Chào các bạn! Vì nhiều lý do từ nay Truyen2U chính thức đổi tên là Truyen247.Pro. Mong các bạn tiếp tục ủng hộ truy cập tên miền mới này nhé! Mãi yêu... ♥

Kapitel 32

Lucinda

Er zerrte mich grob in eine kleine Nische zwischen den Spinden. Ironischerweise war es genau die Nische, in der Álvaro gekauert hatte, als es ihm vor Mathe aufgrund des Blutmangels damals so schlecht gegangen war. Fast hätte ich gelacht.

Allerdings nur fast.

»Du wirst das nicht machen. Das kannst du vergessen«, knurrte Logan mich an.

Inzwischen bereute ich stark, ihm gerade in Geschichte diesen Zettel zugeschoben zu haben. Ich muss Álvaro suchen, hatte darauf gestanden. Allein schon die Blicke, die mein bester Freund mir danach zugeworfen hatte, hatten Bände gesprochen. Selten hatte ich ihn so gesehen. Aber seit der Aktion gestern - seit dem Kuss - wusste ich ja auch, wieso er sich in letzter Zeit besonders beschützerisch aufführte. Und ich war mir sicher, dass da neben seinem Beschützerinstinkt auch noch eine gehörige Portion Eifersucht dabei war.

Ehrlich gesagt hatte der Kuss mich wirklich überrascht. Nie im Leben hätte ich gedacht, dass er auf die Art für mich empfand. Natürlich standen wir uns nahe. Doch Logan war wie der Bruder für mich, den ich nicht hatte. Ich war immer davon ausgegangen, dass davon auch das Verlangen, mich zu beschützen, hervorgegangen war.

Welch Irrtum.

Gestern Abend war ich mehr als nur aufgewühlt gewesen. Einmal hatte ich nicht auf meinen Mund geachtet und im nächsten Moment war dann die Situation eskaliert. Álvaro war über mich hergefallen. Jedoch konnte ich ihm das nicht einmal verübeln. Vermutlich hätte ich an seiner Stelle genauso reagiert. Wenn nicht sogar noch schlimmer. Immerhin hatte der Vampir mich ja noch am Leben gelassen. Das hätte weitaus katastrophaler enden könnten. Schließlich war er der Sohn seines Vaters. Und in seiner Welt war die Todesstrafe alltäglich. Álvaro kannte es nicht anders, ich konnte es ihm nicht einmal verdenken.

Dass Logan dann so schnell zu mir kommen konnte, hatte dann alle Knoten in mir gelöst. Ich war einfach nur dankbar gewesen. Dass er für mich da war, sich um mich sorgte. Die Wahrheit war ich ihm schuldig gewesen. Und die hatte mein bester Freund erstaunlich schnell geglaubt.

Jedoch schien ich nicht die Einzige gewesen zu sein, die reinen Tisch gemacht haben wollte. Sein Kuss kam plötzlich, weil ich es wirklich nicht erwartet hatte; jedoch hatte die Situation geradezu dazu eingeladen - zumindest wenn wir nicht befreundet gewesen wären. Als seine - zugegebenermaßen, sehr weichen und zärtlichen - Lippen die Meinen berührt hatten, war ich im ersten Moment viel zu überrumpelt gewesen, um etwas zu tun. In meinem ganzen Kopf hatten noch immer die Gedanken wild umher gewirbelt, zu sehr hatte mich die Aktion von Álvaro aufgewühlt. Und wenn ich ganz ehrlich war, im ersten Moment hatten sich seine Lippen gut angefühlt. Ungewohnt, aber gut. Vertraut. Doch dann war mir klar geworden, dass ich Logan nicht auf diese Art liebte.

»Ich werde dich nicht einmal in die Nähe dieses Monsters lassen«, fuhr er fort und riss mich so aus meinen Gedanken.

Ich verdrehte die Augen. »Er ist kein Monster.«

Seine gletscherblauen Augen wurden schmal und eine kleine Wutfalte erschien auf seiner Stirn. »Gerade du solltest wissen, dass er das ist. Allein schon aufgrund der Tatsache, wie er dich gestern zugerichtet hat«, zischte Logan, die Arme links und rechts neben meinem Kopf an den Schließfächern abgestützt.

Nun ja, trotz des Speichels sah man mir noch an, dass mir etwas passiert sein musste. Mein Wangenknochen leuchtete meergrün bis blau, genau wie meine Arme und Rippen. Von meinen Knien möchte ich gar nicht erst anfangen. Álvaro war gestern wirklich nicht zimperlich mit mir umgegangen. Noch immer tat mir alles weh, wenn ich mich bewegte. Aber es war auszuhalten und ich würde einen Teufel tun, Logan etwas davon zu sagen. Lieber biss ich mir die Zunge ab. Es wäre die reine Bestätigung für ihn, dass er Recht hatte. Und tat mir wirklich sehr leid, aber in diesem Punkt stimmte ich nicht mit ihn überein.

Das Problem war nur, dass meinen Freunden auch nicht entgangen war, dass mir etwas zugestoßen war. Zwar hatte ich extra darauf geachtet, heute lange Sachen anzuziehen, trotzdem hatten mich viele Schüler heute argwöhnisch gemustert. Zumal Álvaro fehlte und man wusste, dass wir zusammen waren.

Und so lächerlich meine Lüge, die ich zur Begründung meines Veilchens angab, auch war, weil sie so gut zu mir passte, kauften alle mir sie ab. Ausnahmslos. Sogar das Misstrauen in Ashs silbernen Augen wandelte sich schlagartig in Belustigung um, als ich ihm erzählt, dass ich gestern bei Álvaro gewesen war, und er mir versehentlich seinen Ellenbogen ins Gesicht gestoßen hatte, weil er mich gekitzelt und ich mich gewehrt hatte und wir gegen Ende uns gegenseitig lachend gekatzbalgt hatten. Das einzig Wahre an der Geschichte war, dass Álvaro dafür verantwortlich war. Eigentlich war das traurig.

»Das mit gestern ist nicht seine Schuld«, beteuerte ich wiederholt.

Ein ungläubliges, aufgebrachtes Schnauben entwich Logan. »Das glaubst du doch selbst nicht.«

»Du solltest schon nach den ersten Kapiteln wissen, dass er anders ist als seine Familie«, warf ich ihm vor.

Denn Logan hatte gestern darauf bestanden, mein Buch zu lesen - Álvaros Geschichte zu lesen. Besonders weit war er nicht gekommen, da wir nur noch knapp zwei Stunden wach geblieben waren und Logan sich ständig meine Wunden angesehen hatte. Denn erst nach dieser Zeit da hatte Logan eingesehen, dass meine Verletzungen wirklich heilten. Zuvor war er felsenfest davon überzeugt gewesen, dass ich doch zum Arzt sollte.

Ich konnte verstehen, dass es für ihn paradox erschien, dass reiner Speichel eines wahrhaftigen Vampires es vermochte, Wunden zu heilen. Eigentlich rechnete ich es meinem besten Freund auch sehr hoch an, dass er mit der Situation so gut umging.

»Und wenn der Mistkerl in deinem Buch ein Welpenparadies bauen würde; er hat dir wehgetan«, hielt Logan gegen.

Wütend funkelte ich ihn an. »Wie würdest du reagieren, wenn du rausfinden würdest, dass Álvaro mich umgebracht hat, weil ihm gerade langweilig war und er ein dramatisches Ende brauchte?«

»Das ist etwas anders«, knuckerte er.

»Ist es nicht.«

Frustriert fuhr mein bester Freund sich durch die Haare. »Dabei hatte ich wirklich das Gefühl, dass er dich liebt. Wieso hat er dir das nur angetan?«

Jetzt war ich diejenige, die verächtlich schnaubte. »Álvaro liebt mich nicht. Er hat von meinem Blut gekostet und mich dabei angesehen. Alleine das reicht vollkommen aus, um Gefühle für sein Opfer zu entwickeln. Das ist eine reine Überlebensstrategie. Denn so wird dafür gesorgt, dass Vampire ihre Opfer nicht töten und ihnen schmeicheln, sodass sie immer Blut bekommen.«

Noch immer tat diese Erkenntnis höllisch weh. Ich war vorher einfach nicht darauf gekommen, dass er mich vielleicht nur meines Blutes wegen mochte. Tatsächlich war ich so dumm gewesen und hatte geglaubt, dass Álvaro mich wirklich liebt.

Aber das war schließlich auch der Grund, warum Vampire den Blutzoll nur mit verbundenen Augen einfordern. Der Vampir hatte dies bei mir jedoch nie beachtet.

»Das ist widerlich.«

»Geh lieber von ihr weg, am Ende bekommen sogar deine Kinder Grannyhaare. Es wäre eine Schande bei deinen hübschen Augen«, stichelte Claire und rauschte an uns vorbei.

Logan verdrehte die eben genannten Augen, aber keiner von uns ging auf die Bitch ein. Wieso auch. Es war Claire. Ihr Leben bestand praktisch aus Sticheleien. Ganz davon abgesehen, dass Logans Kinder nie meine Genmutation bekommen würden, solange wir nicht miteinander schliefen. Aber Genetik war nicht Claires Stärke. Wie so vieles.

Ich senkte den Blick. »Ja, danke. Ich weiß selbst, dass ich Scheiße gebaut habe.«

»Ich meine nicht, dass das von dir widerlich ist, sondern von ihm«, versuchte Logan zu erklären. »Wie konnte er nur?«

Ich atmete tief ein. »Logan. Nichts davon ist seine Schuld. Ich habe ihn zu dem gemacht, der er jetzt ist. Álvaro kann da nichts für. Nicht einmal ansatzweise.«

»Aber sein jetziges Handeln ist seine Schuld«, beharrte mein bester Freund.

»Ja, aber es beruht auf seinem Charakter. Seinem Leben. Seinen Erfahrungen und Gefühlen. Und die sind auf meinem Mist gewachsen. Meinetwegen ist er ja auch schwul.« Die wahrscheinlich dümmste Idee meines Lebens.

»Das ist ja eben die Sache. Ich glaube nicht, dass er komplett schwul ist«, meinte Logan. »Ja, vielleicht bi, aber definitivt nicht schwul.«

Verwirrt blickte ich ihn mit meinen grasgrünen Augen an. »Wie kommst du denn darauf?«

»Wenn ich das richtig verstanden habe, hast du ihn das erste Mal trinken lassen, nachdem er in Mathe weggeklappt ist.«

»Ja, aber ...«

Seine Finger legten sich auf meine Lippen. »Lass mich ausreden«, bat er. »Kannst du dich an unserem Abend am Strand erinnern? Du bist auf meinem Schoß eingeschlafen.«

Unsicher nickte ich. »Ja.«

»Du hättest den Blick sehen müssen, mit dem Álvaro dich angesehen hat.« Die Eifersucht in seiner Stimme war unüberhörbar und sein Kiefer verhärtete sich.

Erst jetzt wurde mir klar, wie sehr es Logan wehgetan haben musste, seine Gefühle die ganze Zeit vor mir geheim zu halten. Zumal ich nicht wusste, wie lange das schon ging und gestern hatte ich mich nicht getraut, zu fragen. Es wäre auch etwas taktlos gewesen.

Ich kramte in meiner Tasche und holte mein Handy raus. »Er ist schwul. Und ich kann es dir beweisen.« Rasch machte ich mein Schreibprogramm auf und öffnete die digitale Version meines Romanes. Anschließend tippte ich auf die Wörtersuchfunktion und gab das Wort schwul ein.

Keine Ergebnisse.

Entsetzt starrte ich das Display an. »Aber ...«

»Du hast nie ausdrücklich geschrieben, dass er schwul ist«, seufzte Logan und nahm mir das Smartphone aus der Hand. Er sperrte es wieder und schob es zurück in meine Arschtasche. Ob mein bester Freund damit nur beabsichtige, mich zu berühren, wusste ich nicht. »Und damit hast du es nicht eindeutig bestimmt.«

»Ich muss ihn suchen«, flüsterte ich. Elegant schlüpfte ich unter seinem Arm durch. Ein Hauch Hoffnung keimte in mir auf weil ein kleines Pflänzchen. Apropos, ich sollte zu Hause mal wieder Pflanziska gießen, sonst konnte ich mir eine neue Yucca Palme kaufen. Erneut.

»Hey!«, brüllte Logan mir nach.

Doch ich rannte einfach los. Der Gang war relativ leer, da viele schon auf dem Weg nach Hause waren. Dennoch musste ich aufgrund meiner Größe um den ein oder anderen Kerl herumrennen.

Allerdings war Logan aufgrund seiner zugegebenermaßen etwas längeren Beine auch schneller als ich und hatte mich schon nach der dritten Ecke eingeholt. Unsanft packte mein bester Freund mich am Arm und stoppte mich so. »Stehen geblieben, mein Fräulein«, knurrte er, die gletscherblauen Augen schmal und wachsam. »Du wirst nicht zu ihm gehen. Nur über meine Leiche.«

Vergebens wand ich mich in seinem Griff. »Wenn du mich nicht lässt, wird es Álvaros Leiche sein, über die wir steigen«, jammerte ich.

»Wie meinst du das?« Zu meiner Verwunderung lockere sich seine Hand.

»Er hat vor vier Tagen das letzte Mal getrunken«, erklärte ich leise, betend, dass uns keiner belauschte. »Wenn er kein Blut bekommt, ist er tot. Und es ist meine Schuld. Also, ich flehe dich an. Lass. Mich. Gehen.« Eindringlich sah ich meinen besten Freund an.

»Ich verstehe das nicht. Du hasst es, wenn etwas deine Haut verletzt«, flüsterte Logan.

»Jemanden von Einem trinken zu lassen, ist etwas Anderes. Außerdem ist es für Álvaro.«

Zaghaft löste mein bester Freund die Hand von meinem Arm. »Ich vertraue dir. Aber wenn etwas ist, rufst du mich an. Und wenn der Bastard dir noch einmal etwas antut, reiße ich ihm höchstpersönlich den Kopf ab.«

Dankbar lächelte ich ihn an. »Du bist der Beste. Kannst du meine Sachen mitnehmen?«

»Ja, aber nimm dir bitte dein Handy mit«, bat Logan.

Und selbst wenn ich den Schmerz in seinen Augen sehen konnte und wusste, wie sehr sich alles in ihm dagegen sträubte, mich gehen zu lassen, ich konnte nicht hierbleiben. Álvaro brauchte mich. Mehr als je zuvor.

Hastig stellte ich meine Sachen neben Logan und umarmte ihm zum Abschied. Dann stolperte ich los. Schnell war ich aus der Schule raus, überquerte den Hof und bog wahllos in eine Straße ab. Ich wusste nicht, wo Álvaro war, dennoch zog es mich auf unerklärliche Weise in Richtung der Klippen. Vielleicht gab es eine Verbindung zwischen dem Vampir und mir, weil ich ihn geschaffen hatte; jedoch war dies eine sehr waghalsige These. Allerdings hatte ich bis jetzt auch noch keine Erklärung dafür, wieso ich Runen verwenden konnte. Schließlich war ich ein Mensch und nur Vampire vermochten es, die magischen Schriftzeichen zu benutzen. Ich war aber keiner, sondern nur ein kleiner Mensch, der in der Patsche saß.

Über mir drängten sich dunkle Gewitterwolken eng aneinander und schluckten fast alles Licht. Es verhieß nichts Gutes und in der Ferne gollten der Donner. Eigentlich liebte ich Gewitter. Ich konnte da stundenlang am Fenster stehen und der geballten Macht von der Natur lauschen. Denn gerade der Donner sorgte dafür, dass man erst so richtig wahrnahm, wie klein und unbedeutend Menschen sind. Er war eine deutliche Warnung vor seinen Brüdern, den Blitzen. Meist reichte einer von ihnen aus, um einen Menschen zu töten, der zur falschen Zeit am falschen Ort war, in dem Falle, alleine stehend wie ein Leuchtturm auf einem flachen, freien Feld. Das so ziemlich Dümmste, was man machen konnte.

Ich huschte durch die Straßen und Gassen. Hin und wieder bog ich ab, ohne wirklich meine genauen Standort zu begreifen. Mittlerweile hatte ich den Rand der Stadt erreicht und der Weg führte mich am Rande des kleinen Waldes in Richtung der Klippen des Berges entlang. Auch wenn es gerade einmal Nachmittag war, drang kaum Sonne durch die dicken Wolken und es wirkte, als befänden wir uns in der Abenddämmerung. Unheilvoll grollte der Donner über mir. Es würde nicht mehr lange dauern, bis der Regen einsetzte. Und ich hatte noch nicht einmal einen Regenschirm dabei, vermutlich konnte ich von Glück reden, wenn ich mein Handy nach dieser Aktion noch gebrauchen konnte.

Immer weiter ging es bergauf, hier ein kleiner Pfad nach links, dann wieder nach rechts. Inzwischen wusste ich nicht mehr, wo ich war. Ich hoffte inständig, dass ich Álvaro fand, sonst wäre das alles für die Katz und obendrein hätte ich mich auch noch kläglich verlaufen. Jedoch sagte mir mein Gefühl, dass ich hier richtig und er nicht mehr weit war.

Umso frustrierter blickte ich nach oben, als mir ein fetter Regentropfen auf die Stirn klatschte. Allerdings übersah ich so diese Wurzel vor mir und stolperte. Ich schaffte es gerade noch so, mich zu fangen und nicht auf die Fresse zu legen, aber meine Zehe tat trotzdem aufgrund der Bekanntschaft mit besagter Wurzel weh.

Zaghaft entließen die dicken Regenwolken die Tropfen in die Freiheit. Der befürchtete Regenguss blieb vorerst aus. Allerdings verleitete mich das kalte Nass nicht gerade dazu, langsamer zu werden - ganz im Gegenteil. Ich rannte fast. Die vereinzelten Tröpfchen klatschten auf die Blätter der Bäume und mit einem Mal lag der Duft nach Regen in der Luft.

Mein Atem ging mit jedem Schritt schwerer und ich bereute, mich im Sportunterricht nicht mehr angestrengt zu haben. Sonst wäre meine Ausdauer jetzt vielleicht etwas besser gewesen. Doch gerade, als ich mich darüber aufregen wollte, lichtete sich der Waldpfad und lief in ein sanftes Plateau aus.

Jäh fiel mir auf, dass ich diesen Ort kannte: das war die Klippe, an der ich mich für dieses eine Kapitel aus meinem Roman orientiert hatte. Der Ort, wo Lorenzo gestorben war. Einige Meter nach dem Plateau ging es erst steil nach unten, dann wurden die Felsen scharfkantiger. Es grenzte an ein Wunder, dass die Regierung diese Stelle noch nicht abgesperrt hatte.

Der Regen wurde stärker und erst jetzt erkannte ich die Person, die mittig auf dem Plateau kniete und mir den Rücken zuwand. Ich hielt an, die Blätter des Gebüsches verbargen mich. Das weiße Hemd und die dunkle Hose saugten sich langsam mit Wasser voll. Seine langen, dunklen Haare lockten sich weich über seine Schultern bis zu den Schulterblättern - allerdings wurden auch sie durch den Regen strähnig.

Álvaro.

Gott sei Dank, er lebte.

Dann erst erblickte ich die etwas tellergroßen Schriftzeichen, die um ihn herum auf dem Boden prangten und in demselbgen Azurblau strahlten, wie die Tätowierungen auf seiner Brust im Vollmondlicht. Was bedeutete, dass die Runen aktiviert waren. Von ihm mit seinem Blut gezeichnet. Das erklärte auch die Blutflecken an den Ärmeln des blütenweißen Hemdes, die mir gerade ins Auge stachen. Ich brauchte einen Moment, bis ich die Runen entziffert hatte.

Erinnerung.

Licht.

Seele oder auch Geist.

Liebe.

Ende.

Die Namensrune für Moreno.

Diese sechs Runen zogen sich über den Steinboden. Ich wollte nicht wissen, wie viel Blut Álvaro dafür gelassen hatte, zumal die magischen Schriftzeichen sich doppelten. Allerdings huschten meine Augen suchend über das Plateau. Denn was genau bewirkten die Runen?

Keine Sekunde später sah ich die matte, durchscheinende Gestalt, die fröhliche lachend am Rande der Klippe hin und her tanzte. Seidige Haare fielen bis zur Schultern und wirbelten im Wind herum, die Augen waren glücklich und unbeschwert. Die Person war nur in Schwarz-Weiß, schemenhaft und nicht ganz klar. Dennoch wusste ich sofort, wer es war.

Lorenzo.

Jedoch war er nicht echt. Hierbei handelte es sich um eine Erinnerung - eine Erinnerung von Álvaro an seinen verstorbenen Freund. Umso mehr schmerzte der Anblick. Eine Welle von Schuld und Selbsthass schlug über mir zusammen und begrub mich unter sich. Erneut schämte, ja, hasste ich mich dafür, getan zu haben, was ich getan hatte. Logan hatte Unrecht. Nicht Álvaro war das Monster, ich war es.

Der Vampir bebte. Dann, plötzlich und ohne Vorwarnung schlug er mit beiden Fäusten auf den harten Stein vor sich. Das Zittern seines Weinens hatte von seinem ganzen Körper Besitz ergriffen. Ich wusste nicht, zum wievielten Mal er diese Erinnerung auf die Art und Weise hervorrief, dennoch wurde ich den Gedanken nicht los, dass es das allererste Mal war, dass er diesen Gedanken und diese Gefühle zuließ. Vermutlich konnte ich mir nicht einmal ansatzweise vorstelle, wie weh ihm das tun musste.

Der Regen prasselte inzwischen stark auf uns herunter, ich war noch etwas durch das Blätterdach der Bäume geschützt, und verwischte nach und nach die Runen. Das Glimmen erlosch und die Schriftzeichen wurden wieder blutrot, vermischten sich mit dem Wasser und verschwommen. Je mehr verschwanden, desto durchscheinender wurde der lachenden Mann, bis die schemenhafte Erinnerung an Lorenzo mit der letzten Rune vollends verblasste.

Álvaro schlug jedoch noch immer auf den Boden vor sich ein, Haare und Kleidung völlig durchnässt. Allerdings konnte man so viel deutlicher sehen, wie heftig das qualvolle Weinen ihn schüttelte; das Hemd klebte durchscheinend auf seiner Haut und die schwarzen Runen schimmerten hervor. Ebenso spielten seine fein definierten Muskeln unter der Bewegung. Seine Hände mussten vermutlich schon wie verrückt bluten, doch irgendetwas sagte mir, dass ihn das das genauso sehr kümmerte wie an dem Tag, wo Lorenzo gestorben war.

Mir fiel das Atem schwer, so sehr drückten die Schulgefühle auf meine Brust. Doch erst als ich zwischen den Büschen hervor auf das Plateau trat, merkte ich, dass mir ebenfalls die Tränen über das Gesicht liefen und sich mit den Regentropfen mischten.

Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro