5
„Ah, ... Nana! Guten Morgen! Auch schon wach?", fragte Beta Ronno sie plötzlich und wie jeden Morgen ganz scheiß-freundlich.
Sie sah ihn nur kurz ausdruckslos an, weil nun die gesamte Aufmerksamkeit am Tisch auf sie gelenkt worden war und nickte schließlich hastig, zog den Kopf halb ein und setzte sich sofort sehr eingeschüchtert auf ihren Stuhl.
Denn Ronno war ein wahrer Riese von einem Werwolf. Mächtig breit und bärenstark. Dagegen war sie selbst tatsächlich nur ein mickriger, unterentwickelter Welpe.
„Na dann iss, du bist fast schon zu spät!", meinte er nur gutmütig guckend und leicht grinsend zu ihr.
Äh ... ja ... nein ...
So viel Aufmerksamkeit wollte sie definitiv nicht erregen. Also schaute sie lieber ganz starr und still vor sich auf den Tisch. Da stand bereits die allmorgendliche Schale mit ihrem Joghurt und den frischen Früchten bereit.
Oh, Luna!
Frische Früchte! Auch wenn sie sonst nichts von den hiesigen Rudelwölfen haben konnte. Aber Früchte konnte sie haben.
Und damit war dieses Frühstück auch um Klassen besser als das frühere ... bei ihren alten Herren, wo sie nämlich nur den Abfall oder oft auch gar nichts abbekommen hatte.
„Ey! Willst du nur vor dich hinstarren? Du hast nur noch fünf Minuten Zeit, also besser beeilst du dich mal. Sonst wird der Alpha wieder auf dich warten müssen, um dich mitzunehmen, Nana. Oder willst du ihm heute gerne lästig sein?", fragte Gerald, der Tic, nun ziemlich gedehnt und seine Mate schnaubte kurz geringschätzig auf. Ronno verhielt im Essen und knurrte nur einmal leise auf. Schon waren die beiden wieder still und Nana begann nun besorgt, ganz schnell löffelnd, den Joghurt herunterzuschlingen. Denn natürlich hatte Gerald recht mit seiner Warnung. Dem Alpha wollte sie nicht lästig sein, wenn sie es vermeiden konnte ...
„Herrje! Auch das noch ...! Nun hetzt sie doch nicht, Gerald, sonst verschluckt sie sich noch und kotzt mir hier die ganze Küche voll!", schimpfte Freya sofort herbeirennend mit dem gutaussehenden Draufgänger, der auch sofort entschuldigend die Hände hob und dann breit grinsend vom Tisch verschwand, als Ronno, der prompt aufgestanden war, nun wirklich aggressiv werdend losknurrte: „Wage es nicht, noch mal zu behaupten, ein Rudelmitglied fiele dem Alpha lästig, Tic, sonst erfährt Kator davon! Und du hast außerdem null Recht dazu, Nana so anzutreiben, dass sie wieder viel zu schnell schlingen muss ... GEH!", herrschte er ihn an und Naeli, die sowieso nicht weiter essen konnte, weil Freya ihr den Löffel abgenommen hatte, und ihr damit unterschwellig knurrend drohte, sank gleich noch mehr in sich zusammen, derweil auch Geralds Mate nun vom Tisch aufstand und dem Tic mit einem letzten genervten Blick auf sie nach draußen folgte.
Für eine einfache, gebissene Werwölfin war Chantalle tatsächlich viel zu arrogant, dachte Naeli wieder einmal geringschätzig bei sich und sah ganz kurz auf und in die Runde.
Die starrten sie nun alle an wie eine arme Irre.
Mal wieder ganz toll ...
Egal, wie sie es auch tat, es war nie richtig. Und sie hatte sich auch nur ein einziges Mal ganz am Anfang hier im Rudelhaus verschluckt und gekotzt, danach nie wieder. Trotzdem machten die jetzt alle immer so einen Aufstand ...
Ronno schnappte sich schließlich den Löffel von Freya, die immer noch schimpfte, sie sollte langsam essen und vernünftig kauen und schlucken, ... und reichte ihn Naeli grollend zurück, bevor er Freya mit einem harschen Nicken zurück in den Küchenbereich befahl und dann erst wieder auf sie herunterguckte.
„Iss einfach langsam. Und egal, ob der Bus nun ohne dich fährt oder nicht, du weißt doch, dass du auch so noch zur Schule kommst. Also lass dir Zeit, okay? Wir alle haben mal schlechte Tage und kommen nicht so gut aus dem Bett. Hast du vielleicht mit deiner Wölfin Probleme gehabt, hm? Heute Nacht habe ich dich ein paar Mal winseln gehört ... und hin und wieder knurren ..."
Sie schüttelte nur rasch den Kopf und begann dann wieder, betont langsam, weiter zu essen.
Ronno nickte schließlich nur wieder resignierend. Sie antwortete auch ihm nie ... niemandem hier, auch wenn er wirklich von Anfang an echt erstaunlich nett zu ihr gewesen und geblieben war. Für einen geborenen Werwolf einer gebissenen Omega gegenüber ...
„Gib Freya nun besser keinen Grund mehr zu schimpfen, okay? Sonst steckt sie es noch Kator und ich weiß, wie wenig du seine Vorträge leiden kannst, Nana", mahnte er sie nun aber schon wieder freundlich und Naeli nickte nur zum dritten Mal und zog den Kopf dann aber prompt noch tiefer ein, als er fast schon Anstalten machte, seine Hand zu ihr hin auszustrecken.
Auch so etwas, dem sie aus dem Weg ging.
Berührungen!
Sie duldete keine körperliche Nähe zu ihren Feinden, wenn sie es irgendwie verhindern konnte, und erstaunlicherweise zwangen die Kellerwald-Wölfe sie auch fast nie dazu, ... außer Freya natürlich, wenn sie ihr eine verpasste oder sie hin und her zerrte, damit sie sich hier hinsetzte und aß, da nicht im Weg stand und dort schneller gestoßen in ihr Zimmer verschwand ... und ab und zu berührte sie dann aber auch der Alpha, wenn sie mal wieder weglaufen wollte. Dann packte er sie und zerrte sie zurück zum Auto, setzte sie rein und schnallte sie an oder zog sie hinter sich her, zurück zur Schule, wen sie es von da aus versuchte ...
Und dann blieb er aber ständig bei ihr sitzen und versuchte, sie wieder zum Reden zu bringen oder zum Wandeln, wollte in ihren Kopf reingucken und sehen, warum sie weggelaufen war. Es ginge ihr doch nun gut, behauptete er ständig, ... ja, das hasste sie total.
Und genau deshalb warnte der Beta sie wohl auch gerade vor weiterer Unruhe. Freya sollte dem Alpha nicht sagen können, dass sie etwas nicht richtig gemacht hatte oder sich gar über ihr Verhalten bei dem eiskalten Monster beschweren und es damit auf den Plan rufen. Das tat sie nämlich nur zu gerne.
Oh ja ...
Omega-Wölfe und -Welpen konnten immer nur froh und glücklich darüber sein, wenn der Alpha sie ignorierte. Das wusste sie noch aus dem Schwarzwald. Wenn auch sonst nicht mehr viel mehr als das.
Langsamer, aber trotzdem wohl immer noch zu hastig, da Freya sich mehrfach laut räusperte, aß sie auf und brachte dann rasch und still ihre Schale hinüber zur Spüle und stellte sie mit einer leichten Omega-dienenden Verneigung vor Freya auf die Anrichte.
„Danke, Nana. Und nun lauf schon!", murrte die Haushälterin sie natürlich noch einmal genervt an.
Schon griff und schulterte Naeli den Rucksack und verschwand eilig aus der Tür hinaus ins Freie, wo sie hastig in ihre Schuhe schlüpfte, ... welche mit Klettverschluss.
Mit Schnürsenkeln konnte sie nämlich auch nicht gut. Ihre Finger waren zu steif und kaputt, um damit Schleifen zu binden.
Doch gerade als sie dann rasch die Treppe hinuntersprang und den Weg entlang zur Busstation rennen wollte, kam der gewaltige, silbergraue Alphawolf aus dem Wald herausgesprungen und verwandelte sich beinahe schon direkt vor ihr stehend in den extrem gutaussehenden, aschblonden, jungen Alpha zurück, dessen Augen noch kurz rötlich nachglühten, bevor sie schließlich blitzeblau wurden ...
Oh, Gott. Schnell blickte sie mit tief gesenktem Kopf zu Boden und verneigte sich auch noch halb vor ihm.
Denn seine seltsam emotionslosen Blicke verwirrten sie stets. Dann begann ihr Magen zu kribbeln, ihr Bauch, ja, einfach alles ... vor lauter Nervosität. Es lag sicher nur an seinen Augen. Die hatten nämlich so ein tiefes, intensives Blau, wie es noch nicht einmal der Himmel hatte, und doch war auch das nicht das eigentlich Besondere an ihnen, sondern eher dieser winzige bernstein-goldene Ring direkt um die Iris herum. Solche Augen gab es so sicher nicht noch mal auf der Welt. Und er trug gerade auch nur einzig seine schwarz-ledernen Hosen und sonst nur noch Schweiß, Dreck und Blut am athletisch gebauten Leibe. Rehblut vom Jagen, ... hm, wie lecker das roch.
Und was für Muskeln er schon jetzt hatte ...
Er konnte sie sicher mit nur einem einzigen festen Griff in ihren Nacken töten ...
- Oh, ... oh, Luna, was dachte sie denn da?
Doch ihr Herz schlug ihr nun beinahe schon die Rippen kaputt, während er mit ausdrucksloser Miene auf sie zukam. Doch er sah sie zum Glück nie lange an, so auch jetzt nur ganz kurz und eher desinteressiert.
Natürlich, er war schließlich der mächtige Alpha des Kellerwaldes, ... grausam und gnadenlos.
Hastig ging sie also von der Treppe weg, um ihm den Platz zum Hochgehen freizumachen, und kniete sich dann eilig auf den Schotter nieder. Er war heute zu spät dran. Das geschah selten. Also durfte sie wohl wirklich den Bus nehmen, freute sie sich schon und wollte eben doch noch schnell wieder aufstehen und losrennen. Da hielt seine eisige, ausdruckslose Stimme sie auf.
„Nana, du wartest hier auf mich. Im Wald südlich von hier war ein Roguelager. Mag sein, dass da noch ein paar von denen hier draußen herumschleichen und Jagd auf einsam gehende Wölfe machen. Also bleib hier am Haus. Ich bin dann gleich soweit!", sagte er wider Erwarten ruhig zu ihr. Sie nickte nur hastig und stumm, ... sah derweil weiter fest zu Boden.
Er ging hinein und sie setzte sich dann erst mal wieder ganz zittrig und frustriert ausatmend auf die Treppe. Sie wünschte sich sogar fast schon, einer dieser wilden Rogue würde sie tatsächlich rein zufällig finden und ihre Existenz auf ehrenvolle Weise, nämlich im Kampf, beenden. Sehnsüchtig sah sie zum einsam gelegenen Waldweg hin. Hörte schließlich den Bus herankommen ... und weiterfahren. Wäre sie gerannt, hätte sie ihn sicher noch erwischt. Wäre sie doch nur zwei Minuten schneller aus dem Haus gewesen, dann hätte sie nun friedlich mit dem Bus fahren können, statt auf das Monster zu warten.
Nur ein Glück, dass er sie heute beim Frühstück nicht auch noch hatte schlingen sehen.
Früher, als sie gerade erst im Rudelhaus eingezogen war, hatte er sich noch sehr oft demonstrativ vor sie an den Tisch gesetzt und sogar auch noch zu Anfang mit eigener Hand gefüttert wie einen winzig kleinen Welpen, nur weil sie kurz nach ihrer Befreiung aus dem Keller zuerst noch wie ein wildes Tier gefressen und alles immer nur hastig heruntergeschlungen hatte. Und ja, ... das war auch das eine Mal gewesen, dass sie zu viel Ungekautes auf einmal heruntergeschlungen hatte und deshalb dann kotzen musste.
Sie hatte auch kaum noch daran gedacht, wie es war, Bestecke zu benutzen, sondern einfach nur immer alles, was sie bekommen hatte, gleich mit den steifen, krallenartigen Fingern zupackend in den Mund gestopft.
Der Alpha hatte dann aber schließlich mit seiner Präsenz und auch durch ständiges Wegnehmen und böse Anknurren dafür gesorgt, dass sie es wieder anders lernte.
Das war ihr alles so unglaublich peinlich gewesen und echt erniedrigend.
Doch eine Omega hatte ja nichts zu sagen, nichts zu wollen und durfte einzig nur gehorchen, sonst nichts.
Ein paar Minuten lang starrte sie noch, in bittere Gedanken versunken, vor sich hin. Da ging die Tür auch schon wieder auf und der Alpha trat frisch geduscht und umgezogen, mit noch feuchtem Haar, aber nun richtig finsterer Miene, aus dem Haus heraus.
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro