20. Kapitel
Der Tag hatte für einen Montagmorgen ziemlich gut begonnen. Ich war von selbst um 7 Uhr wegen der ins Zimmer strahlenden Sonne aufgewacht. Ich war bei bester Laune, auch wenn ich nicht genau wusste, woher diese gute Laune so früh am Morgen kam. Obwohl ich es eigentlich sehr wohl wusste. Dieser Junge ging mir einfach nicht mehr aus dem Kopf.
Meine gute Laune warf auch bei meiner Mutter einige Fragen auf, als ich sie mit einem enthusiastischen 'Guten Morgen' am Frühstückstisch begrüßte.
Meine Mutter schaute mich mit ebenso verwunderten wie ungläubigen Augen an. Kaum verwunderlich, denn normalerweise musste sie mich morgens immer aus dem Bett 'prügeln'.
"Guten Morgen?"
Ich lächelte sie überschwänglich an und griff nach einem frischen Brötchen. Während ich fröhlich am Küchentisch saß und aß, kam auch mein Bruder hereinspaziert. Langsam und mit halb geschlossenen Augen ließ Jitae sich auf dem Platz mir gegenüber fallen. Meine Mutter strich ihm beim Vorbeigehen kurz über die Haare und stoppte mitten in der Bewegung. Eigentlich beschwerte er sich immer darüber, wenn meine Mutter ihm über die Haare fuhr, aber an diesem Morgen gab er keinen Ton von sich. Das war mehr als ungewöhnlich. Es war beinahe so, als hätten wir über Nacht die Einstellung über das frühe Aufstehen, das mir persönlich normalerweise immer verhasst war, getauscht.
Jitae, der sonst das sprühende Leben war, sank nun mit seinem Kopf auf dem Küchentisch zusammen. Bei meiner Mutter meldete sich bei diesem Anblick sofort der Beschützerinstinkt.
"Geht es dir gut? Was hast du? Hast du Kopfschmerzen?" Sie stürzte sich beinahe auf ihn, legte meinem Bruder die Hand an die Stirn und sah ihm besorgt in die halb geschlossenen Augen. Seine Wangen waren normal gerötet, aber er machte keinen guten Eindruck. Ich kniff die Augen zusammen.
"Mir ist so warm.", sagte er, gleichzeitig fing sein Körper jedoch an zu zittern. Unsere Mutter sah ihn unruhig an.
"Du bleibst heute besser zu Hause. Ich seh mal, ob ich mir für heute frei nehmen kann." Unsere Mutter kramte ihr Handy aus ihrer Tasche und wählte bereits die Nummer ihrer Arbeit. Mit besorgtem Gesicht ging sie schließlich aus dem Zimmer. Ich sah Jitae mit schiefgelegtem Kopf an. Irgendetwas stimmte nicht.
"Was ist es?", fragte ich ihn und Jitae sah mich langsam an.
"Was?" Seine Stimme klang qualvoll.
Ich lachte leise. Ich sprang auf die Beine und schloss die Tür, die zwischen uns und unserer Mutter lag.
"Also noch einmal. Was ist es?", fragte ich lachend.
Jitae war auf einmal wieder vollkommen er selbst.
"Wir sollen heute einen Mathetest schreiben und ich hab keine Ahnung, um was es überhaupt geht.", gab er zu und warf die Arme hilflos in die Höhe.
Ich lachte. "Dafür schuldest du mir was." Ich hob mahnend den Finger und mein Bruder rollte mit den Augen.
"Glaubst du."
Hinter der Küchentür hörten wir unsere Mutter wieder näher kommen. Ich zog eine Augenbraue in die Höhe. Die Augen meines Bruders wurden größer. Panik kroch in ihm hoch.
"Ist ja schon gut.", sagte er schnell und ich nickte zufrieden. Er würde alles tun, nur damit er diesen Test nicht mitschreiben musste und ich ihn nicht verpetzte.
Die Tür öffnete sich wieder und unsere Mutter kam mit einer großen Decke zurück, die sie Jitae um die Schultern legte. Sein Gesichtsausdruck war wieder auf Mitleid umgesprungen. Und unsere Mutter fiel voll darauf herein.
Sie setzte sich neben meinen Bruder und strich ihm behutsam über den Rücken.
"Ich kann erst frühestens um eins nach Hause, mein Schatz. So kurzfristig kann ich leider nicht absagen." Sie sah in bedauernd an.
"Meinst du du schaffst das so lange alleine?"
Jitae schien einen Augenblick zu überlegen, dann nickte er langsam. Ich musste mein Lachen unterdrücken. Wie konnte unsere Mutter nur darauf hereinfallen? Jeder Blinde sah, dass er schlecht schauspielerte. Dass unsere Mutter erst gegen Mittag wieder hier sein konnte, würde für ihn nur bedeuten, dass er unzählige Stunden Fernsehen und Spiele spielen konnte, wie er wollte, ohne das unsere Mutter dazwischen ging und ihn davon abhielt.
Wahrscheinlich ging die Fürsorge meiner Mutter noch eine Stunde so weiter, bis sie sich endlich dazu aufraffen konnte, um sich auf den Weg zu ihrer Arbeit zu machen, aber da ich nicht so einfach wie Jitae um einen Schultag herumkam musste ich mir das Schauspiel nur fünf Minuten ansehen, bevor ich aus der Haustür verschwand. Außerdem freute ich mich schon auf den Tag heute. Wenn ich Yoongi endlich wiedersehen würde. In der Hinsicht wurde ich allerdings schon früh enttäuscht.
Bis zur Mittagspause sah ich niemanden von meinen Freunden. Bis dahin musste ich langweilige Stunden Mathematik und Japanisch hinter mich bringen. Es war mit unerklärlich, warum ich überhaupt Japanisch lernen musste, aber da hatte ich offensichtlich keine Wahl gehabt. Es wurde einfach davon ausgegangen, dass ich so viel schon verstehen würde, dabei konnte ich zu Beginn des Kurses kein einziges Wort Japanisch schreiben, sprechen geschweige denn verstehen. Konnte ich auch immer noch nicht. Im Vergleich zu all den Schülern, die Japanisch wahrscheinlich schon seit ihrem zehnten Lebensjahr gelernt haben, war ich rettungslos untergeben.
Als der Horror dann endlich ein Ende nahm hüpfte ich fast schon euphorisch in die Kantine. An unserem üblichen Sitzplatz fand ich allerdings nur die Zwillinge wieder. Ich setzte mich zu ihnen und begann mein Brot zu essen.
"Wo sind denn Nari und Yoongi?", fragte ich verwundert und Johae zuckte mit den Schultern.
"Ich hab sie seit der letzten Stunde nicht mehr gesehen."
Mein Blick glitt über die Menge und über die Schüler, die noch in der Schlange standen. Kein Yoongi. Und auch Nari konnte ich nicht sehen.
"Ich gehe die beiden mal suchen." Entschlossen richtete ich mich wieder auf. Das Brot hatte ich nur halb gegessen, aber ich hatte sowieso keinen großen Hunger. Zu groß war die Aufregung vor einem Gespräch mit Yoongi. Allein bei dem Gedanken drehte sich mein Inneres vor Glück und mein Herz wollte mir aus der Brust springen. Jinho und Johae nahmen meine Entscheidung leicht hin.
"Dann bis später.", sagten sie noch und ich machte mich voller Erwartung auf die Suche nach meinen zwei Freunden, hauptsächlich Yoongi natürlich.
Ich lief erst einmal etwas durch die Schule und blieb an den Klassenräumen stehen, in denen er meistens saß, wenn er arbeitete. Das war vor allem der Musikraum. Als er aber auch dort nicht war, machte ich mich auf den Weg nach draußen. Die Sonne schien mir warm aufs Gesicht, was ungewöhnlich für diese Jahreszeit war, aber auch der Grund dafür, dass sich so viele Schüler im Freuen aufhielten. Sich bei der Anzahl von Menschen einen Überblick zu verschaffen war leichter gesagt als getan. Yoongi könnte überall sein.
Ich ging an der Turnhalle vorbei, spähte vorsichtig dahinter, ging zum Sportplatz und wieder zurück dahin, von wo aus ich meine Suche begonnen hatte. Es dauerte gefühlte Stunden bis ich ihn endlich bei einer Baumgruppe gefunden hatte. Ich wollte schon nach ihm rufen, als ich bemerkte, dass er nicht allein war. Nari war bei ihm.
Aus der Ferne konnte ich die beiden sehen. Sie standen in der Nähe einer Bank und unterhielten sich. Ein Lächeln stahl sich auf mein Gesicht, als ich Yoongi dort sah. Ich musste an unser Gespräch denken und mein Herz machte einen Sprung. Aber je näher ich kam, desto zögernder wurde ich. Die Anspannung wuchs mit jedem Meter, den ich hinter mich brachte. Erst jetzt sah ich wie nervös Yoongi eigentlich war. Wie nervös und angespannt. Das schien auch Nari aufzufallen.
"Was ist los, Yoongi?", hörte ich sie verwundert fragen.
"Ich muss dir etwas sagen."
Ich wollte nicht lauschen, aber Yoongis Worte hielten mich fest. Wie ein Insekt, dass sich in einem Spinnennetz verfangen hatte. Ich wusste ganz genau, dass mich die nächsten Worte hart treffen würden, aber ich konnte mich nicht bewegen, genauso wie das Insekt, dass wusste, dass sein letztes Stündlein geschlagen hatte, und auch nichts dagegen ausrichten konnte.
Ich konnte sehen wie Nari langsam nickte und Yoongi fuhr sich durch die Haare. Er war sehr nervös. Das konnte wahrscheinlich jeder sehen. Und Nari berührte ihn sanft am Arm. Ich hatte ein schlechtes Gefühl.
Nein, nein, nein. Das kann einfach nicht wahr sein. Das darf einfach nicht wahr sein!
Yoongi atmete hörbar aus.
"Es ist so, dass ich das nicht länger mit mir herumtragen kann.", sagte Yoongi endlich und Nari zog fragend eine Augenbraue in die Höhe. Ich hielt die Luft an. Ich wusste, was jetzt kommen würde und ich kniff die Lippen zusammen. Ich wusste es in der Sekunde, in der Yoongi anfing zu reden. Und ich wusste jetzt auch, dass er in unserem Gespäch nicht von mir geredet hatte.
"Ich habe es versucht, wirklich, aber ich kann es nicht abschalten. I-Ich habe es wirklich versucht." Yoongi schluckte schwer. Und dann ließ er die Bombe platzen, die mein Herz in tausend Stücke zerriss.
"Ich habe mich in dich verliebt.", sagte er. Ich hörte Naris Antwort nicht mehr, aber so wie sie Yoongi in die Arme fiel, konnte ich mir die Antwort bereits denken.
Ich stolperte nach hinten und stieß gegen jemanden.
"Tut mir leid, ich- Mihee? Alles in Ordnung?" Soomin sah in mein rotes Gesicht und ich starrte entschlossen auf den Boden. Ich versuchte erst gar nicht einen Ton von meinen Lippen zu bekommen, sondern lief einfach auf den Ausgang zu.
"Mihee?", rief er mir noch einmal hinterher, aber ich ignorierte ihn. Am Haupteingang wurde ich glücklicherweise auch nicht weiter aufgehalten.
Den Weg nach Hause blendete ich vollkommen aus. Es verschwamm sowieso alles vor meinen Augen. Als ich dann endlich durch die Wohnungstür trat und in mein Zimmer gelangte, fiel ich nur noch auf mein Bett. Und mit mir fielen die ersten Tränen.
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