16. Kapitel
Die Zeit verging wie im Flug, wenn ich sie mit Yoongi, Nari, Jinho und Johae verbrachte. Ich hatte durch sie immer etwas zum Lachen und es wurde nie langweilig. Natürlich vergaß ich dadurch meine Freunde in Deutschland nicht. Sie waren mir immer noch das Teuerste und Liebste, was ich neben meiner Familie hatte.
Yoongi hatte mich nach der Schule noch eingeladen Zeit mit ihm zu verbringen und meine Mutter war ganz enzückt gewesen. Hoffentlich würde ich den Jungen bald als meinen Freund vorstellen, das hoffte sie, das wusste ich und das stand ihr auch oft genug ins Gesicht geschrieben. Auch Yoongi konnte das mit Sicherheit jedes Mal von ihrem Gesicht ablesen, wenn er auf sie traf, was nicht gerade selten war. Manchmal hatte ich das Gefühl, meine Mutter würde, wenn sie mich abholte, extra lange warten um, rein zufällig natürlich, Yoongi zu sehen und zu uns herüber zu winken, was schon peinlich genug für mich war.
Ein Glück war nur, dass der Junge sich offensichtlich wirklich nicht an die Party, die nun bereits einige Wochen zurück lag, erinnern konnte. Also schlenderte er seelenruhig auf meine Mutter und mich zu. Ein höfliches Lächeln für meine Mutter auf den Lippen.
Aus dieser Begegnung war auch das Angebot noch etwas zusammen zu machen entsprungen. Meine Mutter hatte es ihm förmlich aufgedrängt. Der arme Junge konnte rein gar nichts dagegen tun. Ich war mir nicht einmal sicher, ob er verstanden hatte, dass er in diesem Moment vom Feinsten manipuliert worden war, oder ob er dachte, dass die Idee nach der Schule noch etwas zu machen, alleine von ihm gekommen sei.
Nachdem er diesen, für ihn sicherlich noch verhängnisvollen Satz ausgesprochen hatte, hatte meine Mutter begeistert in die Hände geklatscht und sich kurzerhand wieder ins Auto gesetzt. Das war sicher eine Taktik gewesen, um die Wohnung einmal ganz für sich alleine zu haben. Jitae war nicht zuhause, sondern bei einem Fußballprobetraining. Minseok begleitete ihn, das wusste ich. Was also nur noch ich da, die ihrer Ruhe im Weg stehen konnte.
"Falls es spät wird, sag mir Bescheid, Mihee." Sie drückte mir 20.000 Won in die Hand. "Kauft euch davon ein Eis. Die Runde geht auf mich." Sie zwinkerte und ehe ich mich versah, war sie auch schon weg gefahren. Ich konnte ihr nur mit offenem Mund hinterher starren, bis Yoongi mich lachend darauf aufmerksam machte und ich meine Mund schnell wieder schloss. Nari war bereits zu hause, weil es ihr nicht gut ging und auch die Zwillinge hatten bereits andere Pläne. Blieben also nur noch Yoongi und ich übrig.
Wir überlegten eine Weile, was tun und fuhren dann mit dem Bus in die Stadt. Es gab einen Musikladen in den Yoongi für das Musikprojekt noch unbedingt gehen musste, und ich schaute mich in der Zeit im gegenüberliegenden Klamottenladen um. Nach 20 Minuten kam Yoongi schließlich mit einer großen Tasche aus dem Laden. Darin waren hauptsächlich leere CD's zum Aufspielen von Musik.
"Wofür?", fragte ich ihn und er lächelte.
"Ich habe noch ein paar andere Projekte.", sagte er verschwörerisch und ich lachte. Andere Projekte, na sicher. Wir gingen durch die kleinen Straßen und Gassen der Stadt und fanden schließlich das, wonach wir gesucht hatten: Eine Eisdiele.
Wir holten uns Eis und entschieden uns dazu uns in einem nahegelegenen Park hinzusetzen und die Zeit zu vertrödeln. Meine Mutter ging natürlich davon aus, dass wir noch mindestens zwei Stunden unterwegs waren, also konnte ich schlecht jetzt schon auf der Matte stehen. Da Jitae auch außer Haus war, wollte ich ihr diese Zeit alleine und in Ruhe auch einmal gönnen.
Yoongi sah zwar nicht so aus, aber er konnte ganz schön viel reden. Und wenn er nicht reden wollte, dann hörte er einfach ruhig seine Musik und ließ den Kopf im Takt mit wippen. Ich hatte jedenfalls nichts dagegen, wenn er nicht reden wollte, dann hatte ich nämlich ebenfalls die Chance in Ruhe meine Musik zu hören. Ich ließ trotzdem einen Ohrstöpsel draußen, für den Fall, dass Yoongi mit mir reden wollte. Ich konnte mich auch darauf verlassen, dass Yoongi mir zuhören würde, wenn ich mit ihm reden wollte. In diesen Situationen musste ich noch nicht einmal etwas sagen, er schien zu verstehen, wenn ich etwas auf dem Herzen hatte und hörte mir dann wie selbstverständlich zu. So schnell konnte aus einem Fremden ein wahrer Freund werden.
Am Anfang unserer Freundschaft war mir das nie aufgefallen, aber Yoongi hatte ein gutes Gespür dafür, wenn es anderen Menschen um ihn herum schlecht ging. Er spürte solche Veränderungen förmlich in der Luft. Das war eine Eigenschaft, die ich mir immer gewünscht hatte, die mir aber wahrscheinlich auf ewig verwehrt bleiben sollte. Nicht jeder hatte diese Gabe, aber Yoongi war einer der wenigen Menschen, die sie besaßen.
Wir ließen uns auf einer Bank nieder und ich seuzfte wohlig. Die Bäume rauschten leise im Wind und das leise Plätschern eines Flusses war zu hören. In einer großen Stadt wie Daegu hielt ich es nicht für möglich, dass solche verborgenen Plätzchen überhaupt existieren konnten. Ein Platz, der so voller Harmonie lag, dass ich beinahe vergaß, dass wir uns immer noch mitten in der Stadt befanden. Die Musik hatte ich bis dahin beinahe in meinen Hinterkopf verbannt. Sie lief immer noch, aber so leise, dass ich sie in meinen Gedanken gut ausschalten konnte, wenn ich wollte. Egal wie leise, sie war immer da und das war es, was mich wirklich beruhigte.
"Was hörst du da eigentlich die ganze Zeit?" Yoongi riss mir unvermittelt den Kopfhörer aus dem Ohr.
"Hey!", versuchte ich zu protestieren und griff nach meine Kopfhörern, aber Yoongi konnte auch überraschend schnell sein, wenn er denn wollte. Ich verschränkte meine Arme und ließ meinen Blick kurz durch den Park schweifen. Außer uns waren nur wenige Menschen noch draußen. Es waren lediglich Leute, die mit ihren Hunden spazieren gingen oder Paare, die händchenhaltend durch die Gegend schlenderten.
Grinsend steckte Yoongi sich die Kopfhörer in seine Ohren und lauschte der Musik einige Sekunden. Dann wurden seine Augen groß und er starrte mich sprachlos an.
"Was ist?" Im Moment hörte ich, eigentlich wie jeden Tag seitdem ich in Südkorea war, Gloss. Der Rapper lief bei mir quasi auf Dauerschleife. Die Zeilen konnte ich alle schon auswendig. Das machte die Musik allerdings nicht langweilig, sondern nur noch interessanter.
Yoongis Mund klappte auf und ich riss die Ohrstöpsel wieder aus seinen Händen. Wenn er meine Musik nicht mochte, musste er sie sich schließlich nicht anhören. Ich war dafür umso dankbarer die vertrauten Töne wieder aus meinem CD-Player schallen zu hören. Ich versank förmlich darin. Es war beinahe so, als würde ich mit einem alten Freund reden, wenn ich die Kopfhörer anzog und die Musik mich beschallte. Die Musik beruhigte mich.
"Woher hast du das?" Yoongis Stimme riss mich erneut aus meinen Gedanken. Der Wind fuhr uns mit einem Mal schneidend durch die Haare, aber das schien ihn in diesem Moment nur wenig zu kümmern, während ich anfing zu schaudern. Seine Aufmerksamkeit lag einzig und allein auf mir. Ich lächelte bei der Erinnerung, die mir in diesem Moment durch den Kopf schossen.
"Es war mein erster Tag in Südkorea. Da waren wir gerade in Seoul angekommen. Wir haben am Flughafen auf unser Taxi gewartet.", fing ich an zu erzählen. Yoongi hörte mir aufmerksam zu. Er sagte nichts, also fuhr ich fort.
"Wir warteten schon eine Weile und ich habe plötzlich eine Musikgruppe gesehen. Ich bin etwas näher heran gegangen und die Gruppe hat CD's verteilt. Einer aus der Gruppe hat mich gesehen und mir auch eine gegeben. Seitdem höre ich die Musik eigentlich durchgehend.", lachte ich, aber ich konnte in Yoongis Gesicht keine einzige Regung erkennen. Ich verstummte.
"Gefällt es dir nicht? Oder warum guckst du so komisch?", fragte ich und Yoongi schüttelte den Kopf.
"Nein, das ist es nicht. Mir gefällt es, aber..." Er zögerte und sein Blick lag etwas entschuldigend auf mir.
"Ich dachte nur nicht, das jemand wie du solche Musik hören würde." , sagte er dann zögernd. Ich zog die Augenbrauen in die Höhe.
"Jemand wie ich?", wiederholte ich und der Junge nickte zögernd.
"Naja, du bist ein Mädchen..."
Ich schnaubte.
"Ist das dein Ernst?" Er winkte schnell ab und schüttelte den Kopf.
"Nein, so mein ich das doch gar nicht. Ich meine... das ist sonst nicht der Musikstil, den viele Menschen hören... dachte ich", sagte er und ich verschränkte die Arme.
"Und was ist der typische Musikstil für jemanden wie mich?"
Yoongi raufte sich die Haare.
"Keine Ahnung. Popmusik?"
"Das ist das größte Klischee, was ich jemals gehört habe."
Er zuckte mit den Schultern.
"Anscheinend ist das ja nicht die einzige Musik, die Mädchen hören können, oder?", sagte ich und Yoongi lachte leise auf.
"Offensichtlich.", sagte er nachdenklich, dann lachte er kurz auf und sah mich aus amüsierten Augen an.
"Du bist komisch.", sagte er und bevor ich überhaupt die Stirn in Falten legen konnte, lachte er schon. "Auf eine gute Art."
Ich nickte zufrieden, zog die Kopfhörer wieder an und schloss die Augen. Ich musste lächeln sobald mir die vertraute Stimme wieder durch den Kopf ging. Ich merkte nur noch am Rande, wie Yoongi leise vor sich hin sprach. "Wirklich komisch.", sagte er zu sich selbst.
Der Sonne war zu dieser Uhrzeit bereits fast untergegangen, aber Yoongi und ich blieben noch eine Weile einfach so stumm auf der Bank sitzen. Es war einfach zu harmonisch, als das wir jetzt einfach so nach Hause gehen konnten. Die Sonne stand tief am Himmel und schien uns ins Gesicht. Sie hauchte alles in ein orangefarbenes Licht. Dieser Moment hätte einfach immer so weitergehen können und ich hätte nichts dagegen gehabt. Yoongi war zwar ein ruhiger Begleiter, aber seine Anwesenheit machte dadurch alles nur noch besser. Ich war voll und ganz entspannt. Ich konnte nicht einmal sagen, wann ich das letzte Mal so entspannt war.
Es muss eine ganze Weile lang her gewesen sein, denn das letzte an das ich mich erinnern konnte, wo es mir ansatzweise ähnlich ging, war noch in Deutschland gewesen.
Hier mit Yoongi in dem jetzt doch verlassenen Park, wo die Sonne langsam ihren Tiefpunkt erreicht hatte und die vertraute Musik aus meinen Kopfhörern drang, fühlte es sich das erste Mal so an, als wäre ich endlich angekommen. In Südkorea, in Daegu, zuhause.
Es fühlte sich alles mit einem Mal so verdammt richtig an.
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