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Sommer, fast 2 Jahre später
Der Wecker klingelte auf dem Nachttisch und Naeli schrak hoch. Zitternd suchte und fand sie die Aus-Taste und lauschte dann sekundenlang mit heftig klopfendem Herzen auf die Stille.
Selbst nach über zwei Jahren in neuerlicher, wenn auch andersartiger, Gefangenschaft hatte sie sich noch immer nicht daran gewöhnt, morgens von einem Wecker geweckt zu werden, statt mit einem Tritt in den Bauch oder Hintern und unter lautem Kettenrasseln. Es war auch immer noch ungewohnt, in einem Bett aufzuwachen, ein Kissen und eine Decke zu haben, morgens fast ohne Schmerzen daraus aufzustehen, sich echte Kleider anzuziehen und in eine richtige Schule zu gehen ...
Göttin ...
Niedergeschlagen seufzte sie auf.
Letzteres hätten sie getrost sein lassen können, es ihr aufzuerlegen. Sie hasste den Ort, wo die hiesigen Welpen und Jungwölfe lernten, oh ja.
Am liebsten wäre sie nun wieder für alle unsichtbar und würde putzen, arbeiten und dann später in irgendeiner Ecke hocken, bis sie es wieder musste. Das war viel friedlicher gewesen, stiller und ruhiger. Aber inzwischen machte ihr Leben ja nun mal so gar keinen Sinn mehr.
Sie war ein Nichts und Niemand im Rudel des Kellerwaldes, zu dem sie aber auch nicht gehörte ... Es nach wie vor verweigerte!
Sie tat nur alles so wie eine Omega-Sklavin, immer genau das, was ihr befohlen wurde, weil der Alpha es so wollte. Ja, der grausige Alpha des Kellerwald-Rudels. Ein gutaussehender junger Dämon, der direkt aus der Hölle kam ... ganz wie sein Baba.
Heftig schluckend legte sie die Hand auf ihr immer noch viel zu heftig pochendes Herz, das einzig noch von dem gruseligen Traum ihrer letzten Existenz aufgewühlt zurückgeblieben war, und atmete ganz tief und bewusst langsam ein und aus, um es wieder zu beruhigen.
Oh Mann.
Warum träumte sie nur immer wieder von dieser Nacht? Das war so schlimm. Kurz betrachtete sie ihr eigenes Handgelenk. Es war immer noch vernarbt, denn der ganze Dreck und das verschmutzte Wasser aus der Heizung, das sie damals ja hatte trinken müssen, hatte ihren Wolf so stark geschwächt, dass ihre Wunden nicht mehr richtig verheilt waren. Deshalb dachten der Kellerwald-Alpha wie auch sein Rudel bis heute, sie sei eine gebissene, wilde Rogue-Wölfin, ohne jede Kontrolle über ihren Wolf, weshalb sie sich auch nie vor ihnen verwandelte, sich weigerte und oft genug so tat, als könnte sie das auch gar nicht.
Ja ...
Dass sie heute überhaupt noch lebte, obschon sie sich Alpha Kator ständig verweigerte, war schon ein echtes Wunder. Doch so war dieser unberechenbare Alpha nun mal.
Er arbeitete sogar mit reinen Menschen hier im Rudelhaus zusammen, die weder angeknurrt noch bedroht oder auch nur gewarnt, geschweige denn gebissen werden durften, ... wem das nicht passte, der konnte ihn gerne herausfordern und im Kreiskampf sterben.
Er benutzte auch schon seit Jahren rein menschliche Technologie wie Telefone, Handys und Computer. Wen das irritierte oder wer darüber lachte, war schneller Wächter an der Grenze oder einen Kopf kürzer, als er sich entschuldigen konnte.
Es war nicht ratsam, Kators Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Erst recht nicht als ein geborener Werwolf, der ihm spottete. Die Gebissenen dagegen nahm er schlicht nicht für voll.
Deshalb tat sie nun auch so, als sei sie eine ängstliche Gebissene, oder protestierte zumindest nicht, wenn andere das laut nachdenkend über sie annahmen. Denn kein Alpha mochte die Gebissenen. Ja, sie hielten sich eher von ihnen fern.
Und da bildete auch dieses Kellerwald-Monster zum Glück keine Ausnahme. Er verkehrte fast nie mit den Gebissenen. Außer es gab Probleme. Sie waren und blieben hier im Rudel nur eine niedere Randgruppe und blieben darum auch immer für sich. Warum er also ausgerechnet sie in seinem Rudelhaus behielt, war Naeli ein Rätsel.
In der Schule gab es schließlich auch noch drei andere Mädchen, die tatsächlich gebissene Omega waren und nun in Pflegefamilien lebten. Entführte und gebissene Menschenmädchen aus der freien Welt, die das Rudel gestohlen oder gekauft hatte.
So wie sie.
Sie standen natürlich ebenfalls unter strenger Beobachtung. Sie selbst aber am meisten.
- Weil sie bisher ja noch nie mit dem Rudel gewalkt war, ... sich dem Alpha-Bewusstsein verschloss und es auch niemals freiwillig zulassen und sich vereinnahmen lassen würde. Stattdessen versuchte sie immer noch wegzulaufen, ... zumindest ab und zu. Sie hoffte nun mal darauf, dass die Aufmerksamkeit der Wächter doch noch nachlassen würde. Denn dass sie sich hier jemals irgendwie freiwillig einbrachte oder gar überwechselte, war unmöglich.
Ja ...
Ganz ausgeschossen.
Selbst wenn sie nun für immer den abartig unterwürfigen Menschen-Wolf mimen musste, sie würde sich diesem Alpha-Monster trotzdem niemals vollständig ergeben und diesen letzten winzigen Rest an Ehre und Stolz für sich bewahren.
Endlich gelang es Naeli, ihre zitternden Glieder zum Aufstehen zu zwingen und leise zur Zimmertüre zu schleichen.
Draußen pochte und stampfte und hustete es bereits laut. Die anderen Werwölfe im Rudelhaus waren schon längst aufgestanden und in ihre fünf großen Badezimmer gegangen. Insgesamt gab es sechs davon hier im Rudelhaus. Sie hörte auch schon irgendwo das Wasser rauschen und dann wieder leises Fluchen, Lachen, Kichern und Murren.
Eine Stimme war ganz nahe, ... der Beta? Der Tic ... oder ein Leader?
Egal!
Sie mochten sie alle nicht.
Am liebsten hätte sie nun wieder Tag und Nacht geknurrt, so wie am Anfang hier, als sie alle damit gewarnt hatte, sich ihr auch nur zu nähern. Doch dann war ja immer gleich der Alpha gekommen, um sie seinerseits zu warnen, nicht zu wild zu werden ... Und er war sogar zwei Nächte bei ihr geblieben, weil sie sich nicht in ihr Bett gelegt hatte, wie sie es aber sollte, sondern auf dem Boden unter dem Tisch in der Ecke geschlafen hatte, ohne Decke und Kissen. Da hatte er ihr gedroht, zukünftig immer bei ihr zu schlafen, um persönlich dafür zu sorgen, dass sie im Bett bliebe.
Brrrr, ... alles, nur das nicht, schüttelte sie sich auch jetzt noch bei dem Gedanken an diese furchtbaren Nächte, in denen sie kein Auge zubekommen hatte. Also lag sie nun jede Nacht brav in diesem blöden Bett, das viel zu weich war, unter einer Decke, die viel zu warm war, wie ein Mensch, der sie nicht war.
Wenn das ihr Baba wüsste ...
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