Kapitel 25
„Hallo Annithy, kann ich bitte mit Tante Beth sprechen?"
Annithy versuchte nicht die Augen zu verdrehen. Ausgerechnet Carol Lewis musste diesen gemütlichen Abend unterbrechen. „Sie ist nicht da. Soll ich ihr was ausrichten?" Ein kalter Windstoß ließ sie erschaudern und sie schlang ihre Arme um sich.
Es muss etwas Dringendes sein, sonst würde sie bei diesem Wetter nicht aus dem Haus gehen, dachte sie.
Carol schob sich an ihr vorbei ins Haus. Annithy, die Arme immer noch wärmend um sich, gab der Tür mit dem Fuß einen Stubbs, die daraufhin ins Schloss fiel.
Plötzlich weiteten sich Carols Augen und sie schnappte nach Annithys Hand. Annithy wurde speiübel. Warum hatte sie vergessen den Ring auszuziehen? „Annithy Horton seit wann bist du verlobt?", sie rekte ihren Hals, als wolle sie in die Küche spähen oder einen Blick ins Wohnzimmer erhaschen, „Ist er jetzt etwa hier? Weißt du denn gar nicht, dass es sich nicht schickt-"
„Ich bin allein", unterbrach Annithy sie ungehalten und zog energisch ihre Hand zurück.
Carol hob eine Augenbraue. „Seid, wann bist du denn dann verlobt, wenn nicht seit diesem Augenblick? Es kann noch nicht lange sein, sonst hätte Tante Beth es schon ganz Wimbledon erzählt."
„Sie kann nichts erzählen, weil es nichts zu erzählen gibt", Annithy dehnte jedes Wort, „Ich bin nicht verlobt-"
„Aber", unterbrach Carol, „woher kommt dann der Ring? Gehört er etwa Tante Beth? Weiß sie, dass du ihn trägst?"
„Jetzt lass mich doch mal ausreden!" Annithy platzte langsam der Kragen. Was dachte Carol sich nur dabei? „Der Ring gehört mir und nicht Tante Beth oder sonst jemandem. Mein Vater hat ihn mir geschenkt."
Sie konnte sehen, dass Carol ihr nicht glaubte. Sollte sie weiterreden? Carol würde allerlei Tratsch in der Stadt verbreiten. Annithy sah sich in einer Sackgasse.
„Was wolltest du hier jetzt eigentlich", versuchte sie abzulenken.
„Ich wollte Schnittmuster abholen. Hat Tante Beth denn nichts davon erwähnt?"
Jetzt erinnerte Annithy sich wieder und hätte sich am liebsten selbst geohrfeigt. Sie hätte darauf vorbereitet gewesen sein müssen, doch jetzt war alles zu spät.
„Doch, sie hat sie dir rausgesucht. Warte, ich hole sie."
Sie eilte ins Wohnzimmer. Die heiße Schokolade ist sicherlich nicht mehr heiß. Ihre gute Laune war merklich gesunken. Auf der Kommode lagen die Schnittmuster für Carol. Als Annithy danach griff fiel ihr Blick auf ihren Ring. Sie zögerte für einen Moment. Sollte sie ihn abnehmen? Nein. Es war sowieso schon viel zu spät. Carol hatte ihn gesehen und es würde ihr auffallen, wenn sie ihn abnahm. Dann würde Carol nur noch mehr meinen es sei Beths Ring.
„Kannst du sie nicht finden?" Carols eingebildete Stimme hallte aus dem Flur zu ihr herüber.
„Doch, ich habe sie." Schnell lief sie zurück in den Flur.
„Na endlich. Ich will nach Hause. Bei diesem ekelhaften Wetter will ich nicht länger herumfahren."
„Tu dir keinen Zwang an." Annithys Stimme klang Messerscharf.
Carols Augen wurden zu engen Schlitzen. Annithy reichte ihr die Schnittmuster. Abfällig sah Carol auf ihren Finger. „Auf so ein hässliches Ding bist du wohl auch noch stolz, was?"
Ein Stich fuhr durch Annithys Herz. Der Ring war nicht hässlich. Diese Beleidigung hatte sie wohl durch ihre spitze Bemerkung verdient. Schnell schob sie diese verletzten Gedanken beiseite.
„Jetzt sag schon, Annithy. Woher hast du ihn wirklich?"
Annithy öffnete die Tür und schob Carol nach draußen. „Gute Nacht, Carol", sang sie mit Honigsüßer Stimme. Dann schlug sie die Tür vor Carols verärgertem Gesicht zu.
„Es wird dir noch leidtun mich so zu behandelt zu haben, Annithy Horton" drang dessen Stimme noch durch die Tür.
„Das glaub ich dir sogar", murmelte sie und ihr Magen zog sich zusammen.
Sie traute es Carol zu sich an ihr zu rächen. Sie schaute durchs Küchenfenster nach draußen und sah noch Carols Einspänner davonfahren. Dann ging sie ins Wohnzimmer zurück. Die heiße Schokolade war vom Feuer einigermaßen warmgehalten worden. Sie kuschelte sich wieder in ihre Decke ein. Carol Lewis wird mir nicht diesen herrlichen Abend versauen. Und wie um es sich selbst so einmal zu bestätigen schob sie sich eine weitere Gabel mit Kuchen in den Mund, schloss die Augen, stöhnte wohlig und genoss den süßen Geschmack in vollen Zügen. Anschließend streifte sie sich den Ring vom Finger und legte ihn zurück zu den anderen Ringen in die Schachtel. Tante Beth und Onkel Alec brauchen den ja nicht unbedingt zu sehen.
Die Tage vergingen und Ann vergaß den Vorfall. Paar Tage später stand sie, dick in Mantel, Schal und Handschuhe gehüllt, am Strand und starrte aufs Meer hinaus. In ihren Gedanken war sie viel weiter nordöstlich in einer kleinen Stadt, die umgeben war von Wald und in der viele junge Leute, eine alte Dame und zwei Gräber auf ihren Besuch warteten. Sie lächelte. Wie einfach war es dieses Jahr gewesen Tante Beth zu überreden Forstcity während dem Jahreswechsel zu besuchen. Sie war heilfroh nicht wieder zusammen mit Carol diese Nacht verbringen zu müssen. Carol war ihr die ganze Woche über auf dem Campus aus dem Weg gegangen und es störte Ann überhaupt nicht. Im Gegenteil, sie war erleichtert, obwohl sie sich fragte warum Carol das mit einem Mal tat. Doch sie war zu dem Schluss gekommen, dass sie Carol wohl nie verstehen würde.
In diesem Moment hörte sie, wie jemand ihren Namen rief. Es war Jo. Er kam auf sie zu.
„Na, wie geht's, wie stehts?"
„Alles perfekt. Ich gebe mich gerade der Vorfreude auf die Ferien und den Besuch zu Hause hin."
Jo lachte. „Stör ich?"
Annithy sah ihn schief an. „Witzbold. Natürlich nicht."
Eine Weile sagte keiner von ihnen ein Wort. Eine unangenehme Stille herrschte und Ann merkte wie angespannt Jo war. Ein trüber Blick lag in seinen Augen.
„Ist irgendetwas mit dir, Jo? Ist was passiert?"
„Das wollte ich eigentlich dich fragen."
Annithy runzelte die Stirn. „Warum? Bei mir ist alles gut."
Jo straffte die Schultern und räusperte sich. Seine Hände vergrub er tiefer in seinen Hosentaschen. „Stimmt es, dass du nur nach Forstcity gehst, um deinen Verlobten dort zu treffen?"
Diese Frage verschlug Ann die Sprache. „N... Nein. Wie kommst du darauf?"
„Lüg mich nicht an, Ithy."
„Ich lüge dich nicht an, Jo. Ehrlich. Sag: Wie kommst du auf diese absurde Idee?"
Jo schluckte. „Carol Lewis hat es in der Stadt erzählt."
„Und du glaubst ihr?" Annithy schnaubte. Zorn flackerte in ihr auf, Jo zuckte mit den Schultern.
„Jo, wenn ich mich jemals mit irgendjemanden verlobe so bist du einer der ersten, der es erfährt. Versprochen."
Seine Schultern sackten nach unten und seine Erleichterung war ihm ins Gesicht geschrieben. „Ich habe schon gedacht, du vertraust mir nicht mehr."
„Was hat Carol Lewis denn genau erzählt?"
„Sie behauptet steif und fest dich mit einem Verlobungsring gesehen zu haben. Sie sagt sie hätte mit dir gesprochen und gesagt, dass nicht mal deine Tante und dein Onkel etwas davon wissen würden."
Annithy lachte. „Du lieber Himmel. Tja, leider muss ich zugeben, dass sie recht hat."
Jos verwirrter und entsetzter Gesichtsausdruck brachten Ann noch mehr zum Lachen. „Ich weiß was du jetzt sagen willst. Keine Angst ich habe dich nicht angelogen. Du hast mich auch schon mit einem Verlobungsring gesehen und sie hat denselben gesehen, als sie am Samstag Schnittmuster bei uns abholte. Sie war sich sicher, dass ich mich an diesem Abend verlobt habe und dachte sogar mein Verlobter wäre noch im Haus. Ich konnte sie anscheinend nicht vom Gegenteil überzeugen, so sehr ich mich auch bemüht habe."
Jos Mundwinkel bogen sich nach oben. „Du meinst, dass sie den Verlobungsring deiner Mutter gesehen hat?"
Annithy nickte und beide fielen in ein ausgelassenes Lachen.
„Aber warum hattest du den Ring an diesem Abend an deinem Finger?", fragte Jo als er wieder ruhiger wurde.
„Tja", sagte Annithy gedehnt, „Das ist mir etwas unangenehm, aber egal. Ich habe mir an diesem Abend alles angeschaut, was ich von Mutter, Vater und Robi noch so an Erinnerungsstücke habe. Man kann es auch mit einem Rückblick bezeichnen. Es hat gut getan die Erinnerungen, die ich so oft verdränge, um nicht traurig zu werden, wieder aufleben zu lassen."
Jo nickte. „Kann ich mir vorstellen. Und dann ist sie dazwischen geplatzt?"
„Ja, leider. Wir haben uns richtig gestritten. Mir war klar, dass sie so einen Unsinn in der Stadt erzählt." Annithy wurde wütend. „Ich versteh nicht, warum sie mich so hasst. Mit aller Kraft versucht sie mich zu schikanieren und mich bei jedem schlecht zu machen. Ich finde sie langsam richtig abstoßend, Jo."
„Beruhige dich, Ithy. Sie will doch, dass du wütend wirst und Wimbledon für immer verlässt."
„Aber warum?"
„Was weiß ich? Vielleicht ist sie eifersüchtig auf dich oder so. Manchmal feinden sich Mädchen wegen den unnötigsten Sachen an."
Annithy schmunzelte. „Das liegt uns so im Blut glaube ich."
Auf einmal drehte Jo sich um. Er schien etwas gehört zu haben. „Guck mal, dahinten kommen Via, Dorry und Mary."
Annithy drehte sich ebenfalls zu ihnen um. „Die sehen ja ernst aus."
Jetzt begannen die drei so schnell zu gehen, dass sie schon fast liefen.
„Was ist da nur passiert? Sie sehen so erregt aus."
„Ann! Ann!", rief Via schon von weitem. „Stimmt das..."
Annithy drehte sich stöhnend Jo zu. „Daher weht der Wind also", flüsterte sie.
„Pscht", machte Jo.
„Stimmt es", japste Olivia nochmal, als sie vor ihnen zu stehen kam, „Dass du mit einem aus Forstcity verlobt bist und uns nicht davon erzählt hast und ihn jetzt in den Ferien besuchen willst? Ihr seid nach Carol Lewis schon bald ein Jahr lang verlobt. Warum weiß sie das und wir nicht, Ann?"
„Weil es nicht stimmt."
„Was? Wie?"
„Beruhige dich erstmal, Via. Kommt wir gehen zu mir, ich glaube ich werde sonst alles noch mal erklären müssen. Tante Beth muss stinksauer sein, wenn sie davon schon erfahren hat."
„Das hättest du dir vorher überlegen sollen, Ann. Sowas verheimlicht man doch nicht."
Annithy warf Doreen einen bösen Blick zu. „Ich habe doch schon gesagt, dass Carol Lewis lügt. Beeilt euch jetzt, ich will die arme Tante Beth nicht noch länger im ungewissen lassen."
Die Freunde machten sich also auf den Weg zur Farm der Blakes. Und so kam es, dass wenig später alle fünf gleichzeitig in die Küche von Rose Cottage platzten und sich zusammen Tante Beths Standpauke anhören konnten, die sie Ann, trotz der Zuhörer, hielt.
„Annithy Horton, ich bin zutiefst empört und enttäuscht von dir. Wie konntest du nur so ein Geheimnis so lange für dich behalten? Weißt du nicht, dass das schon an lügen grenzt? Du hast mir nicht vertraut. Ich muss erst von anderen Leuten erfahren, dass du verlobt bist. Schäm dich. Ich bin schwer enttäuscht von dir. Du wirst nicht nach Forstcity fahren, hörst du?"
Beschwichtigend legte Ann eine Hand auf die Schulter ihrer Tante. „Beruhige dich, Tantchen. Ich werde gleich alles aufklären. Dave, bitte hol Onkel Alec aus der Scheune. Er soll auch die Wahrheit erfahren. Ich koche uns jetzt einen Tee, damit wir uns alle beruhigen und ihr könnt schon mal alles ins Wohnzimmer gehen."
Alle gehorchten und ein paar Minuten später saßen sie alle im Wohnzimmer, nippten an ihren Teetassen und lauschten Annithys Bericht, was Samstag vorgefallen war. Während ihre Freunde keinen Laut von sich gaben, stöhnte oder seufzte Beth immer wieder oder legte ihre Stirn in Falten.
Als Annithy geendete hatte räusperte sich Olivia. „Tja, Ann, ich fürchte, wir müssen uns bei dir entschuldigen. Wir haben Carol geglaubt und nicht unserer eigenen Freundin. Ich werde nie wieder ein Wort glauben, das aus dem Mund von Carol Lewis kommt, versprochen."
Annithy lächelte. „Schon gut, ich vergebe euch. Ich kann mir vorstellen, wie glaubhaft sie geklungen haben muss."
Erwartungsvoll richteten sich jetzt alle Augen auf Beth Blake. Diese sah sehr verlegen aus. „Tja", sie räusperte sich, „da habe ich wohl überreagiert. Naja, was solls. Jeder kann sich mal irren."
Annithy gab die Hoffnung auf. Die Worte: „Es tut mir leid" und „Entschuldigung", würde sie wohl nie aus dem Mund ihrer Tante hören, aber immerhin hatte diese ihren Fehler eingesehen.
„Zeig uns doch bitte mal die Ringe von denen du gesprochen hast, ja?"
Annithy merkte, dass ihre Tante ihr immer noch nicht glaubte. Carol hat sie schon einmal angelogen und trotzdem vertraut sie ihr mehr als mir. Immer steht Carol zwischen uns.
Sie ging in ihr Zimmer und holte die Schachtel aus ihrem Nachtschränkchen. Darin befanden sich alle drei Ringe und sie beschloss ihnen alle zu zeigen. Nicht dass Carol später noch behauptet, ich sei schon verheiratet oder hätte die Ringe schon besorgt. Zurück im Wohnzimmer setzte sie sich und öffnete das Kästchen.
„Hier ist der Ring den Carol gesehen hat." Sie nahm ihn aus der Schachtel und drehte ihn so, dass alle ihn sehen konnten.
Ihre Tante kam auf sie zu, um den Ring näher zu betrachten. „Ja, das ist der Ring den Ian damals für Kathrin Ford gekauft hatte. Ach, ich weiß noch wie er ihn mir stolz gezeigt hatte. Alle haben sie um diesen Ring beneidet."
Annithy musste lächeln. „Kann ich verstehen."
Ihre Freunde hatten sich um sie gescharrt und betrachteten den Ring ebenfalls. Annithy zeigte ihnen noch die Eheringe und erklärte warum sie diese hatte. Tränen der Rührung stahlen sich in die Augen von Olivia, Mary und Doreen bei dieser Geschichte.
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