Erster Unterricht
Am nächsten Morgen wachte ich ziemlich erschöpft auf. Blödes Rumgeheule! Warum musste ich Ben auch so nachtrauern?
Izzy hatte mich netterweise geweckt und meinen Ausbruch von gestern Abend wohl auch ziemlich gut verkraftet, denn sie quatschte mich wieder voll. Ich nickte einfach und hoffte, dass von mir kein weiterer Beitrag an diesem Gespräch erwartet wurde. Als wir dann angezogen in die Cafeteria gingen, war ich nicht sicher, ob Izzy mir vom Stundenplan oder dem Weltuntergang erzählt hatte. Auf jeden Fall war es zu viel Gerede für den frühen Morgen gewesen.
„Izzy“, unterbrach ich sie schließlich, „Bitte, ich verkrafte so viel Gerede am frühen Morgen nicht, erzähl es mir später, ja?“
Izzy, die sich gerade mir gegenüber an den Cafeteriatisch setzte, blickte mich erstaunt an. „Ich wollte dir nur die Fächer für heute sagen“
Ich nickte ergeben. „Okay, was haben wir jetzt?“
„Verwandlung und dann Sei dein Tier“
Mir blieb das Essen im Hals stecken. Klar, dass schlimmste zuerst.
Auf dem Weg zum Klassenraum war ich ungefähr so schnell wie eine rennende Seekuh. Und nicht halb so motiviert, wenn ich mir meine Klassenkamaradin anblickte, die als Seekuh durch die Verwandlungsarena schwamm.
„Das ist Mara“, bemerkte Finny auf meinen Blick hin.
Ich nickte und setzte mich einfach neben sie an den Tisch.
Finny grinste mich an. „Ich bin schon gespannt, was für ein Tier du bist“
Ich erstarrte, dann meinte ich einfach: „Meine Tiergestalt geht niemanden etwas an."
Finny blickte mich überrascht an. „Du wirst dich aber verwandeln müssen“
Ich zuckte nur mit den Schultern. Farryn würde bestimmt Verständnis für mich haben, schließlich war ich gefährlich.
„Guten Morgen“, begrüßte Farryn uns, als er den Klassenraum betrat, „Heute üben wir die Schnellverwandlung. Aber zuerst würde ich gerne sehen, was unsere Neue kann“
Ich starrte Farryn ungläubig an. Hatte ich mich gestern etwa nicht klar ausgedrückt?
„Ich verwandle mich nie vor anderen“, stellte ich klar.
Farryn blickte nicht einmal von seinem Tablet auf. „Du musst den Unterricht mitmachen, wie alle anderen auch, Ava. Und nein, deine Ausrede, dass du gefährlich bist, nützt dir nichts.“
Ich schloss den halb geöffneten Mund beleidigt wieder. Dann eben nicht!
„Ich verwandle mich trotzdem nicht“, stellte ich auf stur, „Hier gibt es doch auch ein paar Meerestiere, die sich nie verwandeln. Die zwingst du auch nicht“
Farryn sah mich ungläubig an. Ich hörte ein paar der anderen Schüler kichern.
„Du bist hier, um zu lernen, wie du in beiden Welten zurechtkommst“, begann Farryn einen Vortrag.
In dem Moment kam die Rettung in einem etwas verpeilt wirkenden Klassenkameraden. „Sorry das ich zu spät bin und so weiter…“, murmelte er und ließ sich auf einen freien Stuhl fallen, „Hab ich was verpasst?“
„Nur Ava, die sich mit Mr. Gracia streitet“, informierte ihn ein blondes Mädchen mit wilden Locken.
Der Surfertyp hob die Augenbrauen und blickte mich an. Ich zuckte nur die Schultern.
„Chris, dass darf wirklich nicht immer passieren“, schimpfte Farryn nun den Surfertypen aus.
Irgendwie war er bei mir zuhause immer lockerer drauf gewesen.
Dann wandte sich Farryn blöderweise wieder an mich: „Ava, wenn du nicht willst, dass man deine Tiergestalt erkennt, gebe ich dir ein letztes Angebot. Du versuchst eine Teilverwandlung“
Ich nickte und stand auf. Klar, Teilverwandlungen, dass konnte schon nicht so schwer sein.
„Wie mach ich das?“
„Du musst dich auf dein Verwandlungskribbeln konzentrieren. Es soll nur an einer Stelle deines Körpers da sein. Für den Anfang versuch doch mal deinen Arm zu verwandeln“, gab mir Farryn als Anweisungen.
Ich schloss die Augen und stellte mir meine rechte Flosse vor. Groß, auf der Oberseite schwarz und auf der unteren Seite weiß. Ich spürte das Kribbeln. Ich atmete tief durch. Dann öffnete ich vorsichtig die Augen. Es hatte funktioniert! Statt meines rechten Arms hatte ich eine eindrucksvolle Flosse. Ich blickte Farryn stolz durch meine Sonnenbrille an. Ich brauchte in Verwandlung nun wirklich keine Hilfe! Auch Farryn nickte anerkennend und ich durfte mich zurückverwandeln. Erleichtert setzte ich mich als vollständiger Mensch wieder hin. Jetzt würde ich für den Rest der Stunde hoffentlich meine Ruhe haben. Eigentlich war es nur um meinen orangenen Pullover Schade, dem hatte meine Flosse nämlich den rechten Ärmel aufgeschlitzt. Zum Glück trug ich mein Tattoo auf der anderen Seite. Entspannt beobachtete ich die restliche Zeit meine Klassenkameraden und versuchte mir so viele Tiergestalten wie möglich zu merken. Mit einem guten Gefühl im Bauch machte ich mich auf den Weg zur nächsten Blockstunde Sei dein Tier.
„Mrs. Bennett unterrichtet bei uns Sei dein Tier“, erzählte mir Finny auf dem Weg zum Unterricht, „Sie ist erst seit kurzem an der Schule, aber sehr freundlich“
Ich lächelte Finny an. „Das klingt doch gut“
Es freute mich, dass sich zwischen mir und Finny anscheinend eine Freundschaft zu entwickeln begann. Noch wollte ich mir nicht zu viele Hoffnungen machen, doch zumindest war sie nett und solange sie nicht von meiner Tiergestalt erfuhr…
Im Klassenraum angekommen, staunte ich nicht schlecht.
„Hier ist aber auch alles unter Wasser gesetzt“, kommentierte ich das Ganze.
Tische und Stühle des Raumes schienen irgendwie wahllos im Raum zu stehen, aber immerhin alle Richtung Lehrertisch zu zeigen.
„Wir sind halt Seawalker“, antwortete Izzy auf meinen Kommentar.
Ich blickte sie vorsichtig an, doch zum Glück schien sie nicht sauer auf mich zu sein. Die Antwort war wohl einfach freundlich gemeint gewesen. Ich entspannte mich wieder und sah mich nach einem Sitzplatz um.
„Komm, da ist noch frei“, verkündete Izzy und zog mich zu zwei leeren Plätzen. Okay, das Problem hatte sich schnell gelöst. Ich ließ mich auf meinen Platz fallen und genoss es, dass Izzy mich vollquatschte und keine Angst vor mir hatte. Wann hatte ich eigentlich das letzte mal mit einem Seawalker gesprochen, der keine Angst vor mir hatte? In der vierten Klasse ging mir auf, bevor mein damaliger Freund die Schule gewechselt hatte. Ja, auch wenn Ben und sein Schwarm so getan hatten, als hätten sie mich akzeptiert, ein bisschen Angst war wohl immer geblieben…
„Taschentuch?“
Izzy hielt mir einen Stofffetzen unter die Nase. Dankbar nickte ich und wischte mir die Tränen aus den Augen. Ja, meine Tiergestalt hier zu verheimlichen war das Beste, was ich seit langen beschlossen hatte. Und über Ben würde ich auch hinwegkommen, ganz bestimmt!
Zufrieden mit mir und der Welt straffte ich meinen Rücken und lächelte Izzy an.
„Dankeschön“, meinte ich. Izzy strahlte mich an.
„Heute verwandelt sich bitte Ava“, verkündete Mrs. Bennett.
Meine Laune rutschte augenblicklich in den Keller. War das irgendwie abgesprochen?
„Ich verwandle mich nie vor anderen“, erklärte ich und bemühte mich um einen ruhigen Tonfall.
„Das ist aber Schade“, Mrs. Bennett sah wirklich enttäuscht aus, „Dabei wäre das super zum vorzeigen, wir behandeln nämlich heute die H…“
„NEIN!“, brüllte ich und sprang von meinem Stuhl hoch, der klappernd zu Boden fiel, „ICH VERWANDLE MICH NICHT! Und meine Tiergestalt geht auch niemanden etwas an!!“
Mrs. Bennett war bei meinen Worten tatsächlich zusammengezuckt, kurz bereute ich meinen Ausbruch, aber ich konnte mich hier doch schlecht verwandeln!
Mrs. Bennett warf mir einen giftigen Blick zu, dann meinte sie: „Setz dich wieder.“
Ich hob meinen Stuhl hoch und ließ mich mit verschränkten Armen darauf nieder. Warum wollten mich hier auch alle zum Verwandeln bringen?!
„Nun gut, dann eben Ralf. Bitte“, meinte Mrs. Bennett.
Ralf schien weniger Probleme mit dem Verwandeln vor anderen zu haben. Nach ein paar Minuten schwamm bereits ein Riffhai durch den Klassenraum. Ich wäre am liebsten durchgedreht. Klar, als Riffhai hätte ich mit dem Verwandeln auch kein Problem, aber man konnte doch meine Tiergestalt nicht mit diesem harmlosen Hai vergleichen! Das Mrs. Bennett das überhaupt vorschlug!
Ich atmete tief durch, um meinen Puls unter Kontrolle zu kriegen, es fehlte mir noch, dass ich mich hier versehentlich verwandelte. Energisch verbannte ich den Gedanken an meine Tiergestalt aus meinem Kopf und begann mitzuschreiben, was Mrs. Bennett uns diktierte.
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