52. Kapitel
"Mihee... Mihee... Mihee!"
Ich schreckte von meinem Computer hoch. Sana starrte mich mit verschränkten Armen an. Ich konnte ihrem Blick jedoch nicht lange standhalten. Das Spiel war noch nicht vorbei. Ich widmete mich also schnell wieder dem wild blinkenden Bildschirm vor mir zu, während Sana laut seufzte.
"Echt mal, was ist das für ein blödes Spiel? Geh an die frische Luft. "Sie ließ sich mit einem lauten Plumps auf mein Bett fallen und starrte hilflos an die Decke. Sie erwartete keine Antwort auf ihre Frage, aber wie immer war ich gewillt ihr eine vernünftige Erklärung zu geben.
"Das Spiel ist nicht blöd.", sagte ich. "Es ist sogar sehr sozial."
Sana warf einen Blick auf den Bildschirm, auf dem mein Spielcharakter, eine Elfe, gerade einen Troll vermöbelte. Sie schnaubte.
"Wirklich sehr sozial."
Ich verdrehte die Augen.
"So meinte ich das nicht. Man kann sich mit den anderen Spielern zu Gruppen verbünden und Quests erfüllen. Das bringt extra Münzen. Davon kann man sich dann bessere Ausrüstung kaufen.", erklärte ich ihr. Sana seufzte erneut.
"Also, was gibt's?", fragte ich sie. Sie lachte.
"Ich freue mich auch dich zu sehen, Mihee. Ist ja nicht so, dass ich eine Woche weg war.", sagte sie, einen Hauch beleidigt. Ich grinste.
"Ist mir gar nicht aufgefallen.", sagte ich.
"Dachte ich mir schon."
Sie rollte sich auf den Bauch und stützte sich auf ihren Unterarmen auf.
"Mal ehrlich. Wie oft hast du in dieser Woche das Zimmer verlassen?"
Bei dieser Frage musste ich nun wirklich scharf nachdenken. Wir hatten immer genügend Essen in unserem Vorrat, es gab also für mich keinen Grund zum Supermarkt zu laufen. Das Badezimmer befand sich Gott sei dank auch auf unserem Zimmer, was nicht bei allen Studentenwohnheimen der Fall war. Das einzige Mal, dass ich unser Zimmer verlassen hatte, war um den Müll herauszubringen. Und selbst daran hatte Sana mich erinnern müssen. Sie hatte mich dafür extra aus Daegu angerufen.
Sie hatte die vorlesungsfreie Woche nutzen wollen und hatte ihre Familie besucht. Das wollte ich eigentlich auch tun, aber es hätte mir nichts gebracht nach Deagu zu fahren. Meine Mutter und Minseok waren zurzeit auf Geschäftsreise und Jitae verbrachte die Zeit bei einem seiner Schulfreunde. Ich hätte also nur eine leere Wohnung vorgefunden. Ich hätte öfter vor die Tür gemusst, weil wahrscheinlich keine Lebensmittel mehr da waren, aber im Endeffekt wäre es auf das gleiche hinausgelaufen. Mein Computer und ich bildeten mittlerweile ein super Einheit.
"Und das dachte ich mir auch.", sagte Sana als ich nichts weiter auf ihre Frage entgegnete.
"Komm schon zieh dich an.", sagte sie und ich warf einen Blick auf meine Kleidung. Ich trug einen Sporthose und ein T-Shirt.
"Findest du ich bin nicht gut angezogen?"
Sie schloss die Augen und ich konnte förmlich hören, was sie dachte. Womit habe ich das nur verdient?
"Ich meine, du sollst dich richtig anziehen. Wir gehen in die Stadt."
Ich seufzte und konnte nicht verhindern, dass mein Blick automatisch zur Uhr wanderte. Es war gerade einmal 14 Uhr.
"Nein wieso das denn? Ich mag die Stadt nicht. Da sind so viele Menschen und es ist voll und es ist ein einziges großes Gedränge. Warum muss ich in die Stadt mitkommen?"
Jup, ich war wirklich ein sehr sozialer Mensch.
Sana packte mich an den Schultern.
"Weil ich das so sage. Darum."
Ich schnaubte. Mit Sana war einfach nicht gut Kirschen essen.
"Ja Mama..."
Tatsächlich fing sie an meinen Teil des Schrankes nach passenden Klamotten zu durchsuchen. Sie holte einen eleganten Rock und eine dazu passende Bluse hervor. Sie hatte sogar ein paar High Heels in den Händen, die sie dann aber kopfschüttelnd wieder weg legte.
Ich kniff die Augen zusammen. Irgendwas war faul bei der Sache. Sana wusste genau, dass ich solche Klamotten nur bei äußerst wichtigen Terminen anzog. Ein Besuch in der Stadt zählte sicherlich nicht zu dieser Kategorie.
"Sana..."
Sie tat so als hätte sie mich nicht gehört, sondern legte die von ihr auserwählten Klamotten fein säuberlich auf mein Bett. Ich rollte auf meinem Schreibtischstuhl näher an sie heran.
"Sana, was-"
"Los, los. Mach dich fertig.", unterbrach sie mich und lächelte dann zuckersüß. Ich bewegte mich keinen Zentimeter.
"Erst wenn du mir sagst, was hier vor sich geht." Ich blieb hartnäckig.
"Muss es einen Grund dafür geben, dass du dich gut anziehst?"
"Ja.", sagte ich gerade heraus. Es brauchte einen sehr guten Grund für mich, um die Sachen anzuziehen, die Sana aus den tiefen des Schranks hervorgefischt hatte. Und das wusste sie auch sehr gut. Keine zehntausend Pferde konnten mich dazu bringen, so etwas wie High Heels oder einen eleganten Rock an einem normalen Tag anzuziehen. Ich ahnte Schlimmes.
"Was hast du getan?", fragte ich. Meine Stimme klang schon ziemlich panisch.
"Nichts weiter...", fing sie ruhig an.
"Ich hab nur ein Date für dich organisiert", rückte sie endlich mit der Wahrheit heraus. Ich konnte es nicht fassen.
"Bitte, nicht schon wieder..." Ich vergrub mein Gesicht in meinen Händen. Sana hatte schon so oft versucht mich mit einem ihrer Bekannten, oder Bekannten ihrer Bekannten zu verkuppeln, dass mittlerweile sicherlich halb Seoul über meinen Beziehungsstatus Bescheid wusste.
Sana ließ keine Widerrede zu. Sie schüttelte den Kopf.
"Keine Ausreden dieses Mal. Du kommst mit.", sagte sich und versuchte mich von dem Bildschirm wegzuziehen. Gerade hatte ein neues Duell begonnen. Mein Gegner, der Troll mit dem Namen ultraDTboy9 hatte mich erneut zu einem Duell herausgefordert. Ich schnaubte. Wir hatten schon so oft gegeneinander gespielt, dass es nun unentschieden stand. Das nächste Match würde entscheiden. Doch Sana war mit ihrer Geduld am Ende.
"Schluss jetzt damit!", sagte sie und trat entschlossen nach vorne. Sie schob sich zwischen mich und den Computer und das Keyboard war außer Reichweite.
"Bitte noch fünf Minuten.", flehte ich sie an, aber sie lachte nur.
"Hörst du dir eigentlich selbst zu, wenn du den Mund aufmachst? Wir gehen jetzt nach draußen.", sagte sie bestimmt und ich seufzte. Mit ihr konnte man nicht verhandeln. Sie ließ mich noch nicht einmal mehr an die Tastatur heran. Stattdessen musste ich ihr Answeisungen geben, wie sie das Duell abbrechen musste. Sie wollte mich partout nicht mehr an die Tastatur lassen. Aus Angst ich würde einfach weiterspielen.
"Und schreib noch eine Nachricht. AFK. MWWA.", fügte ich schnell hinzu.
"Was soll das heißen?" Sana schaute mich verwirrt an.
"AFK kennst du. Das bedeutet 'away from keyboard'.", erklärte ich ihr und sie nickte verstehend.
"Und MWWA?"
"Mutter wütend, W-lan aus.", sagte ich kurz angebunden und Sana brach in lautes Gelächter aus. Es dauerte einige Sekunden bis sie sich wieder beruhigt hatte, und selbst danach kicherte sie noch einige Male erneut los.
"Das gibt es doch gar nicht.", lachte sie weiter.
"So witzig war das nun auch nicht. Er wird es verstehen.", nickte ich zum Bildschirm herüber.
Sie warf einen Blick auf den Usernamen meines Gegners.
"UltraDTboy9? Wow, du spielst gegen einen neunjährigen? Wie tief bist du schon gesunken, Mihee?"
Ich schnaubte.
"Das bedeutet gar nichts.", sagte ich pikiert.
Sana lachte.
"Warte 12 Jahre, dann ist er volljährig und du kannst ihn daten.", schoss es aus ihr heraus. Ich schnappte nach Luft.
"Sana!"
Ich schmollte ein wenig und Sana drückte mich kurz an sich. Dann räusperte sie sich.
"Tu dir, mir und der restlichen Menschheit noch einen Gefallen."
Ich zog eine Augenbraue in die Höhe und Sana grinste verschmitzt.
"Geh bitte duschen."
Die Tür zum Studio ging langsam auf. Ein junger Mann spinkste vorsichtig durch den Türschlitz, nur um dann erleichtert aufzuatmen. Er brauchte doch nicht leise zu sein. Der Ältere saß lediglich auf seinem gemütlichen Schreibtischstuhl und spielte irgendein Onlinespiel.
Der Junge ließ sich auf das Sofa fallen und beobachtete seinen Kumpel. Er hatte ihn sicher bemerkt, konnte die Augen aber nicht von dem flackernden Bildschirm abwenden, ohne wichtige Punkte bei seinem Match zu verlieren. Der Junge rümpfte die Nase. Die Luft im Studio war weitaus stickiger, als er befürchtet hatte. Der Mann saß nun mindestens eine Woche hier drin und langsam hatten sich seine Freunde Sorgen gemacht.
"Wir haben ihm doch gesagt, dass er sich nicht so einen Stress machen soll."
"Warum kommt er nicht raus?"
"Hat ihn einer von euch heute schon etwas essen sehen?"
Letztendlich hatten sie sogar sein Lieblingsessen bestellt und leise an die Tür geklopft. Er hatte es gehört und sich ohne viele Worte das Essen in sein Tonstudio geholt. Die Jungs hatten förmlich die Luft angehalten, als sich die Tür einen Spalt öffnete und ihr Kumpel die Sachen vorsichtig entgegen genommen hatte. Es war nur ein kurzer Augenblick gewesen, in denen sie sein aschfahles Gesicht hatten sehen können. Yoongis Gesicht hatte ihre Sorgen um ihn nicht gerade gelindert. Ganz im Gegenteil.
"Er wird noch ernsthaft krank werden, wenn das so weiter geht."
"Wir müssen etwas unternehmen."
Es hatte nicht lange gedauert bis sie sich darauf einigen konnten den Maknae in die Höhle des Löwen zu schicken. Der war von der Idee erst einmal überhaupt nicht angetan.
"Ich geh da nicht rein.", sagte er immer und immer wieder, aber weil er der Jüngste war hatte er in der Hinsicht nicht viel mitzureden. Außerdem kannte er als einziges der sechs Freunde das Zugangspasswort um in das Studio zu gelangen. Die Sterne standen schlecht für ihn.
"Du wurdest auserwählt, Kookie! Du bist der Auserwählte!"
Der Junge hatte nur mit den Zähnen geknirscht. Falls er es nicht wieder lebendig aus dem Studio schaffen sollte, sollten seine Hyungs nichts von seinem Erbe abbekommen. Dafür würde er auch aus dem Jenseits sorgen.
"Wir zählen auf dich.", hatten sie ihm zu allem Überfluss noch zugeflüstert. Dann waren die Verräter um die nächste Ecke gesprintet und beobachteten den Jungen aus sicherer Entfernung. In dieser Stille hätte man eine Nadel fallen hören können. Als sich die Tür hinter ihm schloss seufzten die übriggebliebenen erleichtert.
"Entweder er kommt mit ihm heraus, oder wir haben beide verloren.", bemerkte einer.
"Das ist ein Risiko mit dem ich leben kann."
Zum Glück aller war ersteres der Fall. Es dauerte nur einen halbe Stunde, da hatte der Maknae Yoongi dazu überredet mit ihm in ein Café zu gehen. Überraschenderweise hatte er dazu nicht einmal viel Überredungskunst gebraucht.
Der Ältere hatte sich plötzlich zu dem Jungen gewandt und leicht gelächelt. Seine Augen wurden groß.
"Aber Hyung. Das Spiel?" Er zeigte auf den Bildschirm, auf dem ein Troll erwartungsvoll auf Anweisungen wartete. Yoongi winkte ab.
"Mein Gegner ist abgehauen. MWWA."
Der Junge runzelte die Stirn.
"Was ist das denn für eine Abkürzung?" Er hatte immer gedacht, dass er sich bei Abkürzungen im Spieleuniversum auskannte, aber diese Abkürzung war ihm noch nie untergekommen. Vielleicht war es ein Insider. Die Elfe, die Spielfigur des Gegners, schwebte nur noch durchsichtig in der Nähe des Trolls. Dann verschwand sie komplett.
rooftopGardener hat das Spiel verlassen.
Yoongi betrachtete den Schriftzug kurz ein wenig traurig. Auf die Frage des Jüngeren zuckte er nur mit den Schultern, als wäre es das selbstverständlichste auf der Welt.
"Mutter wütend, W-lan aus.", erklärte er dem verwirrten Jungen. Dann raffte er sich zusammen.
"Komm Jungkook. Gehen wir in das Café. Ich hab ja sonst nichts zu tun."
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