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"...aber er ist ein Mensch, Ruffy." wiederholt Harry mit Nachdruck.
"Und? Auch der menschliche Körper entwickelt sich weiter und du hast doch gesehen, wie das Verndarengill auf ihn gewirkt hat. Ich finde es nicht so abwegig, dass Annes Kräutergedöns das kann." Leise höre ich Harry seufzen, offenbar verzweifelt darüber, dass Ruffy ihm nicht glaubt, wie 'unmenschlich' die schnelle Heilung meiner Stichwunde ist.
Doch ich selbst versuche möglichst wenig daran zu denken, habe eher den Wunsch, den Juckreiz ignorieren zu können, den die Wundheilung hervorruft, denn der macht mich mittlerweile nahezu wahnsinnig. Der Schmerz war definitiv besser auszuhalten.
Doch die Ablenkung fällt mir leichter, als gedacht, als ich in der Ferne die Maetha entdecke. Harry hat mir zwar versichert, dass es absolut keine Notwendigkeit mehr für diesen Zusammenschluss von Kriegern in den Reihen der Elfen gäbe, da der Umgang mit all den anderen Dörfern und Völkern im Umkreis überaus friedlich sei, doch Skadi, die Wehrführerin, hält es dennoch für sinnvoll, das Training aufrecht zu erhalten.
Und ich liebe es, ihnen dabei zuzuschauen. Bereits beim Frühstück heute morgen habe ich mitbekommen, dass heute das Bogen-Training ansteht und ich muss gestehen, dass es mich wirklich in den Fingern juckt, es ebenfalls auszuprobieren.
Nicht ganz so sehr, wie die Kruste meiner Wunde vielleicht, aber schon sehr doll...
Nur aus Opas Erzählungen kannte ich bisher den Umgang mit Pfeil und Bogen. Denn viele, vor allem arme Menschen griffen damals zu Zeiten des Bürgerkriegs, der Schuld an der Welt ist, wie sie nun ist, zu den Mitteln, die die Natur ihnen bot. Erze wie Eisen waren knapp und ohne Werkzeuge kaum abzubauen, sodass die Not erfinderisch machte. Die Natur, die sich immer mehr die Welt zurückholte, bot hingegen reichlich Material, um daraus Bögen, ebenso wie Pfeile zu fertigen. Doch aufgrund der Flucht und Isolation meines Dorfes ist diese Art des Kampfes irgendwann gänzlich aus meinem Umkreis verschwunden, denn wir gehörten zu den Glücklichen, die reichlich Eisen für Waffen und Werkzeuge besaßen.
Aber wie elegant und gleichzeitig so stark der Umgang der Elfen mit den Bögen aussieht, lässt mich nicht los.
"Hey, Love..." Erschrocken zucke ich zusammen, als Harry mir sanft über den Rücken streicht und mich mit leichtem Schmunzeln und schiefgelegtem Kopf ansieht. "Oh, tschuldigung, hast du-" erst jetzt realisiere ich, dass Ruffy und Trixie verschwunden sind, "...hattest du was gesagt? Sorry..." murmle ich. "Schon gut..." winkt er ab und streicht mir liebevoll lächelnd die Haare aus der Stirn.
"Ich glaube, ich muss dir deine Blumenkrone mal ins Haar flechten, du siehst ja kaum noch was..." kichert er, als er eine der langen Strähnen hinter mein Ohr legt. Doch ich reagiere gar nicht auf seinen Styling-Vorschlag, sondern brabble stattdessen die für mich viel wichtigere Frage heraus.
"Kannst du eigentlich Bogenschießen, Harry?" frage ich aufgeregt und strecke mich erneut in Richtung des freien, unbebauten Feldes. Riesige Heuballen dienen den Schützen als Zielscheibe, doch nicht einer von ihnen verfehlt die, von hier aus so winzig aussehenden, markierten Zielpunkte darauf. Auch Harrys Blick wandert also nun herüber, mich durchfährt eine angenehme Gänsehaut, als ich seine warme, weiche Haut an meinem Rücken spüre.
Da ich in den vergangenen Wochen wieder habe etwas zunehmen können, fühle ich mich mittlerweile weitaus wohler, auch ohne Oberteil herum zu laufen, sodass ich mich heute, vor allem aufgrund der juckenden Naht, auf der ich keinen Stoff ertrage, entschieden habe, ebenfalls kein Shirt zu tragen. Neben Harrys muskulöser Statur fühle ich mich zwar noch immer, wie ein schmächtiges Kind, doch die Art, wie er mich ansieht, schafft es dennoch, dass ich mich wirklich begehrenswert fühle.
"Ja, ich kann Bogenschießen." lässt er mich wissen, "jeder von uns lernt es in der Schule und ich war ebenfalls jahrelang ein Teil der Maetha." Begeistert blinzle ich ihn an. "Du warst mal ein Kämpfer?" hauche ich, muss mir eingestehen, wie wahnsinnig sexy ich diesen Gedanken finde. Offenbar scheint er mir das anzusehen (oder das aufregende Kribbeln in meinem Bauch spüren zu können?), denn er lächelt mich etwas schelmisch an und nickt. "Das erklärt zumindest deine Statur..." murmle ich und wandere mit meinem Blick etwas auffälliger, als mir lieb ist, über seinen definierten Bauch.
"Ich wollte das immer mal ausprobieren." sage ich dann rasch, in der Hoffnung, dass er meinen schneller gewordenen Herzschlag bei diesem Anblick einfach nicht realisiert. Doch stattdessen wird sein Ausdruck bei dieser Aussage etwas nervös, fast ein wenig besorgt. "Oh, das ist-... Mit deiner Wunde wäre das viel zu gefährlich, Love..." flüstert er und, als wolle er seinen Punkt unterstreichen, legt mir vorsichtig die Hand an die Hüfte.
Und schickt dadurch die nächste Runde sich-aufstellende-Härchen über meinen Körper...
"Können wir mal rüber gehen?" frage ich, ohne auf seine Aussage einzugehen und, ebenfalls ungeachtet seiner noch ausstehenden Antwort, greife ich bereits nach seiner Hand, um ihn hinter mir her zu ziehen. Seufzend, als hätte er einen kleinen, wilden Hundewelpen an der Leine, der sowieso tut, was er will, trottet er mir hinterher, scheint eingesehen zu haben, dass ich meinen Willen so oder so durchsetze.
Ich muss zugeben, zu wissen, wie machtlos er gegen mich ist, macht es mir ab und an schon schwer, das in solchen Momenten nicht auszunutzen.
"Oh... hi Harry!" Skeptisch beobachte ich die rosige Farbe, die sich auf Skadis Wangen ausbreitet, als mein Elf neben ihr auftaucht. Als hätte sie nicht nur ihre Aufgabe, sondern genauso die Kriegerin in ihr, die sonst ausnahmslos immer präsent ist, von einer auf die andere Sekunde vergessen, strahlt sie ihn mit glitzernden Augen an. Ich würde es instinktiv nennen, denn ich kann mir nicht wirklich erklären warum, trete ich einen Schritt näher zu ihm und verstärke meinen Griff um seine Hand. Dieses komische, unangenehme Drücken in meiner Speiseröhre hat mich irgendwie dazu gebracht.
Als wolle ich sicher gehen, dass sie ihn mir nicht wegnehmen kann... oder so.
Doch ein Blick zu Harry zeigt mir, dass meine Sorge wohl absolut unbegründet ist. Denn er sieht sie nicht mal an. Nein, stattdessen ist er damit beschäftigt, eine meiner Haarsträhnen um den Blumenkranz zu wickeln, den er mir vorhin nach dem Frühstück unbedingt wieder aufsetzen musste.
Skadi scheint allerdings gar nicht erst auf eine Erwiderung ihrer Begrüßung zu warten, denn sie kommt herüber geflattert und ruft aufgeregt "...wie schön, dich mal wieder beim Training zu sehen, Harry! Ich wusste, du könntest früher oder später nicht widerstehen, uns wieder beizuwohnen." Erst jetzt wendet Harry sich ihr zu, sodass das Lächeln auf ihren hübschen Lippen einfriert. "Du weißt, dass ich meine Entscheidung getroffen habe und auch nicht revidieren werde. Ich kann nicht verantworten, weiterhin das gleiche Risiko einzugehen, wie er. Die Folgen von Vaters Tod sind bis heute spürbar."
Sein Blick wandert zu mir, eine kleine Falte bildet sich zwischen seinen Augenbrauen als er nur flüsternd "Ich habe nun einen Grund, an meinem Leben festzuhalten." hinzufügt. Ein schüchternes Lächeln huscht über mein Gesicht und ich spüre deutlich die Hitze, welche sich ähnlich wie bei der Elfe vor uns vor wenigen Minuten, in meinen Wangen breit macht.
Eine etwas betretene Stille ihrerseits legt sich über uns, bevor sie tief ein und wieder ausatmet und, deutlich unterkühlter, "Warum bist du dann hier?" fragt. Harry löst seinen verträumten Blick von mir und erwidert höflich "Louis ist sehr interessiert am Bogenschießen und wollte daher etwas näher ans Geschehen." Als sei ihr in den vergangenen Minuten meine Präsenz nicht mal aufgefallen, blickt sie mich nun mit erhobener Augenbraue an.
"Interessiert also..." murmelt sie. "Heißt, du beobachtest gern Wesen, die etwas zielführendes tun?" Freundlich lächelnd löse ich mich etwas von Harry, räuspere mich leise und antworte "Durchaus, aber noch viel lieber probiere ich Dinge selbst aus, die mich interessieren." Harry neben mir schnauft auf. "Louis, ich sagte bereits, dass ich es für keine gute Idee halte, den Umgang mit dem Bogen in deinem Zustand auszuprobieren." Sarkastisch lacht Skadi auf. "In seinem Zustand? Du meinst, wegen dem winzigen Nähtchen da in seinem Balch?" Er wirft ihr einen Blick zu, der mehr als deutlich "Halt dich daraus" spricht, doch ich persönlich freue mich sehr über ihren Einwand.
"Du hast keine Erfahrung mit menschlicher Wundheilung Skadi, sie ist nicht vergleichbar mit unserer und-" Sie unterbricht ihn. "Und? Es wird ihn sicherlich nicht direkt zerreißen, einen Bogen zu spannen. Du selbst hast damals übersäht mit Fleischwunden noch 3 Menschen getötet, also stell dich nicht so an. Soll er doch mal zeigen, was in diesen dünnen, menschlichen Ärmchen steckt." fordert sie mich heraus. Und trifft damit, ohne es zu wissen, einen verdammt wunden Punkt.
Ich bin wahnsinnig ehrgeizig und habe schon immer den Wettkampf mit anderen gesucht. So ehrgeizig, dass ich doch tatsächlich komplett überhöre, was sie über Harry gesagt hat.
Gerade als Harry erneut ansetzen will, grätsche ich daher dazwischen. "Nein, Harry, sie hat schon recht. Du sagst selbst, dass meine Wunde überaus gut verheilt ist und sobald ich Schmerzen verspüre, gebe ich Bescheid." Ich greife nach seinen Händen und blicke ihm tief in die Augen. "Versprochen, Hazza." Es ist bloß ein Hauchen und wir wissen beide, dass ich seine Machtlosigkeit gegen mich gerade schamlos ausnutze, doch ich verlasse auf keinen Fall dieses Feld, ohne einen Pfeil in diesem dämlichen Strohhaufen versenkt zu haben.
Und das scheint auch Harry langsam klar zu werden. "Ich spüre jeden Pieks, der deinen Körper durchflutet, Love. Bescheid geben wird nicht nötig sein." spricht er ruhig, legt dann für einige Sekunden seine Lippen auf meine Stirn und murmelt "Lass es mich dir bitte in Ruhe erklären, hörst du? Schritt für Schritt, ich möchte, dass du es so anständig wie möglich erlernst." dagegen.
Ich brumme zustimmend, folge ihm dann auf einen der freien Plätze und beobachte, wie er Bogen und Pfeile genauestens inspiziert. Schmunzelnd dreht er sich dann zu mir um, als ich versuche, ihm auf die Finger zu linsen. "Atme mal tiiiiief durch, Love. Wenn du so hibbelig bist, wird das nichts." Erst jetzt wird mir wieder bewusst, dass er meinen aufgeregten Herzschlag spüren kann, räuspere mich leise und trete artig einen Schritt zurück. Geduldig warte ich ab, bis er seine Analyse beendet hat, erfreue mich vielleicht ein klein wenig zu sehr an dem Anblick seiner tanzenden Rückenmuskulatur, als er den Bogen einige Male zur Probe spannt.
Ich schrecke aus meiner Träumerei hoch, als er sich zu mir dreht und seine Hand nach mir ausstreckt. "Okay, starten wir mit den Grundlagen..." Er lässt seinen Worten Taten folgen, indem er mir den Bogen in die Hand gibt, dann meine Arme und meinen Rumpf ausrichtet.
Er stellt sich dazu so dicht hinter mich, dass mir kurz heiß und kalt gleichzeitig wird und mich ein Gänsehautschauer enormen Maßes überrollt. Seine warme Haut auf meiner zu spüren, diesen lieblichen Duft und das angenehme Gefühl von Schutz durch seine starken Arme um mich, genauso wie seine tiefe, samtige Stimme, die mir ins Ohr flüstert, lässt mich für eine Sekunde die Augen schließen und einfach bloß genießen.
Als ich sie wieder öffne, bin ich allerdings fest entschlossen, ihn stolz zu machen, sodass ich den so entfernt wirkenden Punkt fixiere und mich von Harry führen lasse, bevor wir gemeinsam den Pfeil auf seine Reise schicken. "Für den ersten Versuch mit Hilfe nicht schlecht, immerhin steckt er im Strohballen." höre ich die vor Sarkasmus triefende Stimme der Maetha-Anführerin von links.
Ich spüre deutlich, wie mich das Adrenalin durchflutet, bitte Harry, mir einen weiteren Pfeil zu reichen, welcher mich etwas besorgt mustert. "Entspann dich, Lou, du musst niemandem etwas beweisen, hörst du?" flüstert er, doch ich schüttle den Kopf. "Doch muss ich. Mir selbst."
Ein weiteres Mal schließe ich für einen Moment die Augen, spanne den Bogen gen Boden und öffne sie erst erneut, als ich ihn anhebe. Den tief eingezogenen Atem anhaltend, bilde ich eine Linie von meinem Auge, über Pfeil und Spitze bis zum kleinen, rot leuchtenden Ziel einige Meter entfernt. Als ich der Meinung bin, die imaginäre Linie exakt gefunden zu haben, halte ich sie für eine weitere Sekunde, bevor auch dieser Pfeil mit einem leisen Zischen davon schießt.
Und nur wenige Zentimeter neben der purpurnen Markierung in den getrockneten Halmen im perfekten 90 Grad Winkel stecken bleibt.
Ich lasse die Waffe in meinen Händen sinken, blicke erst zu Skadi, dann zu Harry, welche mich beide gleichermaßen sprachlos ansehen. Während die Sprachlosigkeit im Fall meines Lieblingselfen eher bewundernder Natur zu sein scheint, wirkt die Intention hinter Skadis Ausdruck eher überrascht. Gleichzeitig lässt sich allerdings auch eine gewisse Neugier nicht leugnen.
"Na, ob das wirklich Anfängerglück ist?" lacht zeitgleich einer der anderen Maetha-Kämpfer, an dessen Namen ich mich leider viel besten Willen nicht erinnern kann. "Der Kleine verarscht uns doch, er hat Erfahrung mit Pfeil und Bogen. Niemand könnte beim ersten Versuch so überzeugend abliefern. Und schon mal gar kein Mensch." Anders, als ich erwartet hätte, ist es daraufhin Skadi, die ihn korrigiert.
"Wenn es eine Sache gibt, die ein Maetha wissen sollte, dann ist es, dass man einen Menschen nicht unterschätzen sollte. Niemals." Demütig senkt der Elf den Kopf, während die Kämpfer-Elfe vor mir einen Schritt näher kommt, mir die Hand auf die Schulter legt und mich aufrichtig anblickt.
"Und schon gar nicht, wenn er schon bereit war, sein Leben für einen von uns zu geben."
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