76. Kapitel
Seit unserem Gespräch sah ich Sana nur noch selten. Am nächsten Tag kam sie, wie sie angekündigt hatte, kurz vorbei, um ein paar Klamotten zu holen. Hansung, bei dem sie sich einquartiert hatte, versorgte mich ab und zu mit Informationen. Er sagte mir, dass es Sana gut ging und dass sie wohl bald zurückkommen würde. Er selbst hatte sich mittlerweile an die Situation gewöhnt.
"Ich wollte sowieso immer mal wissen, wie es ist, mit ihr zusammen zu wohnen.", hatte er einmal am Telefon gesagt.
"Jetzt weiß ich es. Es ist in Ordnung, aber es kann schon anstrengend sein."
Hansung hatte immer mehr Spät- und Nachtschichten, meistens verbrachte er dann den ganzen Tag im Bett. Er stand auf, wenn Sana ins Bett ging und er ging schlafen, wenn Sana gerade wach wurde. Das war nicht gerade ein Leben, dass man als entspannt bezeichnen würde.
Ich verbrachte die meiste Zeit bei Yoongi. Meine eigenen vier Wände waren mir zuwider geworden. Dort hingen einfach zu viele Erinnerungen an Sana in der Luft. Auch wenn wir uns so gut wie vertragen hatten, war es komisch plötzlich allein zu leben.
Auch jetzt war ich wieder bei Yoongi und saß mit ihm im Gemeinschaftsraum. Bei Big Hit wussten immer noch nur Jin, Jungkook, Tae und Suji Bescheid, aber Yoongi und ich verheimlichten meine Anwesenheit mittlerweile nicht mehr, auch wenn Yoongi die meiste Zeit über arbeiten musste, wenn ich da war. Für uns war es die einzige Möglichkeit uns überhaupt zu sehen. Den Blicken nach zu urteilen mussten Hoseok, Namjoon und Jimin auch etwas ahnen. Es war nur noch eine Frage der Zeit, wann wir es offiziell machten. Yoongi saß an dem großen Schreibtisch im Raum und klickte sich durchs Internet. Ich saß auf der Couch und ließ die Beine über der Armlehne baumeln.
"Und du musst wirklich heute online gehen?", stellte ich die Frage erneut und Yoongi nickte schulterzuckend.
"Das neue Album ist zwar schon raus, aber die Tour beginnt erst nächstes Jahr. Wir sind immer am Proben. Ich war schon lange nicht mehr live. Auch die anderen nicht. Wenn ich der Army ein paar Minuten eine Freude bereiten kann, sollte ich das auch tun.", sagte er und ich rollte mit den Augen. Er hatte ja recht.
"Hast ja recht.", gab ich nach und ließ mich wieder zurück auf die Couch fallen.
Von dort würde ich den perfekten Blick auf ihn haben. Ich fing an zu grinsen. Die Leinwand stand schon seit Tagen im Zimmer und heute hatte sich Yoongi zusammengerafft um etwas Farbe ins Spiel zu bringen. Seine Aufmachung war zu niedlich. Mit dem Hemd, dem Wollpullunder, der Schürze und dem Beret auf dem Kopf, sah er wirklich aus wie ein Künstler.
Dass es gar nicht seine Idee war zu zeichnen, machte das Ganze nur noch amüsanter. Ursprünglich hatte nämlich Taehyung online gehen wollen, um die Leinwand zu bemalen, hatte sich aber im letzten Moment dagegen entschieden. Er hatten den Armys lieber einen Ausschnitt seines neuen Songs vorgespielt. Ich selbst hatte ihn auch noch nicht ganz gehört - das Alles lief unter Verschluss - aber ich war ebenso dahingeschmolzen wie die meisten anderen Fans auf der Welt auch. Ich konnte es schon gar nicht mehr erwarten bis der Song endlich herauskommen würde. Mit Taehyungs Entschluss stand dann jedoch auch die ungenutzte Leinwand im Weg. Yoongi wollte dem Abhilfe schaffen.
Auf meine Frage, ob er denn jemals schon gezeichnet hatte und wie er seine eigenen Fähigkeiten einschätzte, hatte er nicht sehr vertrauenswürdig geklungen.
"Ich hab schon einmal gezeichnet.", hatte er geantwortet, woraufhin ich anfangen musste zu lachen. Ich wusste nur zu gut, dass Kunst nicht zu seinen Fächern gehört hatte.
"Wann soll das gewesen sein?", hakte ich nach.
"Für BT21." Ich schüttelte den Kopf.
"Oh nein. Das zählt nicht. Ich meine so richtig auf eine Leinwand."
Yoongi seufzte ergeben.
"Im Kindergarten?" Ich brach in Lachen aus.
"Das wird toll werden." Ich freute mich richtig, während Yoongi wahrscheinlich schon bereute, dass er mir erlaubt hatte bei seinem Livestream zuzuschauen. Es war der erste Lichtblick seit langem.
Ich holte mir alles, was ich für die nächste Stunde brauchen sollte, zu mir. Mein Handy, Ladekabel, eine Wasserflasche und Schokolade. Sehr viel mehr brauchte ich zum Überleben auch nicht. Ich nickte Yoongi zu, der sich bereits vor der Kamera positioniert hatte und er startete den Livestream.
Es war erstaunlich, wie schnell und wie viele Menschen in so kurzer Zeit zusammen kommen konnten. Ich war immerhin live dabei gewesen als Yoongi den Livestream gestartet hatte und doch waren knapp 100.000 Armys schneller als ich. Die Zahlen wuchsen stetig weiter.
Yoongi wartete eine Weile, bis knapp 500.000 Armys online waren, dann begrüßte er sie. Das kleine seltene Lächeln trat auf sein Gesicht, als er seinen Fans erklärte, was er vorhatte. Ich grinste und Yoongi griff endlich nach dem Pinsel und tunkte ihn in die blaue Farbe. Der Geruch der Farbe erfüllte den Raum augenblicklich als er den Deckel öffnete und ich sog den Duft förmlich in mich hinein. Früher hatte ich gerne gezeichnet und nun versetzte mich der Geruch wieder zurück in eine andere unbeschwerte Welt.
Yoongi zeichnete in Ruhe und sagte nur selten ein Wort. Ab und zu kam er zum PC, las die Kommentare und beantwortete ein paar davon.
Ich scrollte durch die Kommentare und musste bei den vielen Herzchen beinahe lachen. Es war süß mit anzusehen, wie sehr sich die Fans Mühe gaben, um ihren Idols den Tag ein wenig zu versüßen und mit ihrer Liebe zu überschütten. Yoongi zeichnete weiter stumm auf die Leinwand. Die Hälfte der zuvor weißen Fläche war nun schon mit einem dunklen Blau bedeckt. Es hatte etwas Expressionistisches an sich. Ein Teil der Farbe tropfte auf den Boden, den wir glücklicherweise zuvor mit Papier ausgelegt hatten. Es wäre schade um den guten Holzboden, sollte er durch Farbkleckse ruiniert werden. Obwohl der Raum sicherlich etwas Farbe nötig hatte.
Ich las noch eine Weile durch die Kommentare, aus Langeweile, weil ich ja nicht reden durfte und wartete darauf, dass Yoongi die Neuigkeiten verkünden würde: Ein neues AgustD Album war schon in Bearbeitung. Nach einer halben Stunde war es dann so weit. Er teilte den Fans die Neuigkeiten mit und die Kommentare verdoppelten sich Schlag auf Schlag.
Die Fans freuten sich riesig und hofften alle, dass das Album bald veröffentlicht werden würde. Ein genaues Datum konnte Yoongi noch nicht sagen. Mit einem Grinsen im Gesicht, sagte er lediglich, dass bald neue Informationen veröffentlicht werden würden.
Ein Kommentar zwischen den hunderten Beglückwünschungen erhaschte meine Aufmerksamkeit und ich zog scharf die Luft ein. Ich hielt mir schnell den Mund zu. Yoongi, der gerade die Kommentare durchlas und sich deswegen zum PC gedreht hatte, hatte meine Reaktion bemerkt. Er runzelte für einen kurzen Augenblick ratlos die Stirn, bis er sich wieder seinem Bildschirm zuwandte. Der Kommentar ließ mir das Blut in den Adern gefrieren. Ein eiskalter Schauer lief mir über den Rücken.
Trägt Yoongi-Oppa ein Haargummi am Handgelenk?
Es war eigentlich keine große Sache, aber dem Einfallsreichtum ihrer Fanbase waren keine Grenzen gesetzt. Sie wussten von Suji. Wer sagte mir also, dass sie dadurch nicht auch auf die Idee kommen würden, dass Yoongi eine Freundin hatte? Ich schluckte schwer. Auf den Medientrubel wäre ich nicht vorbereitet. Und ich wollte es auch gar nicht sein. Damals als die Beziehung von Suji und Jimin bekannt geworden war, waren die Nachrichten voll davon gewesen. Das Bild, auf dem Jimin Suji vor laufender Kamera sowie tausenden Fans geküsst hatte ging mehrmals um die Welt, wie mir damals schien. Die Kritik war dabei äußerst positiv geblieben. Ob das bei Yoongi und mir auch der Fall sein würde, bezweifelte ich.
Yoongi beendete den Livestream nach einer guten Stunde, während ich mich immer weiter in die Situation hineinsteigerte.
"Warum warst du so geschockt?", fragte Yoongi sofort, als er den Livestream endlich beendet hatte. Ich war beinahe gleichzeitig aufgesprungen. Ich sah ihn aus großen Augen an und griff nach seinem Handgelenk.
"Nicht, da ist noch Farbe-", wollte er schon protestieren, als es ihm ebenfalls ins Auge fiel.
"Ohh." war seine einzige Reaktion.
Ich zog eine Augenbraue in die Höhe.
"Ohh? Das ist das einzige, was dir dazu einfällt?" Ich ließ seinen Arm sinken und plumpste zurück auf die Couch. Das Polster schien mir auf einmal nicht mehr so gemütlich zu sein. Die Federn drückten sich in meinen Rücken und machten jede Position unerträglich. Ich beugte mich nach vorne und vergrub mein Gesicht in den Händen.
"Was, wenn das noch mehr Leuten auffällt?"
"Es ist keine große Sache, also mach dir keine Sorgen.", wollte er mich beruhigen, aber seine Worte führten nur dazu, dass ich mich mehr aufregte.
"Wie soll ich dabei ruhig bleiben, wenn jederzeit herauskommen könnte, dass du mit mir zusammen bist?", fragte ich und Yoongi fing an zu grinsen.
Er trat einen Schritt auf mich zu und griff nun auch trotz der verbliebenen Farbe an seinen Händen nach meiner Hand. Er strich mir behutsam über die Haut.
"Und selbst wenn sie es herausbekommen. Niemand würde wissen, mit wem ich zusammen bin."
Ich schnaubte. Der Army traute ich so einiges zu. Wenn neue Berichte über Fans bekannt wurden, die Internet-Trolle angezeigt hatten, weil sie BTS schlecht geredet hatten, und sie nur wenige Minuten später Adressen und weiteres herausfinden konnten, hatte ich es nicht wenige Male schon mit der Angst zu tun bekommen. Armys waren manchmal echt gruselig. Das hatte mir Suji nur bestätigt.
Er strich mit seinen Fingern durch meine Haare und band sie sorgfältig zu einem Zopf zusammen. Dort, wo seine Finger über meine Kopfhaut fuhren, kribbelte es leicht. Die Geste war ziemlich beruhigend und mein Herzschlag verlangsamte sich allmählich wieder und ich entspannte ein wenig. Ich ignorierte den Fakt, dass seine Hände immer noch voller Farbe waren und ein paar Haarsträhnen in diesem Moment sicherlich blau schimmerten. Er betrachtete sein Werk und lächelte zufrieden.
Er streifte sich die Schürze ab und hängte sie über einen Stuhl. Dann hielt er mir seine Hände entgegen.
"Komm schon." Seufzend ergriff ich seine Hände und ließ mich von ihm in die Höhe ziehen. Er leitete mich aus dem Zimmer den weiten Gang entlang.
"Wohin gehen wir?", fragte ich, als Yoongi mir bereits die Tür zum Fernsehraum auf hielt.
"Du willst jetzt fernsehen?", fragte ich verblüfft, weil Yoongi wirklich selten fernsah. Normalerweise schaute er Serien immer in seinem Büro. Wenn überhaupt. Und ich glaubte nicht, dass er damit jetzt anfangen wollte. Yoongi runzelte die Stirn.
"Wir schauen doch kein Fernsehen. Wir spielen.", sagte er und ich seufzte.
"Bitte nicht schon wieder diese komischen alten Spiele.", bat ich und der Junge schnalzte verärgert mit der Zunge.
"Die Spiele sind nicht alt. Das ist pure Nostalgie.", korrigierte er mich, was ich mit einem einfachen Nicken beantwortete. Er hatte schon einmal ein altes koreanisches Brettspiel mit mir gespielt, mit dem ich mich definitv nicht hatte anfreunden können.
"Aber zu deinem Glück haben wir auch andere Spiele auf Lager." Er hielt mir eine DVD-förmige Hülle entgegen und ich nahm sie zögernd in die Hände. Mein Gesicht erhellte sich augenblicklich, als ich den Titel las.
"Just dance? Wirklich? Du willst das spielen?" Yoongi grinste und ich war mit einem Mal Feuer und Flamme. Tanzen gehörte definitiv nicht zu Yoongis Lieblingsdisziplinen. Eigentlich auch nicht zu meinen, aber das Tanzspiel war schließlich zum Spaß haben da und nicht wegen irgendwelcher einstudierter Choreografien, die man sich in weniger als zehn Minuten merken musste.
"Früher hab ich immer Computerspiele gespielt. So ein Fantasy-Spiel mit Trollen und Feen. Sana hat mich deswegen immer ausgelacht.", erinnerte ich mich und wurde gleich darauf traurig. Sana fehlte mir mehr, als ich mir selbst eingestehen wollte.
"Das Spiel kenne ich. Vielleicht sollten wir das auch mal zusammen spielen.", schlug Yoongi vor. Als er bemerkte wie ich mit meinen Gedanken immer weiter abdriftete, schob er mich sanft vor den großen Fernseher. Das Gerät summte kurz. Das Spiel war schon eingelegt. Ich runzelte die Stirn.
"Spielt ihr das öfter?", fragte ich verwundert und Yoongi grinste breit.
"Manchmal. Jungkook hat uns immer in den Ohren damit gelegen, aber manchmal spielen wir auch ohne ihn. Du weißt wie stur er sein kann, wenn er unbedingt auf dem ersten Platz sein will. Manchmal stellen wir die Schwierigkeitsstufe auf Profi, damit er es extra schwer hat. Er würde Tage damit verbringen den Rekord zu schlagen, wenn wir ihn nicht aufhalten würden."
"Ihr seid so gemein.", bemerkte ich lachend. Yoongi zuckte mit den Schultern.
"Man tut, was man kann.", sagte er und reichte mir eine Fernbedienung für die Konsole.
"Hier."
Ich sicherte die Fernbedienung sofort an meinem Handgelenk. Ich erinnerte mich daran, wie ich, als ich noch klein war, beim virtuellen Bowling den Controller einmal quer durch das Zimmer gegen die Wand gepfeffert hatte. Diesen Fehler wollte ich nicht wiederholen. Es war lange her, dass ich das Spiel gespielt hatte. Jetzt sah ich zu meinem Entzücken, dass eine kleine Hand auf dem Bildschirm auftauchte, wenn ich den Controller bewegte. Ich wischte durch die Songauswahl. Ich stoppte bei einem Lied und grinste breit. Yoongi seufzte.
"Nein... bitte nicht."
"Oh doch."
Yoongi schüttelte den Kopf.
"Nie im Leben."
Zwei Minuten später konnte ich mich vor Lachen nicht mehr einkriegen. Ich hatte schon längst aufgegeben gegen Yoongi zu gewinnen. Es war einfach viel zu witzig ihm zuzuschauen. Namjoons Aussage, dass Yoongi am langsamsten auf überhaupt irgendetwas reagierte, konnte ich nicht bestätigen.
Ich hockte auf dem Boden und lehnte an der Couch. Yoongi machte fieberhaft die Bewegungen auf dem Bildschirm nach.
"Baby shark dododododo", klatschte ich im Takt in die Hände und Yoongi ließ die Hüfte übertrieben kreisen. Ich lachte dadurch nur noch mehr, was Yoongi wiederum anspornte.
Ich lachte so laut, dass plötzlich Namjoon, dessen Studio nur ein paar Türen entfernt war, im Türrahmen stand und fragte, was los sei. Ich winkte mit Tränen in den Augen ab und wies auf Yoongi, der immer noch sehr euphorisch die Choreografie von Baby shark tanzte. Namjoon schmunzelte.
"Ich seh schon.", sagte er und verließ das Zimmer wieder.
Nach nicht weniger als fünf weiteren Runden Just Dance einigten wir uns auf Unentschieden. Mein Herz raste. So viel Sport hatte ich lange nicht mehr gemacht und ich nahm mir zum 3861. Mal vor endlich mehr Sport zu machen. Yoongi schien es im Vergleich zu mir selbst blendend zu gehen. Ich sah nicht eine Schweißperle auf seiner Stirn.
"Dass du das so einfach machen kannst.", jappste ich und Yoongi lachte leise in sich hinein.
"Irgendetwas Gutes muss das Training ja mit sich bringen."
Yoongi stellte das Fernsehgerät wieder ab und ließ sich dann ächzend auf die Couch fallen. So ganz ohne jede Schwierigkeit konnte er das Spiel also doch nicht hinter sich bringen. Ich lächelte, doch dann fiel mir wieder die Geschichte mit dem Haargummi ein. Ob sich irgendwer einen Reim daraus gemacht hatte? Ich traute mich fast gar nicht, das Internet zu öffnen und wohlmöglich hunderte Verschwörungstheorien zu finden. Yoongi wusste, was in meinem Kopf vor sich ging. Er seufzte.
"Hast du dir schon immer so viele Sorgen gemacht?", fragte er fast schon ein wenig genervt und ich rollte mit den Augen.
"Entschuldigung, dass ich nicht damit umgehen kann, dass unsere Beziehung jede Minute öffentlich werden kann und jeder Fan mich abgrundtief hassen wird." Ich schnalzte mit der Zunge.
Yoongis Stimme wurde sanfter.
"Du weißt, dass ich das so nicht gemeint habe.", bemerkte er und ich seufzte erneut.
"Das weiß ich.", flüsterte ich und Yoongi nahm mich daraufhin in den Arm.
"Ich weiß, dass du dir Sorgen machst und du hast auch allen Grund dazu. Ich vergesse immer wie es für mich gewesen war, das erste Mal im Scheinwerferlicht zu stehen und von so vielen Menschen erkannt zu werden. Manchmal bekomme ich heute noch Panik, wenn ich in großen Mengen unterwegs bin."
Mein Kopf lag auf seiner Brust und ich hörte, wie sein Herzschlag bei diesem Thema in die Höhe schnellte.
"Ich weiß, wie es dir geht."
"Manchmal fühlt es sich so an, als würde ich ganz allein dastehen. Du siehst es irgendwie als selbstverständlich, dass ich damit fertig werde, aber das kann ich nicht. Ich brauche jemanden der bei mir ist.", rutschte es mir heraus und ich biss mir auf die Lippe.
"Ich bin bei dir.", sagte Yoongi sofort. Ich antwortete nichts darauf.
Manchmal fühlte es sich einfach nicht so an, als wäre er vollkommen bei der Sache, wenn ich bei ihm war. Selbst als Sana und ich Streit gehabt hatten, war mein erster Instinkt gewesen Suji anzurufen. Nicht Yoongi. Später sagte ich mir, dass es wohl daher kommen musste, dass Suji wie eine zweite beste Freundin war, aber langsam fragte ich mich, ob ich Yoongi dadurch nicht einfach weniger Stress machen wollte. Er hatte weiß Gott genug davon, auch ohne mich und meine Probleme.
Aber trotzdem... sollte es nicht selbstverständlich sein, dass man bei Problemen, die ihn sogar selbst irgendwie betrafen, seinen Freund anrief? Ich hatte mir keine Sorgen darüber gemacht, aber nun schwirrte dieser Gedanke dunkel in meinem Kopf herum, wie ein böser Albtraum. Yoongis Zusicherungen waren auch nicht immer hilfreich.
"Alles wird gut werden." Das sagte sich leicht, aber das hieß nicht, dass es auch so werden würde.
Ich nickte trotzdem. Vielleicht sollte ich mir die Sorgen wirklich erst machen, wenn es so weit war. Die Haargummi-Entdeckung sollte keine große Sache sein.
Wir hatten sogar Glück. Armys aus der ganzen Welt waren sich einig, dass das Haargummi um Yoongis Handgelenk nur eines bedeuten konnte. Er musste entschieden haben seine Haare wachsen zu lassen und mittlerweile mussten sie wohl so lange sein, dass er sie nach hinten zusammenbinden konnte. Das war die einzige Erklärung, die sie dafür fanden. Das Beret hatte seine Haare beim Livestream schließlich gut versteckt.
Die Fans kamen gleich mit unzähligen Fanarts um die Ecke. Beinahe wünschte ich, ich könnte Photoshop genauso gut beherrschen wie einige Armys. Das war leider nicht der Fall, auch wenn ich es für mein Studium sicher sehr gut gebrauchen könnte. Die Visualisierungen, die ich für mein Architektur Studium anfertigen musste, machten sich schließlich nicht von selbst. Gewünscht hatte ich mir das schon öfter. Im Moment war es in der Universität ziemlich ruhig geworden. Veranstaltungen fanden nur ein paar Mal in der Woche oder sogar online statt.
Das wurde in Korea immer alltäglicher. Es war einfacher von zuhause, als vor Ort. Das war noch kein Vergleich zu dem, was Kathy mir aus Deutschland berichtet hatte. Ihre Universität hatte zwar ab und zu auch Vorlesungen online, aber manchmal waren so viele Menschen im System eingeloggt, dass dieses schlichtweg überlastet war und keine weiteren Zugänge erlaubte. Für ein fortschrittliches Land war dort vieles unnatürlich unfortschrittlich. Kathy hatte dem ohne zu Zögern zugestimmt.
"Ich will einfach normal Lernen können." hatte sie bei einem unserer Videotelefonate gesagt und gleich darauf lachend den Kopf geschüttelt.
"Ich hätte nie gedacht, dass ich sowas mal sagen würde."
Ich hatte ihr schon einmal vorgeschlagen, dass sie ihr Auslandssemester einfach in Südkorea absolvieren sollte. Das wäre sicherlich interessant und außerdem konnten wir uns so länger als ein Mal im Jahr für ein paar Tage sehen. Leider hatte ihre Universität keine Partnerschaft mit einer Uni in Seoul und sie wäre gezwungen die Semesterbeträge selbst zu zahlen. Die beliefen sich auf knapp 3.000 Euro mindestens. Auch, wenn ich ihr sicher eine Wohnung hätte besorgen könnte, wären die Kosten untragbar gewesen. Letztendlich war Kathy deswegen in Europa geblieben. Sie hatte Spanien unsicher gemacht und konnte in dem halben Jahr dort ziemlich viel Farbe tanken. Neben ihr hatte ich ausgesehen wie ein Weißbrot.
"Das war ziemlich witzig heute." Das Grinsen auf Yoongis Gesicht wurde nur breiter, als ich tief seufzte und er seinen Arm enger um mich legte.
"Total."
Er zeigte auf sein Smartphone. Auch er hatte einige Fanarts gefunden. Ihn mit nach hinten zurückgebundenen Haaren. Ich musste zugeben, dass diese Frisur ihm ungewöhnlich gut stand.
"Ich überlege, ob ich meine Haare wirklich so lange wachsen lasse.", überlegte er weiter.
"Das würde den Armys sicher gefallen."
Er grinste schelmisch.
"Und dir?"
Ich lachte. Und zeigte ihm mein Handy.
"Was denkst du?" Aus Spaß hatte ich ein Bild von ihm mit Man Bun als Hintergrundbild gespeichert. Darauf sah er ziemlich niedlich aus. Während ich herzhaft lachte, schlug er seine Hand kopfschüttelnd an die Stirn.
"Hätte ich bloß nicht gefragt.", murmelte er leise vor sich hin.
"Hmm hmm"
Unvermittelt stand Namjoon wieder im Türrahmen. Yoongi und ich konnten nicht schnell genug reagieren und verbleiben einfach in unserer Umarmung. Ich hielt erschrocken die Luft an. Namjoon verschränkte langsam die Arme und schaute uns schräg an.
"Wir haben noch eine Besprechung mit allen. Wir sollen in zehn Minuten oben sein.", sagte er langsam an Yoongi gewandt. Dann zeigte er mit dem Zeigefinger auf uns.
"Seid ihr zusammen?", fragte er gerade heraus und ich lief natürlich prompt rot an. Ich warf einen nervösen Seitenblick auf Yoongi, der sich verlegen auf die Lippe biss. Ich konnte seinen Herzschlag förmlich hören.
"Ja, sind wir.", sagte er dann und ich meinte sogar ein kleines Zittern in seiner Stimme wahrzunehmen. Namjoon zuckte nur lächelnd mit den Schultern.
"Okay, cool. Ich freu mich für euch.", sagte er und seine gelassene Reaktion überraschte mich. Es spazierte gemütlich aus dem Zimmer und einen Augenblick lagen meine Augen verwundert auf der geschlossenen Tür.
"Dass das so einfach wird, hätte ich nicht gedacht.", gab ich zu und Yoongi blinzelte ein paar Mal. Er sah ein wenig besorgt aus.
"Ich auch nicht." Er seufzte tief. "Wahrscheinlich wegen Jin. Er würde ihn wahrscheinlich aus dem Zimmer schmeißen."
"Jin? Aus dem Zimmer schmeißen?" Ich runzelte die Stirn und Yoongis Augen wurden augenblicklich groß wie Teller.
"Sag ihnen bloß nicht, dass ich dir das gesagt habe!", sagte er wie aus der Pistole geschossen, was nur dazu führte, dass ich noch verwirrter war. Yoongi seufzte.
"Jin und Namjoon sind zusammen.", sagte er zögerlich und ich renkte beinahe meinen Kiefer aus.
"Namjin ist real?" Mein inneres Fangirl wollte bis unter die Decke springen. Ich konnte nicht einmal sagen, wie glücklich ich in diesem Moment war und wie sehr ich mich für die beiden freute.
"Sie wollten es dir bei unserem nächsten Treffen sagen, also tu bitte überrascht."
Ich nickte heftig. Das würde ich schon hinbekommen.
"Jin würde Namjoon umbringen, wenn er sich nicht für mich freuen würde. Jin lag mir schon länger damit in den Ohren, dass wir gut zusammenpassen würden.", offenbarte er mir und das Lächeln ließ sich nun nicht mehr von meinem Gesicht streichen.
Yoongi schüttelte den Kopf über seine Unachtsamkeit und stand auf. Er streckte sich und ließ seine Knochen knacken.
"Ich muss dann los. Es wird sicher spät, aber telefonieren wir später noch?", fragte er und ich nickte. Der Gedanke gerade jetzt wieder gehen zu müssen, gefiel mir nicht besonders. Ich wollte mehr über Namjin erfahren. Die Zeit, die ich mit Yoongi verbrachte, war sowieso kostbar und ich versuchte so viel Zeit mit ihm zu verbringen, wie nur möglich. Außerdem war ich nicht besonders erpicht darauf zu gehen, weil mich die Wände der Wohnung nur noch erdrückten, seit Sana nicht mehr dort war.
"Viel Spaß.", sagte ich und umarmte den Jungen noch einmal kurz. Er drückte mich an sich.
"Wir sehen uns." Sein unverkennbares Grinsen zeichnete sich auf seinen Lippen ab, bevor sich unsere Wege trennten. Er ging nach oben, ich nach unten. Mein Tag würde entspannt enden, seiner eher weniger. Er hatte jedenfalls eine interessante Besprechung vor sich.
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