Kapitel 6
↠ Lost - Lido feat. Muri (Stwo Remix)
Der Flughafen, zu dem ich nach der Verabschiedung gebracht wurde und von dem aus ich nach Angeles fliegen würde, war riesig. Also wirklich riesig. Mit Sicherheit würde die Stadt, in der ich wohnte, fünf Mal reinpassen.
Ich war völlig aus dem Häuschen und staunte unentwegt. Das war vermutlich auch der Grund, warum ich das letzte Mädchen war, das in das Flugzeug stieg. Die anderen drei warteten schon seit einer Weile auf mich.
Definitiv kein guter erster Eindruck. Verdammt.
Etwas verlegen setzte ich mich auf den Platz neben einem umwerfenden, brünetten Mädchen, auf dessen Nase Sommersprossen tänzelten. Sie lächelte unsicher.
"Endlich, wurde ja auch mal Zeit." schnaubte das Mädchen in dem Sitz vor mir. Ich konnte ihr Gesicht nicht erkennen, doch ihre abgehobene Stimme verriet mir, dass sie eine Zwei sein musste.
"Tut mir Leid..." Nuschelte ich mehr zu mir selbst als zu irgendwem sonst.
"Ist klar." das Mädchen von vorne drehte sich nicht einmal um. "Du warst bestimmt so begeistert von dem Flughafen, dass du dich gar nicht mehr davon losreißen konntest."
So eine Zicke aber auch! Und mit solchen Leuten sollte ich jetzt in einem Haus - oder besser gesagt Palast - wohnen? Das konnte ja ein Spaß werden.
"Mach dir nichts draus." flüsterte das Mädchen neben mir leise und mit so einer liebevollen Stimme, wie ich sie nur von Mum kannte. "Die ist schon die ganze Zeit so drauf."
Ich seufzte leise auf.
"Ich heiße übrigens Olivia." sie lächelte breit und mir fielen ihre geraden, makellosen Zähne auf, von denen vermutlich jeder Zahnarzt träumte.
"Ich bin Mariella. Freut mich dich kennen zulernen."
Vor mir grummelte das blonde Mädchen wieder etwas vor sich hin, doch ich verstand es nicht. Wahrscheinlich war es sogar besser so.
Ein unerwartetes Rütteln ließ mich verkrampfen und ganz aufrecht im bequemen Sessel aufsetzen.
"Was war das?" keuchte ich etwas erschrocken. Olivia neben mir konnte ein leichtes Lachen nicht zurückhalten.
"Wir sind gerade abgehoben. Keine Sorge, das ist immer so." sie strich sich eine Haarsträhne hinters Ohr.
"Oh." flüsterte ich, ließ mich dann aber erleichtert wieder zurück in den Sessel fallen.
"Bist du noch nie zuvor geflogen?"
Ich schüttelte meinen Kopf.
"Oh...naja ich bin auch noch nicht so oft geflogen. Immer nur mal zu Besuch zu Verwandten nach Columbia. Meine Eltern lieben es dort, aber ich finde es mittlerweile einfach nur noch langweilig. Und der Flug dauert gefühlt ewig, das ist auch nicht so toll." überrascht von ihrem eigenen Redeschwall hielt Olivia inne.
"Ich würde gerne mal nach Columbia fliegen. Ich habe gehört dort soll es wunderschöne Seen geben."
"Das stimmt, die Seen sind wirklich unglaublich." pflichtete sie mir bei.
Olivia begann mir von der wunderschönen Landschaft Columbias zu erzählen, von den Bergen und den Wäldern. Ich hörte ihr gerne zu, denn sie vergas kein einziges Detail, sodass ich schon fast das Gefühl hatte, ich wäre selbst schon einmal dort gewesen.
Unser Gespräch dauerte den ganzen Flug über an und wurde nur gelegentlich von dem tiefen Schnarchens des Mädchens vor mir unterbrochen wurde. Olivia stellte sie mir als Chanel d'Amboise vor, eine Zeit und ein in ganz Illéa bekanntes Model. Naja zumindest in dem Teil Illéas, der einen Fernseher besaß. Das andere Mädchen, das neben Chanel und vor Olivia saß, kannten wir beide nicht.
Kurz vor der Landung wackelte das Flugzeug erneut gefährlich und ich konnte ein ängstliches Verkrampfen meines Körpers nicht verhindern. Neben mir konnte Olivia ein leichtes, seichtes Kichern nicht zurückhalten. Ich konnte es ihr nicht verdenken. Ich musste aussehen wie ein richtiger Vollidiot.
Dann ruckelte es noch einmal und ich spürte, wir waren gelandet. Eine Welle der Erleichterung schwappte über mich. Endlich.
Mit etwas zitterigen Knien stieg ich aus der Flugmaschine. Starke, warme Sonnenstrahlen schienen mir ins Gesicht und raubten mir so für einige Sekunden die Sicht.
Olivia fächerte sich mit den Händen Luft zu, während Chanel und das andere Mädchen sich teuer aussehende Sonnenbrillen aufsetzten. Sie sahen umwerfend aus. Schnellstmöglich wand ich meinen Blick von ihnen ab. Einerseits, um nicht selbst neidisch zu werden. Andererseits, damit sie nicht merkten, wie hässlich ich mich neben ihnen fühlte.
Einige Wachen führten uns über den immensen Flugplatz hin zum Terminal. Bis zu diesem Moment hatte ich keinen einzigen Gedanken daran verschwendet, was mich wohl erwarten würde. Ich war einfach davon ausgegangen, dass wir in Ruhe zum Palast gefahren werden würden und dort weitersehen würden.
Aber ich lag falsch. Zumindest was den Teil mit der Ruhe betraf.
Denn gleich in dem Moment in dem wir das Terminal durch die riesigen Glastüren betrafen, sah ich sie. Die Unmengen von Menschen, die auf und ab sprangen, klatschten und uns zujubelten. Immer wieder hörte ich meinen Namen in dem lauten Durcheinander.
Mein Herz begann wild gegen meine Brust zu trommeln und meine Hände begannen zu schwitzen. Und dennoch hatte ich das Gefühl nicht mehr aufhören zu können zu lächeln.
Diese Menschen waren so begeistert von uns. Sie glaubten daran, dass eine von uns ihre zukünftige Königin werden würde. Dabei waren sie noch nicht einmal aus meiner Provinz oder aus meiner Kaste. Sie kannten weder mich noch die anderen drei Mädchen.
Vor uns war ein langer, goldener Teppich ausgelegt, an dessen Seiten Seil Barrieren aufgestellt waren.
Viel zu überfordert von Allem stand ich da und versuchte meine Kinnlade davon abzuhalten, auf den Boden zu sinken. Kurz huschte mein Blick rüber zu Chanel, die fröhlich vor sich hin strahlte und der Menschenmenge zuwinkte. Zögerlich hob ich meine Hand und tat es ihr gleich, nur nicht halb so elegant wie sie.
Während wir über den schönen Teppich gingen, huschte mein Blick immer wieder über die Menge. Ich hatte das Bedürfnis jeden Menschen in dieser Menge mindestens einmal wahrzunehmen, obwohl ich mir ziemlich sicher war, dass es unmöglich war. Doch der Gedanke daran, dass einige Menschen nur wegen mir hier waren und ich sie einfach nicht sah, schien mir viel zu ungerecht.
Mit einem Mal fiel mir ein kleines Mädchen auf. Sie stand ganz vorne, in ihren Augen lag ein verträumter Glanz und auf ihren Lippen ein begeistertes Lächeln. Sie schaute mich direkt an und ich musste einfach stehen bleiben.
Ich hockte mich neben sie.
"Hallo." flüsterte ich und ihr Mund öffnete sich leicht vor Überraschung. Jede Wette sie hatte nicht damit gerechnet aufzufallen. Und das trotz ihrem Platz ganz weit vorne.
"K-kann ich ein Autogr--gramm?" stotterte sie dann leise.
"Natürlich." ein leises Lachen entwischte mir. "Wo soll es hin?"
Einen Moment überlegte sie, dann leuchteten ihre Augen wieder auf.
"Hier." sie holte ein Foto aus der kleinen Umhängetasche, die sie bei sich trug. Es war das Foto von mir, das damals beim Casting gemacht wurde. Dann griff sie nochmal in die Tasche und holte einen schwarzen Stift heraus.
"Dankeschön." ich schrieb meinen Namen so schön wie ich nur konnte und wollte das Bild schon wieder zurückgeben, doch da kam mir ein Gedanke. "Darf ich dich nach deinem Namen fragen?"
"J-julianne."
Ich nickte und fügte die Worte Für die wunderschöne Julianne! auf dem Foto hinzu. Dann hielt ich es dem Mädchen wieder hin.
"Dankeschön." hauchte sie und ich konnte hören wie sie vor Freude nach Luft schnappte.
"Nicht dafür."
"Ich hoffe du gewinnst." ihre Augen trafen wieder meine und für einen kurzen Moment verspürte ich erneut den Wunsch zu gewinnen. Nicht für mich, sondern für Julianne, ein einziges kleines Mädchen, das ich kaum kannte. Aber ihre kindliche Begeisterung und Hoffnung hatte eine so unglaubliche Wirkung auf mich.
Bevor ich etwas antworten konnte, nahm mich ein Wächter am Arm und zischte ein "Wir haben keine Zeit für solche Dinge!" in mein Ohr. "Die anderen sind schon in der Limousine."
Mit einem letzten Blick in Juliannes Richtung folgte ich dem Wächter.
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