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Mit einem leichten Gänsehautschauer breitet sich das Glücksgefühl aus, das mich leise seufzen lässt, als sich zwischen das weiche Gras zu meinen Füßen allmählich etwas fluffiges Moos mischt, je näher wir Harrys versprochenem Lieblingsort kommen.
"Bist du sicher, dass es noch geht?" durchbricht Harry die aufgekommene Stille, die von aufgeregtem Morgen-Gezwitscher der Babyvögelchen erfüllt wird, die auf ihre Mamas mit der Würmchen-Lieferung warten. "Ja, wirklich, alles gut! Ich habe keine Schmerzen, deine Mama hat mich bestens versorgt, glaub mir." versichere ich ihm, als ich zu ihm rüber blicke. "Außerdem ist der Boden so herrlich fluffig, das geb ich nicht her..." lache ich und hüpfe auf dem leicht federnden Naturteppich unter mir ein paar Schritte voraus. "Lou!" ermahnt er mich. Ich drehe mich um und grinse ihn frech an. "Die Wunde ist kaum 12 Stunden genäht, pass bitte etwas auf, Lov-... L-Louis."
Er wollte mich Love nennen. Nachdem er mich bereits Lou gerufen hat. Und ich erwische mich bei dem Gedanken, dass ich mich eventuell etwas gefreut hätte, wäre ihm der Kosename doch über die Lippen gerutscht.
Er hat mich bereits einmal so genannt, gestern als Anne mich verarztet hat. Ich kann mich an das Ganze zwar lediglich noch schemenhaft erinnern, aber dennoch bin ich mir dessen sicher. Und ja, ich mag es irgendwie, wenn er mich so nennt. Natürlich, er nennt mich von an Anfang an 'mein Herz', aber das hat einen offensichtlichen Grund. Love hingegen ist ein echter, liebevoller Kosename für eine Person, die einem nahe steht, wichtig ist...
Jemand, den man wirklich, aufrichtig gern hat.
"Ist ja guuut..." brumme ich wie ein bockiger Teenager und sehe ihn aus dem Augenwinkel grinsend den Kopf schütteln, als ich dennoch etwas spielerisch über den weichen Waldboden tapse.
Keine 5 Minuten später erreichen wir dann einen Ort, nur unweit vom Dorfkern Erodas, der mir den Atem raubt. Ein wundervoller Duft erfüllt die kleine, fast kreisrunde Fläche die ringsum mit puderrosanen, flauschig wirkenden Kirschbäumen voll hunderter Blüten gesäumt ist. Das Moos zu unseren Füßen ist mit einigen Wildblumen durchzogen, eine Mischung aus Gänseblümchen, Löwenzahn und diversen anderen Blumen, dessen Namen ich mir noch immer nicht merken kann, egal wie oft Johanna sie mir schon gesagt hat, sorgen für einen bunten Teppich aus purem Frühlingsgefühl. Ein provisorisch aus dünnen und dicken Treibholz-Stämmen gebastelter Steg führt wenige Meter ins Wasser, das in seichten Wellen eine Brandung ans Ufer zaubert.
Alles hier ist so absolut überragend schön, dass ich instinktiv nach Harrys Hand greife, um dieses überwältigende Gefühl irgendwie kompensieren zu können. "Fuck, ist das schön hier..." murmle ich vor mich hin, weshalb er ein ermahnendes "Louis..." flüstert. "Hmn?" verwirrt blicke ich ihn an. "Nicht fluchen, das gehört sich nicht." spricht er ruhig.
Lachend erwidere ich "Das nennst du schon fluchen? Ein 'Fuck' gehört in Donny zum guten Umgangston." Er legt den Kopf etwas schief, als er das eine Körbchen abstellt. "Donny?" Wieder wird mir in diesem Moment bewusst, dass er keine Ahnung hat, woher ich komme. "Doncaster, mein Zuhau-" Ich stocke, als ich realisiere, dass es das in vielerlei Hinsicht nicht mehr ist. Nein, stattdessen fühle ich mich mittlerweile tatsächlich hier in Eroda, bei den Elfen nahezu heimisch.
Hier bei Harry...
Ohne es wirklich bewusst wahrgenommen zu haben, ist er und dieser Ort mein Zuhause geworden. Erst jetzt wird mir klar, was für mich gestern Abend absolut selbstverständlich, nach diesem turbulenten Tag, der Ort war, an den ich wollte: In Harrys Baum, neben ihm in seinem Bett.
Ist er tatsächlich mein Zuhause geworden, ohne dass ich es gemerkt habe?
Fragend blickt Harry mich an, als ich für mehrere Sekunden schon den Satz unterbrochen habe und ihn anstarre, als wäre ich eingefroren. "Louis, ist alles in Ordnung?" fragt er besorgt und schaut runter auf mein Herz, das ein paar mal stolpert und anschließend deutlich schneller pocht. Er kommt einen Schritt näher und drückt zaghaft meine Hand, wodurch ich erst wieder realisiere, dass ich seine noch immer halte. Er scheint zu versuchen, zu erörtern, was plötzlich los ist, doch nicht mal ich weiß, was ich gerade fühle, was es für ihn sicherlich nicht leichter macht.
Weitere Sekunden vergehen, bis ich es schaffe, mich von seinen sorgenvollen Augen loszureißen, leise zu räuspern und "Uhm, ich-... Doncaster ist das Dorf, in dem ich großgeworden b-bin..." stammle. Er braucht einen Moment, um seinen nachdenklichen Gesichtsausdruck wieder zu entspannen, mustert mich noch kurz, bevor er langsam zu nicken beginnt. "Ah, okay... Ist es schön dort?" fragt er und zieht langsam seine Hand weg, als ich meine etwas öffne.
Ich mochte es, sie zu halten, aber irgendwie... wurde es langsam komisch, ich weiß auch nicht. Er möchte ja bestimmt auch den anderen Korb abstellen, der an diesem Arm baumelt...
"Uhm..." Ich muss auf seine Frage hin kurz über meine Antwort nachdenken, schmunzle dann leise, als mir die einzig sinnvolle Reaktion daraufhin bewusst wird. "...nein, eigentlich gar nicht." Offensichtlich überrascht sagt er "Oh... okay?"
Ich vermute, er hatte damit gerechnet, dass ich meine Heimat vermisse, doch bis auf meine Großeltern und meine Mutter sehne ich mich tatsächlich nach nichts dort.
Ich zucke mit den Schultern. "Naja, es ist dreckig, überfüllt und karg dort. Sowas wie eine Gemeinschaft gibt es nicht wirklich, es herrscht das Recht des Stärkeren und das Leben besteht eigentlich hauptsächlich aus harter Arbeit und Überleben. Es war mir irgendwie nie so bewusst, wie trostlos das Leben dort ist, bis..." Ich blicke zu ihm auf, "...bis ich hierher kam."
Einer seiner Mundwinkel rutscht etwas nach oben, als er vorsichtig "...das heißt, du bist... also, gerne, oder vielleicht sogar... ich weiß nicht, lieber hier?" Ich muss lächeln, wie holprig ihm seine Frage über die Lippen kommt, nicke allerdings sofort. "Definitiv, das steht außer Frage."
Er presst die Lippen aufeinander und beißt anschließend auf seine untere, geht sich dann nervös durch die Haare, die er zum ersten Mal, seit ich hier bin, komplett offen trägt. Er senkt mit roten Wangen und unversteckbarem Grinsen etwas den Kopf, bevor er sich räuspert und "Wollen wir uns setzen?" krächzt.
Wieder bilde ich mir ein, sein Herz bis hierher aufgeregt bubbern zu spüren, doch ich vermute, das liegt daran, dass ich mir mehr als sicher bin, wie sehr besagter stärkster Muskel in seiner Brust sich über diese Aussage meinerseits freuen muss. Ich bin lieber hier, als in meinem Heimatdorf.
Lieber hier, bei ihm.
Ich stimme ihm also mit einem Brummen zu und will mich auf dem Gras niederlassen, doch merke bei dieser Bewegung leider doch noch plötzlich recht deutlich, dass gestern ein Sperr in meinem Körper steckte.
Bevor ich überhaupt einen Laut von mir geben könnte, spüre ich bereits Harrys stützende Hand, die mich behutsam auf den Boden geleitet. "Danke..." bedanke ich mich aufrichtig und beobachte ihn anschließend dabei, wie er in die Lüfte steigt, rasend schnell einige Äste von den Bäumen am gegenüberliegenden Flussufer einsammelt und uns daraus ein kleines Blätterdach als Sonnenschutz bastelt. Die ganze Zeit über habe ich dabei ein Lächeln auf den Lippen, ich liebe es einfach, ihn beim Herumflattern zu beobachten und all seine raschen, aber dennoch so grazilen Bewegung zu studieren.
"Entschuldige bitte, du hättest ruhig anfangen können zu Essen!" spricht er leise, als er sieht, dass ich auf ihn warte. Noch im Flug überkreuzt er die Beine zu einem Schneidersitz, bevor er sich mit leisem Rascheln auf der Wiese neben mir niederlässt. "Ich wollte aber auf dich warten, weil weißt du, schon vorher anfangen zu essen, das gehört sich nicht." grinse ich. "Das hat dir dein Papa aber gut beigebracht..." lacht er, als er das Deckchen von einem der Körbe nimmt und 3 verkorkte Glasflaschen mit Säften darin hinausholt.
Abschätzig stoße ich Luft aus. "Mein Vater hat mir sowas nicht beigebracht, da musst du dich bei meiner Mutter und meinen Großeltern bedanken..." Ich sehe ihn schwer schlucken, als es ihm sichtlich unangenehm ist, wie ich auf Erwähnung meines Vaters reagiere. "Oh, uhm... okay, t-tut mir leid..." stammelt er.
"Meinem Vater war es immer bloß wichtig, dass ich ein..." Ich schnaube leise auf beim Gedanken an seine Worte, "... ein echter Kerl werde, der eine Familie gründet, die er verteidigen und versorgen kann. Dass ein paarungsbereites Weibchen aber nicht einfach vom Himmel auf meinen Schoß fällt, sondern eine Frau sich Zuneigung und Respekt wünscht - und beides auch verdient -, sowas hat ihn nie interessiert." Nachdenklich blickt er mich von der Seite an. Zittrig atme ich einmal tief ein und wieder aus, bevor ich, nur ganz leise, den nächsten Satz ausspreche.
"...Und dass besagte Weibchen für mich auch nie wirklich interessant waren, wäre ihm vermutlich sowieso nie aufgefallen."
Er braucht einen Moment, bis er realisiert, was ich ihm sagen will - vermutlich, weil es so etwas wie Sexualitäten bei Elfen ja gar nicht gibt -, doch als er zu verstehen scheint, wovon ich rede, gibt er ein leises "Oh..." von sich.
Er fummelt ein paar Sekunden nachdenklich am Saum seiner 3/4-langen, hellblauen Leinenhose herum, hebt dann den Kopf und fragt ruhig, aber offenkundig wirklich interessiert "Das heißt, du findest das männliche Geschlecht generell... etwas ansprechender als das weibliche?" Ich wiege den Kopf etwas hin und her, bis ich ihn letztendlich ganz schüttle. "Nein. Ich finde das weibliche Geschlecht eigentlich überhaupt nicht anziehend, ehrlich gesagt. Ich fühle mich nur zu Männern-... oder Wesen männlichen Geschlechts hingezogen." erkläre ich ihm das Prinzip von Homosexualität.
Es ist so ein komisches, aber gleichzeitig auch befreiendes Gefühl, das jemandem erklären zu wollen, denn einerseits freut es mich immens, wie viel Interesse er tatsächlich daran zeigt, mich persönlich kennen zu lernen.
Darüber hinaus ist es aber ein unfassbarer Befreiungsschlag, vorallem für mich selbst. Ich habe das nie zuvor ausgesprochen, nicht einmal für mich. Nein, nicht mal konkret durchdacht oder mir bewusst darüber Gedanken gemacht, denn es war sowieso sinnlos, mir über meine Sexualität im Klaren zu werden.
Es gab für mich nie eine Chance, diese wirklich auszuleben, also warum über etwas den Kopf zerbrechen, das mich auf Dauer nur unglücklich macht?
Nachdenklich nickend verarbeitet er meine Worte und öffnet parallel auch das zweite Körbchen, in dem ich von saftigem Obst über frisches, duftendes Brot inklusive Butter und Fruchtaufstriche, bis hin zu unterschiedlichen Sorten Käse alles entdecke, was Erodas kulinarisches Angebot zu bieten hat.
"Wow, wer soll denn das alles essen?" kichere ich, als ich mir eine der tiefroten Weintrauben von dem kleinen Mini-Geäst zupfe. "Du hast Mama doch gehört, du musst tüchtig essen!" grinst er und hält mir bereits eine weitere Traube vor die Lippen. Nach kurzem Zögern öffne ich sie einen Spalt breit und lasse ihn mir die Frucht dazwischen schieben, kann meinen Blick nicht von seinen Augen lösen, als seine Fingerspitzen einen kleinen Moment länger als nötig meine Lippen berühren.
Zittrig hole ich erst nach 5 Sekunden wieder Luft, als er seine Augen von meinen löst und stattdessen auf meine Brust blickt. Kaum sichtbar schieben sich seine Augenbrauen ein Stückchen zusammen, bevor er den Blick abwendet und ein paar Blütenblätter von seiner Hose zupft, die bei seiner Sonnenschutz-Bau-Aktion daran kleben geblieben sind.
Einige Sekunden vergehen, in denen nur das Geplätscher und Geschnatter der kleinen Enten-Familie vor uns zu hören ist, bevor er tief einatmet und zu mir rüber blickt. "Sagst du mir bitte, wenn ich irgendwas tue, das dir unangenehm oder zu viel ist?" flüstert er unsicher. Etwas perplex nicke ich und stammle "U-Uhm, ja ich-... aber, alles gut, ich-... mir ist nichts-... ich-" tief atme ich einmal ein und wieder aus, lächle mit rosigen Wangen und wispere "...ich fühle mich gerade wirklich wohl, keine Sorge."
Seine Mundwinkel schieben sich in die Höhe, als er mich leise seufzend ansieht. "Okay, weil-" er stockt, wendet den Blick wieder nach vorn und fügt kleinlaut "Okay, dann ist gut." hinzu. Bevor ich ihn bitten könnte, zu sagen was in seinem Kopf vorgeht, schüttelt er ihn allerdings plötzlich und sieht wieder zu mir auf. "Nein, ich-... weißt du, ich wollte nur sicher gehen, denn ich habe gerade wirklich Schwierigkeiten zu fühlen wie es dir geht, es ist irgendwie alles so durcheinander und verwirrt mich und das-... ich mache mir Sorgen, das irgendwas nicht stimmt, weißt du."
Gerührt blinzle ich ihn an, bevor ich verlegen den Kopf sinke. "Du bist wirklich-... also, es ist wirklich süß, dass du dich sorgst, aber ehrlich gesagt..." ich räuspere mich leise, bevor ich tief einatme und wieder zu ihm aufblicke, "...ich glaube das liegt daran, dass ich selbst kaum weiß, was ich fühlen soll..."
"Oh..." Mit großen Augen sieht er mich an und beißt sich auf die Lippe, weshalb ich kichern muss. Einen Moment ist es ruhig zwischen uns, doch keineswegs unangenehm. Nachdenklich rupft Harry ein paar Blümchen aus der Wiese unter uns, wobei ich ihn eine Weile beobachte und nach kurzer Zeit instinktiv etwas lächeln muss.
Ich mag es noch immer so gern, ihn einfach bloß anzuschauen.
Er reißt mich aus meinen Gedanken, als er plötzlich den Kopf wieder hebt und zu mir rüber blickt. "Das gerade... Das Gefühl kenne ich so nicht, ich kann es überhaupt nicht einordnen aber..." er beginnt zu lächeln, als er einen Moment inne hält, "...ich mag das irgendwie. Das ist... ich weiß nicht, irgendwie kribbelig, also ein angenehmes Kribbeln und gleichzeitig aufregend... aber gut aufregend."
Ich nicke vorsichtig, um ihm zuzustimmen, bevor er flüsternd hinzufügt "Ein bisschen wie in der Kindheit, da war jedes Gefühl noch so pur und rein, irgendwie weniger... kompliziert." Er beginnt etwas zu schmunzeln und verscheucht ein Fliege, die sich auf dem Obst niederlassen wollte, bevor er mir erneut in die Augen sieht.
Und in diesem Moment, als er das Wort Kindheit erwähnt, mir erneut in die Augen sieht und er die gleiche Fliege von eben von der Schmetterlingszeichnung unter seiner Brust streicht, bleibt mir von einer Sekunde auf die andere die Luft weg.
"Oh-... Oh mein Gott."
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