Langsam schlich Lion durch das dichte Unterholz des großen Laubwaldes. Nur vereinzelt schien der Mond durch die Blätter der  Bäume, die wie Riesen über ihm aufragten und in den Kronen in leisem und melodischen Singsang des Windes zu Tuscheln schienen.
Lion mochte diese Waldstimmung, da sie ihn sehr an sich selbst erinnerte. Er war ruhig. Sehr ruhig.
Beinahe lautlos schob sich der junge Kater an herabgefallenen Ästen und Wurzeln vorbei, die ihm im Weg waren und schnappte sich ohne groß zu zögern eine Maus, die-ohne ihn zu bemerken-nur eine Pfotenlänge an ihm vorbeigesaust war.
Zufrieden schnurrend setzte er sich hin und begann einzelne Stücke aus seiner Beute zu reißen um diese daraufhin genüsslich zu kauen.
Einmal sah er hinauf in die Baumkronen und hörte nur auf das leise Rascheln der Blätter über ihm.
Sein Blick wanderte über die belaubten Äste und er fühlte sich, als würde er in einem großen Bau aus Zweigen und Blättern sitzen.
Hier bin ich sicher, dachte er und verspeiste die Reste seiner Maus.
Ein paar Mal noch leckte er sich über das Maul, bevor er sich erhob und mit einem warmen Gefühl im Bauch weiter trottete.
Blattgrüne bedeutete für ihn nicht nur Geborgenheit, Schutz und genügend Beute, sondern auch viele Schlafmöglichkeiten.
Der Kater sah sich aufmerksam nach Löchern oder Kuhlen im Boden um.
Diese könnte er mit Blättern und Federn auspolstern um sich darin einzukuscheln. Erneut schnurrte er bei dem Gedanken daran und sprang geschickt über einen Baumstamm, der ihm vorher die Sicht versperrt hatte.
Auf der anderen Seite blieb er stehen und kräuselte die Nase bei den vielen verschiedenen Gerüchen, die auf ihn einströmten.
Lion schnaubte überwältigt, als er sah, woran die Geruchsvielfalt lag. Er war auf einer Lichtung angelangt, auf welcher die unterschiedlichsten Formen und Farben von Blumen und Kräutern wuchsen.
Vor Überraschung blieb ihm das Maul kurz offen stehen, doch er schloss es schnell wieder, um die Gerüche, die um ihn herumwehten zu minimieren.
Eigentlich wollte er umkehren und die fröhliche Farbenvielfalt hinter sich lassen, doch er beschloss, ein paar gut- aber nicht zu stark riechende Pflanzen mitzunehmen, um diese dann ebenfalls in sein Nestpolster flechten zu können.
Leicht lächelnd tappte er über die Lichtung und schnupperte an den unterschiedlichsten Blüten, die er für ganz hübsch hielt.
Als er dann jedoch an einem Büschel dunkelrot blühender Blumen ankam, blieb er wie abrupt stehen.
So schöne Blüten hatte er noch nie in seinem gesamten Leben gesehen.
Sein Herz pochte schneller und sein Nackenfell stellte sich leicht auf vor Verwunderung. Mäusedung, was tu ich hier?!, knurrte er in Gedanken, doch er konnte seinen Blick einfach nicht von den Blüten abwenden, bis sein Gedächtnis aus der Blume ein Katzengesicht zu formen schien.
Es war noch schöner als irgendeine Blüte der Staude. Ein leichtes Lächeln der Freude zierte das Gesicht und brachte die warmen Bernsteinaugen noch stärker zur Geltung.
Lion hatte sich verliebt. In eine Blume. Verwirrt taumelte er zurück, riss einfach eine Blüte der Staude ab und preschte den Weg zurück, den er gekommen war.
Das Katzengesicht war bereits wieder verschwunden und schien einfach nur eine Halluzination des Katers gewesen zu sein.
Hoffentlich war die Maus nicht vergiftet, dachte der Kater und sprang über den Baumstamm zurück in das geschützte Waldinnere, wo hoffentlich keine sonderbaren Kätzinnenblüten mehr auf ihn warteten.