Kapitel 7 - In sich gekehrt
PoV Jay
Montag war anstrengend.
Dienstag war gerade so nicht mehr Montag.
Mittwoch war immer noch weit vom Wochenende entfernt.
Donnerstag war schon fast Freitag.
Und Freitag? Freitag ist heute.
Der Freitag, auf den ich seit Sonntagabend wartete. Okay ich sollte damit aufhören...
Wie immer nur noch die fünfte Stunde Religion und dann war ich fertig mit der Woche. Schule war für mich bisher nicht all zu schwierig, wenn man den Punkt außer Acht ließ, dass ich so gut wie keine sozialen Kontakte hier in Köln hatte. Vielleicht war ich auch gerade deswegen so gut... Schließlich gab es niemanden, der mich ablenken könnte oder bei dem es mich interessieren würde, was derjenige über mich dachte.
Die Aufgabe die vor mir lag interessierte mich nicht. Das Einzige, auf das ich mich konzentrierte war der tickende Zeiger der roten Uhr. Noch 5 Minuten. Wie hoch war die Wahrscheinlichkeit, dass ich jetzt noch mal dran genommen wurde. Vermutlich gering. Ich meldete mich generell häufig, wodurch ich nicht das erste Ziel war, wenn irgendjemand wahllos drangenommen wurde. Nochmal ein kurzer unauffälliger Blick auf mein Handy, welches wir im Unterricht eigentlich gar nicht verwenden durften, zeigte mir, dass unsere Wanduhr um 2 Minuten nachging. Dementsprechend versuchte ich, möglichst unauffällig schon mal mein Zeug zusammenzupacken, um dann schnellst möglich von hier verschwinden zu können.
Meine Berechnungen stimmten, ich kam nicht nochmal dran und -auch wenn es vermutlich nicht den besten Eindruck machte- stürmte ich mit dem Klingeln als Erste aus dem Raum. Ich wollte einfach nur noch hier raus. Hier weg. Weg von den Menschen, die nichts mit mir zu tun haben wollten, den Menschen, die mich nicht verstanden.
Diesmal fand ich den Weg deutlich schneller, was verständlicher Weise daran lag, dass ich ihn diesmal schon kannte und mich nicht drei Mal in Straße und Hausnummer irrte. Ja, manchmal war ich doch ziemlich verpeilt... Vor der Haustür angekommen stand ich wieder vor dem selben Problem wie beim letzten Mal, nur, dass diesmal kein Rewi zufälligerweise vorbeikam, um mir die Tür zu öffnen. Dafür aber hatte ich diesmal die Nummer und konnte ihn somit über Whatsapp fragen, auf welche Klingel ich denn drücken sollte. Er hatte es gelesen, aber ich bekam keine Antwort. Stattdessen ertönte bloß das Summen und ich drückte die schwere Eingangstür auf. Irgendwie hatte ich das Gefühl, er verheimlichte mir etwas. Erst hatte er mir nur sehr spärliche Auskunft über seinen Job gegeben und jetzt durfte ich nicht mal seinen Nachnamen erfahren. Wer weiß, vielleicht war er ja doch als Massenmörder und Kidnapper auf Facebook zu finden...
An der Wohnungstür angekommen wurde ich zu aller erst direkt wieder herzlich von dem kleinen Hund begrüßt. Palle lächelte das pummelige Wesen vor mir an: „Er scheint dich wirklich zu mögen."
Ich grinste. Tiere waren in so gut wie jeder Hinsicht einfach besser als Menschen. Sie konnten einem nicht seelisch wehtun und würden niemals dein Vertrauen missbrauchen. Ich hatte Tiere schon immer den Menschen vorgezogen.
***
PoV Palle
Ich wusste noch immer nicht was mich Sonntag geritten hatte, sie nochmal hier her einzuladen.
Aber irgendwie war mir der letzte Freitag in Erinnerung geblieben. Sie brachte diese Abwechslung in meinen Alltag. Und sie war ja auch offensichtlich nett. Wenn auch etwas Eigen. Bestimmt tat es mir gut auch mal ein paar Nicht-Youtube Freunde hier in Köln zu haben. Es war angenehm mal über etwas anderes als Youtube reden zu können.
In den folgenden Wochen fing ich an, schon unterbewusst keine Aufnahmetermine mehr auf Freitag Mittag zu legen. Es wurde fast schon zur Routine für mich, jeden Freitag gegen halb Eins nur noch auf die Whatsapp zu warten, um die Haustür zu öffnen und dann Jay gemeinsam mit Tyson in meiner Wohnung zu begrüßen.
Heute war es irgendwie anders als die letzten beiden Treffen. Jay war irgendwie nicht so lustig drauf wie sonst. Sie war ziemlich schweigsam und ließ mich die meiste Zeit reden. Irgendetwas schien sie zu bedrücken. Vielleicht war es nicht schlau, jemanden total direkt auf so etwas anzusprechen, aber ich tat es dennoch: „Was ist heute los mit dir?" „Was soll mit mir sein?" Ich sah sie bloß mit schief gelegtem Kopf an, wusste, dass -wenn sie es mir erzählen wollte- ich die Frage nicht wiederholen müssen würde. Und ich behielt recht.
„Also, ja... doch. Ich hab zurzeit ein paar Probleme. Aber damit will ich dich jetzt nicht belasten. Die kann ich auch ruhig Zuhause meinen imaginären Goldfischen erzählen." erklärte sie und lächelte schwach über ihren eigenen Witz.
Das war knapp gewesen. Beinahe hätte das zerbrechliche Mädchen ihre glückliche Fassade fallen gelassen.
***
Auch zwei Wochen später behielten wir das Ganze noch immer bei, allerdings mit dem Unterschied, dass wir zusätzlich mittlerweile auch ganz schön viel über Whatsapp schrieben. Es war mittlerweile schon Anfang Dezember. Ich kannte sie jetzt schon einen ganzen Monat. Mag wenig klingen, war es aber nicht, wenn man bedachte, dass ich noch nicht mal ihren richtigen, vollständigen Namen kannte. Aber das würde sich hoffentlich heute ändern. Ich hatte mir nämlich eine ziemlich clevere Strategie ausgedacht, die keinesfalls schief gehen konnte. Gut, so clever war die Strategie eigentlich nicht. Schließlich wollte ich dafür selbst ein ziemliches großes Opfer bringen. Ich hatte vor, im Gegenzug zu verraten, dass ich Youtuber war. Ob das so schlau war, würde ich jetzt mal nicht behaupten, allerdings sah ich irgendwie kein anderes Druckmittel als das. Ich wusste, dass sie das brennend interessierte, sie hatte schon oft versucht in unaufmerksamen Momenten meinerseits in das Aufnahmezimmer zu kommen um irgendwas bewegendes herauszufinden und so viel verändern würde das auch bestimmt nicht. Besonders beitragend zu meinem Entschluss war allerdings der Fakt, dass ich nächste Woche Freitag keine Zeit haben würde, weil ich ins UFO musste und Jay diesbezüglich einfach nicht weiter anlügen wollte.
Ich war gerade dabei ein wenig Tee aufzusetzen, da es draußen mittlerweile wohlgemerkt echt kalt geworden war, als Tyson plötzlich ganz aufgedreht um meine Füße herumwuselte. Was das bedeutete war mir bewusst, noch bevor mein Handy aufbrummte ging ich zur Tür um den Summer zu drücken. Die Wohnungstür war bereits geöffnet als sie mich schlicht mit einem Lächeln und dem üblich glücklichen „Hey" begrüßte. Ich hatte bereits grob verstanden, warum sie zu mehr nicht im Stande war. Also in Form von zur Begrüßung umarmen. Sie hatte sozusagen... Berührungsängste, so hatte sie es zumindest erklärt. Ganz so dramatisch, dass sie Panik bekam, wenn das geschah, war es nicht, aber sie meinte, ihr Kopf hätte einfach Angst davor, mit anderen in Kontakt zu geraten. Bestimmt hing das mit irgendeinem Erlebnis oder einer schlechten Erfahrung zusammen...
Aber es war keine wirklich eindeutige Erklärung gewesen und zu hundert Prozent hatte ich es auch nicht wirklich verstanden, aber ich akzeptierte es und das war wohl das Wichtigste.
Nachdem der Tee dann fertig war setzten wir uns auf die klapprigen (und eigentlich wirklich mal austauschbaren) Küchenstühle. Und ohne groß um den heißen Brei herum zu reden, sprach ich an, was ich mir ausgedacht hatte: „Ich hab 'nen Deal für dich. Ich sag dir, warum so viele PC's in dem kleinen Raum am Ende des Flures stehen" Ich machte eine kleine Kunstpause um sie dabei zu beobachten, wie ihre Augen groß wurden, „und im Gegenzug sagst du mir deinen vollständigen Namen" -und schon war die Freude in den Augen wieder weg.
Sie schien innerlich mit sich zu ringen, abzuwägen ob sie das wirklich in Kauf nehmen sollte und noch bevor ich zu einem weiteren Satz ansetzten konnte unterbrach sie mich kurzentschlossen mit einem: „Jelena Reichert"
„Jelena? Das klingt irgendwie-", ich dachte kurz nach. „Russisch", ergänzte sie mich.
„Wirklich jetzt? Heißt das, du kannst auch russisch sprechen?" „Ähm ja?" „Echt, oha wie cool, sag mal was.", meinte ich stürmisch und bemerkte gar nicht, wie ich sie plötzlich an den Schultern fasste.
Ebenso verwundert über meine Reaktion, wie sie selbst es war, ließ ich sie wieder los, wofür sie mir ziemlich dankbar zu sein schien. Der plötzliche Kontakt hatte sie offensichtlich ziemlich aus der Fassung gebracht...
Als sie sich aus der Schockstarre wieder gelöst hatte, fasste sie auch wieder Worte: „Und... was?"
„Keine Ahnung, irgendwas halt" Sie dachte kurz nach, bis sich ein schelmisches Grinsen auf ihren Lippen ausbreitete und sie mir stolz die Worte: „Pat, ты мой лучший друг" entgegnete.
„Und was heißt das?" „Tja, find's selbst heraus"
„Okay stop, das schreib ich mir auf", erklärte ich und rupfte ein Stück von dem Küchenpapier ab, um mir das Gesagte zu notieren. Plötzlich fing sie lauthals an zu Lachen und fiel dabei fast von dem klapprigen Küchenstuhl. „Was ist denn? Weil ich auf Küchenpapier schreib' oder was?"
„Nein, das sieht einfach so dumm aus wenn man es in lateinischen Buchstaben schreibt"
„Sag jetzt nicht, du kannst auch noch russische Buchstaben schreiben..." „Ähm, -erstmal- sind es nicht russische, sondern kyrillische Buchstaben und nein, ich kann sie lesen, aber nicht schreiben." Immer noch etwas überwältigt legte ich den Stift beiseite und sah sie an. Irgendwie war das grad ziemlich merkwürdig für mich. Also im positiven Sinne merkwürdig. Ich fand diese Sprachen schon immer ziemlich interessant, auch wenn dieser Satz vor mir tatsächlich etwas merkwürdig aussah.
Die spätere Situation mit Peter, die daraufhin ausgelöst wurde, inklusive der Frage, warum ich: „Ti moi lutschi druck" auf ein Stück Küchenpapier schrieb, hätte ich mir durchaus gerne gespart...
„So, aber jetzt zu dir", meinte sie mit einem letzten Blick auf meine kritzelige Schrift, „was versteckst du in dem Raum vor mir?"
„Nun... okay, wie fang ich am Besten an?" „Keine Ahnung?", unterbrach sie mich und erwiderte auf meinen gespielt fiesen Blick für die Unterbrechung bloß ein Grinsen.
„Sagen wir's einfach mal kurz und knapp so: Ich bin Youtuber." Einen Moment lang herrschte Schweigen, bis sie zögerlich entgegnete: „Also... bist du... Arbeitslos?"
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Und, habt ihr's erwartet? Ja gut, habt ihr, weil ihr den Epilog gelesen habt, aber trotzdem :D
Ich glaub, dass war das bisher längste Kapitel, dass ich hier geschrieben hab...
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