Kapitel 31
Logan
Statt einer Antwort begann sie zu weinen.
Irgendetwas in mir war erstarrt. Schockgefrostet und dann nach unten gefallen. Und anschließend zerschellt. In tausende Splitter.
Reglos stand ich da und starrte meine beste Freundin an. Ich konnte mich einfach nicht mehr bewegen. Zwar hatte ich vermutete, dass meiner besten Freundin irgendetwas passiert war, nachdem sie mich vorhin völlig aufgelöst angerufen hatte. Doch nie wäre ich auf die Idee gekommen, dass Lucinda so zugerichtet worden war. Sie war komplett blutverschmiert und tränenüberströmt. Was auch immer geschehen sein mochte, ich konnte froh sein, dass Luz noch lebte. Beziehungsweise so davongekommen war.
»Was ist passiert?«, wiederholte ich rau, meine Stimme brach.
Atmen, Logan. Atmen.
»Ich ... Es war ... es war meine Schuld«, schluchzte die Kleine. Immer wieder fuhr sie sich mit zitternden Fingern übers Gesicht, um die Tränen wegzuwischen. Doch sie flossen unaufhörlich nach und so verschmierte Lucinda das salzige Nass nur über ihrem Gesicht. Es mischte sich mit dem Blut, dass aus der Platzwunde auf ihrem linken Wangenknochen suppte.
Mit wenigen Schritten war ich bei ihr und nahm sie in dem Arm. Dass ich damit mein graues Muskelshirt versaute, kümmerte mich herzlich wenig. »Wir sollten ins Krankenhaus«, murmelte ich ihn ihr Haar, welches selbst jetzt noch nach Mango roch.
Schlotternd löste sie sich von mir und blickte mich flehend mit ihren durch das Weinen stark geröteten Augen an. »Das geht nicht.«
»Aber du blutest wie verrückt.« Hilflos musterte ich meine beste Freundin und strich ihr eine ihrer silbernen Strähnen aus dem Gesicht.
Es tat mir im Herzen weh, Luz so zu sehen.
Und ich würde denjenigen umbringen, der ihr das angetan hatte.
»Das hört gleich auf«, wimmerte sie und versuchte erneut, sich Rotz, Tränen und Blut aus dem Gesicht zu wischen. Erfolglos.
»Bitte.« Flehend musterte ich sie.
»Es geht aber nicht.«
Frustriert fuhr ich mir durch meine dunklen Haaren. »Dann lass uns zumindest zu dir hoch gehen und deine Wunder versorgen«, bat ich.
Zu meinen Erleichterung nickte Luz. Ich nahm ihre Hand und zog sie sanft nach oben bis zu ihrer Wohnung. Es grenzte stark an ein Wunder, dass sie ihren Haustürschlüssel dabei hatten und er nicht irgendwie in einer der Gassen, durch die die Kleine garantiert gehastet war, verloren gegangen war. Vermutlich war es der Tatsache geschuldet, dass sie den Schlüssel mit einem Karabiner an ihrer Gürtelschlaufen befestigt hatte.
Ich schloss die Wohnungstür. Zum Glück hatte ihre Mutter gefühlt permanent Nachtdienst. Irgendwie war sie nie zu Hause. Zwar war ich der Meinung, dass Lucinda das nicht groß störte, da meine beste Freundin eher der ruhige Typ war, der nicht immer Gesellschaft benötigte. Und jetzt war es ja auch von Vorteil. Ich weiß nicht, was ihre Mom dazu gesagt hätte, wenn sie ihre Tochter so zugerichtet sehen würde.
Lucinda stand weinend im Flur. Völlig hilflos. Sanft schob ich die Kleine ins Bad und kramte aus einem der Schränke Pflaster und Verbände hervor. Anschließend schnappte ich mir einen Waschlappen und machte ihn nass. Ich bedeutete ihr, sich aus den Rand der Wanne zu setzten. Wortlos tat sie, was ich wollte.
»Was ist mit dir passiert?«, flüsterte ich, während ich vorsichtig das Blut von ihrem Wunden tupfte. Tatsächlich blutete es inzwischen weniger, als es sollte. Zumindest bei einigen Wunden.
»Es ist alles meine Schuld«, schluchzte Lucinda. »Ich habe das verdient.«
Ich wusch den Waschlappen aus. Das blutige Wasser verschwand im Abfluss. »Was redest du da? Du hast das ganz bestimmt nicht verdient. Wer war das?«
»Du kannst das nicht verstehen«, jammerte sie.
Inzwischen hatte ich fast alles Blut weggewischt. Zu meinem Entsetzen kamen jedoch hauptsächlich keine Platz oder Schnittwunden zum Vorschein, wenn man den Schnitt auf ihrem Dekolleté und dem Oberbarme sowie die Platzwunde absah.
Es waren Bisswunden. Je eine links und rechts in ihrem Hals, eine an ihrem Oberarm und eine an ihrer Schulter. Zwei gegenüberliegende Halbmonde, unterlegt von einem gemeinen Hämatom. Der perfekte Abdruck eines menschlichen Gebisses. Jede einzelne.
Und ich musste mich korrigiere. Nur diese Wunden blutete nicht mehr. Die Platzwunde in ihrem Gesicht und der Schnitt auf ihrer Brust sowie die Schürfwunden an Händen und Knien suppten immer noch.
Mir wurde schlecht.
Was, zum Teufel, war hier los?
»Was hat dich gebissen?«, knurrte ich alarmierend, mein Blick verdunkelte sich. »Und wehe, du lügst mich an.«
Lucinda musterte mich lange, noch immer rammen ihr die Tränen die Wangen hinab. »Álvaro«, gestand sie dann leise.
Atmen, Logan. Atmen.
Die Wut explodierte in mir wie eine Farbbombe. In meinem Fall, wie eine knallrote Farbbombe. Schlagartig ließ ich den Waschlappen fallen und riss die Badtür auf. »Dieser Scheißkerl! Ich wusste, das er nicht gut für dich ist!« Mit wenigen Schritten war ich bei der Wohnungstür. »ICH BRINGE DEN DRECKSACK UM!«
Lucinda hinderte mich daran, aus der Wohnung zu stürmen. Anscheinend war sie mir hinterhergehastet und packte mich jetzt panisch am Arm. »Nein, bitte nicht«, bettelte die Kleine.
»Nenn mir einen Grund, warum ich dem Arsch nicht den Kopf abreißen sollte«, zischte ich bebend.
»Weil ich ihn geschaffen haben.«
Ich ließ die Türklinke los, die ich zuvor ergriffen hatte. »Das musst du jetzt erklären.«
Zaghaft dirigierte sie mich in ihr Zimmer, das Blut lief ihr das Knie hinab, doch das Mädchen ignorierte es vollkommen. Bestimmt wühlte sie in ihrer Schreibtischschublade und kramte einen Hefter hervor. Er hatte die gleiche Farbe wie die Flüssigkeit, fie ihr im Gesicht klebte. Áskarons Blut stand in geschwungenen Buchstaben darauf.
»Du weißt, dass ich einen Roman geschrieben habe, oder?«
Verwirrt musterte ich sie. »Ja, irgendwas mit Vampiren, aber was hat das damit ...« Ich stockte. Nein, das konnte nicht sein.
Lucinda schlug eine Seite fast ganz hinten auf. Es war eine Zeichnung. Von Álvaro. Überall auf seiner Brust waren diese komischen Zeichen. Als wir uns für Sport umgezogen hatten, hatte ich sie bei ihm gesehen.
Sie waren identisch.
Lucinda blätterte weiter. Ein weiteres Bild erscheint.
Von dem Typen, den Álvaro gezeichnet hatte. Der Typ, mit den schulterlangen, goldblonden Haaren.
»Das ist Lorenzo. Der Mann, mit dem Álvaro zusammen ist.« Lucinda schluchzte auf und blätterte zurück. Fast ganz ans Ende des Buches. Zeile für Zeile lief über das Papier.
Und schob mir den Text entgegen.
Hastig überflog ich die Zeilen. Mit jedem Wort wurde mir übler und das Blut wich mir mehr und mehr aus dem Gesicht.
Ich wusste, dass Lucinda geschrieben hatte. Über ein Jahr saß die Kleine an dem Roman. Ständig war sie mit genau diesem Hefter herumgerannt und hatte geplant. Doch egal wie sehr ich gebettelt hatte, nie hatte Luz mich lesen lassen. An einen Verlag hatte meine beste Freundin es geben wollen. Doch dazu war es in den letzten Wochen noch nicht gekommen, weil sie laut eigenen Angaben ersteinmal Korrektur lesen wollte.
Aber je mehr ich las, desto mehr verwarf ich den Gedanken, dass Lucinda das Buch je zu einem Verlag geben konnte.
»Das kann nicht sein«, murmelte ich, als ich das Kapitel zu Ende gelesen hatte.
»Doch. Ich habe Lorenzo am Ende sterben lassen. Und genau das hat Álvaro heute herausgefunden.«
Ich musste mich zwischen dem Schreibtisch und Pflanziska an die Wand lehnen. »Álvaro kann kein Vampir sein. Das ist unmöglich.«
Obwohl es mit dem übereinstimmte, was Jean mir erzählt hatte. Doch ich wollte es nicht glauben. Ich konnte nicht. Sowas konnte nicht wahr sein.
»Logan, schau mich an«, schluchzte Lucinda und wies auf die Bisswunden. »Und was denkst du, warum er zusammengebrochen ist? Was denkst du, warum ich ihn gesucht habe? Weil ich an seinem Leid schuld bin. Es war klar, dass er ausrastet, wenn er erfährt, dass Lorenzo meinetwegen tot ist.«
»Er hätte dir trotzdem nie etwas antun dürfen.« Langsam ging ich auf die Kleine zu, nur wenige Zentimeter vor ihr blieb ich stehen. »Wie konnte er nur?«
Mit nassen Augen blickte Lucinda mich an. »Es ist meine Schuld.«
»Nein, ist es nicht«, widersprach ich leise. »Du konntest nicht wissen, was passiert. Es war nicht deine Absicht.«
»Trotzdem ist es meine Schuld. Ich hätte einen Satz gebraucht, um es anders zu machen«, jammerte das Mädchen. Sie steigerte sich da richtig rein.
Ich strich ihr eine der blutverschmierten Strähnen aus dem Gesicht. Das Mädchen roch so schön nach Mango. Und Blut. »Er hätte dir trotzdem nicht soetwas antun sollen«, flüsterte ich. Waren wir uns je so nahe gewesen? »Nicht dir.« Besonders nicht ihr.
Nicht meiner Luz.
»A-aber ...«
»Schhh«, machte ich und legte ihr einen Finger auf die Lippen. Ich konnte ihren warmen Atem spüren.
Ein Fehler.
Sie waren so verlockend weich.
Etwas in mir regte sich, kribbelte. Zwar versuchte ich es, zu verdrängen, doch es schlug sich hartnäckig hoch an die Oberfläche.
Als Lucinda erneut ansetzte, mir zu widersprechen, überwand ich die letzten Millimeter zwischen uns und küsste ich sie. Die Kleine so aufgelöst vor mir zu sehen, so hilfesuchend, so fertig, und trotzdem so süß, war zu viel für meine Beherrschung.
Ein Knoten in mir platzte. Erneut explodierte eine Farbbombe in mir. Seit Jahren unterdrückte ich meine Gefühle für dieses Mädchen. Und je länger man etwas unterband, desto stärker wird es ja bekanntlich, besonders wenn es um Liebe geht. Doch ich hatte solche Angst gehabt, Lucinda zu verlieren, wenn ich es ihr sagte. Sie war wirklich wie eine Schwester für mich. Bis auf das klitzekleine Detail, dass ich etwas für sie empfand, das ganz und gar nicht freundschaftlich oder gar familiär war.
Instinktiv vergrub ich meine Hand in ihren Haaren, mit der anderen fand ich ihre schmale Taille und zog Lucinda an mich. Wie oft hatte ich mir genau das gewünscht? Wie oft hatte ich im Bett gelegen und mir genau das ausgemalt? Ich schloss meine Augen, weil ich spürte, wie sich Tränen darin sammelten. Das Gefühl war einfach zu überwältigend.
Ich wollte nicht, dass der Moment endete.
Ich wollte nicht meine Augen offen und ihren entsetzten Blick sehen.
Ich wollte nicht zurück in die Realität kehren und merken, wie ich alles kaputt gemacht hatte - nur durch einen Moment der Schwäche.
Ich wollte einfach ihr stehen, ihren zarten Körper an dem meinen spüren und sie küssen.
Ihre blutverschmierten Finger wanderten langsam zu meiner Brust, während sie meinen Kuss erwiderte. Es war so schön. Es sollte nicht vorbei sein. Das Bild von Lucinda, wie ihre Fingernägel über meinen Rücken kratzten, drängte sich mir auf. Wie sehr ich es mir doch wünschte. Das Atmen fiel mir schwer, so sehr überwältigend mich dieses Gefühl. Ich bebte.
Das Klingeln ließ uns beide zusammenzucken - und zerstörte den besten Moment meines Lebens.
Lucinda löste sich von mir. »Logan ...«, flüsterte sie ängstlich, ihr Hände ruhten noch immer an meiner Brust. Als ob sie mich wegschieben wollte.
Ich öffnete meine Augen, wissend, was jetzt kommen würde. Und tatsächlich, meine beste Freundin blickte mich an. With those judgy eyes. Und das tat mir im Herzen weh.
Es klingelte erneut.
Statt also etwas zu sagen, wandte ich mich ab und verließ das Zimmer. Eine Träne stahl sich aus meinen Augen, frustriert wischt ich sie weg. Völlig neben der Spur betätigte ich den Summer. Ich konnte nur hoffen, dass das nicht Lucindas Mom war. Denkbar schlecht war der Zeitpunkt.
Schuld und schlechtes Gewissen pulsierten wie Säure durch meine Adern. Nie hätte ich diese Grenze überschreiten sollen. Niemals. Lucinda war meine beste Freundin. Wenn sie damit nicht klarkam, würde ich die Kleine verlieren. Für immer. Und selbst wenn nicht, es würde komisch werden. Immer würde sie mich anders ansehen. Mitleidig und schuldbewusst.
Seufzend öffnete ich die Tür.
Doch schon im nächsten Moment verdunkelte sich mein Blick schlagartig und der Schmerz wich der brennende Wut, als ich erkannte, wer da vor der Wohnungstür stand.
»Kann ich Lucinda sprechen?«, erkundigte sich Álvaro leise.
Ich schlug ihm mit ganzer Kraft mit der Faust ins Gesicht. »Wie kannst du es wagen, hier aufzukreuzen?«, fauchte ich wutentbrannt.
Gerade er zerstörte den Moment zwischen Luz und mir. Die Ironie war geradezu lachhaft.
Álvaro jedoch stolperte nicht einmal nach hinten. Als er den Kopf wieder hob, rann etwas Blut aus seiner Nase und benetzte seine Lippen. »Ich will nur kurz mit ihr reden«, beteuerte er, seine Stimme jedoch war nach wie vor ruhig wie das Meer an windstillen Tagen.
»Nachdem du sie so sehr zugerichtet?«, zischte ich. »Vergiss es, du elender, blutssaugender Dreckssack.« Erneut schlug ich zu.
Der Vampir nickte. »Du weißt es. Sie hat es dir gesagt.« Es war mehr eine Feststellung als eine Frage.
»Natürlich.« Ich stieß ihm vor die Brust.
»Egal, wie hart du mich schlägst, du kannst mich nie so sehr hassen, wie ich mich selbst«, flüsterte er und sah mich dann an.
Seine Augen waren rot.
Das Herz rutschte mir in die Hose. »Deine Augen ...«
»Sie hat dir anscheinend nicht alles erzählt«, stellte Álvaro ruhig fest. »Bitte, Logan. Ich möchte nur kurz mit ihr reden.« Seine Stimme zitterte. Erst jetzt merkte ich die Reue darin.
»Ich bin sicher, dass sie das nicht will, nachdem du sie so zugerichtet hast«, knurrte ich.
Ein Seufzen ... nein, ein ... Wimmern entwich ihm. »Bitte, dann lass mich sie wenigstens sehen, ich ...« Er stockte. Dann schloss er gequält die Augen und verzog das Gesicht, sein Kiefer verkrampfe sich.
Als ich mich umsah, bemerkte ich, wie Lucinda aus ihrem Zimmer getreten war. Jedoch stiegen ihr jäh wieder die Tränen in die Augen. Und als Álvaro einen Schritt auf meine beste Freundin machte, huschte sie ängstlich zurück in ihr Zimmer.
»Noch einen Schritt weiter und du kannst deine Eier vom Boden aufkratzen«, drohte ich ihm und versperrte dem Mann den Weg.
Ich konnte meine Kleine hinter mir schluchzen hören. Früher oder später würde der Kerl dafür büßen. Das schwor ich bei Gott.
»Lucinda blutet, du musst mich zu ihr lassen«, flehte er.
»Sie blutete wegen dir, du Mistkerl«, fuhr ich ihn an. Was bildete der Vampir sich überhaupt ein?
Frustriert fuhr Álvaro sich mit einer Hand durch seine langen Haare; sie waren zerzaust. »Das sind ihre Sachen. Sie hat sie bei mir gelassen.« Mit zitternden Fingern reichte er mir ihren Beutel. »Und gib ihr das.« Álvaro kramte ein kleines Cremedöschen hervor und hielt es mir hin.
»Was soll sie mit Creme?«, fragte ich wütend. »Das nützt ihr jetzt auch nichts mehr.«
Er seufzte. »Das ist mein Speichel. Lucinda wird wissen, was sie damit tun soll. Aber gib es ihr wirklich. Wenn ihr wegen dem Blutverlust schwindlig wird, ruf mich an. Ich kann ihr helfen. Glaub mir.«
Zaghaft nahm ich ihm das Döschen und ihren Beutel ab. »Fahr zur Hölle.«
»Das werde ich sicher«, meinte er leise. »Sag ihr, dass es mir leid tut.« Damit wandte Álvaro sich ab und verschwand die Treppen nach unten. Ich konnte hören, wie die Tür hinter ihm zufiel.
Langsam schloss ich die Wohnungstür. Dann ging ich zurück zu Lucinda in ihr Zimmer; den Beutel stellte ich neben dem Schreibtisch ab. Das Mädchen saß vor ihrem Bett auf dem Boden und weinte bitterlich.
Vorsichtig kniete ich mich vor sie und hielt ihr unschlüssig das Döschen hin. »Álvaro hat mir das hier gegeben«, erklärte ich ihr widerstrebend. »Er sagte etwas davon, dass es sein Speichel sei und dass du wüsstest, was du damit tun müsstest.«
So schnell, wie die Kleine ihren Kopf gehoben und das Döschen genommen hatte, konnte ich gar nicht gucken. Mit einer hastigen Bewegung hatte sie es aufgeschaubt. Und zu meinem Entsetzen war wirklich Speichel darin.
Noch mehr widerte es mich allerdings an, als das Mädchen begann, den Speichel auf ihren Wunden zu verteilen. »Was tust du da?«
»Seine Spucke fördert die Wundheilung. Sonst hättest du schon längst gemerkt, wenn er von mir getrunken hat«, murmelte Lucinda. »Und ich will den Anderen morgen ganz sicher nicht erklären, was mir passiert ist. Jede Sekunde zählt.«
Ich schluckte. »Okay.« Dass der Mistkerl derjenige war, welcher ihr helfen konnte, obwohl er ihr überhaupt erst wehgetan hatte, frustrierte mich mehr und mehr.
Mit einem Mal kehrte der Schmerz zurück. Ich verspürte dieses unbändige Verlangen nach dem Mädchen. Ihren Lippen. Ihrem Körper. Ihrer Nähe.
Leider ahnte ich, dass sie auch bald darüber reden wollen würde.
»Logan, was ... wegen gerade eben«, setzte meine beste Freundin da auch schon an. Sie ließ das Döschen sinken, als alle Wunden damit benetzt waren.
Manchmal war mir wirklich, als könnten wir unsere Gedanken lesen. Schon oft hatten wir es erlebt, dass der Eine etwas aussprach, das der Andere gerade dachte.
»Ich will nicht darüber reden«, wehrte ich ab. Ich konnte die Kleine nicht ansehen.
Das Handy in meiner Hosentasche klingelte. Unpassender konnte der Moment wirklich nicht sein. Ehrlich. Hastig kramte ich es heraus, drückte die Person aber dann weg.
»Willst du nicht rangehen?«, erkundigte sich Lucinda leise. Noch immer rannen die Tränen unerbittlich die Wangen hinab.
Doch ich schüttelte den Kopf. »Nein.«
»Wer war es denn?«
»Olivia«, seufzte ich. »Vermutlich ruft sie wegen vorhin an.«
Ihre grasgrünen Augen waren mich durchdringend an. »Was war denn vorhin?«
»Wir hatten ein Date«, gestand ich. »Als du mich angerufen hast, hab ich sie mehr oder weniger einfach stehen lassen.« Liv war entsetzt gewesen, als ich ihr nach dem Anruf kreidebleich verkündet hatte, dass ich weg müsste. Zwar hatte sie gesagt, dass es okay wäre, doch ich hatte das Missfallen in ihren moosgrünen Augen deutlich sehen können. Ich konnte es ihr noch nicht einmal verdenken.
Lucinda schluckte. »Oh. Das tut mir leid. Du solltest sie anrufen.«
Frustriert knallte ich mein Handy auf ihren Schreibtisch. »Wozu? Sie ist eh nur Ablenkung. Ich will dich. Und ich weiß, dass das falsch ist und dass ich das nicht dürfte. Es tut mir leid.«
»Du ... du liebst mich?« Perplex starrte meine beste Freundin mich an.
»Ja, verdammt!« Ich schloss kurz die Augen. »Der Kuss war doch deutlich genug, oder?«
»Logan. Ich ... Du weißt, dass ich anders empfinde.« Sie blickte zu Boden; mir war durchaus bewusst, wie schwer es ihr fiel, das auszusprechen.
Ja, das wusste ich. Dennoch taten ihre Worte nicht weniger weh. »Ich weiß. Wir sollten den Kuss vergessen. Es ist das Beste.«
Luz schniefte. »Bist du sicher?«
»Ja, soll ich dir was zu essen machen?«, fragte ich sie und stand auf.
Unsicher blickte die Kleine mich an. »Ich habe, nachdem ich geweint habe, nie Hunger, danke. Bleibst du hier?«
Bestimmt nickte ich. »Ich passe auf dich auf. Wenn du nicht magst, dass ich bei dir im Zimmer schlafe, gehe ich auch auf die Couch. Aber ich lasse dich jetzt ganz sicher nicht alleine, bis ich sicher sein kann, dass es dir gut geht. Schließlich bist du meine beste Freundin.« Ich versuchte ein Lächeln. Vermutlich misslang es.
»Also sind wir Freunde? Auch wenn du anders empfindest?«
Diesmal war mein Lächeln echt und ehrlich. »Für dich bin ich alles. Auch dein bester Freund.«
Sie stellte das Döschen zur Seite und erhob sich ebenfalls - wenn auch etwas schwerfälliger als ich. »Danke. Und es tut mir leid.« Damit nahm Lucinda mich in den Arm.
Tränen schimmerten in meinen Augen. Doch ich war dankbar für ihre Nähe.
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