9. Kapitel
Mein Herz setzt einen kurzen Schlag aus, als ich meinen Namen aus dem Mund des unsympathischen Mannes mir gegenüber höre.
Denn die Tatsache, dass er meinen Namen kennt beweist, dass er mich nicht mit jemandem verwechselt. Scheinbar habe ich in dieser Bar wirklich Hausverbot. Was völlig unverständlich ist, da ich abgesehen von gestern noch nie im Sunshine war.
Ich gebe zu, dass ich mir nach Feierabend öfter mal ein paar Drinks genehmige. Manchmal auch zu viele. Aber ich bin niemals hier am Rand der Stadt gewesen. Diese Bar liegt direkt am Strand. Wieso sollte ich extra hier herausfahren, um mich zu betrinken?
Das ist völlig unlogisch, da ich dann mit dem Auto zurückfahren müsste. Gestern habe ich es notgedrungen getan, weil mir keine andere Wahl blieb. Aber ansonsten gehe ich immer zu Fuß ins Black Panther, einer kleinen Bar direkt am anderen Ende der Straße, in der ich wohne.
Mein Blick fällt auf das Namensschild des Besitzers dieser Bar. Thomas Sterling.
Ich habe kein gutes Namensgedächtnis, bin mir aber sehr sicher, diesen Namen noch nie in meinem Leben gehört zu haben. Auch von der Optik her kommt mir der Mann völlig unbekannt vor, der mir nun gegenübersteht.
Er ist ungefähr so groß wie ich, was den Nachteil hat, dass er mir direkt in die Augen sehen kann. Seine Wangen sind vom Wetter gebräunt, der dunkle Schnauzbart ist mit leicht silbrigen Strähnen durchzogen.
Ich besitze dank meines Jobs gut durchtrainierte Schultern und habe ein breites Kreuz. Thomas ist gefühlt doppelt so breit wie ich. Daher komme ich mir ziemlich unterlegen vor und weiß nicht, wie ich mit ihm umgehen soll.
Natürlich würde ich am liebsten widersprechen, aber er scheint sehr überzeugt von der Annahme zu sein, dass ich derjenige bin, der hier Hausverbot hat. Immerhin kennt er ja auch meinen Namen.
Es dauert einige Augenblicke, bis mir wieder einfällt, in welcher Position ich mich befinde. Ich bin ein Polizist, er nur ein verdammter Betreiber einer Bar. Allein aus diesem Grund bin ich ihm überlegen.
„Ich glaube, da verwechseln Sie etwas, Mr. Sterling." Höflich, aber dennoch bestimmt, sage ich diesen Satz und bin etwas stolz auf mich, den Mut aufgebracht zu haben, diesem Typ zu widersprechen.
Ich würde mich mit Caleb an meiner Seite in solch einer unangenehmen Situation wirklich sicherer fühlen, das gebe ich offen zu. In vielen Situationen habe ich eine große Klappe und kann auch mal ausfallend werden. Aber ich kann auch gut einschätzen, wann ich mich zurückhalten sollte. Das hier ist definitiv eine Situation, in der ich mein Temperament zügeln muss.
„Das glaube ich nicht." Kalt mustert Thomas mich und ich bemühe mich, nicht die Kontrolle zu verlieren. „Sie waren vor einigen Tagen bereits hier. Haben sich vollkommen voll laufen lassen, meine Kellnerinnen angegraben und auf den Boden gekotzt. Bis ich sie rausgeschmissen habe, weil ich solch ein Verhalten nicht in meiner Bar dulde. So viel wie Sie gesoffen haben, wundert es mich nicht, dass Sie sich daran nicht erinnern können."
Jeremy klappt bei dieser Erklärung die Kinnlade herunter und ich bin kurz vorm Explodieren. All der Respekt und die Autorität, die ich bei ihm und sonst auf dem Revier habe, hat sich durch diese Aussage von Thomas in Luft aufgelöst.
Er stellt mich wie einen verdammten Säufer dar, der seine Kontrolle verliert, wenn er zu tief ins Glas geschaut hat. Aber so jemand bin ich nicht. Sowas ist mir noch nie passiert.
Wäre es der Fall, dann müsste mich Joe aus seinem Black Panther ebenfalls bereits rausgeschmissen haben. Denn bei ihm habe ich mir schon öfter die Kante gegeben. Ich bin aber nie ausfallend geworden. Sonst hätte er mich irgendwann nicht mehr reingelassen.
Ich komme zu dem Ergebnis, dass Thomas lügt. Er untergräbt meine Stellung vor meinem Kollegen und stellt mich hier als völligen Idioten dar. Gleichzeitig macht er mich zu jemandem, der ein Motiv haben könnte, sich an den Mitarbeitern des Sunshine zu rächen.
Das führt dazu, dass mir mein Kollege nicht mehr vertraut. An Jeremys scheuem Blick erkenne ich, wie er anfängt an mir zu zweifeln. An mir, der Person, zu der er bis vor einigen Minuten noch respektvoll aufgesehen hat. Jetzt ist er verunsichert und weiß nicht, was er glauben soll.
Mit Caleb wäre das nicht passiert. Er kennt mich und hält in jeder Situation zu mir. Das ist so ein Kodex zwischen uns beiden. Vor anderen Leuten, Tätern oder Verdächtigen, halten wir immer zusammen und stärken unserem Partner den Rücken. Auch dann, wenn wir nicht wissen, was wirklich passiert ist. Fragen kann man immer später stellen und Erklärungen verlangen.
Aber erstmal hält man zusammen.
Von diesem Kodex scheint Jeremy noch nichts gehört zu haben, was mich aber auch nicht verwundert. Er ist noch neu und hatte nie einen festen Partner, mit dem er durch Dick und Dünn gegangen ist. Er ist noch ein Einzelgänger, der darauf aufpassen muss, dass ihm nichts direkt am Anfang seine Karriere versaut. Und ein Chef mit Alkoholproblem wie ich es nun offensichtlich bin, ist nicht gut für seinen Lebenslauf.
Ich kann nicht auf seine Unterstützung hoffen, daher muss ich diese Situation irgendwie allein retten. Während ich nachdenke, schwöre ich mir, niemals wieder ohne Caleb irgendwohin zu fahren.
„Ich bin gleich wieder weg, wenn Sie mir nur ein paar Fragen beantworten. Ich bin dienstlich hier." Als Beweis halte ich ihm meine Marke unter die Nase. Desinteressiert huschen seine Augen darüber und ich stöhne innerlich genervt auf, nutze die Chance aber direkt, da er noch schweigt.
„Hatten Serena und Carol irgendwelche Gemeinsamkeiten? Gäste, die nur von ihnen bedient werden wollten? Oder gab es Verhältnisse zwischen den Mitarbeitern, die zu solchen Morden geführt haben könnten?"
Thomas verschränkt seine Arme vor der Brust. Sein distanzierter Blick verwandelt sich, bis er mich fast schon amüsiert angrinst.
„Der letzte Gast, der beide Mädchen angemacht hat, waren Sie persönlich gewesen, Mr. Reynolds. Und jetzt raus aus meinem Laden, ich will Sie hier nie wieder sehen!"
Bedrohlich tritt er einen Schritt näher auf mich zu und ich schlucke. Wäre ich nicht im Dienst und müsste mich benehmen, wäre meine Faust sofort in seinem Gesicht gelandet. Aber leider kann ich mir solch einen Ausraster nicht erlauben.
Daher beiße ich fest den Kiefer zusammen, schlucke die bissige Antwort, die mir auf den Lippen liegt, herunter und verlasse die Bar.
Mein Puls ist bei mindestens 180 und ich nehme meine Umgebung nicht mehr wahr. Wie durch einen Tunnel erblicke ich mein Auto und laufe darauf zu.
Wie konnte es dieser Idiot innerhalb von ein paar Minuten schaffen, mich vor meinem Kollegen zu einem Verdächtigen werden zu lassen?
All seine Aussagen haben dazu geführt, dass er mich weiter reingerissen hat. Sonst würde es mir nichts ausmachen, aber momentan bin ich sowieso verunsichert genug.
Denn ich habe diesen Blackout von der letzten Nacht. Ich hatte Blut an den Händen und weiß bis jetzt nicht, woher es kam.
Natürlich hat mein Verstand jetzt gerade sofort auf Verteidigungsmodus umgeschaltet. Ich habe kein Wort von dem geglaubt, was Thomas gesagt hat. Was aber, wenn es keine Lügen waren? Wenn ich wirklich schon einmal hier war, mich nur nicht dran erinnern kann? Könnte ich der Täter sein?
Bei diesem Gedanken wird mir eiskalt und mir fällt der Autoschlüssel aus der Hand. Er landet auf dem leicht sandigen Boden und ich hebe ihn schnaubend wieder auf.
So etwas darf ich nicht denken. Ich bin nicht verrückt. Ich hatte noch nie einen Blackout, warum sollte es also auf einmal schon öfter passiert sein? Wäre nicht das Blut an meinen Händen gewesen, würde ich denken, dass ich nach meinem Besuch in der Bar wirklich nur nach Hause und in mein Bett gegangen bin.
Aber das Blut verunsichert mich.
Davon weiß noch niemand etwas. Jeremy weiß aber schon zu viel. Das könnte mir zum Verhängnis werden.
Mir bricht vor Nervosität kalter Schweiß aus und ich lehne mich gegen meine Wagentür. Wird Jeremy mir nun in den Rücken fallen? Oder wird er mir glauben, wenn ich ihm sage, dass Thomas nur Bullshit gelabert hat? Denn Jeremy weiß nichts davon, dass ich Blut an den Händen trug.
Noch kann ich es vertuschen. Es muss niemand erfahren, bevor ich selbst nicht Antworten dazu habe.
Tief atme ich die warme Luft ein und versuche mich zu beruhigen. Ich bin innerlich so zerrissen, dass es mich verwirrt und handlungsunfähig macht. Gleichzeitig bin ich auch verzweifelt, weil ich langsam echt an meinem Verstand zweifle.
Ich kann mit niemandem darüber reden, niemandem sagen, was geschehen ist, an was ich mich erinnern kann und an was wiederum nicht.
Leider kann ich mich genau an den Zeitpunkt nicht erinnern, an dem ein grausamer Mord geschehen ist.
Vielleicht steigere ich mich nur in etwas hinein, mache mich selbst verrückt. Aber vielleicht auch nicht. Ich weiß es nicht.
„Verdammte scheiße!" Wütend schlage ich mit meiner Faust auf das Dach des Autos. Ich muss mit jemandem reden, ansonsten drehe ich noch vollkommen durch. Ein anderer Blickwinkel auf all die Sachen könnte dabei helfen, etwas Klarheit in meine Situation zu bringen. Ich muss es wenigstens versuchen, auch wenn ich dabei alles riskiere.
Ich schließe meine Augen und starte den Versuch erneut, mich zu beruhigen und tief durchzuatmen. Dabei verdränge ich angestrengt all meine Gedanken und konzentriere mich auf die Geräusche, die um mich herum sind.
Das Zwitschern eines Vogels, der Wind, der durch die Gräser der Dünen fährt. Ganz weit entfernt das Rauschen des Meeres. Es ist eigentlich so ein friedlicher Ort hier. Aber jetzt ist es ein Ort, der meinen gesamten Glauben an mich selbst zerstört hat.
Ich höre, wie sich mir schlurfende Schritte nähern. Das kann nur Jeremy sein.
Ohne ihm meine Aufmerksamkeit zu schenken, steige ich in den Wagen und fahre los, als er neben mir sitzt.
Er wirkt noch angespannter als auf der Hinfahrt, aber das ignoriere ich. Ich mache mir auch nicht die Mühe, mit ihm über das Gespräch mit Thomas zu reden. An seinem Gesichtsausdruck kann ich erkennen, dass er sich bereits eine Meinung über mich gebildet hat. Ich könnte versuchen es richtig zu stellen und mich zu verteidigen, aber dazu fehlt mir gerade die Kraft.
Ich weiß ja selbst nicht, was ich noch glauben soll. Deswegen kann er von mir aus auch glauben, was er will. Es ist mir egal. Ich möchte nur selbst Klarheit bekommen.
Am Revier angekommen, steigt Jeremy aus und betritt das Gebäude, ohne auf mich zu warten. Ich presse meine Lippen zusammen und bleibe noch einige Augenblicke in meinem Wagen sitzen, bevor ich ebenfalls aussteige.
Schon heute Morgen war es mir unangenehm gewesen, das Revier zu betreten und an meinen Kollegen vorbeizulaufen. Jetzt kommt es mir wie ein Spießrutenlauf vor.
Ich sehe, wie Jeremy angeregt mit Leuten spricht. Sie werfen mir komische Blicke zu, mustern mich oder vermeiden jeglichen Blickkontakt mit mir. Aufgrund dieser Reaktionen kann ich mir sehr gut vorstellen, was er ihnen gerade erzählt. Er macht mich zum Hauptverdächtigen in einem Mordfall. In meinem Mordfall.
Da ich nicht weiß, wie ich mit der Situation umgehen soll, mache ich einen Umweg über unsere Küche und gieße mir aus der Kaffeekanne erstmal einen heißen Kaffee ein. Ich bin allein in dem kleinen Raum und das ist mir auch ganz recht so.
Die schwarze Flüssigkeit schwappt bedenklich in der Tasse, als ich sie anhebe und einen Schluck trinke. Ich muss mit Caleb reden. Er ist die einzige Person, der ich hier noch vertrauen kann. Oder bei der ich zumindest die Chance habe, dass er mir glaubt und hilft. Ich muss in fragen, wieso auf einmal jeder in dieser Stadt denkt, dass ich die zwei Frauen umgebracht habe.
Hart schlucke ich, da ich weiß, wie viel von diesem Gespräch abhängt. Entweder stellt er sich auf meine Seite, oder er führt mich in Handschellen ab.
Erstaunt ziehe ich meine Augenbrauen nach oben, als Caleb plötzlich im Türrahmen steht. Aufmerksam sieht er mich an, dann schließt er die Tür hinter sich. Kein gutes Zeichen, scheinbar hat er schon mit Jeremy geredet. Verdammter Wixer.
Ich schenke ihm die Chance seines Lebens und er rammt mir als Dank ein Messer in den Rücken.
„Wir müssen reden." Caleb bleibt vor der Tür stehen und ich nicke langsam. Zwar wollte ich ebenfalls mit ihm reden, aber nicht offiziell, sondern unter Freunden.
Aber er steht vor mir, wie ein Ermittler vor einem Verdächtigen. Wie eine Katze vor einer Maus, die nur darauf wartet, dass die kleine Kreatur einen Fehler macht.
Ich habe scheinbar bereits einen Fehler gemacht, ohne es selbst zu wissen.
„Darren, wir haben die Tatwaffe gefunden. Es sind deine Fingerabdrücke drauf."
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