36. Kapitel
Die Herbstferien kamen und gingen und der Abschied von Kathy fiel mir fast sogar noch schwerer, als unser Abschied in Deutschland. Ich versprach ihr, sie so bald wie möglich in Deutschland zu besuchen. Die Weihnachtsferien würden schnell kommen und vielleicht würde sich eine Chance für mich ergeben in die alte Heimat zurückzukehren.
"Du hast das Recht glücklich zu sein. Vergiss das nicht.", hatte Kathy mir bei unserer allerletzten Umarmung noch ins Ohr geflüstert, bevor sie in der Menge zur Sicherheitskontrolle verschwand und mich mit tränenüberströmtem Gesicht zurückließ. Danach war der Tag und auch die restliche Woche der Herbstferien für mich so gut wie gelaufen.
Das Gerücht, dass es mit Soomin und mir nicht geklappt hatte, machte sogar noch schneller die Runde als das Gerücht über den Beginn unserer Beziehung. Soomin musste es einfach wieder den richtigen Leuten sagen, also denen, die die ihre Klappe nicht halten können, so wie er sich ausgedrückt hatte und schon war die Information schneller verbreitet als ein Lauffeuer. Die Schule begann und die Mädchen fingen an wieder mit mir zu reden und mich nett anzulächeln, wenn sie mich sahen. Manche bekundeten sogar ihr Mitleid darüber, dass es zwischen mir und Soomin aus war. Das veränderte Verhalten mir gegenüber ging vor allem Yebin auf die Nerven. Sie hatte es richtig genossen, als mich die meisten ignoriert hatten. Was sie letztendlich gegen mich hatte? Ich wusste es nicht. Aber diese Zeit war nun vorbei. Trotz allem verbrachte ich die meiste Zeit meiner Freizeit immer noch mit Soomin mit dem ich mich natürlich grundsätzlich gut verstand.
Ein Lichtblick ereignete sich zwei Tage nachdem das Gerücht über unsere Trennung die Runde gemacht hatte. Ich stand an meinem Schließfach und sortierte gerade meine Bücher in meinen Rucksack, die ich für den Tag benötigen würde, als Nari plötzlich neben der Tür auftauchte.
"Hey." Ich konnte nicht verhindern, dass ein Hauch von Verwunderung in meiner Stimme mitschwang. Ich hatte nicht gedacht, dass Nari den ersten Schritt machen würde. Sie sah so aus wie immer. Ihre langen Haare fielen ihr perfekt über die Schultern und sie trug eine eng geschnittene Jeans. Dazu passend trug sie eine weite buntfarbene Bluse. Sie sah so aus wie immer. Sie zog sich an wie immer und beinahe dachte ich auch, dass ihr Lächeln dasselbe war. Doch dann erinnerte ich mich wieder daran was vorgefallen war und ich atmete tief ein. Ich machte mich auf das Schlimmste gefasst.
"Ich hab das von dir und Soomin gehört.", bemerkte Nari langsam und ich sagte erst einmal nichts. Ich hatte die Hoffnung, dass sie vielleicht weitersprach und mir das Reden für den Moment ersparte. Tat sie natürlich nicht. Ich wusste nicht wie ich die Sache angehen sollte.
"Ja, es... hm... hat einfach nicht funktioniert.", erklärte ich deswegen und biss mir unsicher auf die Innenseite meiner Wange.
"Und wie geht es dir... und Yoongi?", fragte ich zögernd und ich glaubte einen Hauch von rosa auf ihren Wangen zu sehen, was mich freute und mir gleichzeitig einen schmerzhaften Stich ins Herz versetzte.
"Hmm... Ganz gut eigentlich... aber wie geht es dir damit?"
"Mit Soomin?" Sie nickte und ich lächelte leicht, froh darüber, dass unser Gespräch immer noch ungefährlich an der Oberfläche dümpelte.
"Wir sind immer noch Freunde. Mach dir keine Sorgen."
Sie nickte kurz. Versah ich mich oder sah es so aus, als wäre Nari plötzlich erleichtert? Sie scharte trotzdem nervös mit dem Fuß über den Boden. Gerade als sie den Mund öffnete, um etwas zu sagen, klingelte es zur ersten Stunde. Ich hatte Koreanisch, sie Kunst. In Koreanisch würde ich auch Yoongi wiedersehen. Wortlos wandte sie sich zum Gehen, doch im letzten Moment griff ich nach ihrer Hand.
"Warte, ich..." wusste nicht was ich sagen sollte. Mein Eingreifen war eine Kurzschlussreaktion gewesen.
"Ich wollte noch mit dir und Yoongi reden.", sagte ich schnell. Nari schien überrascht.
"Heute in der Mittagspause?" Ich hoffte, dass ich damit nicht allzu vorschnell gehandelt hatte und das Nari und Yoongi das Angebot zur Ausprache annehmen würden. Ich hielt die Luft an. Das Mädchen überlegte einen Augenblick, was sich wie Stunden anfühlte. Dann nickte sie zu meiner Erleichterung und Schrecken.
"In Ordnung. Wo?"
Ich machte mit ihr aus, dass wir uns vor dem Musikraum treffen konnten. Dann machten wir uns auf den Weg zum Unterricht. Mein Blick glitt beim Laufen durch die Gänge zu meiner Uhr. 1. war ich spät dran und würde 2. wahrscheinlich einen Rüffel einstecken müssen und 3. waren es bis zur Mittagspause noch vier Stunden, inklusive zwei großer Pausen, in denen ich 4. mit Soomin sprechen könnte. Ich hatte keine Ahnung, wie ich das Gespräch später angehen sollte. Immerhin war Naris Einwilligung schon ein Schritt in die richtige Richtung.
Im Klassenzimmer sah ich Yoongi nur beim Vorbeilaufen und bei den typischen kurzen Seitenblicken während der Unterrichtsstunde. Ich sah ihn das erste Mal seit den Ferien. Und seit unserer Begegnung auf dem Dach. Ich wusste nicht, ob sich durch unser Gespräch dort schon etwas zwischen uns verändert hatte, ob er mir gar schon verziehen hatte. Sein Blick war stets nach vorn gerichtet. Die Tatsache, dass seine Augen nicht für eine Sekunde die meinen gesucht hatten, verletzte mich sogar ein wenig. Als es zur ersten Pause klingelte, war er so schnell draußen, dass ich noch nicht einmal die Zeit hatte meine Sachen ordentlich zusammenzupacken.
Vor dem Klassenraum wartete Soomin auf mich und einige Mädchen betrachteten mich schon wieder neidisch. Ich rollte mit den Augen und versuchte sie für den Augenblick zu ignorieren.
"Und? Was gibt es neues an der Front?" Soomin sah mich abwartend an. Er wusste, dass ich Koreanisch mit Yoongi hatte.
"Ein Krisengespräch ist einberufen worden.", antwortete ich und Soomin schaute verwirrt.
"Was soll das heißen?"
Ich führte ihn zu einer etwas geschützteren Gegend. Da wo wir gerade standen hatten die Wände gleich mehrere Ohren gehabt.
"Das soll heißen, dass ich in der Mittagspause mit beiden reden werde."
Soomin pfiff anerkennend.
"Das hat sich ja schneller erledigt, als ich dachte."
"Noch ist gar nichts erledigt. Ich muss erst einmal abwarten, ob sie meine Entschuldigung annehmen werden oder nicht. Mein Verhalten hat sie ziemlich verletzt." Ich zweifelte plötzlich an meinem vorhaben.
Soomin legte ein Hand auf meine Schulter und sah mich warmherzig an. In dem Moment tat es mir leid, dass ich ihm nicht von der Begegnung mit Yoongi auf dem Dach erzählt hatte. Irgendwie hatte ich das Gefühl gehabt, dass ich diese Information, abgesehen von Kathy, die ja schließlich dabei gewesen war, nicht weitergeben durfte. Allein, weil es Yoongis geheimer Fluchtort war.
"Mach dir keine Sorgen. Das wird schon werden.", sprach Soomin mir gut zu und nachdem er das noch ungefähr zehn weitere Male ausdrücklich sagte, glaubte ich es fast selbst.
Pünktlich zur vereinbarten Zeit fand ich Yoongi und Nari vor dem Musikraum wieder. Sie saßen auf einem Tisch und ließen ihre Beine baumeln. Als sie mich sahen stoppten sie mitten in der Bewegung. Yoongi sprang auf seine Füße. Nari folgte. Ich lächelte beide schüchtern an und ging ein paar Schritte auf sie zu.
Bevor einer von beiden etwas sagen konnte, raffte ich all mein Selbstbewusstsein zusammen und ergriff das Wort.
"Danke, dass ihr gekommen seid." fing ich an. Nari, die sich wieder hingesetzt hatte, bedeutete mir, mich neben sie zu setzen. Yoongi blieb entschlossen stehen.
"Setz dich." Sie lächelte leicht.
"Ich wollte schon länger mit euch reden." Ich kratze mir verlegen am Hinterkopf. Ich war mir dessen bewusst, dass sowohl Nari als auch Yoongi mich beobachteten und kaum hatte ich diesen Gedanken wurde ich auch schon rot im Gesicht.
"Wir haben das mit dir und Soomin gehört.", sagte Yoongi leise und ich nickte.
"Wir sind Freunde.", sagte ich und Nari nickte, wie sie es schon an diesem Morgen getan hatte.
"Aber deswegen bin ich nicht hier. Ich meine ich wollte mit euch sprechen, aber nicht über Soomin." Ich stockte. "Das heißt eigentlich schon über Soomin, aber nicht über ihn im Speziellen, sondern über uns. Nicht unsere Beziehung sondern... Ach ihr wisst schon, was ich meine."
Ich konnte nichts dagegen tun. Immer wenn ich nervös war, fing ich an wie ein Wasserfall zu reden. Etwas Gescheites kam dabei selten heraus. So auch jetzt. Ich spürte förmlich wie meine Haut immer heißer und heißer wurde.
Ich kratzte mich am Hinterkopf und atmete tief ein, um mich wieder zu sammeln. Yoongi und Nari warteten geduldig.
"Was ich euch eigentlich sagen wollte: Ich weiß, dass mein Verhalten euch gegenüber falsch war. So verhalten sich keine Freunde. Ich habe euch verletzt und..."
Ich schloss die Augen für einen Augenblick und als ich sie wieder öffnete, sah ich meine beiden Freunde, die mir aufmunternd entgegen blickten.
"Es tut mir leid!", brachte ich schließlich hervor.
"Ich hoffe ihr könnt mir verzeihen.", fügte ich hinzu und senkte den Kopf.
Nari sah mich einige Sekunden lang stumm an. Dann lächelte sie und umarmte mich stürmisch.
"Mehr wollte ich doch nie hören.", sagte sie in meine Haare und mir liefen vor Erleichterung Tränen übers Gesicht. Die kalte Stimmung zwischen uns hatte mir merklich zugesetzt, wie mir jetzt auffiel. Und auch Nari konnte sich eine Träne nur schwer verdrücken.
Yoongi räusperte sich. Er beobachtete das Schauspiel aus ein paar Metern Entfernung.
"Die Entschuldigung galt auch dir.", sagte ich leise und Yoongi nickte langsam. In seinem Gesicht war keine Regung zu erkennen. Und ich biss mir verlegen auf die Lippe. Wenn Nari mir verzieh, würde Yoongi mir auch verzeihen. Oder nicht? Hatten wir uns nicht schon wieder gut verstanden auf dem Dach oder hatte ich mir das alles nur vorgespielt?
Er schaute mich noch gefühlte Ewigkeiten regungslos an, bis sich auch auf seinem Gesicht etwas tat. Er fing an zu lächeln.
"Komm her.", sagte er endlich und breitete die Arme aus. Ich lachte laut auf und warf mich ihm förmlich in die Arme. Er strömte seinen unverkennbaren Geruch aus, den ich tief einatmete. Und Wärme. Wärme und Geborgenheit. Von mir aus hätten wir ewig so stehen bleiben können, ich in seinen Armen, während er mir langsam über den Rücken strich, aber die Tatsache, dass seine Freundin nur wenige Meter von uns entfernt stand, ließ mich den gewohnten Abstand wiederherstellen. Meine Gefühle waren in der Zeit zwar nicht weniger geworden, aber der Abstand über die Wochen hinweg hatte mir genauso wenig geholfen. Lieber würde ich diesen Schmerz in meinem Herzen aushalten, als nie wieder mit ihnen reden zu können.
In der verbliebenen Zeit der Mittagspause erzählten wir uns alles, was in der Zwischenzeit passiert war. Ich erzählte, dass Kathy aus Deutschland hierhergereist war, um mich zu überraschen. Nari sagte, dass es ihr leidtat, sie nicht kennengelernt zu haben. Yoongi blieb bei diesem Teil des Gesprächs stumm, woraus ich interpretierte, dass er Nari von unserem Zusammentreffen nichts erzählt hatte. Darüber blieb ich also ebenfalls stumm. Nari erzählte, dass sie die ganzen Herbstferien in Busan verbracht hatte und dort viele neue Freunde kennengelernt hatte, manche davon hatten sogar tolle Strandhäuser, in die sie Nari bereits eingeladen hatten. Nari könnte sie uns bald vorstellen, gesetzt den Fall, dass wir einmal zuasmmen nach Busan reisen würden.
Yoongi hatte die Herbstferien, wie ich es mir schon gedacht hatte, in Daegu verbracht. Er hatte nicht so viel zu erzählen, auch wenn ich glaubte, dass seine Tage hier nicht weniger aufregend waren, als Naris Tage in Busan oder meine Tage zusammen mit Kathy. Er war so gesprächig wie eh und je. Alles war wieder wie es sein sollte.
Mit dieser Euphorie, die mit dem Tag mitschwang hätte eigentlich alles wieder gut werden können.
Wie falsch ich mit dieser Vermutung doch lag.
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