19. Kapitel
Wochen vergingen, ohne dass etwas Besonderes geschah. In der Schule lief alles wie immer und langsam hatte ich mich an die neue Situation gewöhnt. Das ließ sich nicht ohne die Hilfe meiner neuen Freunde bewältigen. Sie halfen mir immer, wenn ich bei der Sprache Probleme hatte und auch, wenn ich es nicht gerne zugab, aber auch Minseok half mir, wo er nur konnte. Wenn ich es denn zuließ. Als neuer Freund meiner Mutter war er mir jedoch immer noch nicht ganz geheuer.
Nari, Yoongi, Jinho und Johae waren meine alltäglichen Begleiter. Sie waren wahre Freunde. Mit ihnen konnte ich so reden, wie mit Kathy, Jenny, Nico und Jayden in Deutschland. Natürlich konnte nichts und niemand meine alten Freunde ersetzen.
"Gut so.", hatte Kathy gesagt, als wir das letzte Mal miteinander gesprochen hatten und ich ihr alles erzählt hatte, was sie in der Zwischenzeit verpasst hatte. Und genauso erzählte sie mir von allem, was ich in Deutschland verpasst hatte und sie mir nicht per SMS erzählen konnte. In dem Augenblick grinste sie mir durch meinen neuen Laptopbildschirm entgegen.
"Du wirst es kaum glauben, aber es gibt Fortschritte mit Jenny und Jayden.", sagte sie, während ich bei der Neuigkeit förmlich in die Höhe sprang.
"Das heißt, sie sind jetzt zusammen?", hakte ich nach und ich klatschte vor Aufregung in die Hände. Kathys nächste Worte dämpften meine Freunde wieder ein und mein Lachen fiel in sich zusammen.
"Noch nicht ganz."
"Was soll das denn nun wieder heißen?"
"Naja, Jayden ist immer noch derselbe, aber Jenny hat sich etwas verändert.", fing sie zögernd an. Dann grinste sie siegessicher.
"Sie wächst glaube ich so langsam aus dem Mauerblümchen-Dasein heraus. Sie ist nicht mehr so verträumt wie sonst und ich glaube, dass sie Jayden auch manchmal schöne Blicke zuwirft." Kathy zwinkerte in die Kamera und ich lächelte verschmitzt. Was würde ich dafür tun, um das zu sehen...
Wehmütig glitten meine Gedanken zurück nach Deutschland. Zu meinen Freunden und der Zeit, die wir in der Schule und am Wochenende zusammen verbracht hatten. Ich vermisste Deutschland wirklich sehr. Ich schwelgte sogar so sehr in Erinnerungen, dass Kathy mit dem Finger vor der Linse schnippsen musste, damit ich meine Aufmerksamkeit wieder auf sie richtete.
"Wart's nur ab. In ein oder zwei Wochen hat sich das Ganze so gut wie erledigt und die zwei kommen zusammen."
Mein Blick blieb an dem Kalender in meinem Zimmer hängen. Die Weihnachtszeit stand vor der Tür. Wenn ich meine Wette darüber, wann die beiden endlich zusammen finden sollten noch gewinnen wollte, mussten sich die beiden wirklich beeilen. Der Einsatz war zwar nur ein Zehner gewesen, aber ich verlor trotzdem nicht sehr gerne. Vor allem, weil ich jetzt wusste, dass diese Einschätzung noch in Erfüllung gehen konnte.
Ich grinste Kathy noch ein letztes Mal an. "Das will ich hoffen."
Es dauerte noch etwa zehn Minuten bis ich mich von meiner besten Freundin verabschiedet hatte. Dann wendete ich mich wieder meinen Schulaufgaben zu. Für den Musikunterricht. Immer wenn sich meine Gedanken um den Musikunterricht drehten, drehten sie sich zwangsweise auch um Yoongi.
Mit Yoongi verstand ich mich hier bisher am besten. Seitdem wir zusammen im Park waren und ich ihm meine Musik gezeigt hatte, sah er mich zwar immer etwas merkwürdig an, aber er zeigte mir ab und zu neue Songs, von denen er meinte, dass sie mir gefallen würden. Bis jetzt hatte er immer ins Schwarze getroffen und meine Playlist wuchs von Tag zu Tag. Ich hatte ihn einmal gefragt, wie er die Musik immer fand.
"Ich finde die Musik nicht, sondern die Musik findet mich. Darin liegt ein kleiner Unterschied."
"Ach ja und dieser wäre?", hatte ich gefragt.
Yoongi lächelte warmherzig und mein Herz machte einen mir unerklärlichen kleinen Sprung.
"Wenn man nach etwas Bestimmten sucht, wird man es auch nicht finden. Die wichtigen Dinge kommen, wenn man einfach lange genug wartet.", erklärte er mir und ich lächelte.
"Just let it be", murmelte ich vor mich hin und Yoongi nickte zufrieden.
In der Mittagspause setzte er sich an unseren Tisch und nahm eine CD aus seiner Tasche. Er hielt sie mir entgegen.
"Hier, hör die das einmal an und sag mir wie du es findest."
Ich nahm die CD zögernd entgegen und erstarrte, als ich las wessen Musik ich darauf finden sollte. 'Gloss Mixtape 2' stand dort mit Großbuchstaben geschrieben. Mein Mund klappte auf und mein Blick glitt ungläubig von Yoongi zu der CD und wieder zurück. Yoongi grinste verstohlen.
"Wo- woher hast du das denn?"
"Ich habe meine Quellen."
Ich nahm meinen Stuhl und rückte ein Stück näher an Yoongi heran. Ich hielt ihm die CD vor das Gesicht.
"Du musst mir unbedingt sagen, woher du die CD hast.", sagte ich nachdrücklich, doch Yoongi lachte nur.
"Das kann ich dir nicht sagen.", sagte er.
Ich schüttelte den Kopf. "Nein, du verstehst das nicht. Seitdem ich hier bin höre ich ein und dieselbe Musik. Rauf und runter. Und du bringst mir jetzt einfach so eine neue CD von Gloss als wäre es nichts?" Meine Stimme wurde mit jedem Wort lauter. Und mit jedem Wort richteten sich mehr Augen in der Mensa auf uns. Einige unserer Mitschüler fingen bereits an hinter vorgehaltener Hand an zu lachen. Andere waren wengier subtil und zeigten direkt mit dem Finger auf uns.
Ich lächelte verlegen und senkte meine Stimme wieder.
"Bitte, ja?" Dieses Mal sah ich den Jungen vor mir sogar flehend an.
Yoongi kniff die Lippen aufeinander und sah mich dann entschuldigend an. "Tut mir leid, Mihee, aber so einfach geht das nicht..."
Ich ließ enttäuscht die Schultern fallen. Eine Sekunde lang hatte ich die Hoffnung gehabt, dass Yoongi mir neue Musik von dem Rapper besorgen konnte. Niemand konnte es verstehen, aber in den ersten Wochen, war das die einzige Stimme, die mich in irgendeiner Weise verstand. Ich hatte gedacht, Yoongi hätte das auch verstanden. Er seufzte.
"Ich seh mal, was sich machen lässt.", sagte er dann und ich fiel ihm um den Hals vor Freude.
"Danke, danke, danke!"
"Aber ich kann dir nichts versprechen.", warf er noch hinterher, aber das kümmerte mich nicht. Hauptsache er versuchte es überhaupt.
Yoongi traf meinen Musikgeschmack mit jedem neuen Song. Darauf konnte ich mich zu hundert Prozent verlassen.
Später in der Mittagspause wollte ich meine Sachen aus meinem Schließfach holen, da stellte sich Nari zu mir. Sie wippte ungewöhnlich nervös auf und ab.
"Hey Mihee, kann ich mal kurz mit dir reden?", flüsterte sie.
Ich hob die Augenbrauen und sah sie belustigt an. "Ja klar, aber warum flüsterst du?"
Sie biss sich auf die Lippe. "Ich... ich muss einfach mit dir reden."
Ich zuckte mit den Schultern. "Ja, warte kurz." Ich schnappte mir meine Bücher und folgte Nari nach draußen. Sie führte mich schließlich hinter die Turnhalle. Fast niemand wagte sich dort hin. Normalerweise fand man hier nur die Schüler, die heimlich eine Zigarette rauchen wollten und es irgendwie geschafft hatten, diese am Schuleingang herein zu schmuggeln. Die Kontrollen am Eingang waren zwar wahllos, aber man kannte schließlich die Schüler und Schülerinnen die öfter für Ärger sorgten. Ich war bisher noch nie kontrolliert worden. Wahrscheinlich sah ich dafür einfach zu brav aus. An diesem Tag war der Platz hinter der Turnhalle zum Glück frei und Nari und ich konnten uns in Ruhe auf den Boden setzen und an die Wand lehnen.
"Zum Glück ist niemand hier.", sagte ich und sah mich sicherheitshalber noch einmal um, ob hier wirklich alles sicher war.
Nari lächelte zwar, aber sie war immer noch sichtlich nervös. Einige Sekunden blieb es still zwischen uns. Ich sah aus den Augenwinkeln, wie Nari ein paar Mal versuchte zu reden, und ich musste deswegen ein wenig schmunzeln, aber es blieb ruhig.
Ich lachte leise und drehte mich zu meiner Freundin um. Ich packte sie an den Schultern und drehte sie so, dass sie mich ansehen musste.
"Also", fing ich an "was ist los?"Nari biss sich auf die Lippe.
"Ich weiß nicht wie ich anfangen soll...", zögerte sie. Ich drückte ihre Schultern aufmunternd. Und wartete. Ich wollte sie schließlich nicht bedrängen.
"Du-" Einen Augenblick hatte ich die Hoffnung sie würde reden, aber sie brach wieder ab. Sie seufzte.
"Du verstehst dich ja ganz gut mit den Jungs richtig?", fragte sie schließlich. Ich zuckte mit den Schultern.
"Ja, schon. Es sind halt die Jungs. Sie sind meine Freunde, so wie du.", ich lächelte sie aufmunternd an. Doch Nari lächelte nicht. Sie rieb sich nervös die Hände.
"Und... und was würdest du sagen, wenn ich dir jetzt sage, dass ich einen von ihnen m-mehr mag?"
Meine Augenbrauen schossen in die Höhe. Meine Gedanken gingen direkt zu Johae. Ich hatte ihre Blicke auf den Jungen schon öfter bemerkt und mich gefragt, was wohl dahinter lag. Nari atmete hörbar aus, als wäre sie erleichtert dieses Geheimnis endlich losgeworden zu sein. Dann sah sie mich fragend an. Mein Mund stand zwar offen, aber es kam erst einmal kein Ton heraus.
"Wow- ich- ich weiß gar nicht, was ich sagen soll, ich meine- wow..." Ich grinste. "Das ist super. Ehrlich!" Nari schaute mir das erste Mal seit der Enthüllung an. Ihre Wangen waren gerötet.
"Du weißt also um wen es geht?" Ich lachte laut auf. "Also wer das nicht sieht... Keine Sorge er hat keine Ahnung.", sagte ich beruhigend, da Nari für kurze Zeit etwas panisch gewirkt hatte.
"Meinst du... ich soll es ihm sagen?" Nari war auf einmal wieder sehr nervös.
Ich überlegte kurz. "Ich glaube, du solltest noch etwas abwarten, bis er auf dich zugeht."
Naris Gesicht hellte sich augenblicklich auf, als hätte man einen Lichtschalter umgelegt. "Meinst du wirklich? Also das er das gleiche für mich empfindet?"
"Natürlich! Du musst nur abwarten." Ich grinste schon so lange, dass mein Kiefer weh tat.
Es klingelte zur nächsten Stunde und meine Freundin und ich sprangen auf die Beine.
"Jetzt aber schnell! Sonst verpassen wir noch alles und müssen nachsitzen." Nari griff nach meiner Hand und zog mich hinter sich her. So schnell waren wir noch nicht einmal im Sportunterricht gelaufen.
Der Unterschied im Schulalltag zu Deutschland wurde hier wirklich sehr deutlich. Kam man nur fünf Minuten zu spät bekam man eine Strafarbeit. Kam man noch später endete das in zwei Stunden nachsitzen beim Schulleiter.
Ein Glück war es so weit noch nicht gekommen. Damit würde ich mir nämlich auch gehörigen Ärger mit meiner Mutter einhandeln.
Als die Schule endlich zu Ende war, wartete Yoongi am Eingang auf mich. Da wir immer in dieselbe Richtung mussten, gingen wir meistens zusammen nach Hause. Yoongi ging dabei immer einen kleinen Umweg, aber er sagte immer, das ihm das nichts ausmachte.
"Das hat aber lange gedauert.", begrüßte er mich und ich lachte. "Es ging leider nicht schneller. Physik." Er nickte wissend.
Obwohl es erst vor zehn Minuten zum Schulschluss geklingelt hatte, waren der Schulhof und die Straßen bereits leer. Und Yoongi und ich gingen ruhig nebeneinander her. Wir unterhielten uns eine Weile über die Schule und über die nächste Feier die in einem Park stattfinden sollte, da die Temperaturen noch gut auszuhalten waren. Wir redeten auch über Musik. Ich fragte ihn weiter über die geheimnisvolle Gloss CD aus, natürlich ohne wirkliche Hinweise aus ihm heraus zu bekommen, aber der Versuch zählte. Zwischenzeitlich schweiften meine Gedanken auch zu Nari und Johae und ich musste deswegen grinsen. Yoongi sah das zwar, fragte aber nicht weiter nach. Allein die Vorstellung war zu süß um wahr zu sein. Nur das durfte Yoongi natürlich nicht wissen. Diese Aufgabe überließ ich Johae und Nari. Yoongi räusperte sich auf einmal und ich sah ihn fragend an.
"Ja?"
Der Junge lachte. "Es ist nichts, du hast mir nur seit ein paar Minuten nicht mehr zugehört."
"Ohh... tut mir leid." Ich hatte gar nicht bemerkt, dass er überhaupt mit mir geredet hatte.
"Nicht schlimm. Es... es gibt sowieso nichts Wichtiges, was ich zu sagen hätte... bis auf..."
"Bis auf... was?" Ich hob eine Augenbraue in die Höhe. Jetzt war ich wirklich neugierig.
"Ich habe eine Frage an dich.", fuhr Yoongi langsam fort. Er sah mich entschuldigend an.
"Naja, du- du bist ja ein Mädchen..." Ich lachte.
"Scharf beobachtet, Sherlock." Mein Lachen ließ auch ihn ein wenig grinsen. Draußen war es nun so dunkel, dass die Straßenlaternen bereits ansprangen. Das kümmerte uns allerdings nicht. Wir waren es schon gewöhnt im Dunkeln nach Hause zu laufen. Yoongi war immer noch etwas angespannt.
"Naja, also... was würdest du tun, wenn du ein Mädchen magst... aber nicht weißt, ob sie dich auch mag?" Mein Herz schlug plötzlich schneller. Auf die Frage war ich nicht vorbereitet. Meine Wangen färbten sich so rot wie Naris in der Mittagspause.
"Ehh... also, ich weiß nicht... ich..."
"Ach egal, es ist sowieso dumm...."
"Nein, nein, warte!" Ich hob protestierend die Hände. "Ich... ich helfe dir gerne!" Ein Grinsen breitete sich auf meinem Gesicht aus. Es war einfach perfekt. Yoongi war sichtlich nervös und das konnte nur eins bedeuten. Yoongi mochte mich! Meine Augen suchten hoffnungsvoll nach seinen. Sein Blick war auf den Boden gerichtet und ich tat so als würde ich mitspielen. Als würde ich nicht wissen, wer mit dem Mädchen gemeint war. Denn das wusste ich nur allzu gut.
"Ich würde das Mädchen einfach ansprechen und es ihr sagen.", sagte ich und mein Herz machte schon wieder vor Freude kleine Hüpfer.
"Meinst du echt?"
"Ja na klar. Jedes Mädchen kann sich glücklich schätzen von dir gemocht zu werden.", sagte ich ohne eine Miene zu verziehen. Innerlich strahlte ich.
Ich hätte am liebsten noch weiter mit Yoongi geredet, aber wir kamen viel zu früh bei mir zuhause an, als ich es mir wünschte.
Yoongi blieb stehen und ich stellte mich ihm gegenüber. Ich hoffte, dass er endlich weitersprach und mir seine Gefühle offenbarte. Aber er tat es nicht. Er lächelte mich lediglich an, sagte "Bis morgen." und ging weiter die Straße entlang zu seinem Zuhause. Ernsthaft? Ich stand da wie bestellt und nicht abgeholt und wurde erst wieder aus meinem Tagtraum wachgerüttelt als Minseok die Haustür öffnete und mich verwundert anstarrte.
"Hu? Mihee, was machst du denn hier draußen?" Ich schüttelte meinen Kopf um wieder wach zu werden und lächelte ihn überschwänglich an.
"Hallo Minseok. Ich steh nur hier und warte auf... nichts. Ehh... Ich geh jetzt hoch. Bis dann!", ratterte ich herunter und ging durch die Tür, die Minseok mir noch verwundert offen hielt. In meinem Zimmer angekommen konnte ich das übertriebene Grinsen wirklich nicht mehr aus dem Gesicht streichen. Yoongi war zwar am Ende etwas überstürzt verschwunden, aber ich freute mich schon auf den nächsten Tag.
Nari würde mit Johae zusammen kommen und Yoongi würde mich nach einem Date fragen. Das war wahrscheinlich der beste Tag in meinem Leben. Es war alles perfekt.
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