. "Es ist allerdings ziemlich rustikal und wird nicht schön. Und ihr müsst fürchte ich noch etwas basteln, damit es funktioniert."
Stibbons und Hermine tauschten einen Blick.
"Kein Problem.", versprach sie dann. "Das bekommen wir hin. Sag uns einfach, was wir machen müssen."
"Ihr müsst euch noch ein bisschen gedulden.", entschuldigte sich Frankie. "Nadine und ich haben uns so darauf konzentriert, diesen Kommunikator umzuprogrammieren, dass wir überhaupt nicht mitbekommen haben, wie die anderen deine Rückreise ausgeheckt haben. Aber ich hab Stibbons schon eine Eule geschickt, er müsste jeden Moment hier sein, dann kann er euch erklären, wie es funktioniert."
"Ok, danke.", sagte Hermine und sah grinsend zum Stibbons hinüber, der neben ihr stand. "Na, neugierig?", fragte sie. Er runzelte die Stirn.
"Hoffen wir einfach, dass es kein riesiges Paradoxon gibt, was die beiden Universen zusammenbrechen lässt.", grummelte er, aber Hermine konnte die Aufregung darunter hören.
Sie mussten tatsächlich nicht lange warten, bis sich Stibbons in der Leitung meldete. Und nachdem die Universen nicht zusammengebrochen waren, verstanden sich die beiden wie von Hermine erwartet wunderbar.
"Also ihr braucht einen funktionierenden Zeitumkehrer, den ihr mit dem Kommunikator verbindet, damit wir seine Frequenz ablesen können.", befahl Stibbons-aus-Hermines-Universum.
"Na davon hast du genug, oder?" Hermine schmunzelte, als sie an die riesige Kollektion dachte, die sich in diesem Universum in Stibbons' Arbeitszimmer befand.
"Überhaupt kein Problem."
"Wunderbar. Der Plan ist, dich genauso zu holen, wie ihr mich damals aus 1957 geholt habt. Mit einem großen Knall und einer ordentlichen Portion Glück.", erklärte Stibbons-aus-Hermines-Universum. Hermine seufzte, das hatte sie fast befürchtet. Dann hielt sie inne.
"Warte, dazu müssen wir eine magische Quantenkammer bauen, oder?", fragte sie panisch. Aus dem Kommunikator erklang ein zustimmendes Brummen. Hermine fluchte. Sie hatte keine Ahnung, wie man eine solche Kammer baute. Stibbons-aus-ihrem-Universum hatte es ihr hundertmal versucht, zu erklären, aber sie verstand einfach nicht, wie es funktionierte.
"Eine was?", fragte Stibbons-aus-diesem-Universum verwirrt. Hermine seufzte.
"Sie wollen eine nicht mehr ganz aktuelle Methode nutzen, um uns zurückzutauschen. Dabei wird quasi ein Zeitumkehrer durch die Zeit teleportiert und alles, was sich darum herum befindet. Damit man nicht ein halbes Haus mitnimmt, muss man drum herum eine sogenannte Quantenkammer aufbauen, die ein Stück Raum magisch absiegelt und aus der nichts raus oder rein kann.", versuchte sie zu erklären. "Ich habe keine Ahnung, wie man so etwas baut.", ergänzte sie frustriert. Sollte sie wirklich daran scheitern, dass sie nicht genug über das eine Thema wusste, auf dem sie sich als Expertin bezeichnete?
"Also im Grunde einen spatial-temporalen Isolator?", hakte Stibbons-aus-diesem-Universum nach. Hermine runzelte die Stirn, aber aus dem Kommunikator erklang ein verzückter Laut.
"So wollte ich das damals nennen!", rief Stibbons-aus-Hermines-Universum begeistert. "Es ist mir unter der Dusche eingefallen, aber danach hatte ich es vergessen und ich konnte mich nie wieder erinnern!"
Ein riesiges Grinsen entstand auf Stibbons-aus-diesem-Universums Gesicht.
"Ha! Deshalb hab ich mir das damals gleich mit einem Kuli auf den Arm geschrieben!", rief er triumphierend.
"Warum hattest du eine Kuli unter der Dusche?", wunderte sich Draco, gleichzeitig als Stibbons-aus-Hermines-Universum rief:
"Ein Kuli!"
"Stibbons!", unterbrach Hermine den fröhlichen Austausch. Es wurde still. "Kannst du das bauen? Wie auch immer es heißt."
Stibbons-aus-diesem-Universum schien kurz zu überlegen.
"Ich denke schon. Gib mir...zwei Stunden mit mir selbst." Er zwinkerte in Richtung des Kommunikators, obwohl der nur Stimmen übertrug und keine Bilder. Hermine war sich trotzdem sicher, dass Stibbons-aus-ihrem-Universum grinste wie ein Honigkuchenpferd. Sie atmete zittrig ein und aus.
"Ok.", sagte sie dann. "Was kann ich tun?"
"Und ich?", schaltete sich Draco wieder ins Gespräch.
"Warte, ist das Draco?", rauschte es aus dem Kommunikator. "Hallo, Mann-der-mit-Hermine-verheiratet-ist!"
Alle drei Personen in diesem Universum entschieden sich, das nicht zu kommentieren.
"Jemand müsste einen Zeitumkehrer aus meiner Wohnung holen.", sagte Stibbons-aus-diesem-Universum. "Oder auch zwei Jemande. Vielleicht solltet ihr laufen, es ist wunderbares Wetter.", schlug er vor. Hermine zog eine Augenbraue nach oben.
"Ich kann auch kurz rüber apparieren und bin in fünf Minuten wieder da.", erinnerte sie ihn. Stibbons seufzte.
"Hermine, ich mag dich wirklich gern. Aber wenn du - oder noch schlimmer, ihr beide - hier seid und mir die ganze Zeit über die Schulter schaut, während ich euch einen Isolator baue, dann werde ich wahnsinnig." Er lächelte entschuldigend. "Also bitte tut mir den Gefallen und geht zu zweit. Und zu Fuß."
Hermine überlegte, zu diskutieren. Aber dann gab sie nach und sah zu Draco hinüber.
"Wir sollten uns vielleicht etwas Richtiges anziehen.", schlug er dann vor. Hermine schmunzelte.
"Das sollten wir."
Den Hinweg redeten sie über belanglose Dinge. Es war fast lächerlich, sie beide wussten, dass sie noch etwa zwei Stunden hatten, bevor sie sich vermutlich nie wieder sehen würden. Egal, wie Hermines Rückreise verlaufen würde. Und doch sprach keiner von ihnen die Themen an, die zwischen ihnen standen. Sie erreichten das Haus, Hermine nutzte die zahlreichen Schlüssel, die Stibbons ihr überreicht hatte, holte einen Zeitumkehrer und zur Sicherheit noch einen zweiten und dann machten sie sich auf den Rückweg.
Hermine musterte Draco von der Seite und versuchte, sich vorzustellen, dass sie vermutlich zum letzten Mal mit ihm sprach. Ein Druck breitete sich bei diesem Gedanken in ihrer Brust aus. Sie hätte nie gedacht, dass sie das mal denken würde, aber sie mochte Draco Malfoy und vielleicht liebte sie ihn sogar. Nicht, dass es eine Rolle spielen würde. Und trotzdem...
Hermine hatte nicht damit gerechnet, sich einmal zu verlieben. Sie hatte eine Beziehung mit Ron geführt und sie hatte eine Beziehung mit Ella geführt. Beide hatten damit geendet, dass sie festgestellt hatte, dass sie sie mochte, vielleicht sogar liebte, aber sich keine Beziehung mit ihnen vorstellen konnte.
Eine romantische Beziehung war nichts, was sie anstrebte, war nichts was sie brauchte. Vielleicht war das der große Unterschied zwischen ihr und Hermine Malfoy. Und sicher, Hermine hatte sie beneidet, darum, so sehr geliebt zu werden. Aber unterm Strich wusste sie, dass sie eine langfristige Beziehung selbst mit diesem Draco nicht glücklich gemacht hätte.
Aber am Ende war es vermutlich das Phänomen, dass man das wollte, was man nicht haben konnte.
Unwillkürlich griff sie nach seiner Hand, einfach, um auszuprobieren, wie es sich anfühlte. Er sah überrascht auf. Aus einem Impuls heraus sagte Hermine:
"Ich liebe dich."
Er blieb stehen und sah sie an. Sie tat es ihm gleich und beeilte sich, ihre Hände zu lösen.
"Es tut mir leid.", ergänzte sie dann. "Ich weiß, dass es keine Rolle spielt. Vielleicht...vielleicht nimmst du es einfach als eine Art Kompliment, dass sich Hermine Granger anscheinend in jedem Universum in dich verliebt hätte."
Er schwieg für einige weitere Sekunden. Dann griff er wieder nach ihrer Hand.
"Und hoffentlich nimmt es meine Frau als ein Kompliment, dass ich es mir in jedem Universum genauso gehen würde.", sagte er dann leise. Hermine hielt überrascht inne, als sie verstand, was er ihr damit sagte. Sie lächelte traurig.
"Dich jetzt zu küssen, würde vermutlich eine Grenze überschreiten, was?", murmelte sie dann. Er nahm seine Hand vorsichtig wieder zu sich.
"Ich befürchte schon.", erklärte er und räusperte sich leise. "Hermine, ich mag dich wirklich sehr. Aber ich bin immer noch verheiratet." Er spielte an seinem Ehering herum und Hermines Finger fuhren zu der Stelle, wo an "ihrer" Hand das Gegenstück gewesen war, bevor sie es abgenommen hatte.
Sie beide setzten sich wieder in Bewegung.
"Du bist ein wirklich vernünftiger Mensch, Draco Malfoy.", sagte Hermine nach einigen Minuten Stille. "Danke, dass du mir das gezeigt hast."
Er lachte leise.
"Gern geschehen.", erwiderte er. "Auch wenn ich nicht wirklich eine Wahl hatte, denkst du nicht? Ich meine, wie hoch ist schon die Chance, dass du das Universum wechselst und wir uns treffen?" Er zuckte mit den Schultern.
"Eins zu 3,85 mal 10 hoch 48.", antwortete Hermine leise. Er sah sie mit offenem Mund an.
"Das hast du berechnet?", fragte er überrascht. Hermine zuckte mit den Schultern und bemühte sich um ein schiefes Lächeln.
"Ich hätte nicht gedacht, dass ich mich je verlieben würde.", gestand sie dann. "Ich wollte wissen, wie unwahrscheinlich das Ereignis war, das mir das Gegenteil bewiesen hat."
Draco starrte sie für einige Sekunden an, dann senkte er den Blick.
"Es tut mir leid.", sagte er leise. "Es tut mir leid, dass ich nicht diese Person für dich sein kann."
Hermine lächelte ihn an und stieß ihn aufmunternd in die Seite.
"Es ist schon ok.", versprach sie. "Ich glaube ohnehin nicht, dass es gehalten hätte. Ich bin nicht für die Liebe gemacht und um ehrlich zu sein ist mein Leben ziemlich großartig ohne sie. Aber während ich hier war, hat es sich wunderbar angefühlt und ich danke dir, dass du mir das gegeben hast."
Wieder liefen sie eine Weile schweigend, bis sie die Straße erreichten, auf der das Haus der Malfoys stand.
"Ich werde dich wirklich vermissen.", gestand Hermine dann leise.
Er blieb erneut stehen, diesmal, um sie in eine feste Umarmung zu ziehen.
"Ich werde dich auch vermissen.", versprach er. Sie gingen wieder los. "Und ich werde nach dir suchen, in ihr. Und vielleicht suchst du auch nach mir? Drüben, meine ich."
Hermine konnte nicht umhin, zu Grinsen.
"Ich glaube nicht, dass das deinem Gegenstück gefallen würde.", prophezeite sie, als er die Tür öffnete und sie ins Haus traten.
"Vielleicht überrascht dich mein Gegenstück ja?", schlug er vor. Hermine zog die Augenbrauen hoch und dachte kurz darüber nach.
"Vielleicht würde er das.", sagte sie dann.
Sie betraten die Küche, sie war leer. Weder Stibbons noch der Kommunikator waren zu sehen, aus dem Wohnzimmer jedoch drang eine aufgeregte Stimme und das vertraute Flirren von Magie lag in der Luft. Leise durchquerten sie die Küche und Hermine öffnete die Tür einen Spaltbreit. Stibbons hüpfte im Raum herum, wie ein kleines Kind und murmelte Zaubersprüche. Die gemütliche Sitzecke war an die Regale herangeschoben worden, sodass in der Mitte des Raumes eine recht große freie Fläche entstand. In der Luft hingen diverse hastig beschriebene Bögen Pergament, die auf Stibbons' Winken um ihn herum flogen, sodass er immer das lesen konnte, was er gerade brauchte.
Zentral erhob sich eine Art Käfig aus beinahe unsichtbaren Fäden von Magie. Darin befand sich der Kommunikator, aus dem der andere Stibbons zu hören war.
Hermine und Draco hörten für einige Minuten zu, während die beiden Stibbonse gleichermaßen das Projekt und ihre Leben diskutierten. Dann beschlossen sie wortlos, sich zurück zu ziehen und zu frühstücken. Es war mittlerweile neun Uhr, sie waren seit über drei Stunden wach und keiner von ihnen hatte bisher etwas gegessen.
"Noch ein letztes Mal verbrannten Toast für dich.", meinte Hermine grinsend, als ihnen der Zauber wie immer misslang. "Ab morgen gibt es wieder gutes Essen." Draco musste lachen.
"Also darauf freue ich mich wirklich, sie wieder in der Küche zu sehen." Er hielt inne und schloss dann kurz die Augen. "Das...das klang jetzt wirklich anders als es gemeint war." Hermine musste lachen. "Ich meine, weil sie immer so viel Spaß hat!", versuchte er, sich noch zu verteidigen, aber es war um Hermine geschehen. "Haha.", grummelte er.
"Ich muss sagen, dass es eine Schande ist, dass ich sie nie treffen werde. Ich wüsste schon gern, was in meinem Leben hätte anders laufen müssen, damit ich kochen kann. Und auch noch mag!"
Draco zuckte mit den Schultern. Sie setzten sich mit dem verbrannten Toast und dem Aufschnitt an den Tisch. Hermine hatte es gewagt, Stibbons zu fragen, ob er auch etwas essen wollte, aber sie war wie vermutet abgewimmelt worden. Er war dabei, Großes zu vollbringen, da konnte man ihn nicht mit etwas so Unwichtigem wie Nahrungsaufnahme belästigen.
"Meinst du, du wirst irgendwann noch einmal herkommen?", fragte Draco, als er sich Marmelade auf sein Brot strich. "In dieses Universum, mit einem kontrollierten Versuch?"
Hermine verzog bedauernd die Mundwinkel.
"Nicht wirklich, nein.", sagte sie und griff nach der Butter. "Ich weiß, dieses ganze Zeug und meine Arbeit wirken so, als wären sie recht nah beieinander, aber es ist tatsächlich ein völlig anderer Zweig der Wissenschaft. Ich habe mein Leben den Zeitreisen gewidmet. Und vielleicht kommt irgendwann jemand daher und widmet seines den Paralleluniversen. Aber das werde nicht ich sein. Und ich glaube nicht wirklich, dass das noch zu unseren Lebzeiten passieren wird."
Draco nickte und gnibbelte an seinem Brot herum.
"Was ist mit der Technologie, die dein Team für euren Rücktausch entwickelt hat?", hakte er dann nach. Hermine seufzte. Verstand er es wirklich nicht?
"Sie ist ein Prototyp. Ein Prototyp, der hoffentlich funktioniert, vielleicht aber auch nicht. Einer, dessen Entwicklung mit Sicherheit nicht genehmigt ist, geschweige denn seine Nutzung. Wir haben keine Ahnung, welche Langzeiteinflüsse meine Anwesenheit hier auf mich und auf unsere Universen hat. Sie könnten zusammenbrechen und es wäre unsere Schuld. Wir können nur hoffen, dass es funktioniert. Und egal wie es ausgeht, wir werden sämtliche hierfür entwickelte Technologie danach zerstören und nie wieder neu bauen, bis irgendwer auftaucht, der das alles ausreichend studiert hat und uns beweisen kann, dass es harmlos ist. Wenn das passiert, solange ich noch am Leben bin, dann verspreche ich dir, dass ich wieder herkommen werde. Aber die Wahrscheinlichkeit, dass es so kommt ist wirklich, wirklich gering."
Sie sah Draco in die Augen, suchte nach Verständnis, nach Akzeptanz. Ihr gefiel das auch nicht. Sie wollte nicht hier eingesperrt sein, aber sie hätte kein Problem damit, gelegentlich hier vorbeizuschneien oder ab und zu mal anzurufen. Aber sie verstand auch, dass das von einem rein wissenschaftlichen Standpunkt aus ein Ding der Unmöglichkeit war. Ihre zwei Universen durften nicht mit einander kommunizieren, es war einfach falsch. Verstand er das auch?
"Die Wahrscheinlichkeit war auch beim letzten Mal wirklich, wirklich gering.", merkte er an. Sie schloss für einen Moment die Augen. Dann nickte sie ergeben.
"Du hast recht.", sagte sie, auch wenn er absolut nicht recht hatte und sie nur nicht weiter diese Diskussion führen wollte. "Wir wissen nicht, was passieren wird. Das wird die Zeit zeigen."
Er lächelte ein schmales Lächeln.
"Ob ich dich nun wiedersehe oder nicht.", meinte er dann und hob seine Tasse ein wenig. "Es war mir ein Privileg, dich kennen zu lernen."
Hermine musste ebenfalls lächeln und erwiderte die Geste, wenn auch nicht ohne ein amüsiertes Blitzen in den Augen.
"Und mir.", erwiderte sie. Sie stießen an und konnten sich beide ein Lachen nicht mehr verkneifen.
Sie frühstückten gemeinsam ein letztes Mal und saßen dann noch eine Weile zusammen und tranken Tee, bis irgendwann die Wohnzimmertür aufschwang und Stibbons ins Zimmer stürmte.
"Wir sind jetzt soweit.", verkündete er. Hermine und Draco tauschten einen Blick, dann leerte Hermine mit einem Zug ihre Tasse und erhob sich.
Schweigend gingen sie hinüber ins Wohnzimmer.
"Ok, also du gehst in den Isolator, dann verschließen wir ihn von außen. Die andere Hermine steht auf der anderen Seite in einem anderen solchen Teil. Dieser Zeitumkehrer ist mit dem anderen verlinkt und wenn wir soweit sind, tauschen sie die Plätze. Dabei nehmen sie, in der Theorie, alles mit, was in der Kammer ist, das heißt, wenn alles gut geht, tauscht ihr die Plätze. Gleichzeitig jagen wir mit dem Tausch aber auch jegliche aktuell existierende Verbindung zwischen unseren Universen in die Luft. Wenn also etwas schief geht, dann haben wir ein Problem, weil wir einander zwischen unendlich vielen Paralleluniversen nie wiederfinden werden. Hofft also einfach, dass ihr nicht irgendwo unterwegs stecken bleibt."
Bis eben war sich Hermine ziemlich sicher gewesen, dass alles gut gehen würde. Sie war nicht naiv, sie war nur...optimistisch. Jetzt nicht mehr so sehr. Der Gedanke, für immer zwischen irgendwelchen Universen festzustecken, gefiel ihr gar nicht. Stibbons sah zwischen ihr und Draco und dem Käfig hin und her.
"Wann immer du bereit bist.", erklärte er dann. Hermine zwang sich ein Lächeln aufs Gesicht und drehte sich zu Draco um.
"Viel Glück.", sagte sie und drückte ihm einen kleinen Kuss auf die Wange. Er lächelte.
"Dir auch."
Hermine trat in den Käfig und Stibbons hob seinen Zauberstab.
"Es war wirklich nett, dich kennen zu lernen, Stibbons.", sagte sie. "Und ich hoffe, du hast noch viel Erfolg mit deiner Forschung."
Er grinste.
"Vielleicht steige ich ja um und erforsche Parallelwelten.", scherzte er. Hermine musste lachen. Nie im Leben würde er die Zeitumkehrer aufgeben und das wussten sie beide.
Mit einem leisen Zischen verschloss sich die Kammer und schlagartig war die Welt dunkel und still. Hermine fragte sich selbst, wieso sie nicht damit gerechnet hatte. Nichts konnte hinein oder hinaus - das schloss wohl Licht und Schall mit ein.
Sie dachte an Hermine Malfoy, die jetzt im Labor in genau derselben Kiste stand, wie sie selbst. Hermine schloss die Augen und lauschte auf das Surren des Zeitumkehrers und das Knacken des Kommunikators.
"Hermine, bist du soweit?", fragte Stibbons' Stimme aus dem Kommunikator. Hermine holte tief Luft.
"Auf meiner Seite ist alles startklar.", gab sie das ok.
"Sehr gut. Bei uns auch. Start in drei, zwei, eins..."
Hermine konnte sich nicht an die Hinreise erinnern, was vermutlich daran lag, dass sie erst von einem Experiment verbrannt worden und im nächsten Moment eine Treppe hinuntergefallen war. Oder vielleicht, weil es gänzlich unspektakulär war. Es rauschte ein bisschen, aber wenn man in einer Kiste ist, in der es dunkel und still ist und dann der eigene Geist in eine andere Kiste transportiert wird, in der es auch dunkel und still ist, dann hat man nicht wirklich eine Möglichkeit, zu erkennen, wie lange man noch in der einen Kiste ist und ab wann schon in der anderen.
Nach einer Zeit, die Hermine absolut nicht einschätzen konnte, vernahm sie wie von weiter Ferne Jubelrufe. Sie fragte sich, ob sie gerade Hermine Malfoys Ankunft vernommen hatte, aber sicher würde sie sich da vermutlich nie sein können.
Dann öffnete sich endlich die Tür und schlagartig wurde der Isolator wieder vollkommen durchsichtig. Hermine blickte in die Gesichter aller ihrer Kollegen und ganz hinten standen sogar Harry, Ginny und Ron.
Erleichterung durchströmte sie, als sie in die strahlenden Gesichter winkte und versuchte, sie alle gleichzeitig anzuschauen.
Endlich war sie zuhause.
Wow, das längste Kapitel dieser Geschichte! Ich hoffe, es hat euch genauso gut gefallen, es zu lesen, wie mir, es zu schreiben und ich hoffe, es ist nicht zu pseudo-physikalisch geworden (Spaß, die Pseudo-Physik ist mit das, was mir an dieser Geschichte am meisten Spaß macht!).
Ich wünsche allen, die es feiern, ein frohes Weihnachtsfest, aber noch keinen guten Rutsch, denn wir hören ja nächste Woche nochmal voneinander - diese Geschichte ist nämlich noch nicht zu Ende und ich wäre echt mal neugierig auf eure Spekulationen, wie es jetzt weitergeht (auch wenn ich mir ziemlich sicher bin, dass es keiner von euch erraten wird).
Fröhliche Feiertage und bis nächste Woche!
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