1. Kapitel
Am liebsten hätte ich mich noch einmal umgedreht um noch zehn Minuten weiter zu schlafen, aber der dicke, schwarz weiße Fellball der auf meinem Bauch lag, machte diesen Plan leider zunichte. Sita war der Name meiner sechs Monate alten Katze, die es liebte, es sich während ich schlief, auf meinem Bauch gemütlich zu machen und mir somit meine Bewegungsfreiheit vollkommen weg zu nehmen, weil sie trotz ihres jungen alters in der Lage war, mir ihre Krallen in die Haut zu rammen. Jeden Morgen war es ein halber Kampf auf zu stehen, aber nach vier Monaten mit ihr, hatte ich schon etwas Übung und außerdem ersetzte sie jede Heizung oder Wärmflasche und war einfach süß an zu sehen.
Ich streichelte ihr über den Kopf und sie gähnte daraufhin zufrieden. Ganz langsam und vorsichtig nahm ich die beiden Seiten der Fliesdecke, auf der meine Katze lag und hob sie somit hoch, sodass aufstehen konnte. Sita fauchte einmal kurz und stand auf, als die Decke wieder lag, nur um danach ein paar Mal im Kreis zu gehen und sich dann in haargenau dieselbe Position, an den selben Platz zu setzten, wo sie auch vorher schon saß. Ich schüttelte belustigt den Kopf und zog mir meine Kleidung an, die ich mir am Vorabend schon ausnahmsweise über meinen Schreibtischstuhl gelegt hatte. Dabei fiel mein Blick auf mein aufgeschlagenes Mathebuch, das die Seite mit der analytischen Geometrie zeigte und mich daran erinnerte, dass wir heute eine Matheklausur schrieben, für die ich vermutlich viel zu schlecht vorbereitet war – mal wieder. Mathe aus der 11. Klasse war einfach die blanke Hölle und jeden Tag aufs Neue fragte ich mich, wie dumm ich gewesen sein musste, um diesen Fach als Leistungskurs belegt zu haben.
Mit halb geschlossenen Augen ging ich in meine Küche, auf deren Ordnung ich als Chaot sehr stolz war und öffnete den fast leeren Kühlschrank. Ich musste dringend wieder einkaufen gehen.
Aus irgendeinem Grund hasste ich das Geräusch, wenn Spiegeleier in der Pfanne bruzelten, aber das musste ich jetzt wohl ertragen, denn nichts liebte ich mehr als Spiegeleier. Ich weiß, tolles Lieblingsessen...
Innerhalb von einer Minute hatte ich aufgegessen und mein Wasser ausgetrunken.
Das Bad hätte ich am liebsten gar nicht erst betreten, aber ich musste mich der harten Realität des Spiegels stellen und wie jeden Morgen nahm ich mir vor, früher ins Bett zu gehen. Allerdings hatte ich diese Nacht auch nur eine halbe Stunde geschlafen, sodass es noch schlimmer aussah als sonst.
Mit einem Schwung Wasser ins Gesicht und etwas Concealer ging es jedoch und ich sah
wieder halbwegs ansehlich aus.
Meine Haare waren zum Glück auch noch nicht fettig, weshalb ich mich beruhigt auf den Weg in die Schule machen konnte.
"...und dann hat Simon zu Elisa gemeint, dass sie sehr hübsch wäre, weil sie wieder einen Aufstand gemacht hat, dass sie ja so hässlich wäre, daraufhin ist Fabienne total ausgerastet, weil ihr Freund zu jemand anders gesagt hat, dass sie hübsch sei und dann haben die beiden sich gestritten und vor aller Augen Schluss gemacht, weil Simon meinte, dass Fabienne eine eingebildete Zicke wäre und ich hoffe so so sehr und bete zu Gott, dass dieses Miststück Sara sich jetzt nicht an ihn ran macht, weil ich ihn will. Und was ich will das bekomme ich auch", beendete meine beste Freunde Leana ihren Redeschwall.
"Ähm Leana", begann ich "das ist ja alles schön und gut, aber Fabienne ist deine Freundin, jedenfalls nach deinem letzten Standpunkt, solltest du nicht eher mit ihr trauern, als dich zu freuen?", fragte ich vorsichtig.Sie schaute mich verblüfft an und lachte dann kurz auf. "Ach mein liebes süßes Amy Schätzchen" (ich hasste es, wenn sie mich so nannte) "ich freue mich ja nicht, dass sie Schaden genommen hat, ich sehe halt das Positive an ihrer Trennung" "Aha", meinte ich nur und lies sie weiter reden: "Ich hatte gestern übrigens wieder ein Casting und der Fotograf meinte, dass ich wirklich gut gewesen sei, hach bestimmt wird das dieses Mal was, ich bin ja soooooo aufgeregt..."
Sie redete weiter, aber meine Gedanken wurden von dem Jungen aus meiner Parallelklasse unterbrochen, der mit ein paar seiner Freunde redent den Gang entlang lief. Er hatte die gleichen dunkelblonden Haare wie ich und die gleichen grün grauen Augen, obwohl seine noch etwas blauer waren als meine, außerde, war er einen Kopf größer. Als er an uns vorbei kam, lächelte ich ihn an, aber er ignorierte es und ging ohne eine Reaktion an mich weiter. Mein Lächeln erstarb und meine Mundwinkel senkten sich. Ob das Ignorieren wohl jemals aufhören würde? Ich hoffte es mehr als alles andere.
Ich meine, ich war auch sauer auf meinen Zwillingsbruder, aber ich war wenigstens so vernünftig, dass ich versuchte mich mit ihm zu vertragen, anstatt Kleinkind zu spielen und ihn zu ignorieren.
Dennoch machte es mich jedes Mal traurig, wenn ich ihn sah.
Leana und ich machten uns auf den Weg in die Mensa und ich hörte ihr weiter zu, wie sie sich über ein Mädchen vom Casting aufregte, das mit 53 Kilo bei einer Größe von 1,76 Zentimetern, eigentlich viel zu fett war, um daran teil zu nehmen. Mittlerweile nickte ich fast alles was sie sagte einfach nur noch ab, sie zu etwas Besserem zu beeleren war zwecklos.
In der Mensa trafen wir auf Clara und Jacob, zwei Freunde von uns. Clara war sehr klein und zierlich und hatte rote Haare, Jacob dagegen war etwas kräftiger und hatte olivfarbene Haut und dunkelbraune Haare.
"Hiii", begrüße Leana die beiden und umarmte sie. "Hey", sagte auch ich, wenn auch viel leiser. Clara umarmte mich und wir gingen zu unserem Tisch. Jacob und ich hatten uns noch nie umarmt und wir würden es vermutlich auch nie tun.
"Und, wie war die Mathearbeit?", fragte mich Clara, kurz bevor sie einen großen Bissen von ihrem Hamburger nahm. "Fang bloß nicht damit an", bat ich sie und stüzte mein Gesicht auf meine Hände. "Also meine Mathearbeit war furchtbar", meinte Leana und ich glaubte Tränen in ihren Augen zu entdecken, als ich wieder etwas sehen konnte. "Wisst ihr, meine Noten sind in letzter Zeit doch schon so schlecht geworden und mein Dad meinte, dass wenn ich einen Durchschnitt von 1,0 im Abitur schaffe, dass ich dann ein Pferd kriege" ja, sie hatte Tränen in den Augen. Kurz wechselte ich einen Blick mit Clara, dann lächelte ich Leana aufmunternd zu und sagte: "Das hier war nur eine Arbeit von noch ganz vielen die kommen werden und wir sind auch erst in der elften Klasse. Und schau dir mal mich an: Ich hatte bis jetzt in keiner Matheklausur mehr als 8 Punkte und ich möchte Medizin studieren" Sie wischte sich die Träne aus dem Augenwinkel und stocherte weiter in ihrem Salat herum.
Wir begannen ein Gespräch über irgendwas und zum ersten Mal an diesem Tag konnte ich wirklich lachen.
"Guten Morgen", ertönte hinter mir die Stimme meines Freundes Keith. Eine Sekunde später saß er auch schon neben mir und hatte mir einen Kuss gegeben.
"Na wie geht's?", wollte er wissen und ich antwortete mit einem "alles gut und bei dir?", er bestätigte, dass es ihm gut ging und beteiligte sich an der Konversation, die wir gerade führten.
Leana war fertig mit Essen und wollte aufstehen udn wenn Leana fertig war, dann kam auch Jacob mit. Die beiden verabschiedeten sich und in mir klingelten schon die Alarmglocken, dass ich gleich mit Keith allein sein würde. Er sah vielleicht gut aus, aber er hatte wohl nicht mehr als 3 Gehirnzellen und ich wollte um Gottes Willen nicht mit ihm allein in der Schule sein, wenn ich mich mit ihm unterhalten musste. Als wir vor sechs Monaten zusammen kamen, war es glaube ich mehr das Glück, das sich ein Junge in mich verliebt hatte, dass mich dazu brachte, aber mittlerweile wusste ich es nicht mehr Recht. Ich fühlte mich in seiner Gegenwart zunehmend unwohl, aber ich war noch nie jemand gewesen, der es schaffte sich durch zu setzten und die Tatsache, dass der halbe Jahrgang schon unsere Hochzeit plante, machte es nicht besser. Manchmal wünschte ich mir einfach unsichtbar zu sein. Ich weiß wie komisch das klingt. Aber in gewisser Weise beneidete ich die grauen Mäuse, die man immer nur mit ihrer besten Freundin antraf und die sich einfach nicht ins Schulgeschehen einmischten und denen dadurch auch alles egal sein konnte.
"Was macht ihr am Wochenende?", fragte Keith und bedachte mich dabei mit einem Blick, der mich schaudern lies. "Ähh..meine Schwester kommt mich über das ganze Wochenende besuchen", erfand ich schnell, bevor er irgendetwas vorschlagen konnte. "Ach so... schade", meinte er nur und wir hörten zu, wie Clara uns berichtete, was sie am Wochenende vorhatte. "Ich hole mir mal schnell einen Kaffee, sonst schlafe ich gleich noch ein", sagte ich und stand auf. Weil ich wirklich gleich umzukippen drohte, passte ich nicht auf und rempelte Mike an, einen der Freunde meines Bruders, der gerade von seinem Platz aufstehen wollte, sodass er ein wenig ins Wanken geriet "Oh tut mir leid", sagte ich und wollte schon weiter gehen, aber auf einmal hatte mein Bruder die Sprache wiedergefunden und fragte genervt: "Kannst du nicht aufpassen?" "Kannst du nicht deine Klappe halten?", fauchte ich ihn an. Ich war noch nie wirklich schlagfertig gewesen. "Ist doch alles gut", versuchte Mike unsicher den Streit zu schlichten. "Nein es ist nicht gut. Nur, weil mein Trampel von Schwester nicht aufpassen kann" "Bist du eigentlich vollkommen bescheuert?", wollte ich nun langsam sauer von ihm wissen. "Ich nicht, aber du bestimmt. Ach nein, du bist ja einfach nur eine falsche Schlange!" Langsam wurden auch die Leute in der näheren Umgebung auf unsern Streit aufmerksam und ich wäre am liebsten einfach gegangen. "Was ist eigentlich dein Problem?! Ich habe dir nichts getan, also lass mich einfach in Ruhe!" Ich drehte mich schon zum Gehen um, aber Ben konnte, oder wollte wohl eher, nicht aufhören. "Du weißt genau was du gemacht hast, also tu nicht so unschuldig!" Ich verdrehte die Augen. "1. Konnte ich nichts dafür, also hör auf mir immer die Schuld an allem und erst recht an deinen Fehlern zu geben und 2. solltest du wirklich mal damit aufhören den alten Geschichten nach zu hängen. Werd mal erwachsen!" "Hast du das auch zu ihm gesagt? Es ist deine Schuld! Gib es doch einfach zu, anstatt alles zu verdrängen!" Jetzt hatte ich Tränen in den Augen und ich hätte meinem Bruder am liebsten eine geklatscht. Wenn ich mir vorher noch gewünsht hatte, dass er mich nicht mehr ignorierte, wünschte ich mir jetzt, dass er einfach tot war. Ich atmete ein paar mal ein und aus und überlegte was ich jetzt tun sollte. Da mir nichts besseres einfiel, versuchte ich es mit einer Beleidigung: "Du bist so ein mieses Stück Dreck, ich hoffe, dass du wenigstens das weißt!", jetzt wollte ich aber wirklich gehen, aber Ben konnte ja einfach nicht aufhören: "Lieber ein mieses Stück Dreck, als eine dumme Schlampe sein" Ich drehte mich zurück zu ihm um, ging auf ihn zu und gab ihm eine Ohrfeige, so heftig wie ich nur konnte. Ein Raunen ging durch die Menge, aber ich überhörte es und verließ ohne ein weiteres Wort die Mensa. Wenige Sekunden später war Clara wieder an meiner Seite, aber ich wollte am liebsten nur noch weinen. Er hatte gewonnen. Auch wenn es für die anderen vielleicht nicht so ausgesehen haben mag, hatte mein Bruder trotzdem gewonnen. Und das wusste er auch.
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