Kapitel 21
Herb Preston wurde überall mit offenen Armen begrüßt. Annithy und ihre Freunde luden ihn oft zu Aktivitäten ein und sie hatten eine Mange Spaß zusammen. Was am Bahnhof vorgefallen war wurde schnell vergessen.
Eines Tages, es schüttete wie aus Eimern, musste Annithy dringende Besorgungen in der Stadt machen. Als sie aus dem Gemischtwarenladen in den Regenguss trat erkannte sie Jo und Herb, die über die Straße auf sie zuliefen. In der Ferne grollte ein Donner, als sie zu ihr stießen.
„So ein Mistwetter, was Ithy?" Jo nahm seinen Hut ab und wrang ihn auf der Veranda des Ladens aus.
„Das kannst du laut sagen. Was macht ihr hier in der Stadt?"
„Geheim." Die Zähne von Herb klapperten aufeinander wie eine undichte Tür.
Annithy sah die Beiden mit schrägem Kopf an und legte ein Flehen in ihren Blick. „Kommt schon, erzählt mir was ihr vorhabt. Vielleicht kann ich ja helfen."
Doch Jo schüttelte den Kopf. Annithys Neugier war jetzt entflammt und sie wollte nicht lockerlassen. „Niemand geht bei diesem Wetter freiwillig auf die Straße, also muss es wichtig sein."
„Du wirst uns für verrückt erklären, wenn wir es dir erzählen." Jo grinste sie schief an.
„Jetzt spannt mich nicht länger auf die Folter, Jungs."
Jos grinsen wurde noch breiter. „Du verrätst es aber keinem, klar?"
Annithy verdrehte die Augen. „Klar." Sie umklammerte den Griff ihres Korbes noch fester.
„Also wir machen so eine Art Mutprobe." Die Augen der Jungen funkelten Abenteuerlustig.
„Was für eine Mutprobe?" Annithys Stimme war kaum mehr als ein flüstern. Gleichzeitig wurde ihr unbehaglich zu Mute.
„Bei unruhiger See mit dem Boot rausfahren."
Annithy traute ihren Ohren nicht. Ihr wurde schwindelig. „Seid ihr noch ganz bei Trost?", sprudelte es ihr heraus und Herb verdrehte die Augen. „Ihr könnt doch nicht bei diesem Wetter rausfahren! Das ist Wahnsinn! Es regnet und der Himmel wird immer dunkler. Vielleicht gibt es ein Gewitter oder sogar einen Sturm! Bitte Jungs, fährt nicht raus."
„Ich wusste es", stöhnte Herb, „Wir hätten es ihr nicht erzählen sollen, Jo."
„Oh doch. Das war genau das Richtige. Jemand muss es doch wissen, um euch zu suchen, wenn euch etwas zustoßen sollte." Ihre Kehle schnürte sich zu und es war ihr als drehte sich ihr der Magen um.
„Uns wird nichts geschehen, Ith. Mach dir keine Sorgen. Wir gehen jetzt."
Die Jungen wandten sich zum Gehen, doch Annithy ergriff Jos Arm und sah sie durchdringend an. „Nein! Das lasse ich nicht zu. Das ist absurd! Bitte macht das nicht."
Sie sah in Herbs blaue Augen und ihr kam eine Idee. „Herb, denk doch mal an deine Frau."
Herb stockte. Überlegte. Schien hin und hergerissen zu sein. Dann sagte er entschlossen und ruhig, beinahe sanft: „Hör zu Ann, uns wird nichts geschehen. Wir werden das schaffen. Sobald wir wieder zurück an Land sind kommen wir als erstes zu dir, damit du dir keine Sorgen machen musst."
„Ich mache mir aber Sorgen und zwar jetzt schon. Wenn ihr stirbt-" Die Worte blieben ihr im Halse stecken und eine heiße Träne kullerte über ihr kaltes Gesicht.
Jo löste vorsichtig ihre Finger von seinem Ärmel und drückte dann ihre Hand. „Wir kommen wieder und male die nicht solche Horrorszenarien aus."
Sie drehten sich erneut um und liefen die Stufen hinunter auf die aufgeweichte Straße. In großen Sprüngen setzte Ann ihnen nach. „Bleibt hier, bitte, bitte!"
Doch die Jungen hörten nicht auf ihr flehen und es hatte keinen Sinn ihnen hinterherzulaufen. Annithy starrte ihnen wie betäubt nach während Tränen und Regentropfen ihr Gesicht benetzten. „Oh, Jungs... Bitte kommt zurück", murmelte sie.
Erst als Mrs. Notxas herauskam, um die Waren die auf der Veranda standen herein zu holen löste sie sich aus dieser starre. Sie wünschte der verwundert dreinblickenden Frau noch einen guten Abend und ging zum Wagen. Wie durch einen Nebel stellte sie den Korb auf den Boden des Einspänners, kletterte hinein und lenkte Amber nach Hause.
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Annithy musste eigentlich lernen, aber sie konnte sich nicht konzentrieren. Schon bald waren die Bücher vergessen. Der Regen hatte sich schnell in ein Gewitter verwandelt und dieses sich in einen Sturm. Der Wind pfiff durch alle Fugen des Hauses. Immer nervöser Schritt Annithy von einem Fenster des Wohnzimmers zum anderen, um einen prüfenden Blick auf den Himmel zu werfen.
Ob Jo und Herb noch draußen auf dem Wasser sind? Das wäre lebensgefährlich. Andererseits kann es ihnen egal sein, wie Jungs halt sind. Gott, bitte nicht. Sie dürfen jetzt nicht draußen sein! Es blitzte und es wurde taghell. Oh Herr, das ist so schrecklich. Ich halte das nicht mehr aus.
Betend blieb sie vor dem einen Fenster stehen, doch sie hielt es nicht lange dort aus. Sie eilte zum Nächsten und wieder zurück. Da kam ihre Tante ins Zimmer.
„Annithy was ist los? Du machst mich ganz nervös. Hast du Angst vor dem Sturm?"
Annithy zögerte. Sollte sie das Geheimnis der Jungen ausplaudern? Ja, sie musste. „Nein, aber Jo und Herb wollten mit dem Boot rausfahren."
Ihre Tante blickte sie ungläubig an. „Die beiden sind doch bestimmt zu Hause. Was machst du dich verrückt? Niemand ist jetzt draußen."
„Doch. Ich wollte sie ja aufhalten, aber sie ließen sich nicht aufhalten. Tante Beth, irgendetwas stimmt hier nicht. Das spüre ich."
Da sah sie jemanden aufs Haus zu reiten. „Da kommt jemand."
Sie rannte fast zur Tür. Die Person hatte nicht mal geklopft da riss sie die Tür schon auf. Es war Mr Garden. Als er ins Haus trat schloss Annithy schnell die Tür. „Sind Joseph und Herb hier?" Mr Garden rann nach Atem.
„Nein, Sir. Sollten sie?" Annithy wurde eiskalt. Eine böse Vorahnung ließ einen Schauer über ihren Rücken laufen.
„Sie sind nicht zu Hause und bei ihren anderen Freunden war ich schon."
Annithys innerliche Unruhe stieg. Ihre Verwandten hatten sich zu ihnen gesellt. Annithy musste sprechen, das wusste sie. Schnell erzählte sie den drein von dem Vorhaben der Jungen. Mr. Garden wurde immer blasser. „Wir müssen sie sofort suchen gehen."
Alec schnappte sich seinen Hut und Mantel. Annithy rechnete mit einem starken Protest ihrer Tante doch diese eilte in die Küche.
„Annithy, hilf mir Tee zu kochen. Nein, such lieber Decken. Bring ganz viele her und spann dann den Wagen an. Los."
Annithy holte alle Decken, die sie finden konnte und lief nach draußen in den Stall. Amber fehlte und sie wusste, dass ihr Onkel mit ihr zum Strand geritten sein musste. Schnell spannte sie Freddy und Chaster ein und eilte ins Haus zurück. Ihre Tante füllte gerade den Tee in zwei Kannen. „Zieh dich warm an."
Annithy gehorchte und holte auch ihrer Tante warme Sachen. Sie konnte kaum denken. Nur ein Gedanke spukte durch ihren Kopf: Herb und Jo sind draußen auf dem Meer und Jos Herz ist schwach. Er kann jeden Augenblick sterben und Herb auch. Ihre Gedanken blieben aber nicht stehen, sondern wanderten noch weiter. Warum habe ich sie nicht aufgehalten? Beschütze sie, Gott, bitte, bitte beschütze sie.
Beth hatte die Decken schon unter dem Kutschbock verstaut, damit diese nicht nass wurden. „Beeil dich." Die Stimme ihrer Tante war angespannt.
Kaum hatte Annithy sich gesetzt fuhren sie schon vom Hof. „Müssen wir nicht noch mehr Hilfe holen?" Annithy rutschte auf ihrem Sitz hin und her.
„Nein, Alec und Mr. Garden werden abwechselnd an einem Haus auf ihrem Weg halten und Bescheid sagen. Jeder hat hier in so einem Fall eine Aufgabe. Die einen müssen den Arzt holen, einer noch mehr Hilfe und eine andere Familie muss direkt zum Strand."
„Wie viele kommen an so einem Abend zusammen?"
„Immer die gleichen. Alle die auf dem Weg wohnen, aber auch die die davon gehört haben und neugierig sind. Wir sind immer dabei und der Doktor."
„Weil wir am nächsten zum Strand wohnen?" Annithy schaute konzentriert auf die aufgeweichte Straße.
„Genau."
Der Wagen ruckelte als sie durch ein Schlagloch fuhren. „Weiter Freddy, weiter!" Beth schlug mit den Zügeln um das Pferd anzutreiben.
Annithy kam es vor als würden sie sich keinen Millimeter rühren. Endlich kam der Strand in Sicht. Am Ufer standen Pferde, jemand hatte schon ein kleines Feuer entzündet und im schwachen Licht des Abends sah man zwei kleine Punkte, die sich auf dem Meer bewegten.
„Es sind schon welche rausgefahren." Die Spannung in Beths Gesicht steigerte sich.
„Hast du immer dieselbe Aufgabe?"
„Ja und jetzt sei still, ich muss mich konzentrieren, wenn wir heil unten ankommen wollen." Sie zog ihre Augen zu zwei Schlitzen zusammen und lenkte den Wagen auf dem schlechten Weg die Klippe hinab. Annithy dachte gerade das schlimmste Stück sei geschafft, als der Wagen zur Seite rutschte. Sie kreischte auf und ihre Tante sog hörbar die Luft ein. Freddy warf den Kopf nach hinten. Beth bremste. Annithy klammerte sich am Sitz fest bis ihre Knöchel brannten. „Ruhig Freddy, ganz ruhig. Schön langsam."
Beth sprach beruhigend auf das Tier ein und Annithy flehte innerlich zu Gott, um Bewahrung und Schutz. Endlich standen sie am Strand. Annithy sprang vom Kutschbock. Ihre Tante hob den Sitz und holte die Decken hervor. Mit flinken Bewegungen, bereitete sie ein Lager auf der Ladefläche vor. Annithy half so gut sie konnte. Immer wieder sah sie aufs Meer hinaus. „Das eine Boot hat das andere fast erreicht."
Ihre Tante hob den Kopf und sah angestrengt in die Dunkelheit. „Du hast recht. Es sind Alec und Mr Garden."
„Onkel Alec?" Annithys Kehle schnürte sich vor Angst zu. Hoffentlich stieß ihrem Onkel nichts zu. Da entdeckte sie Doreen, Mary und Olivia mit David am Strand stehen. Sie eilte auf sie zu.
„Woher kommt ihr denn jetzt?"
„Man kam zu uns und hat es erzählt." Doreen umschlang sich mit ihren Armen. „Armer Jo. Armer Herb. Ich wäre jetzt nicht gern da auf dem Wasser."
Mary schmiegte sich an Olivia. „Ich auch nicht. Dein Onkel ist rausgefahren, Ann."
„Ich weiß."
„Gebe Gott das alles gut geht."
Ja Herr, bitte, beschütze sie.
„Ich glaube sie haben sie erreicht." Olivia reckte ihren Hals um eine bessere Sicht zu haben.
„Ja, sie ziehen einen von ihnen schon ins Boot." David klang erleichtert, „Hoffentlich macht Jos Herz mit."
„Werden sie das andere Boot auch mitnehmen?", fragte Annithy. Sie wollte nicht daran denken, dass man nur Jos Körper, aber ihn selbst nicht retten könnte. Ihr ganzer Körper war angespannt und sie wagte kaum zu atmen während die eine Person ins sichere Boot gezerrt wurde. Hoffentlich kippten sie nicht um!
„Nein", antwortete David, „Jede Minute die sie da auf dem Wasser sind ist Lebensgefährlich."
Annithy konnte in der Dunkelheit erkennen, wie ihr Onkel und Mr Garden sich zu der Person runterbeugten. „Sie decken ihn bestimmt zu. Er hat sich gar nicht bewegt."
„Vielleicht ist er nur bewusstlos." David schien die Angst aus Annithys Stimme herausgehört zu haben.
„Weil er zu viel Wasser geschluckt hat?"
David nickte. „Und weil das Wasser eiskalt ist. Vielleicht hat er sich auch gestoßen."
Die zweite Person kletterte fast allein ins andere Boot und Annithy sah, wie sie von Mr Garden umarmt wurde.
„Der am Boden liegt, ist Herb und Jo ist wach." Sie war erleichtert. Jo lebte. Jedenfalls bis jetzt.
„Jetzt müssen sie nur noch heil zurückkommen." Marys Blick war erfüllt von Furcht.
Doreen nickte und klang zuversichtlich als sie sagte: „Sie kommen sicher an. Wir beten einfach dafür."
Die nächsten Minuten starren sie schweigend auf das Boot, dass sich langsam näherte. Annithy wusste, das ihre Freunde ebenfalls in Gedanken zu Gott um Bewahrung schrien. Plötzlich sah Annithy eine Haushohe Welle sich im Wasser aufbäumen. Sie schluckte gegen den Kloß in ihrem Hals. Sie streckte den Finger und zeigte auf das Ungeheuer das da auf den Strand und das Boot zurollte.
Olivia riss ihre Augen auf. „Oh Gott, nein! Das werden sie nie überleben."
Die anderen umstehenden hatten die Welle ebenfalls gesehen. Ein Raunen ging durch die Menge, dann begann einer zu beten und viele folgten seinem Beispiel. „Allmächtiger Gott, du kannst diese Welle einfach wegnehmen. Bitte, mach dass sie alle lebend wiederkommen. Bitte Herr." So betete Annithy, während das Ungeheuer von einer Welle immer näher an das Boot kam. Annithy griff nach Marys Hand und drückte sie fest. Und dann geschah das unglaubliche: Die Welle bog sich nicht über dem Boot und verschlang es, nein, sie hob es an bis zu ihrer Krone und setzte es sachte, nahe am Ufer, wieder ab.
Ein Schaudern lief über Annithys Rücken. „Gott sei Dank." Erleichtert atmete sie aus. Von überall waren nun erleichterte „Gott sei Dank" Ausrufe zu hören.
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