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Er trug mal wieder dunkelbraunes Leder über einem schwarzen Shirt und sah so höchst gefährlich aus.
Hastig stand sie auf und trat wieder von der Treppe weg, um ihm Platz zu machen. Und er kam auch sofort die Stufen heruntergelaufen und blieb erst unten laut seufzend vor ihr stehen.
„Freya hat mir erzählt, du hast dein Frühstück heute Morgen heruntergeschlungen wie eine Irre, und Ronno meinte dazu, Gerald hätte dich dazu gedrängt, indem er dich vor meinem Zorn warnte, wenn ich zurückkommen würde, und dich dann mitnehmen müsste, falls du den Bus verpasst, Nana. Das war nicht richtig von ihm. Und auch wenn er mein Tic ist, du musst dich nicht beeilen. Denn so lautet mein Befehl an dich", stellte er gelassen fest und Naeli atmete heimlich auf.
Doch das verging ihr glatt wieder, als die Augen des Alpha sich sichtlich verengten, er den Kopf ein klein wenig abwandte, ... da er nun scheinbar im Leaderlink mit jemandem sprach und schließlich murmelte: „Nein, Ronno, ... nicht nötig. Darum kümmere ich mich später selbst ..."
Uhhh ...!!!
Naeli schluckte hart und wollte besser schon mal zum Auto vorausgehen, denn immer, wenn er das so speziell sagte, gab es nachher entweder einen blutigen Rangkampf, einen brutalen Rudelkrieg oder aber sogar einen Fight mit einem ungehorsamen oder hetzerischen Werwolf-Wächter auf Leben und Tod.
Naeli hätte sich nun am liebsten schnell verdrückt, doch der Alpha stand immer noch direkt vor ihr ... und hatte sie noch nicht entlassen.
Er lauschte auch kurz noch auf irgendetwas draußen im Wald, während sich seine Mundwinkel nun doch wieder ein klein wenig genervt nach unten verzogen. Doch schließlich wandte er sich ihr wieder zu.
„Wir sind schon spät dran, Nana! Ich habe dich gerade warten lassen, entschuldige", sagte er leise zu ihr und Naeli riss erschrocken die Augen auf. Der Alpha entschuldigte sich bei ihr?
- Ernsthaft?
Wo gab's denn das?
Sie wollte sich schon nervös zur Garage umdrehen. Doch da hielt er sie plötzlich am Handgelenk fest, zog sie wieder zu sich zurück und sie sah nun ehrlich erschrocken zu ihm hoch.
Oh, heilige Luna! Ihre Haut brannte dort, wo er sie mit seinen warmen Fingern berührte, und ihr Inneres tobte, Herzrasen, Bauchflattern und dann begann sie auch noch, so unglaublich zu zittern. Doch egal, was sie auch versuchte, ... sie konnte gerade ihren Blick einfach nicht mehr von seinen Augen abwenden und in ihren Ohren rauschte es laut.
Prompt wollte sie sich von ihm losreißen, doch er packte einfach nur noch fester zu und hielt sie an Ort und Stelle gefangen.
„Lass den Scheiß, Nana!", sagte er dann nach kurzem, verwirrten Zögern nur wieder sehr kühl und distanziert. „Du brauchst dich nicht vor mir zu fürchten. Du weißt doch inzwischen, dass ich dir nichts antun werde, du lebst nun schon so lange mit im Rudelhaus ... Es gibt also keinen Grund, immer noch vor mir zu erzittern. Ich dachte doch, dass du dich hier allmählich eingewöhnst und nun auch mal damit anfängst, deine Meinung zu sagen, zu widersprechen oder einfach nur die Ruhe zu bewahren", warf er ihr grollend vor. Naeli biss sich sofort ängstlich auf die Unterlippe.
Denn diesen Vortrag hatte er ihr auch schon so oft gehalten und er hatte natürlich recht damit, sie zu schimpfen. Sie war ein Omega in seinem Rudel und sollte sich nun zumindest wie ein solcher verhalten. Ein Omega-Werwolf antwortete dem Alpha, diente und gehorchte ihm.
- Doch das würde sie nicht, konnte sie nicht.
Niemals bei einem Kellerwald-Werwolf! Denn er erwartete immer nur die komplette Unterwerfung von ihr, statt den noch immer betriebenen passiven Widerstand. Denn er wollte nun endlich den Werwolf in ihr sehen.
Vermutlich, um sie dann, unter seinem Alphabann stehend, endlich loszuwerden ... an eben jenen Wächter, der ihn ganz offensichtlich angelogen haben musste, sie sei seine Mate.
Doch der Alpha schien es zu glauben. Also würde sie wohl beim nächsten Mate-Ball mit dabei sein müssen und tatsächlich offiziell „gefunden" werden ...
Oh, es drehte sich ihr jetzt schon fast der Magen um bei dieser entsetzlichen Vorstellung. Denn was, wenn ihr echter Mate doch noch irgendwo da draußen auf sie wartete ...? Vielleicht sogar zu Hause ... im Schwarzwald ...?
„Na, komm schon!", zog Kator sie nun doch frustriert aufgebend zu seinem Wagen hin und hob sie dort, einfach um die Taille fassend, hoch auf den Beifahrersitz des schweren Geländewagens.
Verunsichert atmete sie mehrmals leise durch und schluckte auch gleich mehrmals hintereinander, während sie sich nun richtig hinsetzte und er von ihr zurücktrat.
„Schnall dich an!", grollte der Alpha noch leise und hastig tastete sie nach dem Gurt.
„Weißt du ...", hielt er schließlich noch einmal inne, als er die Wagentüre eigentlich gerade schließen wollte, und sah sie erneut sehr eindringlich an, „... in anderen Rudeln bedeutet es tatsächlich eine hohe Ehre, mit dem Alpha zusammen im Auto zur Schule oder sonst wohin zu fahren. Du musst also nicht ständig so dreinschauen, als sei es dein Todesurteil", spöttelte er lässig.
Hu?
Naeli sah ihn nur wieder zutiefst erschrocken an.
Er schmunzelte jedoch lediglich und deutete dann noch einmal kopfnickend auf den Gurt.
Naeli gehorchte ihm rasch und schnallte sich hastig an. Derweil schloss der Alpha wohl doch etwas genervt den Kopf schüttelnd ihre Tür und Naeli versuchte, in den drei Sekunden, die er dazu benötigte, den Wagen zu umrunden und seine Tür zu öffnen, möglichst, ihr heftiges Zittern in den Griff zu bekommen.
Es war immerhin schon viel besser als früher. Sie kauerte sich nicht mehr so klitzeklein im Sitz zusammen oder musste gar von mehreren Wölfen ins Auto reingezerrt werden, wie ganz am Anfang, ... wo sie noch gedacht hatte, sie würden sie nun vielleicht wirklich zu ihrer Hinrichtung fahren ... hinaus in den Wald, wo auch immer die Sklaven und Omega und Rogue entsorgt wurden ...
Hatte er damals ihre Gedanken gelesen? Manchmal konnten auch die fremden Alpha das, wenn ihre Gefangenen in Panik waren und nicht passiv blieben ...
Da klappte auch schon die Fahrertür zu und sie blickte ängstlich zur Fahrerseite hin, begegnete dabei noch kurz seinem nun wieder forschenden Blick, bevor sie wieder rasch auf ihre Hände hinunterstarrte.
„Was ist?", fragte er sie nur wieder ganz ruhig. Sie schüttelte nur, sich zur Ruhe zwingend, den Kopf, ... wartete ... Er sah sie aber immer noch so eindringlich an ...
Ja, was denn nun? Warum fuhr er denn nicht ...?
Da seufzte er leise auf und holte schließlich ein kleines, eingepacktes Päckchen aus seiner Jacke heraus.
„Alles Gute zum Geburtstag, Nana!", wünschte er ihr leise. Sie zog jedoch nur befremdet die Brauen zusammen und sah irritiert zu ihm hoch.
Ihr letzter Geburtstag war doch schließlich schon lange vorbei. Bei Lunas Ohren ... Doch er dachte ernsthaft, ... das sei heute?!
„Willst du es denn nicht auspacken?", fragte Kator sie schließlich fein lächelnd und sie sah ihn nur wieder groß an, bevor sie es ihm schlicht und einfach zurückreichte.
Nun war es an ihm, befremdet zu stutzen und sie anzustarren.
„Du ... willst es nicht annehmen?", fragte er sie erstaunt.
Naeli schluckte nur wieder hart und nickte dann aber tapfer. Sie hatte heute nicht Geburtstag. Also würde es schlicht Betrug am Alpha bedeuten, wenn sie nun so tat, als ob.
„Nana, heute wirst du sechzehn Jahre alt! Du kannst nun deinen Mate spüren, den Rudelrat wählen, bist hier zumindest bei uns Werwölfen erwachsen ...", zählte er frustriert scheinend auf und sie duckte sich nur noch tiefer in den Autositz hinein, während sie erneut langsam den Kopf zu schütteln begann.
„... Nein?!", fragte er sie, sich selbst verwirrt unterbrechend, und sie nickte nur wieder hastig.
Er sah sie kurz eindringlich an. Und sie nun auch ganz kurz ihn.
„Nana, könntest du vielleicht nur dieses eine Mal eine Ausnahme machen und mir erklären, was du mit Nein meinst? Nein, du willst mein Geschenk nicht annehmen?", riet er verwirrt. Sie zögerte, doch dann nickte sie lediglich schnell und er schluckte hart.
„Oh, okay, ... du willst also kein Geschenk von mir. Kannst du mir dann vielleicht einfach mal erklären, wieso nicht?", fragte er sie wieder. Und ja, ... er bemühte sich sichtlich sehr, sie dabei nicht anzuknurren, doch sein Zorn war nun mehr als offensichtlich. Seine Augen erglühten rot.
Oh-Oh ...
Naeli bekam furchtbare Angst.
Sie hatte ihn gerade tief beleidigt. - Ausgerechnet!
Also wollte sie ihm das Päckchen doch noch ganz schnell wieder abnehmen, doch er wickelte es bereits selbst heftig schnaubend aus und öffnete knurrend die Schachtel.
„Schau her! - Okay? Es ist kein Teufelswerk! Nur ein schlichtes, hübsches Armband. Weder wird es dich verletzen, noch ist es eine gemeine Sache, die dir vielleicht schaden könnte!", hielt er ihr schließlich ein filigranes, silbernes Blütenblätter-Armband hin, das ganz eindeutig Seerosen darstellte. Die zarten Blüten waren aus winzigen, filigran bearbeiteten, rosa Plättchen gefertigt. Vermutlich Halbedelsteine, ... Rosenquarz, und die Mitte bestand aus winzigen, gelben wie Diamanten geschliffenen Citrinen.
Ihre Mahmen hatte früher Halbedelsteine gesammelt, ... daher erkannte sie sie nun wieder.
Und ja ... Es war wirklich sehr hübsch.
Ihr kamen prompt die Tränen und sie versuchte zumindest mal ein schwaches Lächeln in seine Richtung, während er nun mürrisch blickend ihr Handgelenk ergriff und das Armband einfach darum herum befestigte.
„Ich dachte, du magst Seerosen. Du sitzt schließlich immer dort unten am Teich und siehst sie dir stundenlang an. Da dachte ich, dies Kettchen sei vielleicht ein passendes Geschenk für dich ...", murmelte er stirnrunzelnd.
Sie nickte nur hastig. Sie wollte ihn lieber nicht noch mehr verärgern.
Doch anscheinend hatte sie es für heute nun wirklich verkackt. Denn er griff auf einmal auch noch nach ihrem Kinn, drehte ihr Gesicht zu sich herum und sah sie erneut forschend an.
„Nana, ... es wird langsam Zeit, dass du dich wieder am Leben beteiligst, okay?! Lehne nicht einfach alles ab, was hier vielleicht gut für dich sei kann. Du hast schon viel zu lange geschwiegen ... und unterdrückst auch immer noch deinen armen kleinen Wolf. Das ist auf Dauer nicht gut für dich. Glaube mir", erklärte er ihr nun ganz leise, derweil ihr quasi der Mund offen stehenblieb vor Staunen. Warum nur kümmerte er sich auf einmal so sehr um sie? Schon ließ er ihr Kinn wieder los und startete seufzend den Wagen.
Doch Naeli schwieg nur wieder, schüttelte fast unmerklich den Kopf und blickte dann nach vorne zum Fenster hinaus.
Er würde es sicher irgendwann herausfinden, dass sie ihren Werwolf gar nicht unterdrückte. Sie war keine Gebissene, die sich bloß davor fürchtete, eine Bestie zu sein. Sie konnte sich sehr wohl noch verwandeln und tat es auch gelegentlich, wenn kein anderer Wolf in ihrer Nähe war. Doch es brachte ihr nichts als Schmerz und Kummer, wenn sie es tat.
Ja, ... und würde er sie dann ansehen, würde er wissen, wie kaputt sie wirklich war. Und dieser vermeintliche Mate im Kellerwald würde sie dann ganz sicher ebenfalls ablehnen, wenn er herausfand, wie verkrüppelt ihre Wölfin nun ging. Denn nicht einmal die Fähigkeit, wieder schnell zu heilen, war ihr heute noch geblieben.
Sie richtete sich zittrig auf und beschloss, trotz ihrer düsteren Zukunft, tapfer zu sein. Denn so war sie nun einmal erzogen worden. Zu einer stolzen, jungen, tapferen Werwölfin.
Doch bald war es damit aus und vorbei. Denn der Kellerwald war grausam zu jenen, die missgebildet oder unfähig waren. Würde Kator je herausfinden, dass sie gar kein stolzer Werwolf mehr sein konnte, würde er sie sicher verspotten und dann seinen Wächtern zum Jagen üben überlassen. Denn so wie jetzt war sie tatsächlich noch weit weniger wert als ein wilder Rogue.
Oh ja.
Sie hatte vor ein paar Monaten noch genau mitbekommen, wie das ganze Rudel über die arme Rhön-Luna hergezogen hatte, die wohl ein verborgen gehaltener Wilding-Wolf war. Trotz ihrer Mateverbindung zum Rhön-Alpha hatte sich hier jeder für ihre sofortige Exekution ausgesprochen, einfach weil sie anders war, zu wild, keine richtige Luna. Dabei hatte das junge Mädchen, das damals auch nur ein gefangengenommener Mensch im Schwarzwald gewesen war, wie sie sich dunkel erinnerte, dann fast im Alleingang ihr Rudel vor den menschlichen Huntern gerettet.
Sie konnte sich immerhin noch verwandeln. Sie hatte noch einen richtigen und starken Wolf ...
Doch Ira Naeli Winter, die junge geborene Werwölfin, existierte schon lange nicht mehr.
Ja, sollte der Mate-Ball nur kommen. Dann würde sie diesen Werwolf-Idioten, der sich erdreistete, sie als seine Mate zu bezeichnen, ganz offiziell ablehnen. Denn das war ihr Recht. Und das war als geborene Werwölfin aus dem Schwarzwald ebenso ihre Pflicht, allein, um sich für all das zu rächen, was sie ihr hier angetan hatten.
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