Kapitel 2
Als Annithy vom Picknick nach Hause kam und ihrem Vater im Laden vorfand teilte dieser ihr mit: „Ich habe den Brief an deine Tante gerade zur Post gebracht. Ich schätze Ende der Woche werden wir eine Antwort von ihr haben."
Annithy nickte. Bei dem Gedanken daran Forstcity zu verlassen zog sich ihr Magen zusammen. „Kann ich nicht doch hierbleiben, Vater? Es würde mir so viel Spaß machen hier zu arbeiten. Ich kann mit Verantwortung umgehen, ehrlich. Das ist doch mein zu Hause."
Ian kam um den Tresen herum, legte seine Hände auf ihre Schultern und sah ihr in die Augen. „Hör mal zu, Ann. Ich bin mir sicher, dass du das Schaffen könntest. Du bist alt genug und Verantwortungsbewusst, aber ich möchte mir sicher sein, dass du in guten Händen bist, wenn ich gehe."
Annithy konnte seinem Blick nicht mehr standhalten und schaute zu Boden. „Miss Appelby ist doch noch da."
„Aber nicht abends. Du wirst es gut haben bei Tante Beth und viel bei ihr lernen was Miss Appelby dir noch nicht beibringen konnte. Außerdem hat sich die gute Miss Appelby Urlaub verdient."
Annithy hob wieder ihren Kopf. „Du weißt das sie gerne bei uns arbeitet Vater. Ihren Urlaub kann sie ja haben, nur lass mich hier."
Statt zu antworten zog ihr Vater sie an sich. „Beth wird mir den Kopf abreißen, wenn sie erfährt das ich an die Front gezogen bin und dich hier allein gelassen habe."
„Aber ich wäre doch nicht allein!" Mit einem Ruck löste Ann sich von ihrem Vater.
„Das ist die beste Lösung. Versteh das doch, Anni. Du wirst dich daran gewöhnen und außerdem kannst du in den Ferien wiederkommen."
Annithy seufzte. Es hatte keinen Zweck es zu versuchen ihren Vater weiterzubearbeiten. Enttäuscht zog sie sich in ihr Zimmer zurück.
Der Tag von Ians Abreise kam immer näher. Seine Schwester hatte sich inzwischen gemeldet und sich dazu bereiterklärt Annithy bei sich aufzunehmen. Nun war sie dabei alles für ihren Umzug vorzubereiten und Miss Appelby half ihr dabei. Ein besonders schlimmer Tag war für Annithy als die Uniform ihres Vaters ankam. Als er sie anprobierte war sie schnell aus dem Zimmer gelaufen, weil sie den Anblick nicht hatte ertragen können.
Als sie am Abend, bevor sie beide ihr zu Hause verlassen würden, gegessen hatten schlug ihr Vater vor: „Komm Anni, wir machen einen Verdauungsspaziergang." Er erhob sich von seinem Stuhl.
„Gerne, ich hole mir nur schnell ein Umschlagtuch. Es ist etwas kalt." Sie legte sich ein Umschlagtuch um die Schultern und folgte dann ihren Vater in die Wälder, die sie umgaben.
Sie folgten einem schmalen Weg der sich leicht einen sanften Hügel hinaufwand. Es dämmerte bereits und eine angenehme Stille erfüllte die Luft, die von einer Nachtigall unterbrochen wurde, die in der Ferne ihr Lied sang. In der Nähe flog eine Eule von Baum zu Baum und ließ ihr tragisches Rufen hören. Ein frischer, aber leichter Wind blies. Annithy schlang das Schultertuch enger um sich.
Ian atmete tief durch und sah sich um. „Ich werde diese Wälder vermissen. Diese reine Luft. Bald werde ich nur noch den Tod riechen."
Ein Schauer rieselte Annithy über den Rücken. Sie nahm die Hand ihres Vaters in die Ihrige und so gingen sie eine Weile schweigend nebeneinander her. Schließlich brach Anni die Stille mit den Worten: „Du wirst diese Wälder wiedersehen Vater. Und ich auch, ja?" Die Vorstellung, dass es nicht so wäre war viel zu schrecklich, um sie auch nur in Erwägung zu ziehen.
„Ich wünschte ich könnte es dir versprechen Anni, aber ich kann nicht."
„Ich weiß, Vati. Eines kannst du mir aber versprechen." Sie hielt inne. Sollte sie diese Angst ihm Anvertrauen? Sie zögerte erst, aber sie wusste, dass sie es tun musste. „Ich habe Angst, dass wenn du zurückkommst", sie räusperte sich und begann noch mal von vorne. Sie spürte seinen Blick auf sich, doch sie konnte nicht zu ihm schauen. Ihr Blick hing am Horizont, als hinge ihr Leben davon ab. „Der Krieg ist so schrecklich und in einem Buch habe ich gelesen wie die Männer verbittert nach Hause kamen und ihren Familien so das Leben schwer gemacht haben. Auch Männer die mal an Gott glaubten, Vater. Der Krieg hat sie alle verändert."
„Ich weiß. Der Krieg wird dich und mich verändern, aber nicht verbittern, wenn wir dagegen ankämpfen."
Jetzt wagte Annithy es ihm einen fragenden Blick zuzuwerfen. „Mich? Aber ich geh doch gar nicht in die Front."
„Ich aber. Du könntest wütend auf Gott werden, weil er dir deinen Bruder und deine Eltern genommen hat und du ganz woanders Leben musst als du es willst."
Sie sah in seine hellen Eisblauen Augen. Sorge spiegelte sich darin wider. „Vater, ich werde nicht wütend sein auf Gott. Versprochen. Versprich du mir, dass der Krieg dich nicht verändert."
Er drückte liebevoll ihre Hand. „Ich verspreche es. Nur weiß ich das du dein Versprechen nicht halten kannst."
Überrascht blieb Annithy stehen. „Warum sagst du so etwas?"
„Weil ich es weiß. Es wird nicht lange dauern und du wirst Gott Fragen: Warum musste Vater in den Krieg? Du darfst aber nicht nach dem 'Warum' fragen, sondern nach dem 'Was'."
„Was? Warum 'Was'?"
Ihr Vater lächelte. „'Was soll ich tun? ', musst du fragen."
Annithy erwiderte sein Lächeln. „Ich werde es mir merken."
Vater wurde wieder ernst. „Noch etwas: Ich denke Mutter und Robert sind gestorben, damit sie den Krieg nicht miterleben müssen. Beide hätten es nicht ertragen, wenn ich sie verlassen würde."
Das leuchtete Anni ein, doch gleichzeitig stieg unbändige Wut und Verzweiflung in ihr auf. „Und was ist mit mir", entgegnete sie heftig. „Ich kann es also ertragen von dir getrennt zu werden, ja? Nein kann ich nicht. Das werde ich nie." Tränen schossen in ihre Augen. Ihr Vater ignorierte die Bitterkeit in ihrer Stimme schlicht.
„Gott wird dir aber helfen dein Kreuz zu tragen."
Annithy lag in ihrem Bett und starrte an die Decke, die sie im Dunkeln nicht sehen konnte. Mit ihren Fingern trommelte sie auf ihrem Bauch. Frag nach dem 'Was'. Hatte ihr Vater ihr gesagt. Herr, was soll ich tun? Was soll ich tun, wenn Vater weg geht und vielleicht niemals wiederkommt? Es klopfte an der Tür.
„Herein", rief Annithy.
Ihr Vater kam mit einer Petroleumlampe in der Hand herein. In der anderen Hand trug er etwas in Seide gewickelt.
„Ich möchte dir etwas geben. Es gehörte deiner Mutter. Ich habe es ihr mal geschenkt, aber ich bin scher das sie wollen würde das du es jetzt bekommst." Er wickelte die Seide um den Gegenstand die sie verbarg ab und das Licht der Lampe fiel auf ein glattes Holzscheit. Er reichte es ihr. In ordentlichen Buchstaben war etwas hineingeritzt. Annithy las die Worte:
Auch wenn Berge weichen und Hügel beben, wird meine Gnade nicht von dir weichen, und der Bund meines Friedens wird nicht hinfallen, spricht der Herr. (Jesaja 54,10)
Tränen stiegen Annithy in die Augen. „Was für ein schöner Vers. Danke Vater." Sie umarmte ihn. Dann stellte sie es auf ihr Nachtschränkchen.
Ihr Vater räusperte sich und steckte die Hand in seine Hosentasche. „Deine Mutter hat dir vor ihrem Tod noch einen Brief geschrieben. Ich sollte ihn dir geben, wenn du alt genug bist, um das alles ein bisschen besser zu verstehen. Er ist hier drin." Er zog eine kleine Schachtel aus seiner Hosentasche und reichte sie ihr. „Auch das Andere in der Schachtel gehört dir. Ich schenke es dir. Ich werde jetzt zu Bett gehen. Bleib nicht zu lange wach." Er küsste sie auf die Stirn und ging. Die Lampe ließ er bei ihr.
Annithys Herz begann aufgeregt zu rasen. Langsam öffnete sie die Schachtel. Tränen flossen ihre Wangen hinab, als sie erkannte was ihr Vater ihr da gerade geschenkt hatte. Der Verlobungsring ihrer Mutter lag auf einem kleinen Samtkissen. Ein kleiner Zettel steckte dahinter. Mit zitternden Fingern entfaltete Annithy das Blatt. Eine saubere, ordentliche Handschrift kam zum Vorschein. Man konnte sehen das die Schreiberin dieses Briefes sehr schwach gewesen war.
Meine Liebste Tochter,
ich weiß nicht wann du das hier Lesen wirst, aber wenn du das tust bin ich bei Gott. Fühl dich nicht für meinen Tod verantwortlich. Du bist nicht schuld. Sei nicht traurig, dass ich Bob in die Ewigkeit folge. Ich wünschte ich könnte bei dir sein, weil ich weiß wie sehr du mich brauchst. Ich bin sicher, dass du in Miss Appelby eine gute Ratgeberin haben wirst. Wenn du dich verlassen und allein fühlst dann lies Jesaja 54, 10. Das ist mein Lieblingsvers. Wenn ich tot bin werde ich von oben immer auf dich und Vater aufpassen. Ich freue mich unseren Robi, aber vor allem Jesus zu sehen.
In Liebe, Mutter
Annithy faltete den Brief, legte ihn in die Schachtel zurück und vergrub das Gesicht in den Händen. Woher hatte ihre Mutter gewusst wie verlassen sie sich manchmal fühlte? Und jetzt sollte Vater auch noch gehen. In den letzten Jahren hatte sie sich so oft nach ihrer Mutter gesehnt.
„Mutter, oh Mutter", schluchzte sie, „Warum konntest du nicht bei mir bleiben?"
Frag nicht nach dem Warum. Frag Was, mahnte sie eine innere Stimme.
„Ach Herr, was soll ich nur ohne meine Eltern tun? Sag mir: Was soll ich tun? Ich weiß es nicht."
Sie schaute auf das blanke Holzstück, welches ihr Vater ihr gegeben hatte. Der Lieblingsvers ihrer Mutter. Zweimal war er ihr heute Abend begegnet. Ob ihr Vater dieses Holzscheit einst Mutter geschenkt hatte? Mutter. Der Schmerz warf sie beinah um. Noch einmal las sie den Vers und dann glitt sie auf die Knie.
„Herr, mein Glaube ist so schwach und klein. Du weißt wie oft ich mich alleine fühle aber du bist bei mir mit deinem Frieden. Immer, auch wenn alles um mich wankt und bricht und stirbt. Dann bist du trotzdem immer da. Danke. Hilf mir das niemals zu vergessen. Amen."
Sie erhob sich und kletterte zurück in ihr Bett.
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