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„Nana! Kommst du endlich? Dein Frühstück steht schon längst bereit und du hast nur noch zehn Minuten Zeit, bevor der Bus fährt. Der Alpha ist noch nicht da, also spute dich!", meldete sich Freya ärgerlich klingend.
Eilig legte sie alle Utensilien wieder ordentlich in die Regalfächer zurück und wischte das Waschbecken mit dem Handtuch aus. Kein einziger Tropfen sollte irgendwo stören. Sie hatte gelernt, alles in bester Ordnung zu halten. Ja, ... sie hatte es lange, lange, lange und überaus gründlich so gelernt.
Ihr Blick verschleierte sich kurz und sie erinnerte sich an die harten Schläge ihrer Herren, wann immer sie auch nur einen winzigen Streifen auf dem Spiegel oder einen Tropfen Wasser im Waschbecken gefunden hatten.
Ständige Fehler, die Nana gemacht hatte, wie sie Ira Naeli Winter, die geborene Wölfin aus dem Schwarzwald, einfach umbenannt hatten, ... bis sie es dann eines Tages wirklich auch geworden war. Nur noch Nana, ... nur noch deren stumme und unterwürfige Sklavin.
Nun hielt sie also Ordnung. Sogar akribische Ordnung. Denn der Alpha des Kellerwaldes sollte nichts zu beanstanden haben. Niemals! Denn er sollte ihr besser keinerlei Aufmerksamkeit mehr schenken.
Mit eingezogenem Kopf und hochgezogenen Schultern öffnete sie die Badezimmertür und wagte es nicht, der streng aussehenden Haushälterin ins Gesicht zu schauen. Man hatte ihr auf die harte Tour beigebracht, den Herren niemals direkt in die Augen zu schauen. Auch wenn diese sie nun sehr verächtlich wie auch missbilligend anstarrte ... Wenn niemand mit dabei war, zeigte sie ihr immer nur Verachtung und Missbilligung. Denn eine Omega hatte eigentlich nichts im Rudelhaus verloren, wenn sie da nicht auch tatkräftig diente und putzte.
„Nun komm endlich, Nana! Hast du deine Tasche gepackt, eh? Sind deine Hausaufgaben erledigt?", fragte Freya sie nun merklich ungeduldig.
Sie nickte nur hastig und stumm und schlich sich dann mit tief gesenktem Kopf, ganz eng an der Wand bleibend, an ihr vorbei, weil sie erst noch mal in ihr Zimmer gehen musste, um ihren Rucksack zu holen.
Oder besser gesagt, es war ein Rucksack, den der Alpha ihr für die Schule zur Verfügung gestellt hatte. Sein Eigentum.
Sie wagte es nicht, ihn auch nur in irgendeiner Art und Weise zu beschmutzen. Und wenn da doch mal ein Flecken draufkam, wusch sie den Stoff zu Hause schleunigst wieder blitzsauber.
Schließlich gehörte er nicht ihr. Ja, gar nichts gehörte hier ihr ... und sie konnte und durfte auch gar nicht darum kämpfen, eigenen Besitz zu haben, nie. Dazu müsste sie ja schließlich auch zuerst mal Mitglied im Rudel sein. Aber nicht mal Alpha Kators böseste Alphastimme konnte sie dazu bringen, sich vor ihm zu wandeln.
Naeli war schon richtig dankbar für den Umstand, zumindest noch mental stark genug zu sein, um da passiv zu bleiben, und hatte darum in ihrem ersten Winter im Rudelhaus der Mondgöttin Luna für ihre große Gnade einen Monat lang die Hälfte ihres Essens geopfert, ... bis der Alpha das gemerkt und sie vor sich zitiert hatte, sie schnaubend gefragt hatte, ob es ihr nicht schmecken würde, ... ob sie lieber etwas anderes essen wollte und gerade ihren Unmut durch das Wegschmeißen von Lebensmitteln ausdrücken wollte, oder es einfach zu viel sei und sie Bestrafung fürchtete, weil sie es nicht schaffte aufzuessen, wie sie es aber eigentlich sollte.
Sie hatte lediglich still vor ihm gekniet und rein gar nichts dazu gesagt oder gemacht. Nicht mal zu ihm aufgesehen. Doch statt sie anzubrüllen oder zu schlagen hatte er sie letztlich nur schlicht gebeten, nicht wieder das Essen wegzuschmeißen.
Seither bekam sie dann natürlich nur noch sehr viel kleinere Portionen von Freya, die empört über ihre Respektlosigkeit geschimpft hatte.
Naeli dachte sich nur ihren Teil, ... denn nun war sie schon seit über einem Jahr ständig hungrig, immer noch viel zu dünn und schwach.
Und opfern konnte sie Luna nun natürlich auch nichts mehr.
Zudem fand sie es extrem seltsam, dass der Alpha sie derart nachlässig behandelte. Er war schließlich ein geborenes, grausames Monster.
Trotz, dass sie in Menschengestalt war und blieb, sich verweigerte und somit nicht zum Rudel gehörte, warf der Alpha sie noch immer nicht aus dem Rudelhaus raus. Das war ... ebenfalls seltsam.
Warum tat er das bloß?
Nur, weil er meinte, sie könnte einen Mate im Kellerwald haben und ihn beim nächsten Mate-Ball finden, an dem sie diesmal teilnehmen sollte?
Das war höchst unwahrscheinlich.
Seit sie im Kellerwald war, hatte sie sich schließlich noch nie zu irgendjemandem besonders hingezogen gefühlt. Doch ihre Mahmen hatte immer behauptet, dass sie es eines Tages sofort spüren würde. Dass sie es auf jeden Fall merken würde, wenn ihr Seelenverwandter vor ihr stünde, wenn sie erst alt genug sei. Mit vierzehn ... Ihre Wölfin würde es dann ganz sicher sofort merken und heftig reagieren.
Tja, ... nein.
Alt genug war sie ja schon lange. Doch gespürt hatte sie bisher noch rein gar nichts. Außer natürlich nagende Angst und das Gefühl, gleich kotzen zu müssen in Gegenwart ihrer Feinde.
Doch der Kellerwald-Alpha hielt sie trotzdem weiter gefangen. Also würde sie ihren tatsächlichen Seelenverwandten wohl niemals kennenlernen. Vermutlich würde man sie bald schon an einen einsamen, matelosen Wolfwächter vergeben. Natürlich war dies auch noch das schlimmstmögliche Schicksal für eine geborene Werwölfin. Doch den Kellerwald-Wölfen war es vermutlich vollkommen egal, ob sie dieser Farce dann zustimmte oder nicht. Denn der Alpha entschied ja nun persönlich über die ehemaligen Sklaven seines Rudels. Sie selbst hatten dazu rein gar nichts mehr zu sagen.
Es verbitterte sie schon ein wenig. Doch immerhin bliebe ihr dann wieder derselbe Ausweg aus dieser Misere, den sie schon einmal erwogen hatte. Im Keller ...
Ihr Blick fiel erneut auf die gräuliche, leicht erhabene Narbe an ihrem Handgelenk. Ja ... Sie konnte sich immer noch selbst töten, um den Bestien zu entkommen. Und das würde sie vermutlich auch tun, wenn man sie hier wirklich an irgendeinen alten, garstigen Werwolf verschenken würde.
Denn sie, Naeli, würde ihn garantiert nicht nehmen ...
Erneut hart schluckend, griff sie sich ihren Rucksack und ging erbebend hinaus in den Flur, wo Freya schon ungeduldig auf die Uhr blickte.
„Du bist heute aber wirklich lahm, Nana. Bist du etwa krank?!", fragte sie sie misslaunig.
Sie schüttelte nur den Kopf und schwieg. Echte Werwölfe wurden schließlich niemals krank, zumindest dann nicht, wenn sie keinen Mate hatten, der sie zufälligerweise abgelehnt hatte. Aber das wussten diese weiblichen Kellerwald-Bestien ja nicht von ihr.
Sie folgte der geborenen Haushälterin in die Gemeinschaftsküche, wo die anderen Leader-Werwölfe mit ihren Mate und im Beisein von Beta Ronno schon lachend und scherzend am Tisch saßen und massenweise Eier mit Speck und Waffeln mit Sirup aßen. Ihr lief schon allein bei dem Anblick das Wasser im Munde zusammen, ganz zu schweigen von dem Duft.
Trotzdem würde sie nichts davon essen, um ihre Wölfin nicht zu stärken. Es brachte ihr schließlich rein gar nichts ein außer großem Schmerz und Leid, wenn sie sich wieder öfter verwandelte. Und der Alpha würde in dem Fall auch sicher wieder versuchen, doch noch mit ihr zu walken.
Dann wäre sie allerdings endgültig verloren. Als anerkannte Omega im Kellerwald-Rudel, ... unter seinem Bann und Befehl stehend ...
Also nein.
Kein Schinken oder Speck für Nana. Und ganz davon abgesehen, würde Freya das auch gar nicht erlauben, die Hexe. Sie half Naeli sogar durch ihre bewusste Wolfsbann-Diät, den Wandel zu unterdrücken, ... vergiftete sie vermutlich auch, ... doch Naeli war immer noch ein Werwolf. Und damit nun mal nicht so leicht zu töten wie eine Menschgeborene.
Außerdem ...
Gekocht oder geräuchert schmeckte Schinken ohnehin nicht mehr so gut. Selbst der Alpha fraß morgens lieber im Wald ganz frisch auf der Jagd, weil er den angeborenen Anspruch an sich selbst hatte, ganz Werwolf zu sein und auch wie ein solcher zu leben.
Darin ähnelte er unheimlich ihrem Baba, Mahnus Winter. Er hatte sie morgens immer mitgenommen, gleich als sie das erste Mal jagen gelernt hatte.
Noch immer roch sie das frische Blut von Kaninchen oder Reh, schmeckte den Geschmack von warmem frischem Fleisch auf der Zunge.
Alpha Kator gefiel das wohl ebenso sehr. Und er kontrollierte so ganz nebenbei jeden Tag auch noch die Grenzen, bevor er dann ebenfalls in die Schule ging, denn er war ja auch erst achtzehn Jahre alt, ... aber sehr klug.
Er ließ sich nicht so leicht etwas vormachen. Er wusste genau, dass sie reden konnte, ... es aber nicht wollte. Bei niemandem. Dennoch hatte er dem Rudel offiziell verboten, sie dazu zu zwingen. Natürlich taten sie es trotzdem ständig. Vor allem in der Schule.
Die Jungwölfe piesackten sie, um sie dazu zu bringen, zu weinen, zu schreien oder auch nur irgendetwas zu sagen.
Die begriffen einfach nicht, dass all das, was sie ihr sagten oder antaten, für Naeli inzwischen nur noch eine normale Umgangsform darstellte. Kaum der Rede wert. Ebenso wie das, was die Haushälterin Freya bei ihr so abzog.
Vor Ronno und dem Alpha total scheißfreundlich zu ihr und hinten herum war sie aber fies und intrigant und sorgte dafür, dass sie von allem immer nur ganz, ganz wenig abbekam, wenn überhaupt.
Sie behauptete auch dreist, sie wüsste, was Naeli wollte und was nicht und tat sogar so, als würde sie schon oft mit ihr darüber gesprochen haben. Doch wozu das gut war, begriff sie nicht. In ihrem Rudel daheim hatte es keine Lügen gegenüber dem Alpha gegeben, doch hier im Kellerwald logen sie alle, dass sich die Balken bogen.
Es war ihr aber auch letztlich egal. Sollten die Herren ruhig ihr komisches Ding abziehen, sie würde sich einfach weiter still verhalten und so lange weitermachen, wie sie nur konnte, im Vertrauen auf Luna, die sie sicher irgendwann von diesem Leid erlösen würde. Ganz egal auf welche Weise.
Denn die Göttin war bei ihr.
Davon war Naeli fest überzeugt. Sonst wäre sie nämlich schon lange gestorben. Doch wie ihr Baba immer gesagt hatte: „Eine geborene Werwölfin ist zäh und hart im Nehmen, Naeli! Zu klagen ist nicht unsere Art, also beiß dich da irgendwie durch oder stirb im Kampf für dein Rudel und deinen Alpha!"
Letzteres hatte sie heute natürlich nicht mehr.
Kein Rudel mehr und auch keinen Alpha ...
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